| Titel: | Neue Darstellungsmethode und einige bemerkenswerthe Eigenschaften der Salicylsäure; von Prof. Dr. H. Kolbe in Leipzig. | 
| Fundstelle: | Band 214, Jahrgang 1874, Nr. XXXII., S. 132 | 
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                        XXXII.
                        Neue Darstellungsmethode und einige
                           bemerkenswerthe Eigenschaften der Salicylsäure; von Prof. Dr. H. Kolbe in
                           Leipzig.Journal für praktische
                                       Chemie, 1874 Bd. 10 S. 89. Die hervorragendsten
                                 Eigenschaften der Salicylsäure wurden bereits im 2. Juliheft 1874, S. 165
                                 mitgetheilt.
                           
                        Kolbe, über eine neue Darstellungsmethode etc. der
                           Salicylsäure.
                        
                     
                        
                           Im J. 1860 habe ich in Gemeinschaft mit Lautemann im
                              Verlauf einer ausführlichen Untersuchung über die Salicysäure als Derivat derselben
                              die Salylsäure entdeckt und als eine mit der Benzoesäure isomere Säure
                              beschrieben.
                           
                           Das künstliche Gaultheriaöl, dessen Procentgehalt an salicylsaurem Methyläther sehr
                              schwankend und welches in neuerer Zeit daran entschieden ärmer ist als früher, ist
                              zu kostbar; ich war daher darauf bedacht, zu versuchen, ob die früher von Lautemann und mir beschriebene Methode, Salicylsäure
                              künstlich aus Phenol und Kohlensäure unter Mitwirkung des Natriums darzustellen,
                              sich nicht vereinfachen oder vervollkommnen, und damit eine billigere Salicylsäure
                              gewinnen ließe.
                           Beim Auflösen von Natrium in heißem Phenol im trockenen Kohlensäurestrome entsteht
                              neben salicylsaurem Natron stets mehr oder weniger kohlensaures Natron und
                              Natrium-Phenol, und ich nahm wahr, daß, je reicher das Gesammtproduct an
                              salicylsaurem Salz ist, es desto weniger von den beiden letzten Verbindungen
                              enthält. Ich machte die weitere Beobachtung, daß ein Product, welches sich besonders
                              reich an Natrium-Phenol und verhältnißmäßig arm an salicylsaurem Natron
                              erwies, als ich es unter stärkerem Erhitzen aufs Neue mit Kohlensäure behandelte,
                              eine auffallend reiche Ausbeute an Salicylsäure lieferte. Das veranlaßte mich, die
                              früher von Lautemann und mir gemachten Versuche,
                              Salicylsäure aus Natrium-Phenol und Kohlensäure darzustellen, wobei wir
                              damals nur ganz wenig Salicylsäure gewonnen hatten, wieder aufzunehmen und den
                              Bedingungen nachzugehen, unter denen eben diese Methode erfolgreich sein möchte. Es
                              ist mir nach vielen Versuchen gelungen, diese Bedingungen aufzufinden, und eben
                              diese Methode einerseits so zu vervollkommnen und andererseits so zu vereinfachen,
                              daß man aus Natrium-Phenol und Kohlensäure ohne Schwierigkeit und mit
                              geringem Kostenaufwande die theoretisch berechnete Menge Salicylsäure gewinnt. Zu
                              diesem Zwecke habe ich mir einen kleinen Apparat, eine eiserne Retorte, anfertigen
                              lassen, in welcher ich aus jenem Material binnen 12 Stunden mit Leichtigkeit, und
                              ohne daß der Verlauf des Processes vieler Aufmerksamkeit bedarf, 4–5 Kilogrm.
                              Salicylsäure bereite.
                           Ich war bis vor Kurzem der Meinung, daß Natrium-Phenol bei der Temperatur des
                              Wasserbades durch Kohlensäure nicht in salicylsaures Salz übergeführt werde, denn
                              ein früherer Versuch hatte mich gelehrt, daß hierbei die größte Menge des Phenols
                              als Natrium-Phenol zurückbleibt, ein Theil Phenol jedoch abdestillirt. Diese
                              letzte Beobachtung hat mich nachträglich deshalb befremdet, weil nicht recht
                              einzusehen ist, woher bei Einwirkung von trockener Kohlensäure auf ganz entwässertes
                              Natrium-Phenol das eine Wasserstoffatom entnommen wird, welches das freie
                              Phenol mehr enthält als das Natrium-Phenol. Ich veranlaßte deshalb einen
                              meiner Schüler, Hrn. Bernhard Mohr aus Bonn, diese Verhältnisse genauer zu
                              studiren. Derselbe hat folgende Beobachtungen gemacht.
                           Nachdem er 150 Grm. entwässertes Natrium-Phenol, erhalten durch Auflösen von
                              Phenol in der äquivalenten Menge Natronlauge und Eindampfen zur völligen Trockene,
