| Titel: | Ueber die chemische Constitution des Bleichkalkes; von W. Wolters. | 
| Fundstelle: | Band 214, Jahrgang 1874, Nr. XXXIV., S. 140 | 
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                        XXXIV.
                        Ueber die chemische Constitution des
                           Bleichkalkes; von W.
                              Wolters.Nach der vom Verfasser gefälligst eingesendeten Inaugural-Dissertation.
                                 Leipzig 1874.D. Red.
                           
                        Wolters, über die chemische Constitution des
                           Bleichkalkes.
                        
                     
                        
                           Bekanntlich bildet die unterchlorige Säure mit Quecksilber Oxychlorid, Chlor dagegen
                              Quecksilberchlorür. Sind nur geringe Mengen unterchloriger Säure neben viel Chlor
                              vorhanden, so daß man das Oxychlorid nicht mehr leicht durch die Farbe des Productes
                              erkennen kann, so setzt man nach dem Schütteln mit Quecksilber Salzsäure zu,
                              filtrirt und prüft das Filtrat mit Zinnchlorür auf Quecksilber, durch welches die
                              unterchlorige Säure angezeigt wird. (Dies Journal, 1873 Bd. CCX S. 362.)
                           Die quantitativen Bestimmungen wurden in folgender Weise ausgeführt:
                           Quecksilberoxyd, sowohl frei wie in Verbindung mit QuecksilberchloridQuesilberchlorid (HgCl₂ oder HgCl) als Oxychlorid, wird
                              durch eine Lösung von Oxalsäure in oxalsaures Quecksilber verwandelt. Die
                              großkrystallinischen Oxychloride gebrauchen zu dieser Umsetzung längere Zeit;
                              schnell und leicht aber geschieht dieselbe mit den, durch Schütteln von Quecksilber
                              und unterchloriger Säure frisch bereiteten Oxychloriden. Die entstehende Verbindung
                              ist in einer concentrirten Lösung der Oxalsäure löslich, in verdünnter dagegen so
                              gut wie unlöslich. Chlorverbindungen des Quecksilbers werden durch Oxalsäure nicht
                              verändert. Um auf Grund dieses Verhaltens in einer Lösung von Chlor und
                              unterchloriger Säure letztere zu bestimmen, schüttelt man das Gemisch mit
                              Quecksilber, setzt nach dem Verschwinden des Geruches Oxalsäurelösung in geringem
                              Ueberschuß zu, läßt einige Minuten unter öfterem Umschütteln stehen, verdünnt mit
                              Wasser und filtrirt. Der ausgewaschene Rückstand wird mit verdünnter Salzsäure
                              behandelt, und in der Lösung die Oxalsäure mit Chamäleonlösung bestimmt. Soll in dem
                              Gemisch auch das Chlor bestimmt werden, so kann man in einer zweiten Portion, nach
                              Zersetzung der unterchlorigen Säure durch Ammoniak, alles Chlor als Chlorsilber
                              fällen und als solches wiegen. Es sind dann von dem gefundenen Chlor für je ein
                              Molecül Oxalsäure zwei Atome Chlor, als ursprünglich zur unterchlorigen Säure
                              gehörig, abzuziehen und erst der Rest als frei vorhandenes Chlor anzusehen.
                           Die meisten Bestimmungen wurden nach folgender Methode ausgeführt. Die Lösung von
                              unterchloriger Säure und Chlor wurde mehrere Minuten mit Quecksilber heftig
                              geschüttelt, dann Salzsäure zugesetzt und ohne weiteres Schütteln filtrirt, im
                              Filtrat das Quecksilber mit Eisenoxydulsalz und Kalilauge als Chlorür gefällt und
                              als solches in üblicher Weise bestimmt. Das nach dem Versetzen mit Salzsäure
                              verbleibende Gemenge von Quecksilber und Quecksilberchlorür wurde mit einer Lösung
                              von Schwefelkalium behandelt, durch welche das Chlorür zersetzt wird, mit
                              Salpetersäure angesäuert, filtrirt, das Chlor mit Silberlösung gefällt und gewogen.
                              Ein Molecül des gefundenen Quecksilberchlorürs entspricht einem Molecül
                              unterchloriger Säure (H.ClO oder HO,ClO) und ein Molecül
                              Chlorsilber einem Atom Chlor.
                           Man hat die Constitution des Chlorkalkes hauptsächlich durch die Producte der
                              Einwirkung von Säuren auf denselben erkennen wollen; jedoch findet man über die
                              Natur dieser Producte so untereinander abweichende Angaben, daß die Frage, welche
                              Körper bei diesen Reactionen entstehen, noch immer als eine offene betrachtet werden
                              muß. Nur allein darin herrscht Uebereinstimmung, daß der Chlorkalk beim
                              Zusammenbringen mit einem Ueberschuß starker Säuren Chlor entwickelt und keine
                              unterchlorige Säure.Vergl. dies Journal, 1874 Bd. CCXI S. 38.D. Red. Oft sind die Zersetzungsproducte des Chlorkalkes nur qualitativ untersucht,
                              obschon hierbei die unterchlorige Säure neben Chlor, besonders neben einer großen
                              Menge desselben, nur schwer zu erkennen ist, wenn nicht deren Reaction auf
                              Quecksilber benützt wird. Verf. hoffte deshalb auf dem quantitativen Wege noch
                              einige Aufklärung zu bekommen und hat zunächst die oft angestellten Versuche
                              wiederholt: Chlorkalklösung mit geringen Mengen starker Säuren versetzt und der
                              Destillation unterworfen.
                           Die angewendete Chlorkalklösung wurde filtrirt, in der klaren Lösung das sogenannte
                              wirksame Chlor durch Titration mit Eisensalz bestimmt und zu abgemessenen Theilen
                              dieser Lösung von stark verdünnten Säuren so viel zugegossen, wie zur Zersetzung des
                              angenommenen unterchlorigsauren Kalkes eben hinreicht. Der in der Lösung vorhandene
                              freie Kalk verhinderte, daß hierbei die Säure im Ueberschuß war. Die Lösungen wurden
                              destillirt, bis ein Viertheil der Flüssigkeit übergegangen war und die Destillate
                              nach der ersten Methode mit Oxalsäure (I) und zwei Proben (II und III) nach der zweiten mit
                              Schwefelkalium u. s. w untersucht. Es wurden so gefunden im Destillat mit
                           
