| Titel: | Ueber die Zusammenziehung des Kautschuks in der Wärme; von P. Thomas, Ingenieur des Hauses Aubert und Gérard in Grenelle. | 
| Fundstelle: | Band 193, Jahrgang 1869, Nr. XVII., S. 77 | 
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                        XVII.
                        Ueber die Zusammenziehung des Kautschuks in der
                           Wärme; von P. Thomas, Ingenieur des Hauses Aubert und Gérard in
                           Grenelle.
                        Aus Les Mondes, t. XIX
                              p. 575; April 1869.
                        Thomas, über die Zusammenziehung des Kautschuks in der
                           Wärme.
                        
                     
                        
                           In Tyndall's Werke über die Wärme findet sich folgende
                              Stelle: „Der Kautschuk zieht sich, entgegengesetzt
                                    allen bekannten festen Körpern, in der Wärme zusammen.“
                              Diese Behauptung gründet sich auf folgenden Versuch von Joule:
                           
                              „Wird ein Fäden von vulcanisirtem Kautschuk, an dessen Ende ein Gewicht
                                 aufgehängt ist, erwärmt, so verkürzt er sich.“
                              
                           Nun weiß aber jeder Fabrikant von Kautschukgegenständen, daß wenn man aus weichem
                              Kautschuk ein Stück formen will, die Form um ungefähr 2 Procent größer seyn muß als
                              der zu formende Artikel (nach der Natur des Gummi und der Zusammensetzung des
                              Gemenges um 1,5 bis 2 Proc.); diese Schwindung hatte bisher als eine in Folge des
                              Erkaltens von 135 auf 20° C. eingetretene Zusammenziehung gegolten; könnte
                              sie von einer Molecularveränderung herrühren?
                           Ich bin seit einiger Zeit mit Versuchen über die physikalischen Eigenschaften des
                              Kautschuks und die Wirkungen des Vulcanisirens beschäftigt, deren Resultate zur
                              Aufklärung dieses Punktes dienen können.
                           Wird ein Kautschuk vom specifischen Gewichte 925 mit derjenigen Menge von Schwefel
                              und anderen Substanzen versetzt, welche zur Fabrication des im Handel als
                              „Parafaden“ bekannten,
                              durchscheinenden vulcanisirten Fadenkautschuks erforderlich ist, so erhält man ein
                              Gemenge, dessen specifisches Gewicht im rohen Zustande – 968,90 ist. Eine im
                              Kessel vulcanisirte Platte dieses Gemenges hat nach dem Vulcanisiren ein
                              specifisches Gewicht von 983,5, weil es eine gewisse Menge Wasser absorbirt hat; in
                              vollkommen trockenem Zustande dagegen von 979,70.
                           Ein Stück von demselben Kautschuk, in einer geschlossenen Form vulcanisirt, zeigte
                              nach dem Vulcanisiren ein specifisches Gewicht von nur 979,50.
                           Die durch das Vulcanisiren hervorgebrachte Erhöhung des specifischen Gewichtes,
                              folglich Volumverminderung, betrug somit 11,14 Promille, entsprechend einer linearen
                              Zusammenziehung von ungefähr 4/1000 oder nahezu 1/2 Procent.
                           
