| Titel: | Aus dem chemisch-technischen Laboratorium des Carolinum zu Braunschweig. | 
| Fundstelle: | Band 209, Jahrgang 1873, Nr. XI., S. 30 | 
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                        XI.
                        Aus dem chemisch-technischen Laboratorium
                           								des Carolinum zu Braunschweig.
                        Der Scott'sche
                           								Selenitmörtel; von Friedrich Schott.
                        Schott, über den Scott'schen Selenitmörtel.
                        
                     
                        
                           Es ist beinahe zwanzig Jahre her, daß General H. Y. D. Scott mit einem neuen hydraulischen Mörtel auftrat, den er durch
                              									Einwirkung der Dämpfe von brennendem Schwefel auf glühenden Aetzkalk erhielt. Der
                              									Vorgang bei der Bildung dieses Cementes, sein Wesen, seine Eigenschaften und die
                              									wissenschaftlichen Grundsätze auf denen sie beruhen, sind vor drei Jahren in einer
                              									besonderen Abhandlung von mir dargelegt worden.Polytechn. Journal, 1371, Bd. CCII S. 52. Später erkannte der General, daß bei dieser Behandlung des Kalkes etwas
                              									schwefelsaurer Kalk gebildet werde und daß man dasselbe erreiche, wenn man dem
                              									gewöhnlichen Kalk vor der Behandlung in der Glühhitze die entsprechende Menge (etwa
                              									5 Proc.) Gyps zusetzt. Die Schwierigkeit und Umständlichkeit des Verfahrens, und
                              									damit zusammenhängend die Kostspieligkeit, wurden von der immerhin trefflichen
                              									Qualität des Productes nicht aufgewogen; es fand keinen nennenswerthen Eingang in
                              									die Praxis. Um nun die Vortheile seines Verfahrens mit den wirtschaftlichen
                              									Forderungen des jetzigen Bauwesens und seinem ungeheuren Verbrauch in Einklang zu
                              									bringen, kam der General vor etwa drei oder vier Jahren auf eine „sehr
                                 										einfache Abänderung“ die durch den wunderbaren Erfolg das größte
                              									Aufsehen (namentlich bei der Londoner internationalen Industrieausstellung von 1871)
                              									erregte und vielleicht Epoche im Mörtelfach machen wird. Sein Gedanke war, dem
                              									gebrannten Kalk den Gyps (oder die Schwefelsäure) lediglich beim Löschen zuzusetzen,
                              									ohne ihn nochmals damit zu brennen. Diese „sehr einfache
                                 										Abänderung“ ist, wie aus dem Nachstehenden hervorgeht, dennoch nicht
                              									weniger, als das Hinüberschieben der Wirkung des Gypses auf ein gänzlich
                              									verschiedenes Princip. Dabei wird die Sache ebenso einfach und billig, wie sie
                              									vorher umständlich und theuer war. Es genügt in der That das Wasser, worin man den
                              									gewöhnlichen Kalk wie üblich löscht, vorher mit einigen wenigen Procenten Gyps zu
                              									versetzen und das ganze Verhalten des Kalkes ist wie durch Zauber umgewandelt. Er
                              									löscht sich in dem gypshaltigen Wasser nicht mehr wie gewöhnlich und erfährt eine
                              									Einwirkung durch den Gyps, die in ihrer unmittelbaren Erscheinung in den
                              									vorliegenden Berichten der Engländer als eine dreifache bezeichnet wird:
                              											„heating prevented, product hardened etc.
                                    											sets quickly“ Mit Gyps behandelter Kalk erhitzt sich nicht
                              									oder wenig beim Löschen und gibt einen raschen und stärker erhärtenden Mörtel mit
                              									Sand. Als Hauptsache wird hervorgehoben, daß solcher Kalk in Folge dieser
                              									Eigenschaften eine beträchtlich größere Menge Sand binde, ziemlich doppelt so viel
                              									und darüber, als der fette Maurerkalk ohne Gyps, nämlich bis zu 5 bis 6 Raumtheile
                              									auf 1 Raumtheil Kalkbrei. Der Mörtel soll noch obendrein nach einiger Zeit mit
                              									diesem bedeutenden Versatz an Sand eine größere Festigkeit und Härte annehmen als
                              									gemeiner Luftmörtel. Um diese weittragende Umänderung der Eigenschaften des Kalkes
                              									hervorzubringen seyen nicht einmal 5 Proc. Gyps erforderlich, schon 2 Proc. und
                              									weniger reichen hin. – General Scott hat dem neuen
                              										Baumaterial den Namen
                              											„Selenitic Mortar,“
                              									Selenitmörtel, gegeben.
                           Die große Bindekraft für Sand entspricht selbstverständlich einer ebenso großen
                              									Ersparniß an Kalk, denn wenn der nach Scott behandelte
                              									Kalk doppelt soviel Sand bindet wie der gewöhnliche, so reicht man für einen Bau mit
                              									halb so viel Kalk als früher. Dazu kommt die größere Festigkeit. Ueber diese mögen
                              									hier einige Angaben aus Abels Mittheilungen über den Selenitic mortar
                              									Engineer vom 13. September 1872. Raum finden:
                           Nach Colonel Graham leistet der letztere gegen zerreißende
                              									Kraft einen dreimal, gegen zerdrückende Kraft einen fünfmal größeren Widerstand, als
                              									gewöhnlicher Mörtel Liaskalk, beide mit gleichviel Sand versetzt.
                           Ferner fand A. W. Colling das zum Auseinanderreißen von
                              									zwei kreuzweise mit Mörtel verbundenen Backsteinen (18 1/4 Quadratzoll engl.
                              									Mörtelfläche) erforderliche Gewicht bei nachstehenden Mörteln wie folgt:
                           a) Aus Kalkstein von Halling
                           
                              
                                 gewöhnlicher
                                 Mörtel
                                 mit
                                 3
                                 Vol.
                                 Sand
                                 6,4
                                 Pfd.
                                 engl.
                                 auf
                                 1
                                 Quadratzoll
                                 engl.
                                 
                              
                                 Selenit-
                                 „
                                 „
                                 6
                                 „
                                 „
                                 11,5
                                 „
                                 „
                                 „
                                 1
                                 „
                                 „
                                 
                              
                           b) Aus Kalkstein von Barrow-on-Soar:
                           
                              
                                 gewöhnlicher
                                 Mörtel
                                 mit
                                 3
                                 Vol.
                                 Sand
                                 6,8
                                 Pfd.
                                 engl.
                                 auf
                                 1
                                 Quadratzoll
                                 engl.
                                 1
                                 Quadratzoll
                                 engl.
                                 