                              
                                 
                                 I.
                                 II.
                                 III.
                                 
                              
                                 Schwefelsäure
                                 0,615
                                 AgCl
                                 0,084
                                 C₂O₃
                                 0,678
                                 HgCl
                                 0,406
                                 AgCl
                                 0,524
                                 HgCl
                                 0,213
                                 AgCl
                                 
                              
                                 Phosphors.
                                 0,703
                                 „
                                 0,126
                                 „
                                 0,876
                                 „
                                 0,365
                                 „
                                 0,623
                                 „
                                 0,209
                                 
                                 
                              
                                 Salpetersäure
                                 0,684
                                 „
                                 0,079
                                 „
                                 0,425
                                 „
                                 0,377
                                 „
                                 0,716
                                 „
                                 0,455
                                 
                                 
                              
                                 Kohlensäure
                                 0,774
                                 „
                                 0,168
                                 „
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 
                              
                           Auf ein Molecül unterchlorige Säure (HClO oder HO,ClO)
                              kommen demnach im Destillat mit
                           
                              
                                 Schwefelsäure
                                 0,83
                                 0,98
                                 und
                                 0,65
                                 Atome
                                 Chlor
                                 
                              
                                 Phosphorsäure
                                 0,39
                                 0,68
                                 „
                                 0,55
                                 „
                                 „
                                 
