| Titel: | Ueber die Wirkung der Knochenkohle bei der Zuckerfabrication; von Dr. C. Scheibler. | 
| Fundstelle: | Band 204, Jahrgang 1872, Nr. LX., S. 236 | 
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                        LX.
                        Ueber die Wirkung der Knochenkohle bei der
                           								Zuckerfabrication; von Dr. C.
                              									Scheibler.
                        Scheibler, über die Wirkung der Knochenkohle bei der
                           								Zuckerfabrication.
                        
                     
                        
                           Unter dieser Ueberschrift versucht Hr. E. Wernekinck im
                              									polytechn. Journal Bd. CCIII S. 60 (erstes
                              									Januarheft 1872) für die Art der Wirkung der Knochenkohle bei deren Gebrauche in der
                              									Zuckerfabrication eine neue Erklärungsweise zu geben und fordert gleichzeitig zur
                              									öffentlichen Beurtheilung seiner Ansichten auf.
                           In der Lage, dieser Aufforderung entsprechen zu können durch Anführung von
                              									Thatsachen, welche geeignet sind, das Irrige dieser Ansichten darzulegen, möchte ich
                              									zunächst hervorheben, daß Hrn. Wernekinck's Auffassung
                              									der Wirksamkeit der Knochenkohle nicht den Namen einer „Theorie“ verdient, sondern lediglich eine
                              									Hypothese ist, auf welche der von diesem Herrn citirte Ausspruch Goethe's ebenfalls Anwendung finden kann.
                           Beim Lesen der einleitenden Sätze seines Aufsatzes befindet man sich in der frohen
                              									Erwartung, daß die nachfolgenden Sätze nun diejenige „klare und richtige, bisher nicht existirende
                                    											Vorstellung“ von den Eigenschaften der Knochenkohle bringen
                              									würden, welche geeignet wäre, eine „große Umwälzung
                                    											in der Zuckerfabrication“ herbeizuführen, oder gar die
                              											„Knochenkohle entbehrlich“
                              									zu machen; man wird aber in dieser Erwartung sehr getäuscht. Der Hr. Verfasser macht
                              									in diesen Sätzen den bisherigen Technikern der Zuckerindustrie ziemlich unverblümt
                              									den Vorwurf, als wären sie nie bemüht gewesen, „die
                                    											bei Verwendung der Knochenkohle vorkommenden Erscheinungen durch eine
                                    											umfassende und in der That erklärende Theorie“
                              									wiederzugeben, als hätten sie sich bisher bei den Operationen nur durch
                              											„empirisch gewonnene
                                    										Auffassungen“ nicht aber durch eine „klare und richtige Vorstellung“ leiten
                              									lassen. Diese unberechtigten und ungerechten Vorwürfe verdienen eine Ab- und
                              									Zurechtweisung.
                           
                           Um die Wirkungsweise der Knochenkohle zu erklären, macht der Hr. Verf. die Hypothese
                              									(welche er „Theorie“ nennt): daß die
                              									in den Poren der Kohle verdichteten Gase, Kohlensäure und Sauerstoff, es seyen,
                              									welchen beziehungsweise die Fähigkeit zu entkalken und zu entfärben zukomme. Diese
                              									durch keinen einzigen Versuch bewiesene, vielmehr offenbar in recht bequemer Weise
                              									nur am Schreibtisch erdachte Hypothese, welche der Hr. Verfasser seinem Verfahren
                              									der Wiederbelebung der Knochenkohle „seit langen
                                    											Jahren mit Erfolg zu Grunde gelegt“ haben will, ist nun
                              									weder neu, noch richtig.
                           Die sehr alte Hypothese der Kalkfällung durch in den Poren
                              									der Kohle verdichtete Kohlensäure wurde zuletzt im Jahre 1861 durch Anthon (polytechn. Journal Bd. CLX S. 304) aufgefrischt und habe ich
                              									damals in einer Note (Zeitschrift des Vereines für Rübenzuckerindustrie, Jahrgang
                              									1861, S. 537) darauf aufmerksam gemacht, daß schon Hodek
                              									die Richtigkeit derselben früher in Zweifel gezogen habe. Dieser Herr sagt nämlich in seinen Beiträgen zu einer
                              									rationellen Behandlung der Knochenkohle (Zeitschrift des Vereines für
                              									Rübenzuckerindustrie, Jahrg. 1857, S. 3):
                           