                              
                                 Selenit-
                                 „
                                 „
                                 5
                                 „
                                 „
                                 10,7
                                 „
                                 „
                                 „
                                 1
                                 „
                                 „
                                 1
                                 „
                                 „
                                 
                              
                                 „
                                 „
                                 „
                                 6
                                 „
                                 „
                                 15,5
                                 „
                                 „
                                 „
                                 1
                                 „
                                 „
                                 1
                                 „
                                 „
                                 
                              
                           Damit stimmen die von D. Kirkaldy gefundenen
                              									Zerreißungsgewichte mit Mörtel kreuzweise verbundener Backsteine, nämlich bei
                              									gewöhnlichem Mörtel 7,7 Pfd. engl., bei selenitischem Mörtel 16,6 Pfd. engl. auf den
                              									Quadratzoll. – G. Redgrave endlich fand bei seinen
                              									vergleichenden Versuchen mit selenitischem Mörtel und Portlandcement, theils nach
                              									einer Erhärtungszeit von 28 (A) theils von 35 Tagen (B) die Zerdrückungsgewichte in engl. Pfunden auf 1
                              									Quadratzoll Querschnitt:
                           
                              
                                 
                                 
                                    A
                                    
                                 
                                    B
                                    
                                 
                              
                                 MitTheilenSand
                                 Portlandcement
                                 Selenitmörtel,Kalk
                                    											vonBarrow     Durham
                                 Portlandcement
                                 Selenitmörtel,Kalk
                                    											vonBarrow     Durham
                                 
                              
                                 3
                                 –
                                 27,0
                                 24,2
                                 –
                                 21,7
                                 21,2
                                 
                              
                                 4
                                 23,1
                                 20,9
                                 22,7
                                 26,0
                                 26,9
                                 21,5
                                 
                              
                                 5
                                 16,2
                                 20,0
                                 18,4
                                 21,6
                                 21,9
                                 24,5
                                 
                              
                                 6
                                 15,6
                                 20,0
                                 20,4
                                 15,4
                                 21,5
                                 27,8
                                 
                              
                           
                           Ueber die Zubereitung des Selenitmörtels finden sich in den verschiedenen
                              										QuellenScientific American, August und December
                                    											1871;Engineer, December 1871;Engineering and Mining Journal, Januar 1871 nur sehr kurze, aber doch das Wesentliche enthaltende Angaben: Man setzt dem
                              									Wasser zuerst den Gyps zu und nach gehöriger Mischung beider den Kalk und
                              									verarbeitet ihn mit dem Gypswasser unter der Mörtelmühle zu einem gleichmäßigen
                              									dicklichen Schlamm (to a creamy paste) 3 bis 4 Minuten
                              									lang; zuletzt incorporirt man den Sand ebenfalls in der Mörtelmühle 10 Minuten lang.
                              									Für Mörtelgüsse, sogenannte Concrete z.B. fügt man zu dem
                              									gegypsten Kalk neben Sand noch Thon und Grand.
                           Anstatt Gyps kann nach G. Scott auch eine entsprechende
                              									Quantität Schwefelsäure, Eisenvitriol oder ein ähnliches Sulfat genommen werden, was
                              									natürlich immer auf dasselbe, nämlich auf die Bildung von schwefelsaurem Kalk
                              									hinausläuft. Wir sind um so lieber auf eine wissenschaftliche Untersuchung dieser so
                              									merkwürdigen und praktisch wichtigen Wirkung des schwefelsauren Kalkes auf den
                              									gebrannten KalkEs verdient angemerkt zu werden, daß Hr. F. Schwärzler, Bijouterie-Fabrikant in Bregenz, schon im Jahr
                                    											1865, also vor G. Scott, auf diese Wirkung des
                                    											Gypses gegen Kalk auf nassem Wege gekommen ist. Es geschah dieß bei
                                    											Gelegenheit von unveröffentlicht gebliebenen Versuchen künstliche
                                    											lithographische Steine zumachen. (von der Prof. Abel a. a. D. sagt, sie sey
                              											„worth the investigation of engineers and
                                    											chemists“ eingegangen, als wir uns schon mit dem Scott'schen Cement älteren Datums beschäftigt haben und
                              									durch die Untersuchung vielleicht die Aufmerksamkeit der deutschen Architekten auf
                              									den Gegenstand gelenkt wird, den sie wie es scheint bis jetzt wenig beachtet
                              									haben.
                           Vorher ist noch die für die Erklärung der Erscheinung bedeutungsvolle, von den
                              									englischen Ingenieuren gemachte Beobachtung hervorzuheben, daß diejenigen Kalke die
                              									sich bei der gewöhnlichen herkömmlichen Behandlung schlecht und träge löschen und so
                              									mager verhalten, daß sie an der Grenze der Brauchbarkeit stehen, – gerade die
                              									geeignetsten für den Selenitmörtel sind.
                           Zunächst handelt es sich um Feststellung der Erscheinung selbst, welche Gyps auf zu
                              									löschenden Kalt hervorbringt.
                           Gebrannter weißer Marmor, der sich in Wasser geworfen augenblicklich mit zischendem
                              									Geräusch wie eine glühende Kohle löscht, mit Gypslösung übergossen, verhielt sich
                              									ebenso wie gegen Wasser, es trat weder Verzögerung des Löschens, noch Minderung der
                              									Wärmeentwickelung ein.
                           
