| Titel: | Ueber Drahtseile im Allgemeinen und über das Rhein-Tauereiseil im Besonderen. | 
| Fundstelle: | Band 206, Jahrgang 1872, Nr. CXVIII., S. 435 | 
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                        CXVIII.
                        Ueber Drahtseile im Allgemeinen und über das
                           Rhein-Tauereiseil im Besonderen.
                        Ueber Drahtseile, insbesondere das
                           Rhein-Tauereiseil.
                        
                     
                        
                           Eine große Erleichterung im Betriebe der Gruben von großen Teufen ist durch die
                              Concessionirung der Seilfahrt erzielt worden. Die Arbeitskraft welche der Bergmann
                              früher für Ein- und Ausfahren verwendete, kann derselbe jetzt vor Ort zu
                              Nutzen bringen. Eine größere Leistungsfähigkeit des Bergmannes ist auf diese Weise
                              ermöglicht. Die früher gehegten Befürchtungen, durch plötzliches Reißen des
                              Drahtseiles viele Menschenleben in Gefahr zu bringen, haben sich in Folge der
                              Erfahrung, daß bei gehöriger Vorsicht solche Unglücksfälle gar nicht vorkommen,
                              vollständig zerstreut. Täglich vertrauen Tausende von Bergleuten ruhig ihr Leben dem
                              Drahtseile an, und fahren unbeschadet für Leben und Gesundheit ein und aus. Kaum
                              begreift man, daß der Bergwerksbetrieb so lange auf dieses bequeme und sichere
                              Beförderungsmittel Verzicht geleistet hat.
                           Allerdings hat man in den letzten Jahren in Bezug auf zweckmäßige
                              Fördereinrichtungen, Wahl von geeigneten Seil-Constructionen und
                              Seil-Material, durch genaue Kontrolle und Ueberwachung der Einrichtungen und
                              Seile, im Betriebe selbst größere Sorgfalt als früher aufgewendet.
                           Die Erfahrungen welche über die Wahl der zweckmäßigsten Fördereinrichtungen, beste
                              Seil-Construction und Seil-Material zu erlangen sind, können jetzt
                              schon als abgeschlossen betrachtet werden, denn in allen Fällen wo man sich die
                              bisher erlangten praktischen Erfahrungsregeln bei neuen Einrichtungen zur
                              Richtschnur dienen ließ, wurden in Bezug auf Seil-Verschleiß und Sicherheit
                              Resultate erzielt, welche in jeder Beziehung als zufriedenstellend bezeichnet werden
                              müssen.
                           Die Drahtseile müssen selbstredend für die bestimmten Zwecke in der geeigneten Weise
                              (Wahl der Drahtdicke und Drähtezahl, und des entsprechenden Materiales) hergestellt
                              sein.
                           Nicht allein der Bergbau verwendet Drahtseile zu seinen Förder- und
                              Brems-Einrichtungen, Streckenförderungen etc., sondern auch in vielen anderen
                              Zweigen der Industrie und des Verkehrslebens sind solche mit Erfolg in großen
                              Quantitäten in Anwendung.
                           Für Kräfte-Uebertragung auf große und kleine Entfernungen dienen die
                              Transmissions-Drahtseile. Die Landwirthschaft bedient sich derselben in sehr
                              ausgedehntem Maaße, und in jedem Industriezweige sind deren eingeführt. Bei Rheinhausen in
                              der Nähe der Rhein-Gefälle bei Schaffhausen werden ca. 200 Pferdekräfte auf etwa 800 Meter mit 25 Millimeter dicken
                              Drahtseilen übertragen.
                           Um einen Vergleich anzustellen, seyen hier jedoch nur diejenigen Verwendungen von
                              Drahtseilen hervorgehoben, wo solche als Maximal-Verhältnisse in Betracht
                              kommen.
                           Als sogenannte Luftbahnen fangen die Drahtseile an, sich als Transportmittel
                              einzuführen; bei der Mansfeld'schen Gewerkschaft zu Eisleben ist eine solche Bahn
                              nach Hodgson'schem System in Betrieb und wird
                              augenblicklich bei Metz eine Luftbahn nach dem v. Dücker'schen System gebaut auf eine Entfernung von 2000 Meter mit 25 und 30
                              Millimeter dickem Leitseil und 15 Millimeter dickem Zugseil. Wo es sich darum
                              handelt, kleinere Lasten auf größere Entfernung in coupirtem Terrain zu
                              transportiren, bietet das System der Drahtseil. Luftbahnen große Vorzüge dar, und
                              dürfte besonders das v. Dücker'sche System mit
                              Leit- und Zugseil sich als sehr praktisch erweisen.
                           Die im Bergbau zur Anwendung gebrachten Drahtseile für Schacht-Förderung haben
                              höchstens 10(10 Meter Länge; nur zu horizontalen, unterirdischen
                              Strecken-Förderungen sind Drahtseile von 2–3000 Meter Länge, jedoch
                              höchstens 25 Millimeter Dicke in Anwendung.
                           Auf der geneigten Ebene bei Hochdahl ist ein Drahtseil von ca. 2700 Meter Länge und ca. 33 Millimeter
                              Dicke zum Aufziehen der Eisenbahnzüge in Gebrauch.
                           Auf dem Oberländischen Canal dienen zum Heraufziehen der Schiffe Drahtseile von 600
                              Meter Länge und 30 bis 35 Millimet. Dicke.
                           Bei den Rhein-Trajecten der Rheinischen Eisenbahn bei Eleve, Duisburg und Bonn
                              haben die Leitseile 53 Millimeter und die Zugseile 33 Millimeter Dicke bei ca. 700 Meter Länge.