                              in einer kleinen mit Vorlage versehenen Retorte unter fortwährendem Einleiten
                              trockener Kohlensäure im Wasserbade, worin das Wasser fortwährend im Sieden erhalten
                              wurdeIm Innern der Retorte, da wo die Kohlensäure in das Natrium-Phenol
                                    eintrat, zeigte das eingesenkte Thermometer nur 85°., 24 Stunden lang erhitzt hatte, waren in die Vorlage ungefähr 10 Grm. Phenol
                              übergegangen. Der bräunlich gefärbte Retorteninhalt löste sich hernach leicht in
                              Wasser auf; die erhaltene wässerige Lösung schied beim Uebersättigen mit Salzsäure
                              viel Phenol aus unter beträchtlicher Entbindung von Kohlensäure. Nachdem das Phenol
                              aus der mit viel Wasser versetzten Flüssigkeit durch anhaltendes Kochen
                              ausgetrieben, und diese noch heiß durch Filtration von ausgesonderter harziger
                              Substanz getrennt war, krystallisirte beim Erkalten des Filtrates eine reichliche
                              Menge wenig gefärbter Salicylsäure aus.
                           Die Reaction, wodurch Salicylsäure entsteht, beginnt demnach schon unter 100°;
                              sie vollzieht sich am raschesten und vollständigsten bei circa 170–180°. Die Kohlensäure wird bei dieser Temperatur
                              von dem dieselbe gut ertragenden Natrium-Phenol so vollständig absorbirt, daß
                              bei nicht zu raschem Gasstrom Nichts davon aus dem Retortenhalse austritt.
                           Das Verfahren zur Darstellung von Salicylsäure, bei welchem ich zuletzt stehen
                              geblieben bin, und wonach ich mir von dieser Säure zu meinen Untersuchungen schon
                              einen halben Centner selbst bereitet habe, ist folgendes.
                           Man löst in der käuflichen, starken, rohen Natronlauge von ermitteltem Natrongehalt
                              so viel krystallisirtes, zuvor geschmolzenes Phenol auf, daß das Natron und Phenol
                              sich gerade absättigen, dampft dann die Lösung in einem flachen eisernen Gefäß ein
                              und erhitzt die resultirende, zuerst zähe teigige Masse bei gelindem Feuer unter
                              beständigem Durchkrücken derselben, zuletzt unter Zerreiben mit einem schweren
                              Pistill bis zur staubigen Trockene. Dieses trockene Product ist
                              Natrium-Phenol. Dasselbe hat stets eine röthlich gelbe Farbe, wohl Folge
                              partieller Veränderung während des Eindampfens durch den Sauerstoff der Luft, es ist
                              sehr hygroskopisch und muß, da ein feuchtes Natrium-Phenol schlechte Ausbeute
                              an Salicylsäure gibt, noch heiß in verschließbare Gefäße gebracht und darin bis zur
                              Verwendung, vor feuchter Luft geschützt, aufbewahrt werden. Nimmt man beim
                              Vermischen von Phenol und Natronlauge von dem einen oder anderen mehr als gleiche Molecüle, so
                              hat das Natrium-Phenol nicht nur ein verschiedenes Ansehen (bei Anwendung von
                              überschüssigem Phenol wird es dunkelbraun), sondern liefert auch viel weniger
                              Salicylsäure. Das so bereitete trockene Natrium-Phenol wird, wenn es sich um
                              Darstellung größerer Mengen handelt, am besten in einer metallenen Retorte mittels
                              Oel-, Metall- oder Luftbad langsam erhitzt. Man beginnt mit dem
                              Einleiten der trockenen Kohlensäure in nicht zu raschem Gasstrom, wenn die
                              Temperatur im Inneren des Retorteninhaltes ungefähr 100° erreicht hat. Man
                              läßt die Temperatur langsam höher gehen, bis sie im Verlauf mehrerer Stunden gegen
                              180° erreicht hat. Erst nach längerem Einleiten der Kohlensäure fängt Phenol
                              an abzudestilliren, später in reichlicher Menge. Zuletzt steigert man die Temperatur
                              auf 220°–250°. Die Operation ist beendet, wenn bei dieser
                              Temperatur unter fortwährendem Einleiten von Kohlensäure kein Phenol übergeht.
                           Sehr interessant, und ganz anders, als ich erwartete, ist der Verlauf dieses
                              Processes der Salicylsäurebildung. Ich hatte anfänglich vermuthet, es würde ein
                              Molecül Kohlensäure sich in ein Molecül Natrium-Phenol einschieben, und es
                              würde aus diesen beiden Molecülen geradeauf ein Molecül salicylsaures Natron
                              entstehen, im Sinne folgender Gleichung:
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 214, S. 135
                              Natrium-Phenol; Salicyls.
                                 Natron
                              