                              
                                 Salpetersäure
                                 1,17
                                 1,45
                                 „
                                 1,04
                                 „
                                 „
                                 
                              
                                 Kohlensäure
                                 0,15
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 
                              
                           Dieses Verhalten der Chlorkalklösung läßt sich durch die Formeln
                           CaOCl₂ + H₂SO₄ = CaSO₄ + Cl₂ +
                              H₂O
                           (CaOCl + HO,SO₃ = CaO,SO₃ + Cl + HO) und
                           Ca(OCl)₂ + H₂SO₄ = CaSO₄ +
                              Cl₂O + H₂O
                           (CaO,ClO + HO,SO₃ = CaO,SO₃ + ClO + HO)
                           nicht genügend erklären, denn auch bei der Annahme, daß in der
                              Chlorkalklösung CaOCl₂ und Ca(OCl)₂ neben einander gewesen, bleibt
                              doch das Schwanken im Verhältniß der unterchlorigen Säure zum Chlor im Destillat
                              auffällig, da zu den einzelnen Versuchen kleine Mengen aus derselben Chlorkalklösung
                              abgemessen wurden. Es ist deswegen anzunehmen, daß auch noch andere secundäre
                              Processe vor sich gehen. Ein solcher Vorgang, die Einwirkung des Chlors auf
                              schwefelsauren, phosphorsauren u.s.w. Kalk, wird schon in den Lehrbüchern angegeben.
                              Die Umsetzung geschieht hierbei nach den Formeln:
                           2 CaSO₄ + 2 Cl₂ + H₂O =
                              Ca(HSO₄)₂ + CaCl₂ + Cl₂O
                           (2 CaO,SO₃ + 2 Cl + HO = [CaO,SO₃ + HO,SO₃] + CaCl + ClO)
                           und CaCO₃ + 2 Cl₂ = CaCl₂ + CO₂ +
                              Cl₂O
                           (CaO,CO₂ + 2 Cl = CaCl + CO₂ + ClO).
                           Um zu untersuchen, ob diese Vorgänge das Auftreten solcher Mengen unterchloriger
                              Säure, wie sie bei obigen Versuchen gefunden wurde, erklären können, wurde
                              schwefelsaurer, kohlensaurer u.s.w. Kalk mit frisch bereitetem Chlorwasser
                              zusammengebracht und ein Viertheil der Flüssigkeit abdestillirt. Auch hierbei wurde
                              stets ein Gemenge von Chlor und unterchloriger Säure erhalten, worin oft die
                              letztere überwog.
                           Das Destillat mit
                           
                              
                                 phosphorsaurem
                                 Kalk
                                 enthielt
                                 auf
                                 1
                                 Mol.
                                 HClO
                                 0,29
                                 Atome Chlor,
                                 
                              
                                 schwefelsaurem
                                 „
                                 „
                                 „
                                 
                                 „
                                 „
                                 0,40
                                 und 0,34 At. Chlor
                                 
                              
                                 kohlensaurem
                                 „
                                 „
                                 „
                                 
                                 „
                                 „
                                 0,19
                                 Atome Chlor.
                                 
