| Titel: | Darstellung von unterschwefligsaurem Natron aus Sodarückständen; von Max Schaffner in Außig. | 
| Fundstelle: | Band 193, Jahrgang 1869, Nr. XIII., S. 43 | 
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                        XIII.
                        Darstellung von unterschwefligsaurem Natron aus
                           Sodarückständen; von Max Schaffner in Außig.Aus den Verhandlungen der physikalisch-medicinischen Gesellschaft in
                                 Würzburg, durch die deutsche Industriezeitung, 1869, Nr. 21. 
                        Schaffner, über Darstellung von unterschwefligsaurem Natron aus
                           Sodarückständen.
                        
                     
                        
                           Seit neun Jahren habe ich mit der Darstellung des unterschwefligsauren Natrons aus
                              Sodarückständen begonnen. Die erste Darstellungsweise war sehr einfach; an warmen
                              Sommertagen bemerkte ich auf den Halden der Sodarückstände Auswitterungen eines
                              weißen Salzes und fand, daß dieses Salz unterschwefligsaures Natron war. Ich ließ
                              daher die Sodarückstände beim Auswerfen aus der Sodaauslaugerei, welche bisher in
                              unregelmäßiger Form auf die Halde gestürzt wurden, in regelmäßigen Haufen
                              aufstürzen, die an der Oberfläche glatt geschlagen wurden. Nach einigen Wochen
                              begann sodann die Auswitterung des weißen Salzes (unterschwefligsaures Natron), das
                              mit eigens dazu geformten Schaufeln abgekratzt wurde, eine Arbeit die sehr rasch von Statten ging, da die
                              Oberfläche der Halden sehr glatt und regelmäßig war. Dieses Abkratzen und Abkehren
                              konnte während des Sommers alle acht Tage wiederholt werden, da immer wieder von
                              Neuem Auswitterungen stattfanden. Die Salzmasse, welche man auf diese Weise erhielt,
                              bestand im Wesentlichen aus fertig gebildetem unterschwefligsaurem Natron und war
                              mit etwas unterschwefligsaurem Kalk und Schwefelcalcium verunreinigt. Sie wurde
                              ausgelaugt und vom Unlöslichen getrennt; sodann wurde unter Umrühren der Lauge
                              vorsichtig etwas Salzsäure zugegeben. Da in einer Lauge, die unterschwefligsaures
                              Natron, unterschwefligsauren Kalk und Sulfosalze des Calciums enthält, die
                              Sulfosalze durch Salzsäure zuerst zersetzt werden, ehe die Salzsäure auf die
                              unterschwefligsauren Salze einwirkt, so konnte die Lauge auf diese Weise einfach von
                              den Sulfosalzen befreit oder gereinigt werden. Hierauf fügte man der Lauge etwas
                              Sodalauge zu, um die geringen Mengen von unterschwefligsaurem Kalk in
                              unterschwefligsaures Natron überzuführen, wobei die Flüssigkeit mit Dampf erwärmt
                              wurde. Auf 100 Pfd. Antichlor waren nur 5–6 Pfd. Soda nöthig. Man ließ die
                              Lauge absetzen, dampfte die klare Flüssigkeit auf 42° Baumé ein und
                              stellte sie zur Krystallisation. Es war dieß eine billige Fabrication, der Centner
                              Antichlor stellte sich auf kaum 2 fl. und konnte damals mit 18 bis 20 fl. verkauft
                              werden. Die Fabrication war aber sehr beschränkt, im Winter konnte man gar nicht
                              arbeiten, ebenso ist der Natrongehalt der Sodarückstände überhaupt gering und von
                              diesem Natrongehalte gelang nur ein kleiner Theil zur Auswitterung. Der Natrongehalt
                              der Sodarückstände hängt hauptsächlich von der Reinheit der Rohmaterialien ab,
                              welche beim Schmelzen der rohen Soda zur Anwendung gelangen. In Außig wird die rohe
                              Soda so lange mit Wasser behandelt, bis die ablaufende Flüssigkeit auf dem Aräometer
                              0 zeigt. Analysirt man aber den Rückstand, so findet man im Durchschnitt noch einen
                              Natrongehalt (verschlackt), der 4–5 Proc. schwefelsaurem Natron entspricht.
                              Durch den Oxydationsproceß der Sodarückstände wird ziemlich der ganze Natrongehalt
                              löslich gemacht.
