| Titel: | Ueber die Einwirkung einiger Anilin- und Toluidinverbindungen auf einander beim Zusammenschmelzen; von A. Bibanow aus Susdal in Russland. | 
| Fundstelle: | Band 213, Jahrgang 1874, Nr. LXIII., S. 229 | 
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                        LXIII.
                        Ueber die Einwirkung einiger Anilin- und
                           Toluidinverbindungen auf einander beim Zusammenschmelzen; von A. Bibanow aus Susdal in Russland.
                        Mittheilung aus dem chemischen Laboratorium der
                           polytechnischen Schule in Zürich.
                        Bibanow, über die Einwirkung einiger Anilin- und
                           Toluidinverbindungen auf einander beim Zusammenschmelzen.
                        
                     
                        
                           Der Zweck der vorliegenden Versuche war, die Reactionen beim Zusammenschmelzen
                              einiger Anilin- und Toluidinverbindungen kennen zu lernen, um daraus
                              vielleicht Nutzen für die Aufsuchung der nicht giftigen Darstellungsmethoden des
                              Fuchsins ziehen zu können.
                           Bei diesen Versuchen bin ich von der neulich patentirten Nicholson'schen Methode ausgegangen (vergl. dies Journal 1873, Bd. CCIX S.
                              400). Nach dieser Methode erhält man Fuchsin, indem man 3 Th. Anilin für Roth mit 1
                              Th. Salzsäure von 1,16 specif. Gew. und 1 Th. Salpetersäure von 1,42 sp. Gew. auf 186–200°
                              erhitzt. Um mit dieser Methode näher bekannt zu werden, habe ich folgenden
                              präliminären Versuch angestellt.
                           Eine Mischung aus 15 Grm. Anilin für Roth, 5 Grm. Salzsäure von 1,16 und 5 Grm.
                              Salpetersäure von 1,42 sp. Gw. habe ich im Oelbade bis auf 190° erhitzt.
                              Zuerst geht das Wasser unter lebhaftem Kochen nach und nach fort; die früher nur
                              schwachroth gefärbte Flüssigkeit wird dabei immer mehr roth; ist aber das Wasser
                              vollkommen verkocht, so geht die rothe Färbung sehr schnell in Violett, bei weiterem
                              Erhitzen in schmutzig Violett über. Seide wird mit wässerigen Lösungen der
                              Rohschmelze ebenfalls zuerst roth mit violetten: Stich, dann schmutzig violett
                              gefärbt. Die rothe Färbung der Schmelze vor dem Erscheinen der violetten ist aber so
                              wenig intensiv, daß die Quantität des gebildeten Fuchsins nur gering sein kann, wenn
                              die rothe Farbe in Violett übergeht. Diesen Versuch habe ich noch einmal bei
                              niedrigerer Temperatur (150–160°) wiederholt, ohne jedoch ein besseres
                              Resultat zu bekommen. Diese Methode erfordert wahrscheinlich besondere
                              Vorsichtsmaßregeln und Kunstgriffe, welche im Patent nicht angegeben sind.
                           Die oben erwähnte rasche Veränderung der Farbe hängt wahrscheinlich von zu schneller
                              Wirkung der Salpetersäure auf Anilin ab. Es liegt der Gedanke nahe, diese Wirkung
                              durch irgendwelche Mittel zu mäßigen, z.B. durch Ueberführen des Anilins in eine
                              neutrale Verbindung, aus welcher es beim Erhitzen nur allmälig abgegeben wird.
                              Solche Verbindungen sind z.B. Doppelsalze von Anilinverbindungen mit Metallsalzen.
                              Als Metallsalz habe ich Zinkchlorid (ZnCl₂ oder ZnCl gebraucht. Selbstverständlich werden bei der Nicholson'schen Methode mit Salzsäure, Salpetersäure die entsprechenden
                              Anilin- und Toluidinsalze entstehen. Setzt man aber eine gewisse Menge
                              concentrirter Chlorzinklösung hinzu, so bildet ein Theil dieser Verbindungen
                              Doppelsalze.