                              
                           Außer dieser sehr erheblichen Wirkung des Chlors auf die genannten Salze kann auch
                              noch die Einwirkung desselben auf CaOCl₂ und Ca(OCl)₂, und die
                              bekannte Wirkung der unterchlorigen Säure auf Ca(OCl)₂ unter Bildung von
                              chlorsaurem Kalk stattfinden, durch welche die Zersetzungsproducte des Bleichkalkes
                              mit Säuren verändert werden können. Die Bildung von chlorsaurem Salz durch
                              unterchlorige Säure ist bei Kalkverbindungen ziemlich langsam, bei den
                              entsprechenden Alkaliverbindungen aber bedeutend schneller, wie bei Versuchen über
                              Bildung von Chlorsäure beobachtet wurde. Bei der Destillation von Bleichalkalilösung
                              mit wenig verdünnter Schwefelsäure wurde dem entsprechend ebenfalls ein Gemenge von
                              Chlor und unterchloriger Säure erhalten.
                           Bekanntlich wird bei Einwirkung von Chlor auf die Hydrate der Alkalien und
                              alkalischen Erden nach der Formel
                           3 KClO = 2 KCl + KClO₃ oder (3 KO,ClO = 2 KCl + KO,ClO₅)
                           durch Zersetzung der unterchlorigsauren Verbindung in der
                              Wärme das chlorsaure Salz erhalten. In concentrirten Lösungen bildet sich jedoch
                              auch schon bei gewöhnlicher Temperatur chlorsaures Salz, wenn Chlor im Ueberschuß
                              vorhanden ist. Das Chlor wird hierbei die Bleichverbindung zersetzen:
                           CaOCl₂ + Cl₂ = CaCl₂ + Cl₂O oder (CaOCl + Cl = CaCl + ClO),
                           der Sauerstoff der unterchlorigen Säure dann den
                              unterchlorigsauren Kalk oxydiren. Bei Beachtung dieser Veränderungen der
                              Zersetzungsproducte des Bleichkalkes ist das Resultat der Destillation mit
                              verdünnten Säuren leicht zu erklären; es wäre auffällig, wenn dabei nur Chlor oder
                              nur unterchlorige Säure erhalten würde.
                           Durch solche Destillationsversuche ist also kein Aufschluß über die Constitution des
                              Chlorkalkes zu erhalten. Es wurde nun zunächst untersucht, ob sich der Chlorkalk
                              durch Erhitzen wieder in Kalk und Chlor zerlegen läßt, und zu diesem Zweck eine
                              Chlorkalklösung ohne Säurezusatz destillirt. In der übergehenden Flüssigkeit war
                              Chlor und ganz wenig chlorige Säure enthalten, durch welche das Destillat grün
                              gefärbt erschien; sie ließ sich durch die Reaction auf Indigo, nach vorhergehender
                              Behandlung der Flüssigkeit mit arseniger Säure, nachweisen. Die Menge des Chlors war
                              um so größer, je concentrirter die Lösung des Bleichkalkes. Zu Anfang der
                              Destillation war die übergehende Flüssigkeit noch fast farblos, gab aber schon
                              starke Reaction mit Silber; allmälig ging jedoch eine Flüssigkeit über, welche wie
                              gesättigtes Chlorwasser gefärbt war. Alle filtrirten, concentrirten Lösungen des
                              Bleichkalkes zeigen diese grüne Farbe, welche wahrscheinlich von freier chloriger
                              Säure herrührt und nicht von freiem Chlor, da die Lösungen nur einen ganz schwachen
                              Geruch zeigen. Die Farbe des Destillates verschwindet am Licht bald, die filtrirte
                              Chlorkalklösung bleibt auch bei längerem Aufbewahren grün.
                           