                           Als nun die Nachfrage nach Antichlor sich vermehrte, suchte ich nach einem einfachen
                              Weg, die Production zu erhöhen; ich setzte daher den Sodarückständen Glaubersalz zu
                              und ließ die Masse in großen Haufen sich oxydiren. Die Auswitterung war stärker,
                              allein die Ausbeute von Antichlor im Vergleich zum angewendeten Glaubersalz war
                              durch bloße Auswitterung zu gering. Ich untersuchte daher die Masse des ganzen
                              Haufens und fand, daß sich das ganze Glaubersalz bei richtiger Behandlung in
                              unterschwefligsaures Natron umgewandelt hatte. Es war also nicht mehr nöthig, auf die
                              Auswitterung zu warten, sondern der ganze Haufen wurde ausgelaugt. Allerdings
                              erhielt man nun eine Lauge, welche nicht mehr so rein war, als die nach früherer
                              Methode dargestellte; sie enthielt neben unterschwefligsaurem Natron große Mengen
                              von Polysulfureten des Calciums und unterschwefligsaurem Kalk. Auch diese Lauge
                              wurde anfangs nach der oben beschriebenen Methode mittelst vorsichtigen Zugebens von
                              verdünnter Salzsäure von Polysulfureten befreit und dann mit Soda der vorhandene
                              unterschwefligsaure Kalk in unterschwefligsaures Natron umgesetzt, die geklärte
                              Lauge sodann bis zur Krystallisationsfähigkeit eingedampft. Vei diesem Verfahren
                              wurden bedeutende Mengen von Schwefel als Nebenproduct gewonnen und es zeigte sich
                              sehr bald, daß man die Gewinnung des Schwefels mit größtem Vortheil zur Hauptsache
                              machen könne. Aber es zeigte sich auch, daß die bisher eingeführte Methode, die
                              Polysulfurete durch verdünnte Salzsäure zu zersetzen, nicht mehr brauchbar war, da
                              jetzt große Massen von Schwefelwasserstoff auftraten, was bei der früheren Lauge
                              (durch Auswitterungssalze erhalten) nur in ganz geringer Menge der Fall war. Die
                              Belästigung durch Schwefelwasserstoff wurde geradezu unausstehlich und man mußte auf
                              andere Mittel denken, denselben unschädlich zu machen oder sein freies Auftreten zu
                              verhindern.
                           Bei dieser Gelegenheit will ich einige Wirkungen des Schwefelwasserstoffgases auf den
                              Organismus anführen, die vielleicht nicht so allgemein bekannt sind. Hält man sich
                              Tage und Wochen in einer Atmosphäre auf, welche nur sehr geringe Mengen von
                              Schwefelwasserstoff enthält, so stellt sich nach und nach Appetitlosigkeit und
                              Kopfweh ein. Athmet man einen starken Strom von Schwefelwasserstoff ein, so ist die
                              Wirkung eine augenblickliche; Arbeiter, die durch Undichtwerden eines Apparates
                              momentan große Mengen von Schwefelwasserstoff einathmeten, fielen mitten im Gespräch
                              plötzlich um, als seyen sie von einer Kugel getroffen, alle Glieder waren
                              vollständig starr und unbeweglich, die Augen verdrehten sich und die Brust hob sich
                              röchelnd auf und nieder. Wurden sie an die frische Luft gebracht und der Kopf mit
                              kaltem Wasser gewaschen, so kam das Bewußtseyn in einigen Minuten wieder, der
                              Patient verspürte nur eine gewisse Müdigkeit und erklärte, daß sein Zustand mit
                              keinen Schmerzen verbunden gewesen sey. Bleibt der Mann in der
                              Schwefelwasserstoffatmosphäre liegen, so ist der Tod natürlich unausbleiblich, wie
                              mit ein solcher Fall aus einer französischen Fabrik auch bekannt ist. Es mag
                              übrigens ein schmerzloser Tod seyn. Ein ganz besonderer Fall, der sich nur einmal
                              ereignete, war jedoch folgender: Es fiel ein Arbeiter unter obigen Erscheinungen
                              plötzlich um; er wurde an
                              die Luft gebracht und ihm der Kops mit kaltem Wasser gewaschen; die Beweglichkeit
                              der Glieder stellte sich auch alsbald wieder ein, aber nun fieng er an, um sich zu
                              schlagen und verfiel in förmliche Tobsucht, so daß einige starke Männer nöthig
                              waren, um ihn zu bändigen; diese Tobsuchtsanfälle wiederholten sich während drei
                              Wochen, worauf er wieder völlig geheilt wurde. Auf die Augen wirkt das
                              Schwefelwasserstoffgas ebenfalls ganz eigenthümlich ein; hält man sich längere Zeit
                              in einer Atmosphäre auf, die Schwefelwasserstoff enthält, so verspürt man allmählich
                              ein heftiges Brennen um die Augenlider; dieselben werden roth und fangen an, sich Zu
                              entzünden und schwellen schließlich derart an, daß das Auge dadurch ganz geschlossen
                              wird; die Schmerzen sind sehr groß. Als Gegenmittel wurden mit gutem Erfolg
                              Waschungen mit einer verdünnten Sublimatlösung angewendet (1/3 Gran Sublimat auf 3
                              Unzen Wasser). – Schließlich sey noch der leichten Entzündbarkeit eines
                              Gemisches von Luft und Schwefelwasserstoffgas erwähnt. Ein solches Gemisch
                              explodirt, wenn man einen Draht glühend macht und denselben so weit abkühlt, daß er
                              schon eine dunkle Farbe angenommen hat. Es kamen daher Explosionen vor, wo man sie
                              gar nicht vermuthete. Gegenwart von Wasserdampf verhindert die Entzündung.