                           Die Drahtseile bis zu 312 Millimeter Dicke, welche Roebling zum Bau seiner Hängebrücken über den Niagara, Ohio und jetzt über
                              den East-River bei New-York verwendet und
                              welche für Spannungen bis zu 550 Meter dienen, sind keine gewundenen Seile, sondern
                              nur gebündelte Drähte. Man hat zwar neuerdings eine Hängebrücke über den Niagara mit
                              gewundenen Drahtseilen von ca. 58 Millimeter Dicke und
                              557 Meter Länge gebaut, und ist eine derartige Brücke auch bei London über die
                              Themse geführt. Kleinere Brücken mit gewundenen Drahtseilen gibt es in großer Zahl.
                              Dieselben zeichnen sich durch gefällige Form, Billigkeit und vollkommene Sicherheit
                              aus.
                           In allen angeführten Fällen haben sich die Drahtseile im Gebrauch vollkommen bewährt;
                              selbstredend mußte dabei den Principien, welche für Anwendung der Drahtseile
                              maaßgebend sind, Rechnung getragen werden. Wo dieß nicht der Fall, kann man
                              allerdings keine guten Resultate erwarten; denn die Drahtseile erfordern
                              Seilscheiben und Trommeln von bestimmten, ihren Drahtdicken entsprechenden
                              Durchmessern etc.
                           Gehen wir zur Beschreibung des Drahtseiles über, welches für die
                              Drahtseil-Schifffahrt (Tauerei) auf dem Rheine in Anwendung kommen soll, so
                              stellt sich heraus, daß dieses Seil, was seine Dimensionen anbelangt, das größte und
                              bedeutendste Drahtseil ist, welches bisher zur Anwendung gelangte.
                           Das Seil wird für die Strecke Emmerich-Mannheim eine Länge von ca. 450 Kilometer erhalten. Die einzelnen Stücke sind 2
                              1/2 Kilometer lang, 36 Millimeter dick und werden vorher durch Spleissung solid
                              verbunden. Das Totalgewicht für die obengenannte Strecke (bei 5 Kilogrm. pro Meter) wird 2 1/4 Millionen Kil. betragen. Das Seil
                              ist zusammengesetzt aus 7 Litzen à 8 Drähte von
                              ca. 4 Millimeter Dicke. Die Bruchbelastung des
                              Seiles wird 37900 Kil. betragen.
                           Bei einem Objecte von so großer Bedeutung gingen die sorgfältigsten Ermittelungen
                              voraus, ehe man über Construction und Seil-Material schlüssig wurde.
                           Die wichtigste Frage bei Herstellung des Tauerei-Seiles bildete die Wahl des
                              Materiales: ob Eisen, Bessemerstahl oder Gußstahl. Die vielseitigen Erfahrungen
                              welche über die Zweckmäßigkeit der einzelnen Materialien zur Seilfabrication
                              vorliegen, machten es nicht schwer, das Richtige für den bestimmten Zweck
                              herauszufinden. Die Erfahrungen bei Bergwerks- und
                              Transmissions-Seilen konnten dafür allerdings allein nicht maßgebend seyn,
                              hingegen dienten die Beobachtungen welche man an den Traject-Seilen der
                              Rhein-Eisenbahn, bei den Seilen am Oberländischen Canal und schließlich bei
                              den in Belgien in Betrieb befindlichen Tauerei-Seilen gemacht, als
                              Richtschnur. An der Hand dieser Erfahrungen hat man sich zur Anwendung einer
                              besonderen, sehr zähen Eisensorte entschlossen, welche sich seit langen Jahren als
                              sehr geeignet zur Drahtseilfabrication erwiesen hat.
                           Die Firma Felten und Guilleaume
                              in Cöln (diese Firma hat sich durch Einführung von Gußstahl-Seilen in neuerer
                              Zeit in bergbaulichen Kreisen sehr bekannt gemacht), welche die Herstellung des
                              Seiles übernommen, fertigt die zur Fabrication des Seiles erforderlichen Drähte
                              selbst an, und wird das Material vor der Verwendung einer sehr strengen Prüfung
                              unterworfen. Jeder Draht wird am Hinter- und Vorderende genau auf Dicke,
                              Tragfähigkeit und Biegsamkeit geprüft, und alle Drähte die von den festgestellten
                              Bedingungen abweichen, werden ausgeschlossen. Für die äußeren Drähte, welche mehr der Reibung ausgesetzt
                              sind, hat man härteres Material von 66 Kil. per
                              Quadratmillimeter Tragkraft, und für die inneren Drähte, um die Biegsamkeit des
                              Seiles zu erhöhen und eine gleichmäßige Inanspruchnahme der einzelnen Drähte zu
                              sichern, weicheres Material von 50 Kil. per
                              Quadratmillimeter Tragkraft genommen.
                           Die reichen Erfahrungen und bedeutenden Hülfsmittel, welche genannte Firma in der
                              Fabrication von Drahtseilen besitzt, lassen mit Sicherheit erwarten, daß das
                              Rhein-Tauereiseil in jeder Beziehung vorzüglich hergestellt wird.
                           Die Zuverlässigkeit und besonders die gute Haltbarkeit des Drahtseiles wird auf die
                              Rentabilität der Tauerei von wesentlichem Einfluß seyn. Legt man jedoch nur die
                              Erfahrungsresultate zu Grunde, welche bei den Rhein-Trajecten und dem
                              Oberländischen Canal erzielt worden sind, in welchen beiden. Fällen die Seile jedoch
                              weit stärker, als bei der Tauerei in Anspruch genommen werden, so dürfte der
                              Seilverschleiß bei der Tauerei jedenfalls bedeutend geringer seyn, als die der
                              Rentabilitäts-Berechnung zu Grunde gelegten Ziffern. (Berggeist.)