                              „Der im Safte enthaltene Kalk wird nämlich, wie bekannt, vom Spodium als
                                 										solcher, d.h. als Aetzkalk aufgenommen, und nicht, wie Manche meinen, als
                                 										kohlensaurer Kalk, wobei sie sich die Aufnahme auf die Weise erklären, daß das
                                 										Spodium in seinen Poren Kohlensäure aus der
                                    											atmosphärischen Luft verdichtet enthält, welche sich beim Durchgange
                                 										des Saftes mit dem Kalke verbindet und diesen als kohlensauren Kalk fällt; dabei
                                 										vergessen sie jedoch, daß beim Ausdämpfen des Filters vor seinem Gebrauche alle
                                 										verdichteten Gase bis auf die letzten Spuren ausgetrieben werden.“
                              
                           Nach Hodek war also diese Hypothese schon vor 15 Jahren
                              									eine den Technikern bekannte und geläufige Annahme, und der als Reformator der
                              									Knochenkohle-Wiederbelebung auftretende Hr. Wernekinck beweist durch seine Mittheilung, daß er nicht einmal mit der
                              									Literatur des von ihm betretenen Gebietes bekannt ist.
                           Aber auch die Erfahrungen und Erscheinungen der großen Praxis, sowie der
                              									Laboratorienversuche sprechen gegen diese Hypothese. Wir wissen, daß man durch
                              									regelrecht geschiedene Rübensäfte, welche stark alkalisch reagiren und Kalk
                              									enthalten, beliebig lange Kohlensäure in Ueberschuß hindurchleiten kann, ohne diesen
                              									Kalk durch Kochen ausfällen zu können. Weßhalb soll nun die in den Poren der
                              									Knochenkohle vorhandene Kohlensäure diese Ausfällung bewirken, wenn man die
                              									Flächenattraction der
                              									Poren nicht als das hierbei maßgebende Moment ansieht? Wir wissen ferner, daß eine
                              									Auflösung reinsten Kalkhydrates in völlig reiner Zuckerlösung eine Flüssigkeit
                              									liefert, der man durch beliebig starkes Hindurchleiten von Kohlensäure im Ueberschuß
                              									und anhaltendes Kochen nicht allen Kalk entziehen kann. Das Filtrat einer so
                              									behandelten Flüssigkeit enthält den Kalk gewiß nur in der Form von kohlensaurer
                              									Kalkerde in Lösung, da organische und andere Säuren nicht vorhanden sind; es setzt
                              									diese kohlensaure Kalkerde allmählich ab, wenn die Flüssigkeit concentrirt wird.
                              									Knochenkohle entkalkt eine solche Lösung sofort, aber wie soll hierbei die
                              									Kohlensäureanhäufung in den Poren wirken, da der aufzunehmende Kalk ja ohnehin schon
                              									als kohlensaurer vorhanden ist? Es könnte hierbei doch nur ein saurer kohlensaurer Kalk entstehen, der aber löslich ist. Es scheint mir
                              									überhaupt noch sehr des Beweises bedürftig, ob in regelrecht saturirten Zuckersäften
                              									der Kalk als Aetzkalk anzunehmen ist und nicht vielmehr als gelöster kohlensaurer
                              									Kalk. Die geschiedenen Rübensäfte enthalten freie Alkalien, welche bei der
                              									Saturation in kohlensaure übergehen und eine Nichtzersetzung der Kalksalze durch
                              									diese ist eigentlich undenkbar; aber der durch Wechselzersetzung entstehende
                              									kohlensaure Kalk bleibt hierbei in der Zuckerflüssigkeit gelöst. Nach den von Dr. Jacobsthal im
                              									Vereinslaboratorium ausgeführten Versuchen (Zeitschrift des Vereines für
                              									Rübenzuckerindustrie, Jahrg. 1868, Bd. XVIII S. 663) besitzen 5- und 10
                              									procentige Zuckerlösungen ein höheres Lösungsvermögen für den kohlensauren Kalk als
                              									das Wasser, oder die concentrirteren Zuckerlösungen. Ebenso verhält sich der
                              									oxalsaure Kalk und daher erklären sich die Niederschläge, welche sich aus den Säften
                              									beim Eindampfen abscheiden und auf den Kohlefiltern ablagern. Wollte man annehmen,
                              									der Kalk sey als Aetzkalk in dem Safte gelöst, so könnte sich ein solcher
                              									Niederschlag, welcher kohlensauren Kalk enthält, nicht bilden, denn in den
                              									geschlossenen Verdampfapparaten tritt keine Kohlensäure zu dem Safte.
                           Bei allen Zuckerflüssigkeiten nun, welche kohlensauren Kalk in gelöstem Zustande
                              									enthalten, kann die Hypothese des Herrn Wernekinck nicht
                              									in Anwendung kommen, selbst dann nicht, wenn wir es „mit jedenfalls sehr dichter, wahrscheinlich fester Kohlensäure in den Poren
                                    											des Spodiums zu thun haben.“
                              								
