| Titel: | Ueber den Einfluß des Druckes auf die chemischen Erscheinungen; von Berthelot. | 
| Fundstelle: | Band 193, Jahrgang 1869, Nr. XXXIII., S. 139 | 
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                        XXXIII.
                        Ueber den Einfluß des Druckes auf die chemischen
                           Erscheinungen; von Berthelot.
                        Aus den Comptes rendus,
                              t. LXVIII p. 536; März 1869.
                        Berthelot, über den Einfluß des Druckes auf die chemischen
                           Erscheinungen.
                        
                     
                        
                           Kann der Druck wirklich der chemischen Affinität das Gleichgewicht halten und unter
                              welchen Bedingungen? Diese sehr streitige Frage ist durch die interessanten
                              Beobachtungen von Cailletet von Neuem angeregt worden.
                              Derselbe bemerkt, daß die Wirkung der Säuren auf das Zink und die
                              Wasserstoffentwickelung in Folge derselben in hohem Grade verlangsamt, fast ganz
                              aufgehoben wird, wenn man unter starkem Drucke operirt; seine Beobachtungen stimmen
                              mit denen von Babinet und mehreren anderen Physikern
                              überein. Ich habe vielfach Veranlassung gehabt, bei chemischen Reactionen den Druck
                              mitwirken zu lassen und will die Rolle, welche derselbe dabei wirklich spielt, hier
                              besprechen, indem ich von vornherein bemerke, daß die Wirkung der Säuren auf Metalle
                              und die Wasserstoff-Entwickelung in Folge derselben nicht direct durch den
                              Druck, und ohne alle Nebeneinflüsse, verhindert werden.
                           Ich nahm ein einseitig geschlossenes Rohr von grünem Glase, von 6 Millimet.
                              gleichmäßigem lichtem Durchmesser und solcher Wandstärke, daß es einem inneren
                              Drucke von 180 Atmosphären zu widerstehen vermochte; diese Widerstandsfähigkeit war
                              an einem anderen Stücke desselben Rohres direct gemessen worden. In dieses Rohr
                              brachte ich 10 Gramme gekörntes Zink, zog das offene Ende desselben trichterförmig aus und goß
                              Schwefelsäure hinein, welche mit (etwa zehn Theilen) Wasser verdünnt worden war, so
                              daß der entstandene Zinkvitriol nicht auskrystallisiren konnte. Von der Säure nahm
                              ich eine Gewichtsmenge, welche 230 Kubikcentimeter Wasserstoffgas zu liefern
                              vermochte. Der im oberen Theile des Rohres leer gebliebene Raum betrug 1
                              Kubikcentimeter, so daß der Maximaldruck, welcher sich in dem geschlossenen Apparate
                              entwickeln konnte (mit Berücksichtigung der Löslichkeit des Wasserstoffes in der
                              Flüssigkeit), unter 230 Atmosphären blieb.
                           Unmittelbar nach dem Eingießen der Säure verschloß ich das Glasrohr vor der Lampe und
                              befestigte es so in einem Halter, daß es vertical stand und das Zink nach seinem
                              oberen Theile zu sich befand, damit die an der Oberfläche des Metalles entstehende
                              gesättigte Zinkvitriollösung nach dem unteren Theile des Rohres fließen konnte.
                           Die anfangs lebhafte Reaction schien fast sofort aufzuhören, oder vielmehr fast
                              unbemerkbar zu werden. Nach Verlauf einiger Stunden zersprang, jedoch das Rohr mit
                              heftiger Explosion. Demnach war die Wasserstoff-Entwickelung nicht
                              verhindert, sondern nur verzögert worden. Ueberdieß beweisen die oben angegebenen
                              Zahlen, daß die Reaction, um einen Druck über 180 Atmosphären zu entwickeln, beinahe
                              vollständig vor sich gegangen seyn mußte.
                           Die Ursachen, welche bei dieser Reaction die Wasserstoff-Entwickelung
                              verzögern, rühren von secundären, von der eigentlichen Affinität unabhängigen
                              Einflüssen her, so von der örtlichen Sättigung der an der Oberfläche des Zinkes
                              befindlichen Säureschicht und von verschiedenen anderen sogleich näher zu
                              erörternden Umständen. Nachdem die Säure an den Berührungspunkten gesättigt worden,
                              hört ihr Angriff auf, bis in Folge der Bewegungen der Flüssigkeit oder ihrer
                              Diffusion dem Metalle neue Säuretheile zugeführt werden.
                           Ich will nicht behaupten, daß der Druck bei chemischen Vorgängen nicht mitwirken
                              könne; aber eine solche Mitwirkung findet hauptsächlich nur bei Reactionen einer
                              anderen Kategorie statt und mehr dadurch, daß der Druck die relativen Massen der auf
                              einander wirkenden Körper ändert, als durch seine eigentlich mechanischen Wirkungen.
                              Er spielt z.B. eine Rolle, indem er gewisse Körper, welche an und für sich
                              unabhängig vom Drucke ihre Wechselwirkungen auszuüben vermögen, in hinreichender
                              Masse eine genügende Zeit in Berührung erhält, falls diese Körper in Folge des
                              gasförmigen Zustandes der einen von ihnen, gegenüber dem festen oder flüssigen
                              Zustande der anderen sich von einander zu trennen streben. Ebenso findet eine
                              Mitwirkung des Druckes statt bei denjenigen Reactionen, welche durch bestehende
                              Reactionen entgegengesetzter Art begrenzt werden, wie z.B. bei den
                              Dissociationserscheinungen und bei den durch hohe Temperaturen hervorgerufenen
                              Reactionen.
                           Die Einwirkung der Säuren auf Metalle ist aber weder ein langsam erfolgender, noch
                              ein durch eine entgegengesetzte Reaction begrenzter Vorgang; sie gehört in die
                              Classe von Reactionen, welche durch eine stattfindende Wärme-Entwickelung
                              charakterisirt sind. Der Druck allein scheint die Wasserstoff-Entwickelung
                              durch Zink in verdünnter Schwefelsäure nicht verhindern zu können, ebenso wenig als
                              er die Verdrängung des Kupfers durch Zink in gelöstem Kupfervitriol verhindert.
                              Diese beiden Reactionen gleichen einander in der That; wenn das Kupfer durch das
                              Zink verdrängt wird, so liegt der Grund darin, daß sich (unter sonst gleichen
                              Verhältnissen) bei der Bildung des schwefelsauren Zinkoxyds mehr Wärme entwickelt
                              als bei der Bildung des schwefelsauren Kupferoxyds. Ebenso verdrängt das Zink den
                              Wasserstoff, weil die Bildung des schwefelsauren Zinkoxyds mehr Wärme entwickelt als
                              die Bildung des schwefelsauren Wasserstoffes; diese größere Wärmemenge kann aber
                              durch die größere Verdichtung des Wasserstoffes in Folge des Druckes nur vermehrt
                              werden.