                           Um so entschiedener war die Wirkung auf den Kalk wie er hier in Braunschweig zum
                              									Mauern dient, aus dem Muschelkalk von Elm.Eine waldige Höhe in der Nähe. Er sieht im gebrannten Zustand dunkel braungelb aus, ist hart, schwer zu
                              									brechen und hinterläßt mit verdünnter Säure gelöst nur einen äußerst unbedeutenden
                              									Rückstand. In Wasser gelegt löscht er sich auffallend langsam, bildet aber einen
                              									ziemlich fetten weißen Sumpfkalk. Das träge Löschen rührt von einem Gehalt des
                              									Kalksteines an Kieselerdeverbindungen und sehr starkem Brennen her. Ein Brocken von
                              									diesem Kalke wurde in zwei gleiche Haselnuß große Stücke gebrochen, das eine mit
                              									destillirtem Wasser, das andere mit gesättigter Gypslösung übergossen, beide in
                              									großem Ueberschuß. Das Stück in destillirtem Wasser kam nach 49 Minuten zum Löschen
                              									und zerfiel in einen weißen zarten fetten Brei; die Hälfte in Gypslösung zeigte erst
                              									nach 74 Minuten einige Regung; sie zerklüftete unter kaum fühlbarer
                              									Wärmeentwickelung langsam und unter Bildung von wenig Schlamm in kleine kantige
                              									Brocken, die beim Zerreiben noch Widerstand boten. Die bröckliche Masse hatte,
                              									nachdem alles in Ruhe gekommen, ganz die braungelbe Farbe des gebrannten Kalkes
                              									behalten. Man konnte den Vorgang nicht mehr Löschen nennen, in dem Sinne den der
                              									Maurer damit verbindet. – Als man den braungelben Kalk, um ihn möglichst fein
                              									zertheilt zu erhalten, mit Wasser zu zartem Brei löschte, den Brei trocknete und bei
                              									dunkler Rothgluth entwässerte, verhielt er sich ganz wie gebrannter Marmor gegen
                              									Wasser und Gypslösung, d.h. er löschte sich augenblicklich zu fettem Kalkbrei.
                           Derselbe gelbbraune Kalk auf's Feinste zerrieben und mit 3 Proc. gebranntem Gyps
                              									gemischt, wurde mit dem erforderlichen Zusatz von Wasser zu 2 Centimet. starken
                              									Kugeln geformt. Die Kugeln singen nach 5 Minuten an sich zu erwärmen und erhitzten
                              									sich alsbald so stark, daß sie unter Ausstoßen von Wasserdampf zu einem gröblichen
                              									Mehl zerfielen. Legte man die Kugeln jedoch, so bald sie anfingen warm zu werden, in
                              									einen Strom von kaltem Wasser, so wurden sie nach kurzer Zeit fest und erhärteten
                              									– also bei fast gänzlichem Abschluß von Kohlensäure – binnen einer
                              									Stunde so, daß sie beim Anschlagen bereits einen hellen Ton gaben.
                           Ein vergleichender Versuch mit Stuccaturgyps, mit todtgebranntem und ungebranntem
                              									Gyps (je 5 Grm. mit 100 Grm. gebranntem Kalk von Elm und
                              									60 Grm. Wasser) ergab völlig gleiche Resultate. Der Zustand des Gypses ist mithin
                              									für seine Wirkung auf den Kalk gleichgültig und ohne Einfluß, der ungebrannte wirkt ganz ebenso wie
                              									der gebrannte.
                           In den vorhergehenden Versuchen war der Zusatz von Gyps nach den ungefähren Angaben
                              									(a. d. a. O.) gegriffen; es handelte sich noch um die genauere Bestimmung der
                              									Grenzverhältnisse, unter deren Wirkung die Wirkung des Gypses möglich ist, sowie des
                              									Verhältnisses bei welchem sie ihren Höhepunkt erreicht. Zu dem Ende stellte man 14
                              									verschiedene Mischungen von gebranntem Kalk vom Elm her mit gepulvertem Marienglas,
                              									in steigenden Quantitäten. Jede Mischung im Gewicht von 20 Grm. mit 12 K. C. Wasser
                              									angemacht, wurde mit dem Eintritt eben wahrnehmbarer Erwärmung in einen Strom von
                              									kaltem Wasser eingelegt. Folgende sind die Ergebnisse:
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 209, S. 35
                              Ordnungs-Nummern; Gehalt der
                                 										Mischung an Gyps; Erwärmung trat ein nach; Verhalten im Wasser; Proc.; kaum 5
                                 										Minuten; wenig später; Minuten; löschte zu Brei; Brei mit Krusten außen;
                                 										erhärten sämmtlich; zerfiel; blieben Brei
                              