                           Nicht glücklicher ist die weitere Hypothese des Hrn. Verfassers, wornach das
                              									Entfärbungsvermögen der Knochenkohle „einfach als
                                    											ein Bleichproceß zu betrachten ist,“ bedingt durch den in
                              									den Poren der Knochenkohle verdichteten Sauerstoff (auch im festen Zustande?), der
                              									die Pflanzenfarbstoffe oxydiren und zerstören soll. Schon die einzige jedem Praktiker geläufige
                              									Thatsache, daß die aus Zuckerlösungen von der Kohle absorbirten Farbstoffe (meist
                              									Caramelfarbstoffe, welche gewiß zu den leicht oxydirbaren zählen) mit Leichtigkeit
                              									der Kohle wieder als gefärbte, also ungebleichte Körper durch Aetznatronlauge
                              									entzogen werden können, hätte den Hrn. Verfasser abhalten sollen, seine Hypothese an
                              									die Oeffentlichkeit zu bringen.
                           Um jedoch den beiden Hypothesen des Hrn. Verfassers, sowohl seiner
                              										Entkalkungs-„Theorie“ durch verdichtete Kohlensäure,
                              									als seiner Bleichungstheorie durch eben solchen Sauerstoff nicht allein durch
                              									Betrachtungen, sondern durch beweisende Experimente gerecht zu werden, mögen einige
                              									Versuche hier angeführt werden, die ich zum Ueberfluß glaubte anstellen zu müssen.
                              									Ich empfehle die Wiederholung derselben dringend dem Hrn. Wernekinck, um ihn von seinen Anschauungen zu befreien; sie sind übrigens
                              									so naheliegend, daß es unbegreiflich erscheint, weßhalb der Herr Verfasser, –
                              									wäre er nicht vorweg für seine „Theorien“ befangen und
                              									eingenommen gewesen, – sie nicht schon ausgeführt hat.
                           Diese Versuche sind kurz folgende:
                           Von einer sehr guten, gereinigten, gleichartigen Kohle wurden je 2 gleiche
                              									Gewichtsmengen à 25 Grammen abgewogen und die
                              									eine Quantität in einem davon erfüllten bedeckten Eisentiegelchen ausgeglüht,
                              									erkalten gelassen und an der Luft ausgebreitet. Die andere Menge wurde in einem
                              									gläsernen Verbrennungsrohre in einem Strome reinen Wasserstoffgases ausgeglüht und
                              									in diesem Gase völlig erkalten gelassen. Je zwei solcher Proben wurden dann
                              									parallel:
                           a) in je 100 Kub. Centim. einer Zuckerkalklösung so
                              									eingeschüttet, daß die letztere bis dahin sorgfältig in der Wasserstoffatmosphäre
                              									verblieb,
                           b) in je 100 K. C. einer verdünnten Melassenlösung
                              									ebenso eingebracht.
                           Die Zuckerkalklösung, bereitet aus reinem Zucker und Marmor-Aetzkalk, enthielt
                              									in 100 K. C. 2,52 Gramme Aetzkalk; 25 K. C. derselben sättigten nämlich genau 22,5
                              									K. C. Normalschwefelsäure.
                           Die Melassenlösung war durch Verdünnen von 26 Grammen einer gewöhnlichen Melasse auf
                              									100 K. C. erhalten. Die Versuchsflüssigkeiten waren in Kölbchen einpipettirt, welche
                              									nach dem Einschütten der betreffenden Kohlenproben davon nahezu angefüllt waren und
                              									dann verstöpselt wurden. Nach öfterem Durchschütteln des Inhaltes dieser Kölbchen
                              									während gleicher Zeitdauer (16 Stunden) wurden die Lösungen filtrirt und untersucht.
                              									Bei dem Filtriren der Zuckerkalkflüssigkeiten wurde das zuerst durchlaufende Filtrat
                              									beseitigt, da Filtrirpapier, wie bekannt, etwas Aetzkalk absorbirt.
                           