                           Die rothe Farbe mancher Chlorkalklösungen, welche neuerdings einem Superchlorid des
                              Calciums zugeschrieben wurde, hat Verf. nur beim Erhitzen unfiltrirter
                              Chlorkalklösungen bemerkt; in filtrirten Lösungen wird diese Färbung durch etwas
                              Eisenchlorid hervorgerufen.
                           Die Destillation von Bleichalkalilösungen ohne Zusatz von Säure gab nur Wasser, wenn
                              dieselben einige Zeit mit Ueberschuß von Alkali gestanden hatten; war aber Chlor im
                              Ueberschuß vorhanden, so ging die größte Menge desselben gleich im Anfang der
                              Destillation über; doch war im Uebergehenden noch Chlor nachzuweisen, wenn auch
                              schon fünf Sechstel der Flüssigkeit sich verflüchtigt hatten. – Bei der
                              Destillation von Chlorwasser fand sich noch Chlor im Rückstande, als schon neun
                              Zehntel der Flüssigkeit abdestillirt waren.
                           Dieser Unterschied in dem Verhalten der Lösungen von Chlorkalk und Bleichalkalien
                              veranlaßte den Versuch, ob Kohlensäure auf chemisch reinen Bleichkalk einwirkt. In
                              eine Lösung von Bleichalkalien wurde während der Destillation derselben Kohlensäure
                              eingeleitet. Das Destillat war eine Lösung von unterchloriger Säure und Chlor, aber
                              weit verdünnter, als die von einer gleich starken Bleichkalklösung. Diese
                              Verschiedenartigkeit der Einwirkung der Kohlensäure auf Bleichalkalien und
                              Bleichkalk zeigte sich auch, als durch Lösungen derselben von gleicher Concentration
                              in offenen Gefäßen ein gleich starker Strom von Kohlensäure geleitet wurde. Hierbei
                              entwickelte die Bleichkalklösung einen weit stärkeren Geruch, und darüber gehaltenes
                              angefeuchtetes Lackmuspapier wurde weit schneller gebleicht als bei der Lösung des
                              Bleichalkali. Liegt dieser Unterschied darin, daß der Bleichkalk CaOCl₂ (CaOCl), Bleichalkali aber KaOCl (KO,ClO) ist, so ist nicht unwahrscheinlich, daß die unterchlorige Säure
                              nicht so schwach ist, als man annimmt, und daß sie Kohlensäure austreibt. Es läßt
                              sich dies nicht ganz leicht prüfen, weil man unterchlorige Säure nicht frei von
                              Chlor erhalten kann, und dieses auch Kohlensäure aus den Verbindungen derselben frei
                              macht; eine ziemlich concentrirte Lösung der unterchlorigen Säure, welche durch
                              Destillation einer Flüssigkeit erhalten war, die man durch Schütteln von
                              Quecksilberoxyd, Chlorgas und wenig Wasser bekommt, entwickelte jedoch aus einer
                              Lösung von kohlensaurem Alkali stürmisch Kohlensäure, während eine gesättigte Lösung
                              von Chlor in derselben Flüssigkeit nur ein schwaches Aufperlen erzeugte.
                           Wenn hiernach die unterchlorige Säure Kohlensäure austreibt, so wird sie auch im
                              Stande sein, aus der Bleichverbindung CaOCl₂ Chlor frei zu machen nach der
                              Formel:
                           CaOCl₂ + Cl₂O = Ca(OCl)₂ + Cl₂ oder
                              (CaOCl + ClO = CaO,ClO + Cl).
                           