                           Die Proben Nr. 1 bis 6 inclusive blieben im Wasser nach fünf Tagen gleich hart und
                              									unverändert. Die folgenden Nr. 7 bis 11 incl. waren mit steigendem Gypsgehalt immer
                              									weicher. Wie man sieht, sind 1 1/2 Proc. Gyps vollkommen genügend und entsprechen 2
                              									Proc. schon dem Höhepunkt der Wirkung.
                           Wie leicht vorauszusehen, ist der Grad der Zertheilung des Kalkes nicht ohne Einfluß,
                              									wie folgender Versuch erweist. Drei ganz gleiche Proben aus 10 Grm. Eimer Kalk mit
                              									1,5 Centigrm. gepulvertem Marienglas und der erforderlichen Menge Wasser angemacht,
                              									unterschieden sich lediglich in der Feinheit des Kalkes. Die erste Probe enthielt
                              									ihn grob zerrieben, die zweite mittelfein, die dritte staubfein. Die erste Probe zog
                              									beim Erhärten Risse, und zeigte auf dem Bruche einzelne zu Brei gelöschte Körner, die beiden anderen
                              									Proben blieben frei von Rissen, aber die dritte, mit staubfeinem Kalk, erlangte
                              									größere Festigkeit als die zweite.
                           Die Erscheinungen dieser Versuchsreihe waren nicht hervorzurufen, wenn man den Zusatz
                              									von Gyps wegließ und statt dessen den Kalk mit bloßer Gypslösung anmachte.
                           Es sind nun folgende Thatsachen mit den bis dahin angeführten Versuchen
                              									festgestellt:
                           Auf Kalk, der sich im Wasser augenblicklich ablöscht, hat der Gyps keinen Einfluß.
                              									Bei langsam löschenden Kalken dagegen, die dem Einfluß des Gypses Zeit lassen,
                              									verzögert derselbe das Löschen beträchtlich, bis zum Erlahmen der dabei auftretenden
                              									Erscheinungen, sowohl des Aufschwellens als der Wärmeentwickelung. Soweit geht schon
                              									die Wirkung einer gesättigten Gypslösung. Bei Zusatz von mehr Gyps als das zum
                              									Anmachen des Kalkes nothwendige Wasser zu lösen vermag, knüpft sich an die
                              									Abschwächung des Löschens noch eine zweite Erscheinung, nämlich die Fähigkeit des
                              									Kalkes zu erhärten und zwar in einer Weise die dem wie gewöhnlich gelöschten Kalk
                              									nicht zukommt, nämlich hydraulisch d. i. mit Ausschluß der Kohlensäure unter dem
                              									bloßen Einfluß des Wassers. Die Erhärtung erfolgt schon vollkommen bei Zusatz von
                              									1,5 Gew. Th. Gyps auf 100 Gew. Th. Kalk und wird durch Vermehrung des Zusatzes nicht
                              									weiter erhöht. Die bindende Kraft, welche der Kalk dabei erlangt, ist so
                              									beträchtlich, daß sie selbst durch einen sehr starken Ueberschuß von ungebranntem
                              									Gyps – nach der Tabelle S. 35 Nr. 10 und 11 bis 50 und 75 Proc. des Kalkes
                              									– noch nicht aufgehoben wird. Der Ueberschuß von Gyps ist hier ein bloßer
                              									todter Ballast (wie Sand u. dgl.), von dem der Kalk in Versuch Nr. 10 sein gleiches,
                              									in Versuch Nr. 11 mehr als sein 3faches Gewicht gebunden hat. Mit dem Eintreten der
                              									Erhärtung, also mit dem ersten Abbinden, tritt noch fühlbare Erwärmung ein. Bei
                              									dickeren Massen, zolldicken Kugeln oder zollstarken Platten, steigt die Erwärmung
                              									immerhin bis zur Dampfbildung im Inneren und in Folge dessen zum Zerfallen in Körner
                              									und Mehl. Durch Einlegen der Masse in kaltes Wasser nach dem Beginn des Abbindens
                              									wird die Dampfbildung durch Zerstreuung der Wärme und der Guß am Zerfallen
                              									gehindert. Besonders dünne Güsse oder kleinere Stücke behalten ihren Zusammenhang
                              									auch ohne Abkühlen durch Wasser.
                           Die nächste Frage zur Aufklärung des Verhaltens von Kalk und Gyps im Selenitmörtel
                              									war die: wird der Gyps von Kalk irgend wie aufgenommen und gebunden? Die folgenden
                              									Versuche geben entscheidende Antwort auf die Frage. Sie stützen sich auf die zuletzt
                              									mitgetheilte Erfahrung mit dünnen Güssen (zum Zwecke hinreichender Zerstreuung der Wärme) da es für die
                              									Sicherheit des Erfolges natürlich wünschenswerth war den Kalk in eine compacte
                              									leicht zu behandelnde Masse zu verwandeln.
                           Man breitete zerriebenen Kalk (vom Elm) in der Dicke eines starken Messerrückens auf
                              									Löschpapier aus, legte ein zweites Löschpapier darüber und salzte die Ränder um, so
                              									daß ein flaches Säckchen entstand wie zu Kräuterumschlägen. Die Seichtheit der
                              									Kalklage sicherte die rasche Zerstreuung der Wärme, sowie die vollkommene
                              									Durchdringung mit Flüssigkeit. Solche Säckchen hing man nun in einer gesättigten
                              									Gypslösung auf, in welcher zerriebener Gyps bis zur schwach milchigen Beschaffenheit
                              									suspendirt war. Nach einiger Zeit trat schwache eben fühlbare Erwärmung ein, das
                              									milchige Gypswasser verlor sichtlich an Trübheit, und das Kalkmehl fand sich zuletzt
                              									zu einer dünnen ziemlich festen klingenden Platte zusammengewachsen, die beim
                              									Brechen mit Hellem Ton knackte und die gelbbraune Farbe des ursprünglichen Kalkes,
                              									nur wenig lichter, besaß. Ganz so verhielten sich die Dinge beim Einhängen des
                              									Kalksäckchens in filtrirte klare gesättigte Gypslösung, wenn das Gefäß geräumig
                              									genug, also hinreichend Gypslösung vorhanden war.
                           Die Analyse solcher Kalkplatten (24 Stunden in der Gypslösung gelassen, dann
                              									herausgenommen und äußerlich zwischen Fließpapier getrocknet) lehrte, daß bei der
                              									Erhärtung der Kalk schwefelsauren Kalk aufgenommen und die Lösung solchen verloren
                              									hatte. Ein Versuch mit filtrirter gesättigter Gypslösung ergab nämlich:
                           
                              
                                 500 K. C.
                                 Kalksulfat
                                 
                              
                                    I. Gypslösung
                                 vor
                                 dem
                                 Versuch
                                 gaben
                                 0,9996 Grm.
                                 
                              
                                 „
                                 nach
                                 „
                                 „
                                 „
                                 0,9412   „
                                 
                              
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 –––––––––––
                                 
                              
                                 Verlust der Lösung
                                 0,0584 Grm.
                                 
                              
                           Der Kalk, wie er zum Versuch gedient, ist an sich nicht frei von Schwefelsäure,
                              									denn
                           
                              
                                    II. 3,340 Grm. gaben 0,054 Barytsulfat. Der
                                    											erhärtete Kalk, aus der Gypslösung 
                                 
                              
                                 genommen und getrocknet enthielt mehr, denn
                                 
                              
                                   III. 3,955 Grm. davon lieferten
                                 0,090 Barytsulfat
                                 
                              
                                       davon kommen (nach II) auf
                                    											eigenen Gehalt
                                 0,064       „
                                 
                              
                                       auf Rechnung des
                                    											aufgenommenen Kalkes daher
                                 0,026       „
                                 
                              
                                 entsprechend 0,0155 Grm. Kalksulfat oder 0,392 Proc.
                                 
                                 
                              
                           Dieses ist möglicherweise kein reines Resultat, denn die Kalkplatte war beim
                              									Herausnehmen mit Flüssigkeit durchtränkt, die vielleicht noch Gyps gelöst enthielt,
                              									den man in Abzug zu bringen hat.
                           Die aus der Lösung herausgenommene Kalkplatte (etwa 20 Grm. im Gewicht) hatte 47,45
                              									Proc. Wasser verloren; auf die untersuchte Menge Kalk = 3,955 Grm. kommen also 1,877 Grm. Wasser.
                              									Nimmt man den äußersten aber sehr unwahrscheinlichen Fall an, das in der Platte
                              									enthaltene Wasser sey am Schluß des Versuches noch gesättigt gewesen, so würden jene
                              									1,877 Grm. Wasser (nach I) enthalten 0,0037 Kalksulfat.
                           
                              
                                 Es waren (nach III) im Kalk gefunden
                                 0,0155 Grm.
                                 
                              
                                 davon ab in der Lösung enthalten
                                 0,0037 Grm.
                                 
                              
                                 
                                 ––––––––––
                                 
                              
                                 bleiben im geringsten Fall aufgenommen
                                 0,0118 Grm.
                                 