                           Der Gedanke, die Darstellung des Schwefels zur Hauptsache zu wachen und den
                              Schwefelwasserstoff zu beseitigen, führte zu der Construction des Ausfällapparates,
                              wie er bei der Schwefelfabrication näher beschrieben wurde.Im polytechn. Journal Bd. CXCII S. 308; zweites Maiheft 1869. Den Sodarückständen wurde nun kein Glaubersalz mehr zugesetzt, die Oxydation
                              der Sodarückstände künstlich mit Kamingasen bewerkstelligt und die Lauge, welche der
                              Ausfällapparat lieferte, enthielt nur unterschwefligsauren Kalk mit geringen Mengen
                              von unterschwefligsaurem Natron, da die schweflige Säure, welche in der einen
                              Abtheilung des Apparates frei wird, immer die Polysulfurete in der anderen
                              Abtheilung in unterschwefligsaure Salze umsetzt. Die schädlichen Einwirkungen des
                              Schwefelwasserstoffes waren glücklich beseitigt; man erhielt nun mehr Laugen, als
                              man überhaupt zur Darstellung von Antichlor verwerthen konnte. Nur ein sehr kleiner
                              Theil dieser Laugen wird heute auf Antichlor verarbeitet, der weit größere Theil
                              dient zur Schwefelfabrication in der bekannten Weise.
                           Zur Antichlorfabrication wird die Lauge unter Erwärmung mit Glaubersalz versetzt. Es
                              bildet sich unterschwefligsaures Natron und Gyps; man läßt den Gyps sich absetzen,
                              dampft die Lauge bis zu 43° Baumé ein und stellt sie zur Krystallisation. Um
                              die zur Zersetzung nöthige Menge von Glaubersalz zu bestimmen, wird ein gewisses
                              Volumen der unterschwefligsauren Kalklauge mit einer überschüssigen Menge einer
                              titrirten Sodalösung versetzt, der Niederschlag von kohlensaurem Kalk abfiltrirt und
                              die überschüssige Soda zurücktitrirt. Die verbrauchte Menge Soda wird auf
                              Glaubersalz umgerechnet. Da man nun den Inhalt des Gefäßes kennt, in dem sich die zu
                              zersetzende Lauge befindet, so kann man auch die zur Zersetzung nöthige Menge
                              Glaubersalz berechnen. Die Krystalle erster Krystallisation kommen als Antichlor
                              (rohes) für Papierfabriken und Bleichereien etc. in den Handel. Für Photographen
                              werden diese Krystalle nochmals aufgelöst und in Thonschalen umkrystallisirt. Die
                              Außiger Fabrik stellt auf diese Weise jährlich 4 bis 5000 Etr. Antichlor dar.
                           Der Schwefel, wie er bei der Antichlorfabrication erhalten wurde, war anfangs in
                              einer nicht gut verwerthbaren Form. Das Auswaschen und Trocknen war umständlich,
                              durch Destillation ließ er sich nicht raffiniren; das leichte poröse und mit Gyps
                              verunreinigte Pulver leitete im Destillationsapparat die Wärme so schlecht, daß die
                              Wandungen des Destillationsgefäßes weißglühend seyn konnten, während das
                              Schwefelpulver im Inneren kaum warm war. Als nun eines Tages Antichlorlauge bis zu
                              45° Baumé eingedampft wurde und die Lauge noch suspendirten Schwefel
                              enthielt, zeigte sich alsbald, daß der Schwefel in der Antichlorlauge schmolz und
                              sich im tiefsten Theil des Kessels ansammelte. Diese Thatsache wurde sofort weiter
                              verfolgt. Ich suchte den erhaltenen Schwefel in einer concentrirten
                              Chlorcalciumlauge, die ja in großer Menge bei der Schwefelfabrication als
                              Nebenproduct gewonnen wird, zu schmelzen. Dieß glückte vollkommen; aber immerhin war
                              der Proceß etwas kostspielig und namentlich unreinlich. Da weder Chlorcalcium noch
                              unterschwefligsaures Natron bei diesem Proceß eine Rolle mitspielten, sondern es
                              sich nur darum handelte, das Schwefelpulver durch eine Wärmequelle zum Schmelzen zu
                              bringen, welche die ganze Masse leicht durchdringt, so wendete ich schließlich
                              Wasser unter Dampfdruck an und so hat sich nach Ueberwindung einiger Schwierigkeiten
                              der Schwefelkessel in seiner jetzigen vollkommenen Form ausgebildet.
                           Aus der ganzen Betrachtung geht also hervor, daß die Antichlorfabrication die Mutter
                              der Schwefelfabrication aus Sodarückständen gewesen ist. Die Außiger Fabrik hat
                              zuerst Antichlor in großem Maaßstab aus Sodarückständen dargestellt; von hier aus
                              hat sich das Verfahren, wenn auch vielleicht theilweise modificirt, nach den
                              Fabriken des Zollvereines
                              verpflanzt. Nach England hat die Außiger Fabrik bedeutende Mengen Antichlor
                              importirt und auch englische Fabriken haben nach Außiger Muster die Fabrication von
                              Antichlor aufgenommen.