| Titel: | Das Abbe'sche Refractometer; besprochen von Professor Dr. A. von Waltenhofen in Prag. | 
| Fundstelle: | Band 213, Jahrgang 1874, Nr. CXVIII., S. 482 | 
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                        CXVIII.
                        Das Abbe'sche Refractometer; besprochen von Professor
                           Dr. A.
                              von Waltenhofen in Prag.
                        Aus den Technischen Blättern, 1874 S.
                              102.
                        Mit Abbildungen.
                        Waltenhofen, über Abbe's Refractometer.
                        
                     
                        
                           Das Licht ist die feinste Sonde, mit der wir in das Innere der Körper dringen können,
                              um ihre Structur zu erforschen und oft auch ihre chemische Zusammensetzung und
                              Reinheit zu prüfen. Welche Wichtigkeit dieses Hilfsmittel auch in technischer
                              Hinsicht bereits erlangt hat, sehen wir beispielsweise am sogenannten Polarimeter,
                              welches nachgerade ein ganz unentbehrliches Erforderniß für jede Zuckerfabrik
                              geworden ist. Ebenso vortheilhaft dient der Spectralapparat in der
                              Bessemer-Hütte, und hoffentlich ist die Zeit nicht mehr allzufern, in welcher
                              ein ähnlicher Apparat – das Spectrometer – auf dem Gebiete der
                              Glasfabrikation allgemeiner eingebürgert, und die Erzeuger optischer Gläser
                              allgemeiner, als es bis jetzt der Fall ist, von der Erkenntniß geleitet sein werden,
                              daß es zur Erzielung weiterer Fortschritte in der Herstellung achromatischer Linsen u.s.w. vielmehr
                              darauf ankommt, sich um die Dispersions-(d. i. Farbenzerstreuungs-)
                              Verhältnisse der Glassorten als um die specifischen Gewichte derselben zu
                              bekümmern.
                           Der theoretisch gebildete Techniker wird überhaupt stets darauf bedacht sein. Alles,
                              was auf dem Gebiete der exacten Wissenschaften vorgeht, mit wachsamen Augen zu
                              verfolgen, um sich nichts entgehen zu lassen, was ihm gelegentlich auch in seiner
                              Sphäre nutzbringend werden könnte. Von diesem Standpunkte dürfte eine kurze Notiz
                              über ein neues Instrument nicht ohne Interesse sein, welches die Ermittelung des
                              sogenannten Brechungsexponenten von Flüssigkeiten bei großer Genauigkeit und
                              Sicherheit mit einer bisher auch nicht annähernd erreichten Raschheit und
                              Bequemlichkeit gestattet und daher, insofern der Brechungsexponent in gewissen
                              Fällen das beste Prüfungsmittel für die Echtheit und Reinheit einer Substanz sein
                              dürfte, auch in technischer Richtung sehr nützlich zu werden verspricht. Das höchst
                              sinnreiche, von Professor Abbe in Jena angegebene (in
                              einer Brochüre eingehender beschriebene) und von Zeiß in
                              Jena trefflich ausgeführte Instrument beruht auf dem Principe der sogenannten
                              Totalreflexion, welches wir zunächst in Kürze erläutern wollen.
                           
                              
                              Holzschnitt I, Bd. 213, S. 482
                              Bringt man auf die Fläche AB eines Glaswürfels
                                 ABCD (Holzschnitt
                                    I) einen Tropfen Oel (z.B. bei 6) so wird man, in einer Richtung O' gegen den Würfel blickend, den Tropfen auf der
                                 metallspiegelähnlich glänzend erscheinenden Basis AB Würfels sehen; bei einer gewissen Verrichtung O dagegen verschwindet der Tropfen-, indem
                                 dann die Stelle G, auf welcher er sich befindet,
                                 ebenso spiegelt wie die unbedeckte Würfelfläche. Die Erklärung der Erscheinung
                                 liegt darin, daß Licht, welches z.B. von L
                                 herkommend in der Richtung EG gebrochen wird,
                                 wenn es hinreichend schief einfällt, gar nicht mehr aus dem Glase in den Tropfen
                                 eindringen kann, sondern vollständig reflectirt wird
                                 (daher die Bezeichnung „Totalreflexion“ ), während sonst
                                 nur ein Theil reflectirt wird, ein anderer Theil aber in den Tropfen übergeht,
                                 weshalb derselbe dann bei der Beobachtung in der Richtung O' dunkel vom spiegelnden Grunde sich abhebt.
                              