                           Ein anderes in unserer Fabrik dargestelltes Gemenge, welches beim Formen gewöhnlich
                              um 2 Proc. schwindet, zeigte vor dem Vulcanisiren das specifische Gewicht 989,9, und
                              nach demselben 1012,2; daher Volumverminderung 22/1000; Schwindung 7/1000.
                           Zieht man diese Zahlen von der beim Formen dieser Gemenge beobachteten Zahl 20/1000
                              ab, so erhält man für das erstere derselben 16 und für das zweite 13 Promille
                              Zusammenziehung in Folge des Erkaltens von 135 auf 20° C., somit als
                              Ausdehnungs-Coefficient (von 0 bis 1000) 14,80 für das erste und 11,30 für
                              das zweite Gemenge.
                           Diese Zahlen habe ich durch directe Versuche verificirt,
                              soweit sich überhaupt mit einem hinsichtlich der Homogenität so wandelbaren Körper
                              wie der Kautschuk genaue Versuche anstellen lassen.
                           1. Vulcanisirter Parafaden.
                           Ein Fäden von 0,845 Länge bei + 10° C. gemessen, auf eine mittelst Dampf auf
                              beiläufig 120° geheizte Platte gelegt (wobei sich der Fäden wohl bis zu
                              110° erwärmen konnte), erhielt eine Länge von 0,860. Auf eine kalte Platte
                              zurückgebracht, nahm er wieder seine ursprüngliche Länge von 0,845 an.
                           Ausdehnung von 0 bis 100°: 17,70 Promille.
                           2. Gewöhnliche Gemenge.
                           Eine Scheibe von 24 Millimet. Durchmesser bei + 10°, eine Viertelstunde lang
                              in kochendes Wasser gelegt, hatte in heißem Zustande einen Durchmesser von 24,3.
                           Ausdehnung von 10 bis 100'' : 12,50 Promille.
                           3. Nicht vulcanisirter Kautschuk.
                           Eine Streifenform von 3 Meter Länge wurde mit Kautschuk gefüllt, an einem Ende
                              geschlossen und unter die Presse gebracht; nachdem der Stempel zur gehörigen Tiefe
                              eingedrungen und der überschüssige Kautschuk aus dem offenen Ende ausgetreten war,
                              wurde die Form auf etwa 110'' erhitzt, wornach ein Streifen von 0,12 Met. Länge aus
                              derselben austrat, was einer Volumvermehrung von 12/100, also 4 Proc. und einer
                              Ausdehnung von ungefähr 13/1000 entspricht.
                           4. Ein interessanter Versuch, welchen Jedermann ausführen kann, ist der
                              nachstehende:
                           Wirft man ein Stück Kautschuk von der Zusammensetzung des Fadenkautschuks, welches
                              ein specifisches Gewicht von ungefähr 980 hat, in kochendes Wasser (dessen
                              specifisches Gewicht etwa = 965 ist), so fällt es natürlich auf den Boden des
                              Gefäßes, steigt aber in kurzer Zeit, nachdem es durch die Wärme hinreichend
                              ausgedehnt worden, wieder in die Höhe.
                           Aus Allem diesem ergibt sich, daß der Kautschuk, mag er vulcanisirt seyn oder nicht,
                              sich in der Wärme keineswegs zusammenzieht, sondern sogar sein
                              Ausdehnungscoefficient ohne Vergleich größer ist als der aller bekannten festen
                              Körper (mit Ausnahme des Paraffins und anderer ähnlicher Kohlenwasserstoffe).
                           Wie läßt sich nun die von Joule beobachtete Erscheinung erklären?
                           Jeder Aufseher einer Kautschukfabrik weiß, daß der Kautschuk in heißem Zustande
                              starrer oder strammer wird, d.h. daß er durch die gleiche Belastung weniger
                              verlängert wird. Die Folgerung hieraus ergibt sich von selbst.
                           Ein Fäden, an welchem ich ein Gewicht von 20 Grm. aufgehängt hatte, und dem ich
                              gestattete seine ganze Verlängerung anzunehmen (wozu stets eine gewisse Zeit
                              erforderlich ist), hatte in diesem Zustande 96 Centim. Länge; als ich ihn dann in
                              einem Trockenkasten auf 100° erhitzte, hob er das Gewicht um 21 Millimeter,
                              also um fast sechs Procent seiner Länge! Diese
                              Zusammenziehung von 6 Proc. ist keine zufällige; ich ließ denselben Fäden mit dem
                              Gewichte an seinem einen Ende mehrmals erkalten und erhitzte ihn ebenso oft von
                              Neuem, stets zeigte er dieselbe Länge von 0,36 im kalten, und von 0,34 im heißen
                              Zustande.
                           Der zweite irrige Satz, welchen ich besprechen will, ist der folgende:
                           Wenn man eine Kautschukplatte auszieht (streckt), so nimmt sie
                                 an Volum zu.
                           Diese Behauptung rührt von Wertheim her, welcher sogar das Gesetz dieser Zunahme
                              aufgefunden haben will; dieselbe soll nämlich für den Querschnitt der Platte eine
                              Verminderung per Flächeneinheit von 1/3 der Verlängerung
                              per Längeneinheit ausmachen.
                           Sonderbarerweise haben die Physiker, welche diesen Satz ohne Prüfung annahmen,Er ging auch in Jamin's Traité de Physique über. nicht bedacht, daß wenn man einen Stab um das Dreifache seiner Länge
                              verlängert, sein Querschnitt sich nach dem angegebenen Gesetze auf Nichts reduciren
                              würde. Gerade dieses absurde Resultat veranlaßte mich, die Erscheinung näher zu
                              untersuchen.
                           Zunächst wiederholte ich den angegebenen Versuch mit einem Stäbe von quadratischem
                              Querschnitte und fand wirklich, daß der durch das Product des Querschnittes mit
                              der Länge zwischen zwei Markirstrichen gegebene Kubus mit der durch das Ausziehen
                              bewirkten Verlängerung zunahm; da ich aber sogleich bemerkte, daß die
                              Zusammenziehung an keinem Punkte der Länge genau gleich war, weil die beiden Seiten
                              des quadratischen Querschnittes nicht gleich blieben, und da mit ferner bekannt war,
                              daß wenn man einen quadratischen Kautschukstreifen von einer gewissen Stärke
                              auszieht, die Seiten desselben hohl werden, so daß er vier gekrümmte Kanten von sehr
                              deutlicher Concavität erhält (eine Erscheinung welche nur bei einem ziemlich großen KautschukstückeKauschukstücke beobachtet werden kann), so ließ ich mit zur Wiederholung des Versuches
                              einen runden Kautschukstrang machen, welcher in Folge seiner Anfertigung aus einem
                              einzigen Stück fast vollkommen homogen und wegen seiner Form von dem vorhin
                              erwähnten Uebelstande frei seyn mußte.
                           Obgleich ich auf das Messen der Dimensionen die größte Sorgfalt verwendete, erhielt
                              ich bei drei Versuchen die folgenden nicht übereinstimmenden Resultate:
                           