                              
                           Kalksulfat, entsprechend 0,297 Proc.
                           Zweiter Versuch mit Gypsmilch in sonst gleicher Behandlung:
                           
                              
                                     2,193 Grm. erhärteter
                                    											getrockneter Kalk lieferten
                                 
                              
                                 
                                 0,059   Grm. Barytsulfat;
                                 
                                 
                              
                                 abgezogen davon
                                 0,0355    „            „
                                 aus dem Kalk an sich,
                                 
                              
                                 ––––––––––––––––
                                 
                                 
                              
                                 bleiben
                                 0,0235 Grm. Barytsulfat
                                 durch Aufnahme,
                                 
                              
                                 entsprechend 0,0137 Grm. Kalksulfat auf 2,193 Grm. Kalk.
                                 
                              
                           Nach dem Trockenverlust des erhärteten Kalkes = 46,79 Proc. kommen auf 2,193 Grm.
                              									Kalk 1,03 Grm. Wasser (als gesättigte Lösung angenommen) mit 0,0021 Grm. Kalksulfat.
                              									Es waren daher im geringsten Fall aufgenommen 0,0137 minus 0,0021 = 0,0116 Grm. Kalksulfat, entsprechend 0,529 Proc.
                           In gesättigte Gypslösung eingetragener gepulverter Kalk vom Elm behielt nach der
                              									Reaction d.h. nach eingetretener Erwärmung und starker Volumvermehrung seine
                              									braungelbe Farbe bei und gab auf einem Filter ausgewaschen fortwährend Reaction auf
                              									Chlorbarium. Durch fortgesetztes Auswaschen konnte ihm alles Kalksulfat vollständig
                              									wieder entzogen werden.
                           Das empirische Ergebniß der aufgeführten Versuche schließt sich nun in folgenden
                              									Thatsachen zusammen:
                           Der gebrannte Kalk entzieht der Gypslösung – unter mäßiger Erwärmung,
                              									Zusammenhang seiner Theile mit ziemlicher Erhärtung und Beibehaltung seiner Farbe
                              									– einige Tausendel seines Gewichtes an Kalksulfat; die Menge des
                              									aufgenommenen Kalksulfates steigt und fällt mit dem Vorrath an Kalksulfat in der
                              									umgebenden Flüssigkeit: sie betrug bei Gypsmilch 1,8mal soviel, als bei Anwendung
                              									bloßer gesättigter Gypslösung; der Kalk gibt endlich das aufgenommene Sulfat an
                              									einen Ueberschuß von Wasser wieder vollständig ab. Der Kalk erschöpft die Gypslösung
                              									bei weitem nicht, er entzieht vielmehr von dem darin vorhandenen Kalksulfat nur
                              									einen sehr kleinen Theil, nach (I) aus der gesättigten
                              									filtrirten Lösung von 100 Gew. Theilen Sulfat nur 6 Proc., während 94 Proc. gelöst
                              									blieben. Der geringe Betrag des vom Kalt aufgenommenen Sulfates ist demnach in keiner
                              									Weise eine Folge von Mangel an solchem in der umgebenden Lösung, sondern in der
                              									Natur der Erscheinung selbst begründet.
                           Die durch den Versuch gegebenen Thatsachen gleichen einer chemischen Verbindung, etwa
                              									der Bildung von einem basischen Kalksulfat, so wenig wie möglich. Schon das
                              									Schwanken der Menge des aufgenommenen Kalksulfates je nach dem Gehalt der Lösung
                              									spricht entschieden dagegen, nicht minder der geringfügige Betrag. In der That
                              									beträgt das aus filtrirter gesättigter Gypslösung aufgenommene Kalksulfat nur 1/830
                              									Atom, bei Gypsmilch 1/450 Atom des Kalkes; auch wenn man den gesammten Gehalt des
                              									erhärteten Kalkes an Kalksulfat (ursprünglich vorhanden und aufgenommen) in Rechnung
                              									nimmt, so kommt immer nur 1/176 Atom heraus.Gegenüber diesem Mißverhältniß einer vermutheten chemischen Wirkung des
                                    											Gypses hat man gelegentlich (in den englischen Berichten über den Selenitic mortar) der Vorstellung Raum gegeben,
                                    											die kleine Menge aufgenommenen Gypses äußere zuerst ihre chemische Wirkung
                                    											an den oberflächlichen Schichten des Kalkes, sie wandere nach vollbrachter
                                    											Wirkung auf die nächste tiefere Schichte, mache auch auf diese ihren
                                    											chemischen Einfluß geltend, und so fort bis in den Mittelpunkt. Diese Idee,
                                    											wornach die Wirkung des Gypses in einer Art von Cementation zu suchen wäre,
                                    											finde: keinen Boden in den Versuchen.
                              								