                           Ließ sich diese Reaction nachweisen, so sprach das für die Existenz der Verbindung
                              CaOCl₂ im Chlorkalk.
                           Wenn man abgemessene Mengen von Lösungen der unterchlorigen Säure und eines
                              Chlorkalkes, welcher durch Chlor gesättigt ist, einzeln mit Quecksilber schüttelt,
                              daneben gleiche Theile der Lösungen erst mischt und erst dann mit Quecksilber
                              schüttelt, und in beiden Theilen sowohl das Quecksilber, welches als Oxyd-,
                              wie jenes, welches als Oxydulverbindung vorhanden ist, bestimmt, so muß sich
                              herausstellen, ob CaOCl₂ oder Ca(OCl)₂ entspr. (CaOCl oder CaO,ClO) in der Lösung des
                              Bleichkalkes ist; denn aus der ersteren Verbindung wird durch unterchlorige Säure
                              Chlor frei gemacht, aus der anderen aber durch dieselbe bei erhöhter Temperatur oder
                              starker Concentration chlorsaurer Kalk gebildet.
                           Vor Ausführung dieser Bestimmungen war der Gehalt beider Lösungen titrimetrisch
                              festgestellt, um weniger unterchlorige Säure zu nehmen, als zur Zersetzung der
                              Verbindung CaOCl₂ (CaOCl) hinreicht, und um die
                              Bildung von chlorsaurem Kalk zu vermeiden. 30 Kub. Centim. der unterchlorigen Säure
                              und 15 K. C. einer mit Chlor gesättigten Chlorkalklösung wurden einzeln mit
                              Quecksilber geschüttelt und dann vereinigt. Eine zweite Probe dieser Flüssigkeiten
                              wurde erst zusammengegossen und dann mit Quecksilber geschüttelt. Der erste Versuch
                              gab 0,255 Grm. HgCl (Hg₂Cl) und 0,386 Grm. AgCl, entsprechend 0,0955 Grm. Chlor und 0,0568 Grm.
                              unterchloriger Säure; der zweite Versuch 0,178 Grm. HgCl und 0,476 Grm. AgCl,
                              entsprechend 0,1178 Grm. Chlor und 0,0396 Grm. HClO (HO,ClO).
                           Da ein Molecül unterchlorige Säure bei der Einwirkung auf zwei Atome Quecksilber ein
                              Molecül Oxyd und ein Molecül Chlorid bildet, ein Molecül der Verbindung
                              CaOCl₂ ein Atom Quecksilber in Oxyd überführt, unterchlorige Säure und die
                              Bleichverbindung des Chlorkalkes sich aber nach der Formel
                           CaOCl₂ + Cl₂O = Ca(OCl)₂ + Cl₂ oder
                              (CaOCl + ClO = CaO,ClO + Cl)
                           zersetzen und durch ein Molecül unterchlorigsauren Kalk zwei
                              Atome Quecksilber zu Oxyd werden, so muß sich die Differenz zwischen den Gewichten
                              der erhaltenen Mengen Quecksilberchlorür zu der Differenz der Chlorsilbermengen wie
                              das Moleculargewicht des Quecksilberchlorürs zu dem doppelten Moleculargewichte des
                              Chlorsilbers oder wie 235,5 zu 287 verhalten.
                           Der Unterschied in dem Gewichte der beiden Theile QuecksilberchlorürQuesicklberchlorür war 0,077 Grm., der in dem Gewichte des Chlorsilbers 0,090 Grm., oder wie
                              235,5 zu 272,8, was mit den zum Nachweis der Verbindung CaOCl₂ erforderlichen
                              Differenzen wohl genügend übereinstimmt. Die Menge der in den Lösungen vorhandenen Chlorsäure war ganz
                              unbedeutend. Eine Bildung der Chlorsäure hätte sich auch durch die
                              Gewichtsdifferenzen der bestimmten Bestandtheile finden müssen, da für die
                              Chlorsäure bildenden Körper nur Chlor entstand und keine das Quecksilber zu
                              Oxydverbindung machende Bestandtheile.
                           Diese Wirkung der unterchlorigen Säure auf Chlorkalk, unter Bildung von
                              unterchlorigsaurem Kalk und Chlor, beweist daß im Chlorkalk und auch in der
                              Chlorkalklösung die Verbindung CaOCl₂ (CaOCl)
                              sich befindet. Es blieb aber noch die Frage offen, ob nicht in der wässerigen Lösung
                              die Verbindung CaOCl₂ allmälig in Chlorcalcium und unterchlorigsauren Kalk
                              zerfällt; wenn dies der Fall, wie schnell diese Veränderung stattfindet, und ob
                              fremde Körper diese Veränderung der Bleichkalklösung beeinflussen?
                           Zur Beantwortung dieser Fragen wurden je 100 Kub. Centim. einer Bleichkalklösung,
                              welche im Liter 20,5 Grm. Calcium, 26,6 Grm. wirksames Chlor (mit Eisensalz
                              bestimmt) und 32,4 Grm. Gesammt-Chlor enthielt, in folgender Weise behandelt.
                              In die erste Probe wurde Kohlensäure eingeleitet, so lange noch eine Wirkung
                              derselben zu beobachten war, was durch Filtration eines Theiles der Flüssigkeit und
                              Prüfung des Filtrates mit Kohlensäure ausgeführt wurde. Die zweite Probe wurde nur
                              kurze Zeit mit Kohlensäure behandelt, drei Stunden lang unter öfterem Umschütteln
                              stehen gelassen und erst dann mit Kohlensäure gesättigt. Eine dritte Probe wurde mit
                              etwas schwefelsaurem Natron versetzt, und dann wie bei dem ersten Versuche
                              Kohlensäure eingeleitet. Eine vierte Probe der Lösung wurde mit etwas Gyps versetzt
                              und 8 Stunden unter öfterem Schütteln stehen gelassen; dann wurde filtrirt, und das
                              Filtrat bis zur Beendigung der Wirkung mit Kohlensäure behandelt. Der bei diesen
                              Versuchen gebildete kohlensaure Kalk wurde abfiltrirt, das Filtrat erhitzt, wodurch
                              sich noch etwas durch die überschüssige Kohlensäure in Lösung erhaltener
                              kohlensaurer Kalk abschied, und die Gesammtmenge desselben bestimmt. Es gab hierbei
                              der
                           
