| Titel: | Ueber den Einfluß von Gas- und Wasserleitungsröhren auf die Richtung des einschlagenden Blitzes; von Henry Wilde. | 
| Fundstelle: | Band 204, Jahrgang 1872, Nr. XII., S. 30 | 
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                        XII.
                        Ueber den Einfluß von Gas- und
                           								Wasserleitungsröhren auf die Richtung des einschlagenden Blitzes; von Henry Wilde.
                        Vorgetragen in der Literary and Philosophical Society zu Manchester.
                              								– Aus dem Engineer, Februar 1872, S. 133.
                        Wilde, über den Einfluß von Gas- und Wasserleitungsröhren
                           								auf die Richtung des einschlagenden Blitzes.
                        
                     
                        
                           Obgleich die Erfindung des Blitzableiters eine der edelsten Anwendungen der
                              									Wissenschaft für menschliche Zwecke ist, und sein Nutzen auf dem ganzen Erdenrund
                              									durch die Erfahrung von mehr als einem Jahrhundert sich bestätigt hat, so fehlt es
                              									doch nicht an manchen Beispielen wo der Blitz Gebäude beschädigte, welche mit
                              									Blitzableitern versehen waren, wodurch in manchen Gemüthern der Eindruck
                              									hervorgerufen wurde, als sey der schützende Einfluß der Blitzableiter nur ein sehr
                              									fraglicher.
                           Die Zerstörung der schönen Kirche in Crumpsall durch das Feuer während eines
                              									Gewitters am Morgen des 4. Februar 1872 veranlaßt mich, einige mit der elektrischen
                              									Entladung verknüpfte Thatsachen zu veröffentlichen, welche mich schon vor einigen
                              									Jahren veranlaßt hatten, diejenigen Mittel zu empfehlen, durch welche Unglücksfällen
                              									dieser Art vorgebeugt werden könnte. Zur richtigen Beurtheilung dieses Gegenstandes
                              									müssen wir einen Unterschied machen zwischen dem Schaden, als directe mechanische Wirkung des Blitzstrahles, und dem Schaden welcher indirect
                              									durch Entzündung leicht brennbarer Stoffe, die zufällig in der Linie der Entladung
                              									liegen, verursacht wird.
                           Beispiele mechanischer Beschädigung von Gebäuden, welche nicht mit Blitzableitern
                              									versehen waren, sind zahlreich genug, um die furchtbare Gewalt des Blitzes, zugleich
                              									aber auch die Unwissenheit und Gleichgültigkeit zu kennzeichnen, welche hier und da
                              									bezüglich der Mittel, solche Unfälle zu verhüten, noch vorwalten. Wo aber hohe
                              									Gebäude von der Spitze bis zum Boden und von da in die Erde hinein mit
                              									Blitzableitern versehen waren, da sind Beschädigungen mechanischer Art unbekannt.
                              									Selbst in solchen Fällen, wo die Blitzableiter nicht über den ganzen First des
                              									Gebäudes hinwegliefen, oder aus irgend welchem Grunde am Fuß des Gebäudes plötzlich
                              									endigten, wurde doch die Gewalt des Strahles gemildert, indem sich der Schaden in
                              									manchen Fällen nur auf Lockerung einiger Steine oder Ziegel beschränkte.
                           Die allgemein verbreitete Einführung der Gas- und Wasserleitungsröhren in dem
                              									Inneren von Gebäuden welche mit Blitzableitern versehen sind, hat indessen den
                              									Charakter des Schutzes, welchen die letzteren bis dahin gewährten, wesentlich
                              									verändert, und schon lange hat sich mir die Ueberzeugung aufgedrängt, daß solche mit
                              									Blitzableitern ausgestattete Gebäude zwar gegen Beschädigungen mechanischer Art
                              									geschützt, jedoch um so mehr der Beschädigung durch das Feuer ausgesetzt sind.