                           Der besagte spiegelnde Glanz der Würfelfläche rührt selbst
                              auch von einer solchen Totalreflexion her, bei welcher eben die Luft derjenige
                              Körper ist, in welchen die Strahlen aus dem Würfel nicht mehr übergehen. Die
                              beschriebenen Erscheinungen der Totalreflexion können aber nur durch solche eine
                              Würfelfläche bedeckende Körper hervorgebracht werden, welche ein geringeres
                              Lichtbrechungsvermögen haben als der Glaswürfel – und nur, wenn der
                              Einfallswinkel EGZ so bemessen, daß sin. EGZ = s/g ist, wenn s den
                              Brechungsexponenten der untersuchten Substanz (z.B. Oel) und g der des Glases ist. Da g bekannt ist, so
                              braucht man also nur den Austrittswinkel OFX = α zu messen, um s zu
                              finden; denn, wie eine leichte Rechnung zeigt, ist s² = g² – sin² α.
                              
                            In der That hatte bereits Wollaston mit Benützung eines
                              solchen Würfels ein sehr sinnreiches Instrument zur Bestimmung von
                              Brechungsexponenten construirt und damit eine Methode geschaffen, das
                              Brechungsvermögen von Substanzen zu ermitteln, welche sonst entweder wegen
                              ungenügender Menge oder ungenügender Durchsichtigkeit (zum beschriebenen Verfahren
                              ist die Durchsichtigkeit nicht erforderlich) mittels der gewöhnlichen Methoden nicht
                              hätten untersucht werden können. Das Instrument hat indessen wenig Verbreitung
                              gefunden, da es vermöge seiner Construction wohl keine große Genauigkeit gewährt
                              haben mag.
                           
                              
                              Holzschnitt II, Bd. 213, S. 483
                              Ist die Substanz durchsichtig, so kann die Grenzstellung der Totalreflexion nicht
                                 nur durch Beobachtung des reflectirten, sondern auch durch Beobachtung des
                                 durchgelassenen Lichtes ermittelt werden, indem sie sich im letzteren Falle
                                 durch das Verschwinden des durchgelassenen Lichtes, also durch das Auftreten von
                                 Dunkelheit zu erkennen gibt. Dieses zweite Beobachtungsverfahren findet bei dem
                                 Abbe'schen Refractometer, welches wir eben
                                 beschreiben wollen, Anwendung; es beschränkt zwar den Gebrauch des Instrumentes
                                 auf durchsichtige Substanzen, gewährt aber anderseits eine größere Sicherheit
                                 der Beobachtung. Der Vorgang ist folgender:
                              
                           Zwei rechtwinkelige Prismen ABC und DEF (Holzschnitt
                                 II), zwischen welchen wir uns die untersuchte Substanz (im Zwischenräume ABDF der Hypotenusenflächen) denken wollen, können
                              in der im Holzschnitt III ersichtlichen Weise mittels
                              Nuth und Sperrhaken zusammengefügt werden, wobei man durch dünne Zwischenlagen
                              (Papier) bei AD und BF dafür sorgt, daß die Prismen getrennt erhalten werden. Fallen nun, etwa
                              von einem Beleuchtungsspiegel herkommend, Strahlen (z.B. LG) auf das eine Prisma, so werden dieselben, so
                              lange sie nicht zu
                              schief auf die Substanz treffen, durchgehen und aus dem anderen Prisma parallel (wie
                              z.B. HO parallel LG) austreten.
                           
                              
                              Holzschnitt III, Bd. 213, S. 484
                              Nehmen wir an, GH sei
                                 schon die schiefste Richtung, bei welcher das Licht aus dem ersten (unteren)
                                 Prisma noch in die Substanz eindringen kann, so werden also alle schiefer
                                 einfallenden Strahlen (wie z.B. ad) total reflectirt, alle weniger schiefen aber
                                 durchgelassen werden. Letztere werden bewirken, daß das Gesichtsfeld hell
                                 erscheint, wenn man in einer Richtung jenseits der Grenzlage OH (z.B. O') gegen
                                 das Doppelprisma hinsieht, während dies nicht stattfinden kann, wenn man das
                                 Doppelprisma in einer Richtung diesseits der Grenzlage (z.B. in der Richtung O'' ) anvisirt. Denken wir uns nun ein kleines
                                 astronomisches Fernrohr in der Richtung OH
                                 angebracht, und durch dieses das Prisma betrachtet, so wird der obere Theil des
                                 Gesichtsfeldes hell, der untere dunkel erscheinen. Dreht man das Prisma um eine
                                 zum Hauptschnitte (d. i. hier zur Zeichnungsebene) senkrechte Achse, so wird
                                 sich die Schattengrenze (so wollen wir die horizontale Grenzscheide zwischen dem
                                 oberen hellen und unteren dunklen Theile des Gesichtsfeldes nennen) nach
                                 aufwärts oder abwärts verschieben; bei einer gewissen Stellung aber wird
                                 Schattengrenze gerade in der Mitte des von einem doppelten Fadenkreuze (Holzschnitt IV) durchzogenen Gesichtsfeldes
                                 erscheinen.
                              