                              
                                 1. Versuch.
                                 Längen
                                 0,21
                                 0,32
                                 0,39
                                 0,41
                                 
                              
                                 
                                 Durchmesser
                                 0,0102
                                 0,0082
                                 0,0075
                                 0,0073
                                 
                              
                                 
                                 Kubische Verhältnisse   
                                 21848
                                 21568
                                 21937
                                 21848
                                 
                              
                                 2. Versuch
                                 Längen
                                 0,288
                                 0,365
                                 0,460
                                 0,600
                                 
                              
                                 
                                 Durchmesser
                                 0,0101
                                 0,009
                                 0,0081
                                 0,0071
                                 
                              
                                 
                                 Kubische Verhältnisse
                                 2938
                                 2956
                                 3018
                                 3024
                                 
                              
                                 3. Versuch.
                                 Längen
                                 0,713
                                 0,897
                                 1,125
                                 1,456
                                 
                              
                                 
                                 Durchmesser
                                 0,0101
                                 0,009
                                 0,0061
                                 0,0071
                                 
                              
                                 
                                 Kubische Verhältnisse
                                 7273
                                 7265
                                 7381
                                 7339
                                 
                              
                           (Der dritte Versuch wurde mit denselben Verlängerungen ausgeführt wie der zweite,
                              dieselben wurden aber zwischen zwei entfernteren Markirpunkten gemessen.)
                           Der gänzliche Mangel an Uebereinstimmung zwischen diesen Resultaten, namentlich
                              zwischen denen des zweiten und dritten Versuches, ließen mich die Unmöglichkeit
                              erkennen, durch directe Messung regelmäßige Zahlen zu erhalten; ich nahm deßhalb zu
                              einem mathematisch genauen Verfahren meine Zuflucht, welches darin bestand, daß ich
                              ein Stück von schlaffem und von ausgezogenem (gespanntem) Kautschuk in Wasser wog;
                              hierbei mußte sich der geringste Unterschied durch eine leicht zu constatirende
                              Gewichtsdifferenz zu erkennen geben.
                           Zunächst experimentirte ich mit einem Parafaden von 0,80 Met. Länge, welcher 1,25
                              Grm. wog; ich wickelte denselben schlaff um einen vollkommen polirten und mittelst
                              Ammoniak von jeder Fettspur gereinigten Messingrahmen von 0,05 Met. Seite, und
                              brachte das Ganze unter der Schale einer noch für 1/2 Milligrm. empfindlichen Waage
                              in Wasser in's Gleichgewicht. Nachdem ich denselben Fäden um denselben Rahmen mit Spannung (auf seine
                              fünffache Länge gespannt) gewickelt hatte, zeigte unter denselben Umständen, sobald
                              das Temperaturgleichgewicht hergestellt war, die Waage keinen Ausschlag; der Fäden
                              hat folglich in den Grenzen von 1/2000 keine Volumveränderung erlitten. Um mit einem
                              ziemlich bedeutenden Gewicht zu experimentiren, ließ ich einen Ring von 1 Centim.
                              Dicke und 2 Cent. innerem Durchmesser anfertigen und schob denselben über eine
                              Messingplatte von 3 zu 8 Centim. Seite, erst über den schmäleren, dann über den
                              breiteren Theil der Platte, so daß er in letzterem Falle im Verhältnisse von 3: 8
                              ausgespannt war; er wog 8 Gramme. Bei diesem Versuche konnte ich ebenso wenig einen
                              Unterschied in der Dichtigkeit des Kautschuks erkennen, als beim ersteren; wenn
                              meine Waage nur für 1 Milligrm. empfindlich gewesen wäre, so hätte ich noch eine
                              Volumvermehrung von 1/8000 wahrnehmen müssen.
                           Selbstverständlich machte ich bei den beiden in Rede stehenden Versuchen jedesmal die
                              Gegenprobe, indem ich den Fäden schlaff um den Rahmen wickelte und den Ring über die
                              schmale Seite der Platte schob, ohne eine Differenz in der Dichtigkeit zu
                              finden.
                           Ich glaube daher zu dem Schlusse berechtigt zu seyn, daß der vulcanisirte Kautschuk
                              durch das Ausziehen keine Volumveränderung erleidet.Bekanntlich erwärmt sich ein Kautschukfaden beim raschen Ausziehen; diese
                                    Thatsache bleibt vorerst unerklärt.