                           Nach diesen Voraussetzungen habe ich folgenden Versuch ausgeführt. Eine Mischung aus
                              120 Grm. Anilin für Roth mit 100 Grm. Salzsäure von 1,16, 30 Grm. Salpetersäure von
                              1,43 sp. Gw. und 90 Kubikcentim. Chlorzinklösung (1 Grm. Zink in 1,5 K. C.) ist im
                              Oelbade nicht über 186° erhitzt. Diese Proportionen entsprechen der folgenden
                              theoretisch abgeleiteten Gleichung, nach welcher Bildung des Fuchsins möglich
                              wäre:
                           8 (C₇H₉N . HCl . ZnCl₂) +
                              C₆H₇N . HCl . ZnCl₂ + 3 C₆H₇N . HNO₃ =
                           = 3NH₃ + 6 H₂O + 4
                              C₂₀H₁₉N₃ + 9 ZnCl₂ + 9 HCl.
                           
                           Dabei waren die Formeln von salzsaurem Toluidin-Chlorzink und salzsaurem
                              Anilin-Chlorzink als aus gleichen Moleculen der entsprechenden Salze
                              bestehend angenommen. Nach einer späteren Analyse des salzsauren
                              Pseudotoluidin-Chlorzink erwies sich diese Annahme jedoch als unrichtig, und
                              zwar ist die Formel dieses Doppelsalzes ZnCl₂ . 2 (C₇H₉N .
                              HCl). Ich habe also doppelt so viel Chlorzinklösung genommen, als nöthig ist; jedoch
                              konnte dieser Ueberschuß von ZnCl₂ der Reaction selbstverständlich wenig
                              schaden.
                           Beim Zusammenbringen der Bestandtheile erwärmt sich die Flüssigkeit und färbt sich
                              roth; diese Färbung verschwindet aber schon beim Verdünnen mit Wasser, stammt also
                              nicht von Fuchsin ab.
                           Beim Erhitzen dieser Mischung im Oelbade, entweicht bei 140–150°
                              Wasserdampf und die Farbe der Flüssigkeit geht nach und nach in schmutzig Violett
                              über. Wenn das Wasser verflüchtigt ist, bläht sich die Schmelze auf, nimmt dabei
                              ganz dunkle Farbe und harzartiges Aussehen an, so daß weiteres Erhitzen unmöglich
                              ist, weil die Schmelze sonst übersteigt. Ein wenig von dieser Schmelze mit Wasser
                              ausgekocht, färbt Seide schmutzig violett.
                           In der Hoffnung bessere Resultate zu bekommen, habe ich diesen Versuch dahin
                              geändert, daß ich jede der für die Reaction nöthigen Verbindungen an und für sich
                              dargestellt, dann in entsprechenden Portionen zusammengemischt geschmolzen habe. Die
                              Verbindungen, welche ich dafür dargestellt habe, sind salzsaures
                              Pseudotoluidin-Chlorzink und salpetersaures Anilin. Die Proportionen für die
                              Schmelze sind so genommen, daß Anilin und Pseudotoluidin in rechtem Verhältnisse für
                              die Bildung des Fuchsins sind, also z.B. 2 (C₇H₉N . HCl .
                              ZnCl₂) + C₆H₇N . HNO₃ oder 130 Grm. des Doppelsalzes und
                              35 Grm. HNO₃ . C₆H₇N. Diese Mischung ist unter Zusatz einer
                              kleinen Menge Anilin (für Roth) zur Erleichterung des Schmelzens im Oelbade bei
                              140–160° 3 Stunden lang erhitzt. Die Farbe der flüssigen Schmelze ist
                              violett. Eine Probe mit kochendem Wasser behandelt, färbt Seide schmutzig
                              rothviolett; der Rückstand mit salzsäurehaltigem Wasser ausgekocht gibt eine Lösung,
                              welche Seide lilaviolett färbt; das Ungelöstgebliebene mit Alkohol ausgezogen färbt
                              Seide blauviolett. Beim Wiederholen des Versuches wurde kein besseres Resultat
                              erhalten.