                           Um so ausgeprägter haben dagegen die Erscheinungen den Charakter eines physikalischen
                              									Vorganges, einer Absorption durch Flächenanziehung. Der Mangel eines irgend
                              									annehmbaren Atomverhältnisses, die kleine und schwankende Menge des Gypses,
                              									namentlich aber ihre Abhängigkeit von der Concentration der Lösung, d.h. dem
                              									jeweiligen Verhältniß von Wasser und Kalk sind ebenso viele Beweise, daß man mit
                              									derselben Absorptionskraft hier zu thun hat, die eine so große Rolle in der
                              									Beziehung des Ackerbodens zu Salzlösungen spielt, die das Auswaschen von
                              									Niederschlägen so sehr erschwert und in tausend anderen Fällen sich geltend
                              									macht.
                           Während man von der chemischen Affinität aus nur schwerer begreift, warum der Gyps
                              									auf den kräftigsten Kalk gar nicht, auf den schwach löschenden stark einwirkt, steht
                              									diese scheinbare Anomalie bei den Absorptionserscheinungen durch Flächenanziehung
                              									als eine natürliche Consequenz da. Die Flächenanziehung kann nur allmählich wirken,
                              									nicht plötzlich; der Kalk welcher den Gyps auf sich verdichtet, wie die spinnbare
                              									Faser den Farbstoff, kann sich nur in dem Maaße damit sättigen als immer neue
                              									Antheile der Lösung an ihn herankommen; er bedarf dazu Zeit, nicht Secunden, sondern
                              									Minuten. Ein hitzigerer Kalk löscht sich augenblicklich mit dem Wasser ehe er Zeit
                              									findet zur Absorption des Gypses; ein matter Kalk dagegen hat reichlich dazu Zeit, ehe die Erscheinungen des
                              									Löschens sich geltend machen.
                           In allen Fällen der Absorption durch Flächenanziehung befindet sich der leidende
                              									Körper (hier der Gyps) zwischen zwei entgegengesetzten physikalischen Thätigkeiten;
                              									zwischen einem festen Körper der ihn auf sich niederzuschlagen (hier der Kalk) und
                              									einer Flüssigkeit (hier das Wasser) welche ihn in Lösung zu halten strebt. Die Größe
                              									der wirksamen Oberfläche des festen Körpers bestimmt die niederschlagende Kraft
                              									dieses; für die Flüssigkeit ist ihre Quantität das Maaß der lösenden Kraft. Jeder
                              									von den widerstreitenden Theilen macht sein Recht nach Maßgabe dieser Bedingungen
                              									geltend, es wird jederzeit der leidende Körper zum Theil niedergeschlagen, zum Theil
                              									gelöst bleiben; die Dinge ordnen sich zu einem labilen Gleichgewicht. Nur wenn der
                              									feste Körper weit überwiegt wird die Quantität des Gelöstbleibenden verschwindend
                              									klein, ebenso bei einem großen Ueberschuß des Lösungsmittels, die Quantität des
                              									Niedergeschlagenen. Wenn der absorbirende Körper unter ihm günstigen Verhältnissen
                              									zur Sättigung gekommen ist und das Lösungsmittel wird nachträglich vermehrt (wie
                              									beim Auswaschen), so muß er von dem Aufgenommenen entsprechend wieder hergeben, bei
                              									dauernder Vermehrung oder Erneuerung des Lösungsmittels bis zur Erschöpfung. In
                              									völliger Uebereinstimmung mit diesen Gesetzen steht das Verhalten des gebrannten
                              									Kalkes zur Gypslösung, er absorbirt soviel, als ihm die lösende Kraft des Wassers
                              									zugesteht und gibt nach Umständen das Aufgenommene wieder ab durch Auswaschen. Ist,
                              									wie bei dem Selenitmörtel neben der Gypslösung noch überschüssiger Gyps vorhanden,
                              									so wird diese Lösung was sie an den Kalk verliert wieder aufnehmen, die
                              									Concentration der Lösung ergänzt sich und indem sie dieses thut bietet sie dem Kalk
                              									keinen steigenden Widerstand, wie die bloße Lösung, sie gestattet dem Kalk
                              									vollständiger seine Physikalische Anziehung zum Gyps zu befriedigen. Die Anziehung
                              									kommt in diesem Falle zum Abschluß, nicht dadurch daß die lösende Kraft des
                              									vorhandenen Wassers ihr das Gleichgewicht hält, sondern dadurch daß die gesammte
                              									Oberfläche aller Kalktheilchen durch den niedergeschlagenen Gyps in den Zustand der
                              									Unwirksamkeit versetzt wird. Der Ausgangspunkt der eigenthümlichen Wirkung des
                              									Gypses ist, wie man sieht, die Flächenanziehung des Kalkes; indem sie sich
                              									bethätigt, überzieht sich der Kalk in allen seinen Theilen mit Gyps und zwar mit
                              									Gyps der eben aus Gründen seiner Niederschlagung in der umgebenden Flüssigkeit
                              									gänzlich unlöslich ist. Die Theilchen des Kaltes sind unter diesen Umständen wie mit
                              									einem Firniß überzogen; aber einem Firniß der den Zutritt des Wassers zu dem
                              									eingeschlossenen Kalk zwar bedeutend erschwert, jedoch ohne ihn, wie die Natur des Gypses dieß
                              									mit sich bringt, gänzlich abzuschneiden. Unter dieser Bedingung erfolgt nun der
                              									zweite Act des Vorganges, macht sich die Affinität des Kalkes zum Wasser geltend,
                              									tritt die Bildung von Kalkhydrat ein. Das wesentliche dabei ist, daß sie in Folge
                              									der beschränkten Berührung zwischen Kalk und Wasser sich nur allmählich und langsam
                              									vollziehen kann. Diese verlangsamte Bindung des Wassers hat ihr Spiegelbild in einer
                              									entsprechend verlangsamten Entbindung der freiwerdenden Wärme. In der That wird die
                              									Wärme nur so allmählich frei, daß der größte Theil in derselben Zeit zerstreut wird;
                              									es kommt zu einer noch fühlbareren Wärmeentwickelung, die aber zu einer stürmischen
                              									Dampfbildung des eingesaugten Wassers entfernt nicht zureicht. Der Kalk wird zu
                              									Hydrat, aber ohne sich dabei, im Sinn des Maurers, zu löschen.
                           Gebrannter Kalk, so langsam Hydratwasser aufnehmend, daß keine Dampfbildung dabei
                              									möglich ist, verhält sich hydraulisch, wie denn auch im Einklang mit bei früheren
                              									Gelegenheiten geführten NachweisenPolytechn. Journal 1871, Bd. CCII S. 523. in den oben mitgetheilten Versuchen geschehen, wo der Kalk ohne irgend
