| Titel: | Ueber schnelles Beladen und Entladen von Güterzügen mittels rollbarer Kästen (Coupés) von Güterperrons aus; von Ernst Sasse. | 
| Autor: | Ernst Sasse | 
| Fundstelle: | Band 216, Jahrgang 1875, Nr. , S. 21 | 
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                        Ueber schnelles Beladen und Entladen von
                           								Güterzügen mittels rollbarer Kästen (Coupés) von Güterperrons aus; von Ernst Sasse.
                        Mit Abbildungen auf Taf.
                              									I [c/3].
                        Sasse, über schnelles Beladen und Entladen von
                           								Güterzügen.
                        
                     
                        
                           Wenn man auf großen Stationen den Park zahlreicher Güterwagen mustert, von denen
                              									einer meist den anderen hindert, wenn man die Zeit  vergleicht, während welcher ein
                              									Güterwagen wirklich nutzbringend rollt, mit der Zeit, während welcher derselbe auf
                              									Anfangs-, Zwischen- und Endstationen unbeladen oder beladen, oder beim
                              									Auf- und Abladen selbst, still steht oder rangirt wird, so vermag man nicht
                              									an den so viel berufenen Wagenmangel zu glauben, welcher gewöhnlich als
                              									Entschuldigungsgrund der langsamen Güterbeförderung dienen muß; man kann sich
                              									vielmehr der Ueberzeugung nicht verschließen, daß das jetzige Befrachtungs-
                              									und Betriebssystem die Güterwagen nicht gehörig ausnützt, und daß die schwerfällige
                              									Art des Beladens, Rangirens und Entladens der Güterwagen einer vollständigen
                              									Umgestaltung dringend bedarf.
                           Die Unbeholfenheit des Güterverkehres rührt offenbar daher, daß die Wagenkästen,
                              									welche die Güter aufnehmen, fest mit den eigentlichen Wagengestellen oder den Achsen
                              									zusammenhängen. Die werthvollsten Theile des Güterwagens, die Achsen, müssen darum
                              									stets so lange nutzlos still stehen, als der einfache und billige Wagenkasten
                              									beladen oder entladen wird. Da die Achsen somit an das Schicksal des Kastens
                              									gebunden sind, so müssen die Wagen in umgekehrter Reihenfolge der Bestimmungsorte
                              									der Fracht rangirt werden und auf jeder Station, wo neue Wagen hinzutreten, wieder
                              									umgestellt und immer wieder von Neuem rangirt werden bei jeder Bahnabzweigung und
                              									jedem Bahnwechsel, wo neue Gruppirung und Ordnung der Wagen nothwendig wird. Darum
                              									bilden auch die Bahnhofs- und Rangirgleise durchschnittlich ein Fünftel bis
                              									ein Viertel, bei einzelnen Bahnen einen noch viel größeren Bruchtheil aller
                              									bestehenden Gleise; ferner dient ein bedeutender Theil der Locomotiven und des
                              									Personals ausschließlich den Zwecken der Rangirmanöver, und endlich legen die Wagen
                              									in der That beim Rangiren auf den Bahnhöfen größere Strecken zurück, werden mehr
                              									aneinander gestoßen und beschädigt und verursachen mehr Unglücksfälle als auf freier
                              									Bahn.
                           Nicht minder ungünstig ist das Schicksal der kleineren Sendungen, welche keine volle
                              									Wagenladung bilden, weil es nur große ganze und keine kleineren Wagenkästen
                              									(gleichsam Gütercoupés) gibt. Ganz unzureichend ist
                              									endlich auch die Vermittelung zwischen den Eisenbahn- und Straßenwagen.
                              									Während jetzt jede zu verladende Last mehrmals gehoben werden muß und eine
                              									entsprechende Kraft fordert, so würde nur ein kleiner Theil dieser Kraft aufzuwenden
                              									sein, wenn dieselbe Last gerollt werden könnte. Wenn ferner die Frachten auf die
                              									Güterwagen von einem mit deren Platformen gleich hoch liegenden Güterperron und
                              									umgekehrt von den Wagen wieder auf einen Perron gerollt werden könnten, so wäre es
