| Titel: | Eine neue französische Mitrailleuse. | 
| Autor: | R. W. | 
| Fundstelle: | Band 200, Jahrgang 1871, Nr. CXX., S. 435 | 
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                        CXX.
                        Eine neue französische
                           								Mitrailleuse.
                        Neue französische Mitrailleuse.
                        
                     
                        
                           Die neueste französische Mitrailleuse hat nur acht Läufe, welche ähnlich wie bei
                              									dem Gatling-Geschütz, um eine
                              									waagrechte eiserne Achse (die aber nicht
                                 										drehbar ist) in zwei runden bronzenen Platten
                              									kreisförmig gelagert sind. Die Läufe haben 18 Millimeter
                              									Bohrungsdurchmesser und fünf Züge von 1556 Millimeter
                              									Dralllänge; Zug- und Felderbreite sind gleich und
                              									betragen je 5,65 Millimeter; die Läufe sollen augenscheinlich
                              									dieselbe Patronenart verfeuern, wie die französischen
                              									Tabatière-Gewehre; aus ihrem sehr großen Kaliber
                              									und ihrer unverhältnißmäßig geringen Wandstärke darf man
                              									übrigens wohl den Schluß ziehen, daß in Ermangelung anderer und
                              									besserer, alte glatte, erst später mit Zügen versehene
                              									Flinten- oder vielleicht auch
                              									Miniébüchsen-Läufe zu diesen Kugelspritzen
                              									verwendet worden sind.
                           An das hintere Ende der Läufe setzt sich ein ungemein plump
                              									construirter viereckiger Rahmen von
                              									Bronze an, in welchem ein ebenfalls bronzenes, zur Aufnahme des
                              									gesammten Schloßmechanismus bestimmtes Gehäuse vor- und zurückgleitet. Der Mechanismus ist im Wesentlichen ganz
                              									analog wie bei dem canon à
                                 										balles
                              									Die Einrichtung des canon à
                                       												balles glauben wir als vollständig bekannt
                                    											voraussetzen zu dürfen, um so mehr, als es bereits in
                                    											diesem Journal Bd.
                                       												CXCVII S. 484 (zweites Septemberheft 1870)
                                    											nach beigegebenen Zeichnungen eingehend beschrieben
                                    											worden ist. eingerichtet und unterscheidet sich von diesem
                              									hauptsächlich nur durch die Gestalt und Bewegung der Rastplatte. Letztere, von Stahl, ist
                              									nicht viereckig, sondern rund und hat, anstatt der 25 geraden,
                              									in fünf Reihen übereinander angeordneten Schlitze von
                              									verschiedener Länge und Breite, acht gekrümmte Schlitze von
                              									gleicher Weite, aber verschiedener Länge, die sämmtlich von der
                              									Peripherie der Rastplatte gleich weit entfernt und ihr zugleich
                              									parallel sind; der kürzeste der acht Schlitze hat eine
                              									kreisrunde Gestalt. Dieser Einrichtung entsprechend wird die
                              									Rastplatte auch, wenn man abfeuern will, nicht vermittelst der
                              									mehrmaligen Umdrehung einer Abzugskurbel nach rechts verschoben,
                              									sondern durch den Druck der Hand auf einen links unter dem
                              									Rahmen des Schloßgehäuses angebrachten Griff, welchen ein
                              									Kniehebel mit der Welle der Rastplatte verbindet, so viel um
                              									ihre Achse gedreht, daß die acht Schlitze der Reihe nach vor die
                              									zugehörigen Schlagstifte treten und deren
                              									vordere Enden hindurchschnellen und so die Zündpillen in den
                              									Böden der acht Patronen anstechen lassen.
                           Endlich findet auch nach dem Schuß und
                              									sobald die Schlagstifte wieder weit genug zurückgezogen sind,
                              									die entgegengesetzte Drehung der Rastplatte aus der Feuer in die
                              									Ladestellung nicht durch einen abermaligen Druck der Hand auf
                              									den Griff des Kniehebels, sondern selbstthätig durch die Wirkung einer flachen Feder statt, welche sich
                              									unmittelbar unter der Welle der Rastplatte an den senkrechten
                              									Schenkel des Kniehebels anlehnt; sie spannt sich, während man
                              									die Rastplatte aus der Lade- in die Feuerstellung dreht,
                              									und zwingt diese nach dem Abfeuern und nachdem sie durch das
                              									Zurückziehen der Schlagstifte beim Oeffnen des Verschlusses frei
                              									geworden ist, zu einer Drehung im entgegengesetzten Sinne.