                           Die geringe Entfernung der Blitzableiter von Gas- und Wasserleitungsröhren ist
                              									meines Wissens seitens der Elektriker bisher noch nicht als ein gefährliches Moment
                              									aufgefaßt und näher berücksichtigt worden. Ich selbst wurde zuerst in Oldham (bei
                              									Manchester) im Jahre 1861 auf diesen Punkt aufmerksam, als ich die Wirkung eines
                              									Blitzes beobachtete, der aus dem Ende eines eisernen Drahtseiles sprang, welches in
                              									der Nähe der Spitze eines hohen Fabrikschornsteines befestigt war, um einen
                              									Telegraphendraht auf eine bedeutende Strecke hin zu unterstützen. Der Schornstein
                              									war mit einem kupfernen Blitzableiter versehen, welcher, wie gewöhnlich, im Boden
                              									endete. In der nächsten Nähe des Blitzableiters und parallel mit ihm lief das
                              									Drahtseil von der Spitze des Schornsteines etwa 100 Fuß herab und war schließlich an
                              									einen eisernen Bolzen befestigt, der etwa 10 Fuß über dem Boden in den Schornstein
                              									eingelassen war. Während eines Gewitters nun, welches kurz nach Befestigung des
                              									Telegraphendrahtes ausgebrochen, lief der Blitz an dem Drahtseil herunter, und
                              									anstatt sich in den benachbarten Blitzableiter zu entladen, sprang er auf eine
                              									Entfernung von etwa 16 Fuß durch die Luft in einen im Keller eines angrenzenden
                              									Baumwollwaarenlagers befindlichen Gasometer, wo er die Bleiröhrenverbindung schmolz und das Gas
                              									entzündete. Daß der Blitz wirklich diesen Weg gemacht, war deutlich aus den Spuren
                              									zu ersehen, welche das Schmelzen und die Verflüchtigung des Drahtseilendes an dem
                              									Schornstein hinterlassen hatte, sowie aus dem Schmelzen des Bleirohres. Da der
                              									Unfall sich am Tage ereignete, so wurde das Feuer bald entdeckt und rasch
                              									gelöscht.
                           Ein anderes, nicht minder belehrendes Beispiel von dem inductiven Einfluß der
                              									Gasröhren auf die Richtung des Blitzes ergab sich im Sommer 1863 in der St.
                              									Paulskirche zu Kersal Moor während des Gottesdienstes. Der Dachfirst und der Thurm
                              									waren mit einem kupfernen Blitzableiter versehen, dessen unterstes Ende sich noch
                              									etwa 20 Fuß unter den Boden erstreckte. Der Blitz fuhr in den Ableiter, aber anstatt
                              									auf dem vorgeschriebenen Weg in die Erde zu gelangen, schlug er seitwärts durch den
                              									Thurm in eine an der inneren Wand befestigte dünne Gasröhre. Die Stelle, wo der
                              									Blitz den Leiter verließ, befand sich ungefähr 5 Fuß über der Oberfläche des Bodens,
                              									und die Dicke der durchdrungenen Mauer betrug 4 Fuß; aber außer daß einer der
                              									äußeren Mauersteine geborsten und die Tünche in der Nähe der Gasröhre abgesprungen
                              									war, geschah dem Gebäude weiter kein Schaden.
                           Daß die Richtung der Entladung im vorliegenden Falle durch die unter dem Boden der
                              									Kirche hingehenden Gasröhren bestimmt worden war, ging unzweifelhaft aus der
                              									Thatsache hervor, daß die Taschenuhren verschiedener Mitglieder der Gemeinde, welche
                              									in der Nähe der Gasröhren saßen, stark magnetisch wurden.
                           Die Kirche von Crumpsall liegt etwa eine Meile von derjenigen in Kersall Moor
                              									entfernt. Hier läßt sich die Gasentzündung durch den Blitz, welche ohne Zweifel die
                              									Ursache ihrer Zerstörung war, nicht mit der Bestimmtheit wie in anderen von mir
                              									beobachteten Fällen nachweisen, weil die Beweise für das Ueberspringen des
                              									elektrischen Funkens durch das Feuer vernichtet sind. Aus Mittheilungen jedoch,
                              									welche mir der dienstthuende Geistliche über die Lage der Gasröhren machte, wurde
                              									schließlich der höchst wahrscheinliche Weg des Blitzstrahles gefunden. Die Kirche
                              									ist mit einem kupfernen Blitzableiter versehen, welcher außen am Kirchthurm bis zur
                              									Höhe des Daches herabläuft. Derselbe tritt dann in eine weite eiserne Regenröhre und
                              									von da in denselben Abzug, in welchen die letztere sich ergießt. Unmittelbar unter
                              									dem Dach des Schiffes läuft an der Mauer eine eiserne Gasröhre parallel mit der
                              									horizontalen Dachtraufe, welche das Wasser vom Dache in die eiserne den
                              									Blitzableiter umschließende Röhre leitet. Obgleich diese Gasröhrenleitung bis kurz
                              									vor Ausbruch des Feuers außer Gebrauch war, so stand sie doch in Berührung mit den
                              										Röhren die in den
                              									Gasometer in der Sakristei führten, wo das Feuer ausbrach, und war nur 3 Fuß von der
                              									bleiernen Dachrinne entfernt. Da keine Spuren am Mauerwerk andeuteten daß der Blitz
                              									hindurchgeschlagen, wie es in der Kirche zu Kersal Moor der Fall gewesen war, so ist
                              									es sehr wahrscheinlich daß er den Leiter an der Stelle verließ, wo dieser in die
                              									eiserne Ablaufröhre führte, und den Raum zwischen der bleiernen Dachrinne und der
                              									eisernen Gasröhre am Dache überspringend durch die letztere einen bequemeren Weg zur
                              									Erde fand, als innerhalb des Regenrohres.