                              
                                 1.
                                 Versuch
                                 1,480
                                 und
                                 1,510
                                 Grm.
                                 CaCO₃
                                 (CaO,CO₂)
                                 
                              
                                 2.
                                 „
                                 1,010
                                 „
                                 1,165
                                 „
                                 „
                                 „
                                 
                              
                                 3.
                                 „
                                 0,982
                                 „
                                 1,045
                                 „
                                 „
                                 „
                                 
                              
                                 4.
                                 „
                                 0,653
                                 „
                                 0,614
                                 „
                                 „
                                 „
                                 
                              
                           Bei diesem Versuche mit Gyps wurde also nur wenig mehr kohlensaurer Kalk gefunden,
                              als der anfangs vorhandenen Menge Aetzkalk entsprach.
                           Eine frisch bereitete, filtrirte Chlorkalklösung wurde mit Chlorwasser im geringen
                              Ueberschuß versetzt. Ein Theil der Lösung wurde kurze Zeit mit Kohlensäure behandelt, und
                              dann die Hälfte dieser Flüssigkeit abfiltrirt. Dieses Filtrat gab beim Einleiten von
                              Kohlensäure aufs neue eine Fällung von kohlensaurem Kalk. Die andere Hälfte wurde
                              nach mehreren Stunden filtrirt, und nun konnte man durch Kohlensäure in dieser
                              Flüssigkeit keinen Niederschlag mehr hervorbringen. Von zwei anderen Proben
                              derselben Chlorkalklösung wurde die eine mit kohlensaurem Kalk, die andere mit Gyps
                              versetzt; nach acht Stunden gaben deren Filtrate mit Kohlensäure keinen
                              Niederschlag.
                           Eine mit Chlor übersättigte Chlorkalklösung wurde in drei gleiche Theile getrennt. In
                              dem ersten Theile wurde sofort nach der Herstellung der Lösung durch Kohlensäure
                              kohlensaurer Kalk gefällt, und aus diesem im Scheibler'schen Apparate die Kohlensäure entwickelt. Der zweite Theil der
                              Lösung wurde erst nach 24 Stunden in gleicher Weise behandelt. Der dritte Theil
                              wurde mit Gyps versetzt, 24 Stunden stehen gelassen, filtrirt und nun Kohlensäure
                              eingeleitet. Der erste Versuch gab 68 Kub. Centim., der zweite Versuch 51 K. C.
                              Kohlensäure und beim dritten Versuch war gar kein kohlensaurer Kalk gebildet.
                           Eine gleiche Wirkung wie hier durch Gyps wurde in mit Chlor gesättigten
                              Chlorkalklösungen durch schwefelsaures und phosphorsaures Natron beobachtet.
                           Um zu prüfen, ob das Chlor eine erhebliche Wirkung hat, wurden gleiche Proben einer
                              filtrirten, frisch bereiteten Chlorkalklösung mit gleichen Mengen von kohlensaurem
                              Kalk versetzt, und zu der einen Probe noch Chlorwasser bis zur Uebersättigung des
                              Aetzkalkes; nach 24 Stunden erhielt auch die andere Portion ebensoviel Chlor als
                              Chlorwasser zugesetzt, dann wurde filtrirt. Das Filtrat der zweiten Probe gab beim
                              Einleiten von Kohlensäure kohlensauren Kalk, das der ersteren nicht. Eine erhebliche
                              Zunahme der Chlorsäure wurde bei diesen Versuchen nicht beobachtet. Eine
                              Chlorkalklösung wird demnach beim Aufbewahren verändert, und es entsteht darin aus
                              einer durch Kohlensäure leicht angreifbaren Verbindung eine durch Kohlensäure nicht
                              oder nur schwer angreifbare Verbindung. Diese Veränderung wird erheblich befördert
                              durch Gegenwart von schwefelsaurem, phosphorsaurem u.s.w. Kalk und durch freies
                              Chlor.
                           Die durch Kohlensäure leicht angreifbare Verbindung kann nur CaOCl₂ (CaO,ClO) sein. Ob dieser die Structurformel
                           