                           Der Patronenhalter oder die Ladeplatte ist ebenso wie der Rahmen
                              									und das Schloßgehäuse von Bronze, ruht mit zwei, an seinem
                              									oberen Rande seitlich vorspringenden Nasen auf den beiden
                              									Schenkeln des Rahmens, in welchem das Schloßgehäuse gleitet, und
                              									hat außer den acht zur Aufnahme der Patronen bestimmten
                              									Durchbohrungen noch in der Mitte ein größeres kreisrundes Loch,
                              									welches dazu dient, ihn auf dem mittleren Stift des Entladers
                              									(man s. unten) zu centriren.
                           Die Laffette dieser Mitrailleuse ist
                              									eine recht schwerfällige Blocklaffette mit niedrigen Rädern. Sie
                              									trägt vorn eine, mittelst zweier senkrechter Winkeleisen an dem
                              									vorderen Theil des Blockes angebrachte Panzerung aus Eisenblech von verhältnißmäßig
                              									bedeutender Höhe und Breite und durchschnittlich 10 Millimeter
                              									Dicke; dieselbe ist mit entsprechenden Ausschnitten für die
                              									Läufe und die Visirlinie versehen und hat auf drei Viertel ihrer
                              									Höhe mehrere Gelenkbänder mit Schubriegeln und Krammen, welche
                              									den oberen Theil des Panzers nach Bedarf aufzurichten oder
                              									umzulegen gestatten.
                           Unmittelbar vor dem Laffettenschwanz befindet sich auf dem Block
                              									ein Entlader, welcher ähnlich wie bei
                              									dem canon à balles, neun,
                              									analog den Durchbohrungen der Ladeplatte angeordnete senkrechte
                              									Stifte hat, dem aber der Druckhebel fehlt, welcher zum
                              									Ueberstreifen der mit leeren Patronenhülsen besetzten Ladeplatte
                              									über die Stifte dient.
                           Im Uebrigen zeigt die Laffette dieser Mitrailleuse keinerlei
                              									besonders bemerkenswerthe Abweichungen von den gewöhnlichen
                              									Feldlaffetten. Eine Seitenrichtmaschine, sowie die damit in
                              									unmittelbarem Zusammenhange stehende Einrichtung zur Drehung des
                              									Laufsystemes um eine senkrechte Achse (verticaler Schildzapfen,
                              									wie bei dem canon à balles)
                              									sind nicht vorhanden.
                           Was den praktischen Werth und die Kriegsbrauchbarkeit der neuen
                              										Schießmaschine anbelangt, so dürften ihre Leistungen die des
                              										canon à balles in keiner
                              									Beziehung, namentlich weder im Schnellfeuer, der wesentlichsten
                              									Eigenschaft eines Kartätschgeschützes, noch auch in
                              									ballistischer Hinsicht übertreffen.
                           Die Hinzufügung einer Druckfeder, welche nach dem Schuß die
                              									selbstthätige Drehung der Rastplatte aus der Feuer- in
                              									die Ladestellung bewirkt, ist allerdings als ein entschiedener
                              									Fortschritt zu bezeichnen, weil dadurch (so lange die Feder
                              									nicht zerbricht oder sonst wie den Dienst versagt) das bei dem
                              										canon à balles in der
                              									Aufregung und Hast des Kampfes gewiß nicht allzu seltene
                              									Uebersehen oder Vergessen des Zurückkurbelns der Rastplatte von
                              									rechts nach links durch den betreffenden Bedienungsmann völlig
                              									paralysirt und somit auch das aus einer solchen
                              									Unterlassungssünde sonst unbedingt folgende vollständige
                              									Versagen der nächsten Lage unmöglich gemacht wird.
                           Eine Steigerung der
                                 										Feuergeschwindigkeit läßt sich aber auf diese Weise
                              									durchaus nicht erzielen, denn die dreiundeinhalbmalige Umdrehung
                              									der Abzugskurbel des canon à
                                 										balles, welche die Rastplatte nach dem Schuß aus der
                              									Feuer- wieder in die Ladestellung zurückschiebt, wird von
                              									dem betreffenden Mann (premier servant de
                                 										droite) gleichzeitig mit
                              									anderen Verrichtungen der übrigen Bedienungsmannschaften
                              									ausgeführt. Es kann sich also die Schnellfeuerleistung der neuen
                              									Mitrailleuse zu der des canon à
                                 										balles in gegebenen gleichen Zeitabschnitten immerhin
                              									nur verhalten wie die Anzahl der beiderseitigen Läufe, folglich
                              									wie 1 zu 3,125; sie steht sonach gerade hinsichtlich des ersten
                              									und wichtigsten Erfordernisses eines brauchbaren
                              									Kartätschgeschützes sehr erheblich gegen ihren älteren
                              									Nebenbuhler zurück.