                           Diese beiden Versuche, bei welchen Zinkchlorid neben Chlorwasserstoff angewendet ist,
                              sind also in Bezug auf die Nüance des erhaltenen Farbstoffes nicht gut
                              ausgefallen.
                           Ein besseres Resultat in dieser Beziehung habe ich aber bei einem anderen Versuche
                              erhalten, bei welchem ich statt C₆H₇N . HNO₃ mit C₇H₉N . HCl .
                              ZnCl₂ zu schmelzen, 2 (C₇H₉N) . ZnCl₂ u. 2
                              (C₆H₇N) . ZnCl₂ zusammen erhitzte. Die Proportionen dazu sind
                              nach folgender theoretisch abgeleiteten Gleichung genommen: 8 (ZnCl₂ . 2
                              C₇H₉N) + ZnCl₂ . 2 C₆H₇N + 6 C₆H₇N
                              . HNO₃ = 6 NH₃ + 12 H₂O + 8
                              C₂₀H₁₉N₃ + 9 ZnCl₂ und zwar 10 Grm.
                              C₆H₇N . HNO₃, 30 Grm. ZnCl₂ . 2 C₇H₉N und
                              3,3 Grm. Diese Salze sind gut pulverisirt und unter einander gemischt, die Mischung
                              unter Zusatz von ein wenig Anilin (um die Schmelzung zu erleichtern) im Oelbade bei
                              170–190° geschmolzen. Die wässerige Lösung einer nach 3stündiger
                              Schmelzung herausgenommenen Probe färbt Seide noch ziemlich gut roth. Nach
                              6stündiger Schmelzung geht aber die Nuance der gefärbten Seide schon in Rothviolett
                              über, was durch zu langes Erhitzen erklärt werden kann. Die Schmelze ist dann mit
                              salzsäurehaltigem Wasser ausgekocht, abfiltrirt, mit Natriumcarbonat
                              (Na₂CO₃ = NaO, CO₂), neutralisirt
                              und mit Chlornatrium versetzt, wodurch beim Erkalten die größte Menge des
                              Farbstoffes niedergeschlagen wird; in der Mutterlauge bleibt noch ein wenig Fuchsin,
                              welches Seide sehr schön roth färbt.
                           Beim Wiederholen dieses Versuches habe ich eine Veränderung zugelassen, indem ich 120
                              Grm. käufliches Anilin für Roth mit 50 K. C. Chlorzinklösung und 30 Grm.
                              Salpetersäure von 1,43 sp. Gew. zusammengemischt, die fest gewordene Masse gut
                              zerrieben und dann im Oelbade bei 180–190° etwa 1 Stunde lang erhitzt
                              habe. Diesen Versuch habe ich mehrmals wiederholt, mit verschiedenen Beimischungen
                              für die Erleichterung des Schmelzens. Wenn man z.B. beim Schmelzen zu diesem Zwecke
                              etwas Salzsäure oder Essigsäure hinzusetzt, so ist die Nüance des erhaltenen
                              Farbstoffes immer mit bläulichem Stich; dasselbe geschieht, wenn in der Mischung
                              viel Wasser ist; nur beim Schmelzen dieser Mischung für sich, was jedoch nicht sehr
                              leicht ist, da die Schmelze sehr schnell an der Oberfläche erstarrt, ist die Nüance
                              des Fuchsins ziemlich rein roth. Auf directem Feuer ist es genügend, nur einige
                              Minuten zu schmelzen. Dabei muß man sich in Acht nehmen, nicht zu kurze und auch
                              nicht zu lange Zeit zu erhitzen, da in beiden Fällen die Ausbeute an Farbstoff
                              gering ist, weil die Farbstoffbildung entweder unvollständig, oder der gebildete
                              Farbstoff theils wieder verkohlt wird.
                           Diese Schmelze kann man mit reinem oder leicht angesäuertem Wasser auskochen,
                              filtriren, neutraleren und den Farbstoff mit Chlornatrium ausfällen, den erhaltenen
                              Niederschlag mit Chlornatriumlösung und dann mit Wasser auswaschen; Chlorzink bleibt
                              dabei im farblosen Filtrat zurück.