                           Bei Gelegenheit meiner Versuche über die elektrischen Bedingungen unserer ErdePhilosophical Magazine, August 1868. habe ich bereits auf den mächtigen Einfluß aufmerksam gemacht, welchen
                              									metallene Leitungen in Berührung mit feuchtem Boden auf die Förderung der Entladung
                              									elektrischer Ströme (von verhältnißmäßig geringer Spannung) in das Erdreich ausüben,
                              									und daß auch die Stärke der Entladung aus einem Elektromotor in die Erde mit der
                              									Spannung des Stromes und der Länge des die Erde berührenden Leiters wächst. Deßhalb
                              									ist es gar nicht überraschend, wenn die atmosphärische Elektricität, deren Spannung
                              									hinreicht um durch eine mehrere Hundert Yards dicke Luftschichte hindurchzuschlagen,
                              									einen leichteren Weg zur Erde findet, indem sie, von dem Blitzableiter abspringend,
                              									durch wenige Fuß Luft oder Stein bis zu einem System von Gas- und
                              									Wasserleitungsröhren (die sich in großen Städten meilenweit erstrecken) sich Bahn
                              									bricht, als durch die kurze in den Erdboden führende Metallstrecke, welche das Ende
                              									des Blitzableiters bildet.
                           Es verdient bemerkt zu werden, daß in den von mir angeführten Fällen des
                              									Blitzeinschlagens die Blitzableiter die Gebäude vor Beschädigungen mechanischer
                              									Natur schützten, indem der unbedeutende Schaden an dem Kirchthurm von Kersal Moor
                              									lediglich der geringen Entfernung der Gasröhre von dem Blitzableiter zuzuschreiben
                              									ist. Auch würde keine Feuersgefahr durch Entzündung des Gases entstanden seyn, wenn
                              									alle Röhren im Inneren des Gebäudes aus Eisen oder Messing anstatt aus Blei
                              									bestanden hätten. Denn alle Fälle von Gasentzündung durch den Blitz, die ich zu
                              									beobachten Gelegenheit hatte, waren durch das Schmelzen der Gasröhren in der
                              									Richtung des Blitzschlages verursacht.
                           Die Ersetzung der bleiernen Gasröhren durch messingene oder eiserne würde jedoch mit
                              									Unbequemlichkeit und bedeutenden Kosten verknüpft seyn, und überdieß nicht andere
                              									Gefahren beseitigen, welche das Ueberspringen des elektrischen Fluidums von dem
                              									Blitzableiter in die Gas- und Wasserröhren innerhalb des Gebäudes begleiten. Es sollten
                              									daher immer die Blitzableiter von Gebäuden welche mit Gas- oder
                              									Wasserleitungsröhren eingerichtet sind, an ihren unteren Enden mit einer oder der
                              									anderen dieser Röhren außerhalb des Gebäudes in gute
                              									metallische Verbindung gebracht werden. Durch Anwendung dieser Vorsicht beugt man
                              									der verderblichen Entladung zwischen dem Blitzableiter und den genannten
                              									Leitungsröhren vor, und setzt die schmelzbaren Metallröhren im Inneren des Gebäudes
                              									außer den Bereich des Blitzschlages.
                           Es haben sich seitens einiger Gesellschaften Einwendungen gegen eine solche
                              									metallische Verbindung zwischen Blitzableiter und Gasröhren erhoben und zwar auf
                              									Grund einer möglichen Gefahr der Entzündung und Explosion. Diese Einwendungen
                              									entbehren jedoch jedes vernünftigen Grundes, da das Gas sich nur entzündet, wenn es
                              									mit atmosphärischer Luft gemischt ist, und der längs metallischen Leitern
                              									hingleitende Blitz das Gas nicht entzündet, selbst wenn es mit Luft gemischt
                              									ist.
                           Deßhalb ruht eine große Verantwortlichkeit auf denjenigen, welche die Quelle einer
                              									Gefahr in ein Gebäude einführen und hinterher der Ergreifung von Maßregeln, diese
                              									Gefahr zu verhüten, Hindernisse in den Weg legen.