                           
                              
                              Holzschnitt IV, Bd. 213, S. 484
                              Am Instrumente (Holzschnitt V), welches bei C das beschriebene Doppelprisma enthält, wird die
                                 soeben erwähnte Drehung des letzteren durch die Bewegung einer Alhidade B bewirkt, wodurch zugleich die Ablesung der
                                 Drehungswinkel an einer auf dem feststehenden Sector A aufgetragenen Scale ermöglicht wird. Für jede Substanz wird die
                                 Alhidade, wenn man das Fadenkreuz auf die Schattengrenze eingestellt hat, einen
                                 bestimmten Theilstrich anzeigen, und man wird, wenn man auf eine stärker
                                 brechende Substanz übergeht, die Alhidade gegen c
                                 hinauf drehen müssen, um eben dieselbe Einstellung wieder zu erhalten (weil eben
                                 bei der stärker brechenden Substanz die Grenzlage GH der Totalreflexion einer schieferen Richtung entspricht).
                              
                           Aus diesen Winkelstellungen der Alhidade, von einem gewissen Nullpunkte aus
                              gerechnet, könnte man nun in ähnlicher Weise wie beim Wollaston'schen Würfel aus den Austrittswinkeln α die Brechungsexponenten der untersuchten Substanzen berechnen;
                              doch ist es bequemer an
                              der Scale schon die ausgerechneten Werthe abzulesen. Die Theilung des Abbe'schen Instrumentes ist deshalb nicht als eine
                              Kreistheilung sondern als eine Scale der fortschreitenden Brechungsexponenten
                              eingerichtet und zwar von 1,3, welches etwas kleiner ist als der Brechungsexponent
                              des Wassers (1,3337 für 15° C.), bis 1,6, welches dem Brechungsexponenten der
                              Glassorte des Doppelprismas nahe kommt. Die Anwendung der Methode der Totalreflexion
                              setzt nämlich immer voraus, daß der Brechungsexponent der untersuchten Substanz
                              kleiner sei als der der benützten Glassorte.
                           
                              
                              Holzschnitt V, Bd. 213, S. 485
                              
                           So einfach, wie bis jetzt beschrieben, würde die Beobachtung sich gestalten, wenn man
                              nur homogenes Licht auf den Beleuchtungsspiegel fallen ließe – z.B. nur
                              rothes Licht mittels einer rothen Glasplatte oder nur das gelbe Licht einer
                              Kochsalzflamme u.s.w. Wenn man aber weißes Licht anwendet, was gewöhnlich zu
                              geschehen pflegt, so kann die Schattengrenze offenbar nicht scharf erscheinen. Denn
                              bei jener Stellung des Prismas, bei welcher für den gelben Antheil des weißen
                              Lichtes die totale Reflexion eben beginnt, ist diese Grenzstellung für die rothen
                              Strahlen noch nicht erreicht, für die violetten aber schon überschritten. Die Folge
                              davon ist, daß die Schattengrenze farbige Säume zeigt, von welchen sich Roth
                              unmittelbar an den dunklen Theil des Gesichtsfeldes anschließt; an Roth reihen sich
                              dann die anderen Farben in der bekannten Ordnung des Spectrums. Um nun die
                              Schattengrenze scharf zu erhalten und noch zu einem anderen später zu erwähnenden
                              Zwecke) muß diese Farbenzerstreuung (Dispersion) aufgehoben werden. Hierzu dient ein
                              eigener Bestandtheil des Instrumentes, Compensator genannt, welcher folgende
                              Einrichtung hat.
                           