                           
                           Was also die Nüance des nach dieser Methode erhaltenen Fuchsins betrifft, so ist
                              dieselbe nicht zu verwerfen; leider bin ich jetzt verhindert, auch die Ausgiebigkeit
                              derselben zu untersuchen.
                           Das zur Bildung des Fuchsins aus Nitranilin und hochsiedendem Anilin beim
                              Zusammenschmelzen gebrauchte Nitranilin habe ich aus Acetanilid durch Nitriren und
                              Verseifen des Nitroproductes mit Natriumhydrat hergestellt. Für den Versuch habe ich
                              20 Grm. Nitranilin, 40 Grm. Pseudotoluidin und 5 Grm. Anilin genommen, d.h. solche
                              Proportionen, nach welchen Bildung von Rosanilin möglich wäre und welche folgender
                              Gleichung entsprechen: 3 C₆H₄ (NO₂) . NH₂ + 8
                              C₇H₉N + C₆H₇N = 3 NH₃ + 6 H₂O + 4
                              C₂₀H₁₉N₃
                           Der gebildete Farbstoff ist nach bekannter Methode ausgezogen und hat sich als
                              Fuchsin erwiesen; Seide wird damit ziemlich gut roth gefärbt.
                           Obwohl die Menge des gebildeten Farbstoffes nicht sehr groß ist und diese Methode
                              überhaupt auf keine technische Anwendung rechnen kann, so ist diese Thatsache
                              immerhin bemerkenswerth, da sich die Formel von Nitranilin nur durch H₂O von
                              der Formel des C₆H₇N . HNO₃ unterscheidet.
                           Schließlich wollte ich noch die Resultate der Analyse des von mir dargestellten und
                              bei obigen Versuchen gebrauchten Doppelsalzes von salzsaurem
                              Pseudotoluidin-Chlorzink mittheilen.
                           Der Zweck der Analyse war, das Verhältniß zwischen beiden Bestandtheilen des
                              Doppelsalzes zu erfahren, d.h. zwischen ZnCl₂ und C₇H₉N . HCl.
                              Dazu war es genügend, die Menge des Zinkes im Doppelsalze zu bestimmen. Zink ist als
                              Zinkcarbonat gefällt und als Zinkoxyd gewogen. Nach dieser Analyse ist der
                              Chlorzinkgehalt des Doppelsalzes zu 32,4 Proc. berechnet. Dieses Resultat kommt der
                              Formel ZnCl₂ + 2 (C₇H₉N . HCl) sehr nahe, nach welcher der
                              Chlorzinkgehalt 32,15 Proc. beträgt. Das Salz ist vorher bei 100° getrocknet
                              und hat dabei so wenig an Gewicht verloren (weniger als 2 Proc.), daß dieser Verlust
                              als hygroskopisches Wasser angesehen werden kann, da schon 1 Mol. Krystallwasser
                              mehr als 4 Proc. ausmachen würde; Krystallwasser ist also nicht vorhanden. Das
                              Doppelsalz krystallisirt in schönen farblosen, strahlenförmig gruppirten Tafeln,
                              welche in Wasser äußerst leicht löslich sind, so daß wässerige Lösungen leicht
                              übersättigt werden. Die Krystalle können bis 205° erhitzt werden, ohne zu
                              schmelzen und sich zu zersetzen. An der Luft färbte sich die Verbindung bald dunkel;
                              die Lösung in dünnen Schichten an der Luft ausgebreitet wird schön roth, in dicken
                              Schichten aber dunkel.
                           
                           Zur Darstellung dieses Doppelsalzes versetzte ich reines Pseudotoluidin mit der
                              nöthigen Menge Salzsäure und concentrirter Chlorzinklösung und ließ dann bei
                              – 6° auskrystallisiren; nöthigenfalls werden Krystalle eingeworfen, um
                              die Krystallisation zu befördern.