                           ad a. 25 K. C. der Zuckerkalklösung, welche mit der im
                              									Eisentiegel geglühten Knochenkole in Berührung gewesen war, erforderten 17,1 K. C.
                              									Normalschwefelsäure, 100 K. C. enthielten also nur noch 1,92 Grm. Aetzkalk; die
                              									Kohle hatte daher von obigen 2,52 Grm. 0,60 Grm. Aetzkalk absorbirt.
                           25 K. C. des Filtrates, welches mit im Wasserstoffstrome geglühter und erkalteter
                              									Kohle in Contact gewesen war, sättigten 16,6 K. C. Normalsäure. 100 K. C. enthielten
                              									demnach nur noch 1,86 Grm. Aetzkalk, es waren mithin 0,66 absorbirt worden. Es hatte
                              									hier also die in Wasserstoff geglühte Kohle sogar etwas mehr Kalk absorbirt, als die
                              									Kohle, welcher vorher Gelegenheit gegeben war, sich aus der Luft mit Kohlensäure zu
                              									beladen.
                           ad b. Sowohl das Filtrat von der im Tiegel geglühten als
                              									das von der im Wasserstoffstrome geglühten Kohle zeigten völlig gleiche Farbe, wie
                              									schon der Augenschein lehrte und eine Messung mit dem Chromoskop bestätigte.
                              									Verglichen mit der ursprünglichen Melassenlösung war der Grad der Entfärbung ein
                              									bedeutender, als Beweis daß die zu den Versuchen verwendete Kohle von
                              									ausgezeichneter Beschaffenheit war.
                           Diese Versuche, welche in gleicher Weise und mit gleichen Resultaten mit noch zwei
                              									anderen Kohlensorten angestellt wurden, beweisen auf das Schlagendste, daß die
                              									Hypothese des Hrn. Wernekinck auch nicht die geringste
                              									Berechtigung hat, denn bei den im Wasserstoffgase ausgeglühten und erkalteten
                              									Vergleichsproben konnte weder von verdichteter fester Kohlensäure noch von
                              									verdichtetem Sauerstoff die Rede seyn. Freilich könnte man für letzteren Versuch ad b., um die Hypothese Wernekinck's aufrecht zu erhalten, die Bleichung der Melassenlösung in dem
                              									einen Falle als einen Oxydationsproceß, in dem anderen Falle als einen
                              									Nascirungsproceß des Wasserstoffes auffassen, worüber ich jedoch die Beweisführung
                              									Anderen überlasse.
                           Ich zweifle nun schließlich nicht im Mindesten daran, daß Herr Wernekinck die Wiederbelebung der Knochenkohle in der Zuckerfabrication
                              											„seit langen Jahren mit
                                    										Erfolg“ betreibt, aber ich glaube, er wird Angesichts dieser
                              									eben geschilderten, leicht zu wiederholenden Versuche sich nach einer anderen
                              											„Theorie“ für seine Methode
                              									der Wiederbelebung umsehen müssen, und nicht mehr so vornehm geringschätzend auf die
                              									bisherigen Ansichten unserer heutigen Techniker herabblicken. (Aus der Zeitschrift
                                    									des Vereines für Rübenzuckerindustrie im Zollverein, 1872 S. 101.)