                           In Bezug auf die ballistischen
                              									Eigenschaften der beiden Schießmaschinen ist ferner
                              									hervorzuheben, daß bei der Tabatière-Patrone das
                              									Geschoß 44 und das Pulver 5,5 Gramme wiegt, der Quotient beider
                              									sich also nur auf 1 zu 8 stellt, während in der Patrone des canon à balles bekanntlich
                              									das Geschoßgewicht 50 und die Ladung 12 Gramme, das
                              									Ladungsverhältniß also 1 zu 4,16... beträgt, folglich fast doppelt so groß ist, wie für
                                 										die neue Mitrailleuse. Ueberdieß hat der
                              									Bohrungsdurchmesser der Läufe bei dem canon à balles nur 13, bei dem anderen Geschütz
                              									aber 18 Millimeter; jenes Geschoß ist durchweg massiv, dieses
                              									mit einer ziemlich bedeutenden (durch Holz und Pappe
                              									ausgefüllten) Höhlung versehen; jenes ist endlich 39 Millimeter,
                              									oder 3 Kaliber, dieses nur 24 Millimeter, oder 1 1/3 Kaliber
                              									lang.
                           Es sind folglich alle Bedingungen, welche die flachere oder
                              									steilere Krümmung der Flugbahn und somit auch deren größeren
                              									oder geringeren bestrichenen Raum, ferner die relative
                              									Trefffähigkeit, die Durchschlagskraft und die Schußweite
                              									vorzugsweise bestimmen und unter denen das Ladungsverhältniß und
                              									das Verhältniß zwischen Masse und Querschnitt des Geschosses
                              									unstreitig in erster Reihe mitzählen, bei dem canon à balles offenbar viel
                              									günstiger und rationeller combinirt, als bei seinem
                              									Concurrenten.
                           Die absolute Trefffähigkeit beider
                              									Geschütze läßt sich allerdings füglich nicht ohne bezügliche
                              									vergleichende Schießversuche beurtheilen, und müssen wir uns
                              									deßhalb in dieser Hinsicht damit begnügen, anzuführen daß das
                              										canon à balles auch diese
                              									Eigenschaft in völlig befriedigendem Maaße besitzt und daß die
                              									zuverlässigere Führung, welche sein Geschoß vermöge des viel
                              									längeren Führungstheiles in den Zügen der Läuft erhält, eben
                              									nicht dafür zu sprechen scheint, daß es der neuen Mitrailleuse
                              									an absoluter Trefffähigkeit irgendwie nachstehen sollte.
                           Die hier besprochenen Verhältnisse, sowie der allgemeine Eindruck
                              									des neuen Kartätschgeschützes deuten überhaupt darauf hin, daß
                              									es nichts mehr und nichts weniger, als lediglich ein ephemeres
                              									Kind der Roth sey, in Paris während der Einschließung mit
                              									größtmöglicher Eile construirt und mit einem möglichst geringen
                              									Aufwande von Mitteln ausgeführt, um nur den augenblicklichen
                              									Bedarf recht rasch zu decken, vielleicht auch um die überflüssig
                              									großen Bestände an Tabatière-Patronen in
                              									einigermaßen nutzbringender Weise zu verwerthen.
                           Ob, unter welchen Umständen und mit welchem Erfolge es seine
                              									Feuerprobe auf dem Schlachtfelde bereits abgelegt hat, darüber
                              									stehen uns keine Nachrichten zu Gebote.
                           Vier dieser Mitrailleusen, die von unseren Truppen in den Pariser
                              									Forts erbeutet worden sind, befinden sich gegenwärtig im
                              									Zeughause zu Berlin.
                           Eben dort wird auch noch eine andere, aber augenscheinlich weit
                              									ältere Spielart des canon à
                                 										balles aufbewahrt, welche im Wesentlichen durchaus
                              									ebenso, wie dieses, eingerichtet, nur ein wenig größer und
                              									schwerfälliger construirt ist, und einen Bohrungsdurchmesser der
                              									Läufe von 15,5, anstatt 13 Millimetern, sowie statt der
                              									Polygonalbohrung nach Whitworth's
                              									System gewöhnliche rinnenförmige Züge hat.
                           
                              R. W.