                              
                                 Ca
                                 
                                    
                                    
                                 – OCl– Cl
                                 oder
                                 Ca
                                 
                                    
                                    
                                 – Cl= O– Cl
                                 
                              
                           zukommt, läßt Verf. unentschieden, nimmt aber an, daß in der
                              veränderten Chlorkalklösung sich unterchlorigsaures Calcium befindet. (Vergl. die Berichte der
                              deutschen chemischen Gesellschaft, 1874 S. 270.)
                           Bei Einwirkung von Kohlensäure, Schwefelsäure, Phosphorsäure u.s.w. auf Chlorkalk
                              wird die bleichende Verbindung CaOCl₂ schließlich in Ca(OCl)₂
                              übergeführt.
                           In Betreff des Aetzkalkes im Bleichkalk bekennt sich Verf. zur der
                              Einhüllungstheorie, nur mit der Modification, daß es nicht das Chlorcalcium allein
                              ist, welches einhüllt, sondern daß auch die entstehende Bleichverbindung
                              CaOCl₂ solche Einhüllung zu Wege bringt und den Aetzkalk schützt. (Vergl.
                              dies Journal, 1873 Bd. CCIX S. 204.)
                           Versuche, welche im technischen Laboratorium des Carolinum
                              zu Braunschweig ausgeführt werden, bezwecken die Beantwortung der Frage, ob und
                              unter welchen Verhältnissen pulverförmige Körper durch Gase gesättigt werden können,
                              wenn deren Neigung, chemische Verbindungen zu bilden, bedeutend ist. Diese Versuche
                              haben bereits das Resultat ergeben, daß in den Fällen, wo das Volum der entstehenden
                              Verbindungen kleiner ist als das Volum des ursprünglich vorhandenen Körpers, eine
                              solche Sättigung verhältnißmäßig leicht sich erreichen läßt, obwohl gegen Ende der
                              Reaction der Vorgang auch bei solchen Körpern ein äußerst langsamer wird. Ist die
                              gebildete Verbindung voluminöser als die Substanz, so preßt sie sich auf ihrer
                              Oberfläche zusammen und hüllt die inneren Theile ein, wodurch sie vor weiterem
                              Angriff geschützt sind und umgekehrt.
                           Auch bei dem Kalkhydrat findet durch Verbindung mit dem Chlor eine Vergrößerung des
                              Molecularvolumens statt, und ist deswegen anzunehmen, daß in der dadurch
                              hervorgebrachten Einhüllung des Kalkhydrates, der Grund für die Existenz desselben
                              im Chlorkalk gefunden werden muß.