                              
                              Holzschnitt VI, Bd. 213, S. 486
                              
                           Durch die Verbindung eines Flintglasprismas C (Holzschn. VI) mit zwei Crownglasprismen A und B kann man ein
                              sogenanntes Amici'sches Prisma herstellen, welches die
                              Eigenschaft hat, einen weißen Lichtstrahl LA in
                              seine farbige Bestandtheile (z.B. roth bei r und violett
                              bei v) zu zerlegen, während die mittleren (gelben)
                              Strahlen, ihrer ursprünglichen Richtung Lx
                              parallel, den geraden Weg fortsetzen.Ax bezeichnet natürlich nicht den Weg des
                                    Strahles LA im Prisma, sondern nur die
                                    Verlängerung dieser Einfallsrichtung. Die Strahlen r und v kreuzen sich im mittleren
                                    Prisma. Nennen wir den Winkel der aus dem Prisma I
                              austretenden Strahlen r und v allenfalls δ (Dispersionswinkel), so
                              können wir denselben auf 2 δ bringen, wenn wir
                              die Strahlen noch durch ein zweites gleiches Amici'sches
                              Prisma II hindurchgehen lassen, welches die in der Zeichnung angedeutete, mit dem
                              ersten Prisma gleichgerichtete Stellung hat. Denkt man sich nun beide Prismen um die
                              Gerade Lx als Achse nach entgegengesetzten
                              Richtungen gedreht, so werden, wenn jedes Prisma um 90°, die Prismen
                              gegeneinander also um 180° gedreht worden sind (in welchem Falle dann die
                              beiden beigefügten Pfeile entgegengesetzte, zur Zeichnungsebene senkrechte
                              Richtungen haben), die Wirkungen beider Prismen sich aufheben, d.h. die Dispersion
                              derselben wird = 0 sein. Bei weiterer Drehung wird die Dispersion negativ, d.h. Roth
                              wird nach abwärts, Violett nach aufwärts abgelenkt (während früher das Umgekehrte der
                              Fall war), und wenn jedes Prisma um 180° gedreht ist (beide Pfeile also nach
                              abwärts gerichtet erscheinen), wird die besagte negative Dispersion ihren größten
                              Werth (– 2δ) annehmen. In den
                              Zwischenstellungen werden, wie sich durch eine dem Lehrsatze vom
                              Kräftenparallelogramm ähnliche Schlußfolgerung einsehen läßt, Dispersionswerthe
                              zwischen (+ 2 δ) und (– 2δ) herauskommen.
                           Die zwei mittels eines Getriebes t (Holzschn. V) gegeneinander drehbaren Amici'schen Prismen (im Instrumente bei T und S enthalten) bilden
                              also einen Apparat, der innerhalb der Grenzen (+ 2 δ) und (– 2δ) jede
                              beliebige Dispersion hervorzubringen vermag, also z.B. auch eine solche, welche
                              gerade hinreicht, die bei der Totalreflexion im Prisma C
                              hervorgebrachte Dispersion aufzuheben, wenn wir die Compensatorprismen mittels ihres
                              Getriebes in die entsprechende Stellung bringen. Indem wir dies thun, stellen wir
                              die scharfe Schattengrenze im Gesichtsfelde des Fernrohres wieder her und können den
                              gesuchten Brechungsexponenten, welcher dann immer für die sogenannten mittleren
                              (gelben) Strahlen gilt, in der bereits beschriebenen Weise ablesen.
                           Die Drehung, welche wir dem Compensator ertheilen müssen, um die Farbenzerstreuung
                              bei der Totalreflexion aufzuheben, gestattet aber noch eine andere Nutzanwendung;
                              sie ermöglicht nämlich einen Schluß auf die Größe der von der untersuchten Substanz
                              bei der Totalreflexion bewirkten Dispersion. Es ist deshalb am Compensator eine
                              Trommeltheilung mit Index (siehe D, Holzschn. V) angebracht, an der man die besagten Drehungswinkel
                              – dem Uebergange von (+ 2 δ) zu (–
                              2 δ) entsprechen 60 Compensatortheile –
                              ablesen kann.
                           Eine dem Instrumente beigefügte Tabelle gestattet sofort die Berechnung der
                              Farbenzerstreuung der untersuchten Substanz aus den beiden Ablesungen an der Scale
                              der Brechungsexponenten und am Compensator. – Eine detaillirte Anleitung ist
                              dem Instrumente beigegeben. Es sei also schließlich nur noch bemerkt, daß die
                              Messungen mit diesem Instrumente an Raschheit und Eleganz nichts zu wünschen übrig
                              lassen und dabei, wie ich durch vergleichende Beobachtungen mit einem Meyerstein'schen Spectrometer fand, eine auf drei
                              Decimalen im Brechungsexponenten reichende Genauigkeit gewähren.
                           Prag, im Juni 1874.