                              									Mitwirkung von Kohlensäure zu festen klingenden Platten erstarrt. Damit ist die
                              									Erklärung des Verhaltens des Selenitmörtels bei ihrem Hauptschluß angelangt:
                           der gewöhnliche fettlöschende Kalk wird durch Absorption des
                                 										gelösten Gypses auf dem Wege der Flächenanziehung hydraulisch,
                           mit der Einschränkung jedoch, daß der Kalk hinreichend langsam
                              									löscht, um der Flächenanziehung Zeit zu gewähren; wie denn auch die englischen
                              									Berichte betonen, daß der zu Luftmörtel schlechteste träge löschende Kalk gerade für
                              									den Selenitmörtel der beste sey. Ein Selenitmörtel in der nachher zu beschreibenden
                              									Weise aus Elmkalk und viel Sand dargestellt, frisch unter eine mit Natronlauge
                              									abgesperrte Glocke gebracht, wo er also weder austrocknen, noch Kohlensäure anziehen
                              									konnte, band ebenso und in derselben Zeit ab, wie die gleichnamigen Proben in der
                              									Luft. Mörtel aus demselben Kalk zu Brei gelöscht, wie ihn die Maurer machen, thut
                              									dieß bekanntlich nicht. Während bei der Erhärtung des Luftmörtels nur ein wesentliches Moment thätig ist, die Anziehung der
                              									Kohlensäure, beruht die Erhärtung des Selenitmörtels auf zwei Hauptmomenten: auf der Hydraulicität des Kalkes und auf der
                              									nachfolgenden Anziehung von Kohlensäure. Es liegt auf der Hand, daß die bindende
                              									Kraft des mit Gyps behandelten Kalkes aus diesem Grunde weiter reicht, als die des bloßen Luftkalkes.
                              									Neben und mit diesen Hauptmomenten üben aber auch gewisse secundäre einen ganz
                              									besonderen Einfluß.
                           Ein ganz träge löschender Kalk, wie der zu den Versuchen gebrauchte vom Elm, in
                              									Stücken mit Gypslösung übergossen, zerfällt lediglich in Körner. Als feinzerriebenes
                              									Pulver mit Gypslösung übergossen, bildet er einen dünnen wässerigen Schlamm, der
                              									nach einer Viertelstunde nachdickt, eine starke Rahmconsistenz annimmt. Sie
                              									bezeichnet den Punkt, wo sich die hydraulische Eigenschaft eben beginnt geltend zu
                              									machen. In diesem Zustande ist der Kalk immerhin so fein zertheilt, daß man zwischen
                              									den Fingerspitzen nicht mehr das geringste Korn fühlt, – aber keineswegs fein
                              									genug, um einen weißen Kalkbrei zu bilden, er behält unverändert die gelbbraune
                              									Farbe. Darin liegt der schärfste Beweis, daß solcher mit Gyps behandelte Kalk
                              									niemals jenen äußersten Grad der Zertheilung annimmt, wie beim gewöhnlichen Löschen
                              									im Wasser.
                           Eben darauf, auf den richtigen Grad der Zertheilung kommt es nun an: der Kalk zu
                              									Selenitmörtel muß einen zarten Schlamm bilden, aber nicht bis zu dem Grade wie der
                              									in Wasser gelöschte. Der zu weißem Brei gelöschte Kalk ist natürlich leichter als
                              									jeder andere in einem großen Zusatz von Sand zu vertheilen, aber er hat bei der zu
                              									weit gehenden Feinheit der Partikeln und ihrer sperrigen Lage nicht mehr Körper
                              									genug, um die Sandkörner zu verkitten; seine Theilchen sind zu lose und locker, um
                              									nach dem Verdunsten des Wassers einen hinreichend derben Verband in den
                              									Zwischenräumen der Sandkörner zu hinterlassen. Im Gegensatz dazu steht der gelbe
                              									Kalkbrei mittelst Gypslösung bereitet; er ist oben noch hinreichend fein um sich
                              									auch in einem sehr starken Zusatz von Sand noch vollkommnen und gleichmäßig zu
                              									vertheilen, während er doch Körper genug besitzt, um die Sandkörner fest zu
                              									verkitten. Bei dem gelben Kalke findet diese Verkittung sofort durch hydraulische
                              									Bindung statt; bei dem weißen Kalkbrei kann sie erst spät, erst nach und nach mit
                              									dem Austrocknen und Anziehen der Kohlensäure erfolgen.
                           Gewiß gibt es kein besseres Mittel, um einem kalkhaltigen Mörtel Festigkeit und Härte
                              									zu geben, als die Aufnahme von Kohlensäure, aber ihre Wirkung ist nur allzu abhängig
                              									von der Dichte des Kalkhydrates, welches sie in Carbonat umwandeln soll. Künstliche
                              									Steine, wie man sie gegenwärtig aus viel Sand und wenig Kalk fabricirt, nehmen eine
                              									große Härte und Festigkeit an, aber sie werden auch in Formen geschlagen oder
                              									gepreßt, also die Kalkeinlagerung zwischen den Sandkörnern gedichtet. Ohne die
                              									vorhergegangene Pressung ist die Wirkung der Kohlensäure matt und unvollkommen. Den
                              									Unterschied in der Dichte des mit Gypslösung behandelten Kalkes und des wie
                              									gewöhnlich gelöschten Kalkes,Auf diesen Unterschied, als einen wesentlichen Punkt hat schon Abel in seinem Berichte (Engineer vom 13. September 1872) klar und bestimmt hingewiesen, wo
                                    											es am Schlusse heißt: die größere Festigkeit des Selenitmörtels
                                    													„is probably in great measure, if
                                          													noth wholly, due to the greater density of the selenitic compound.
                                          													In the act of slacking grey lime for instance doubles its volume and
                                          													its hydrated paste has double the bulk of a mixture of selenitic
                                          													lime and water.“ Wie oben nachgewiesen, ist die
                                    											Dichte des letzteren noch mehr als das Doppelte. veranschaulicht am besten der Vergleich des Volums mit dem Gewichte. Der
                              									gelöschte Kalk gibt nach dem Trocknen eine durch bloße Adhäsion der Theilchen, der
                              									mit Gyps behandelte Kalk eine durch hydraulische Bindung zusammenhängende Masse.
                              									Indem man aus jeder dieser trockenen Massen einen regelmäßigen geradflächigen Körper
                              									schnitt, konnte man den Inhalt bequem messen und mit dem Gewichte vergleichen. So
                              									ergab sich
                           