                           Allein der Proceß verläuft anders, worauf schon die Wahrnehmung hinweist, welche ich
                              mir anfangs nicht erklären konnte, daß bei der Einwirkung von Kohlensäure auf
                              hinreichend stark erhitztes Natrium-Phenol eine reichliche Menge eines
                              schnell krystallisirenden Phenols, und, wovon ich mich später überzeugte, genau die
                              Hälfte des zur Bereitung von Natrium-Phenol verbrauchten Phenols
                              abdestillirt. Der nach beendeter Reaction – d.h. wenn von dem unter
                              fortwährendem Einleiten von Kohlensäure schließlich auf 250° erhitzten
                              Retorteninhalt kein Phenol mehr abdestillirt – bleibende Rückstand ist bei
                              gut geleiteter Operation von graulich weißer Farbe; er besteht aus
                              natriumsalicylsaurem Natron, dem sogen. basisch salicylsaurem Natron.
                           Jener Proceß verläuft im Sinne folgender Gleichung:
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 214, S. 135
                              2 Mol. Natrium-Phenol;
                                 Natriumsalicyls. Natron; Phenol
                              
                           In zwei Molecülen Natrium-Phenol findet also unter Einwirkung der Kohlensäure
                              ein Austausch von Wasserstoff und Natrium in der Weise statt, daß einerseits
                              Phenol, andererseits Dinatrium-Phenol resultirt, welches letztere dann mit
                              Kohlensäure sofort zu natriumsalicylsaurem Natron sich verbindet.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 214, S. 136
                              2 Mol. Natrium-Phenol;
                                 Phenol; Dinatrium-Phenol; Natriumsalicyls. Natron
                              
                           Bei dem Einleiten von Kohlensäure in das erhitzte Natrium-Phenol tritt stets
                              eine Temperatur-Erhöhung ein.
                           Das gebildete natriumsalicylsaure Natron ist im auffallenden Gegensatz zu dem viel
                              leichter zersetzbaren neutralen salicylsauren Salz so beständig, daß es eine
                              Temperatur von 300° verträgt, ohne sich zu zerlegen. Dasselbe ist in Wasser
                              mit dunkelbrauner Farbe sehr leicht löslich. Auf Zusatz von Salzsäure zu dieser
                              Lösung gesteht das Ganze zu einem dicken Brei von ausgeschiedener Salicylsäure.
                              Derselben sind bei richtig geleiteter Operation nur Spuren von Phenol beigemischt.
                              Das dicke Magma wird auf einen leinenen Spitzbeutel gebracht und zuletzt durch
                              Pressen daraus die Mutterlauge möglichst entfernt. Durch Umkrystallisiren oder durch
                              andere Reinigungsmethoden erhält man die Salicylsäure fast rein, doch behält sie
                              immer einen Stich ins Gelbliche. Wenn es sich darum handelt, dieselbe schneeweiß und
                              absolut rein zu bekommen, so ist der beste Weg der, daß man sie nach den bekannten
                              Methoden mit Methylalkohol oder Aethylalkohol ätherificirt, die reinen Aether durch
                              Kochen mit Natronlauge zerlegt, und das Natronsalz mit Salzsäure fällt. Es ist kaum
                              nöthig, die gefällte schneeweiße Salicylsäure, wenn sie mit Wasser gut ausgewaschen
                              ist, nochmals umzukrystallisiren, um sie vollends zu reinigen.