                              
                                 
                                 Das zugeschnittene Stück
                                 
                              
                                 Behandelt mit
                                 enthielt:
                                 wog:
                                 
                              
                                 a) Wasser
                                 0,408 K. C.
                                 0,232 Grm.
                                 
                              
                                 b) Gypslösung
                                 0,240 K. C.
                                 0,338 Grm.
                                 
                              
                           Es wiegt mithin 1 Kub. Cent. Kalkmasse
                           a) 0,569 Grm., b) 1,408
                              									Grm.
                           oder der letztere (mit Gyps behandelte) 2,48 mal mehr als der
                              									erstere. Dieser Unterschied ist lediglich ein Ausdruck des lockeren Gefüges; bei a sind die Zwischenräume der Kalktheilchen so viel
                              									größer, sonst nichts. Denn das spec. Gewicht der zu Pulver zerriebenen Kalkmassen
                              									ist wenig verschieden, bei a) 2,6, bei b) 2,5Durch Wiegen in Alkohol bestimmt. also im Grunde gleich und nur durch mehr oder weniger aufgenommene
                              									Kohlensäure, ungleiche Benetzbarkeit etwas abweichend gefunden.
                           Die Ueberlegenheit des Selenitmörtels hat nach den mitgetheilten Beobachtungen nichts
                              									Auffallendes. Ebenso einleuchtend sind die praktischen Winke in den verschiedenen
                              									Berichten. Die Wahl des Kalkes, der sich nicht rasch löschen darf, scheint die
                              									Hauptsache. Für die Zubereitung dürfte das Mischen von Hand mit der Krücke in den
                              									wenigsten Fällen genügen, die Mörtelmühle kaum entbehrlich seyn. Nur über die Frage,
                              									wie viel Sand der mit Gyps behandelte Kalk wirklich zu binden vermag, wie viel Sand
                              									ihm zweckmäßig zuzusetzen sey, sind die Angaben der englischen Quellen viel zu
                              									unbestimmt. Die darin gebrauchten Ausdrücke „parts“ und „measures“ ohne nähere Erklärung geben keinen festen
                              									Anhaltspunkt für das Verhältniß von Kalk zu Sand, vor allen Dingen schon darum nicht
                              									weil man nicht ersieht in welchem Zustande der Kalk gemeint ist. Eben darauf kommt
                              									aber Alles an, und die Unbestimmtheit der englischen Angaben ist geradezu verwirrend, weil sie
                              									dem sehr verschiedenen Verhalten des Kalkes keine Rechnung trägt, je nachdem man
                              									Gyps beim Löschen zusetzt oder nicht. Versuche über die beste Vorschrift zu
                              									Selenitmörtel und seinen Werth gegenüber dem Luftmörtel, gehören zwar mehr auf den
                              									Bauplatz als in das chemische Laboratorium, doch werden folgende Thatsachen den
                              									Praktikern als Grundlage für Versuche wohl nicht unwillkommen seyn.
                           In der Praxis bestimmt sich herkömmlicherweise der Versatz des Mörtels mit Sand nach
                              									Raumtheilen des zu Brei gelöschten Kalkes. Nun gibt aber dieselbe Gewichtsmenge
                              									gebrannter Kalk sehr ungleiche Volume Kalkbrei, je nachdem der Kalk mit oder ohne
                              									Gyps gelöscht wird. Der mehrerwähnte gelbbraune Kalk vom Elm, der als Beispiel
                              									hierfür dienen mag, wie gewöhnlich mit bloßem Wasser gelöscht (a) gibt sehr nahe das gleiche Volum steifen, eben nicht
                              									mehr flüssigen weißen Breies, wie der eingesumpfte Kalk der Maurer; mit Gyps wohl
                              									zusammengerieben und mit Gypslösung angemacht ein weit geringeres Volum gelben Brei
                              									und zwar am wenigsten bei eben zureichender Menge der Flüssigkeit (b), etwas mehr bei Ueberschuß von Flüssigkeit (c). Es gaben in der That 100 Gramme gebrannter Kalk vom
                              									Elm
                           
                              
                                 a) mit 300 K. C. destillirtem
                                    											Wasser
                                 320 K. C.
                                 
                              
                                 b) mit 200 K. C.
                                    											Gypslösung
                                 165 K. C.
                                 
                              
                                 c) mit Ueberschuß von
                                    											Gypslösung
                                 240 K. C.
                                 
                              
                           steifen Brei. Oder was dasselbe besagt, 100 Kub. Centim.
                              									Kalkbrei entsprechen nach
                           
                              
                                 a.
                                 b.
                                 
                                    c
                                    
                                 
                              
                                 31,2 Grm.
                                 60,6 Grm.
                                 41,7 Grm.
                                 
                              
                           trockenem gebranntem Kalk. Man kommt demnach, was Verbrauch
                              									oder Ersparniß an Kalt anbelangt, zu ganz falschen Schlüssen, wenn man den Verbrauch
                              									an Kalk lediglich nach den Volumen Sand bemißt, die 1 Volumen Kalkbrei der einen
                              									oder anderen Art bindet. Gesetzt, der mit Wasser gelöschte Kalk (a) hätte in einem Versuch 2 Volumina, der mit Gyps
                              									behandelte (c) 4 Volumina Sand gebunden, so hat man in
                              									dem ersten Fall nicht etwa doppelt so viel, sondern nur anderthalbmal so viel Kalk
                              									gebraucht, als im letzteren, wie sogleich in die Augen springt, wenn man statt des
                              									Volums Kalkbrei sein Aequivalent an gebranntem Kalk setzt; denn ein und dasselbe
                              									Volum Kalkbrei (a) entspricht 31,2 Gew. Th. und Kalkbrei
                              										(c) 41,7 Gewichtstheilen gebranntem Kalk; es verhält
                              									sich der Verbrauch an Kalk also bei (c) wie 41,7 Gew.
                              									Th. zu 4 Volumen Sand,
                              									oder 41,7/2 = 20,8 Gew. Th. zu 2 Volumen. Um gleichviel, nämlich 2 Raumtheile Sand
                              									zu binden, sind mit einem Worte verbraucht: bei (a) 31,2
                              									bei (c) 20,8 Gew. Th. Kalk oder bei (a) 1/2 mal mehr, nicht doppelt so viel. – Nach
                              									Versuchen im Kleinen bindet der gelbe Kalk zu Selenitmörtel angemacht auf 1 Volum
                              									Brei 4 bis 5 Volume feinen Sand noch gut, besser wenn ein Theil des Sandes
                              									grobkörnig ist oder durch Grand ersetzt wird. Selbstverständlich spricht die Natur
                              									des Kalkes und die Beschaffenheit des Sandes sehr wesentlich dabei mit und sind die
                              									besten Verhältnisse für den concreten Fall jedesmal besonders zu ermitteln.
                              									Allgemein und jederzeit geltende Bedingungen sind aber: langsam löschender Kalk,
                              									längere Einwirkung des Gypses vor dem Zusatz des Sandes und längere Einwirkung der
                              									Feuchtigkeit. Wie schon erwähnt, binden alle Selenitmörtel auch unter einer mit
                              									Wasser gesperrten Glocke ab, aber ihre eigentliche Festigkeit erhalten sie erst mit
                              									Aufnahme von Kohlensäure.
                           Schließlich mag noch darauf hingewiesen werden, daß das Verhalten des mit Gyps
                              									behandelten Kalkes auch die Erklärung einer längst bekannten auf den ersten Anlauf
                              									aber etwas paradoxen Erscheinung enthält, der Erscheinung nämlich, daß manche Kalke
                              									augenblicklich, andere nach Minuten und Viertelstunden erst im Wasser zum Löschen
                              									kommen. Sehr reine Kalke, wie die aus Marmor, auch bei noch so hoher Temperatur
                              									gebrannt, löschen sich sofort; nur wenn fremde Gemengtheile vorhanden sind, findet
                              									Verzögerung des Löschens statt, indem diese Beimengungen ähnlich wie Gyps wirken.
                              									Bei sehr langsam löschenden Kalken läßt sich oft beobachten, daß sie zerrieben und
                              									mit nicht zu viel Wasser versetzt, erst hydraulisch abbinden und nachträglich wieder
                              									zerfallen und sich löschen.