                              									offenbar vollständig gleichgiltig, ob eine nach einer nahen oder fernen Station
                              									bestimmte Fracht sich am Anfang, am Ende  oder in der Mitte des Zuges befände; d. h. das Rangiren
                              									der Züge wäre überflüssig.
                           Die zu lösende Aufgabe ist somit einfach und klar vorgezeichnet. Wir müssen den
                              									Güterwagen nicht mehr feste Kästen geben, sondern rollbare, und nicht blos große
                              									Kästen, welche je ein ganzes Wagengestell befrachten, sondern namentlich zahlreiche
                              									kleine Kästen, Gütercoupés, von denen der Zeichnung in Figur 26 und 27 gemäß
                              									mehrere auf einer Wagenplatform Platz finden. Anstatt ferner die Bahnhöfe mit
                              									zahlreichen Rangirgleisen in die Breite zu entwickeln, müssen wir an den
                              									durchgehenden Hauptgleisen ähnlich dem Personenperron einen langgestreckten
                              									Güterperron anordnen, welcher mit der Wagenplatform gleich hoch liegt. Die Breite
                              									der Güterperrons muß mindestens die vierfache Kastenbreite um etwas übertreffen,
                              									damit die Abfertigung der Eisenbahnwagen an einer Seite und der Straßenwagen an der
                              									anderen Seite in der Mitte noch so viel Platz läßt, daß zwei Kästen an einander
                              									vorbeigerollt werden können. Während jetzt die Vorrichtungen zum Verladen von Vieh
                              									und Fahrzeugen nur ungenügend sind, so würden Güterperrons von solchen Dimensionen
                              									den Aufmarsch und das schnellste Ein- und Ausladen ganzer Batterien und
                              									Escadrons gestatten. Das auf den Hauptbahnhöfen und den Zügen selbst schon jetzt
                              									verfügbare Personal würde die Gütercoupés von den größten Zügen in ein paar Minuten
                              									abrollen oder umgekehrt auf dieselbe aufrollen. Das Ab- und Aufrollen einiger
                              									Kästen auf kleineren Stationen würde noch nicht eine Minute beanspruchen.
                           Die Ränder der Wagenplatformen erhalten kleine Klappen, welche während des Beladens
                              									und Entladens in einen Falz der Perronkante greifen und zur Fahrt wieder
                              									aufgerichtet werden.
                           Auch die An- und Abfuhr der Güter zum und vom Bahnhof müßte diesem System
                              									angepaßt und einheitlich organisirt werden. Die Platformen der Straßenwagen sind mit
                              									dem Güterperron ebenfalls gleich hoch anzuordnen, so daß die Kästen ohne Umladung
                              									der Güter von den Straßenwagen auf den Perron und an der anderen Seite auf die
                              									Eisenbahnwagen und umgekehrt übergehen, daß also Absendern, welche ganze
                              									Kastenladungen nach demselben Orte aufgeben wollen, die leeren Coupés zur Verfügung
                              									gestellt und Empfängern ganzer Kastenladungen die gefüllten Coupés übersendet
                              									werden, ohne daß wie jetzt ein mehrmaliges Umpacken und Heben der Lasten
                              									erforderlich ist. Güter, welche ein häufiges Umladen nicht gut vertragen und deshalb
                              									namentlich auf kürzere Strecken lieber den Straßenwagen anvertraut werden, würden
                              									ebenfalls den Eisenbahnen zufallen.
                           
                           Ganz in derselben Weise würden rollbare Gütercoupés von Vollbahnen ans schmalspurige
                              									Zweigbahnen übergehen und umgekehrt.
                           Wenn die entwickelten Einrichtungen getroffen würden, wenn namentlich die einfachen
                              									billigen Kästen, und zwar der Natur der Frachtstücke entsprechend, größere und
                              									kleinere, offene und bedeckte, rollbare Platten oder Tafeln u. s. w. in
                              									hinreichender Zahl beschafft würden, so müßte sich herausstellen, daß an den
                              									eigentlich werthvollen Wagengestellen nicht der angebliche Mangel stattfindet,
                              									sondern daß die Bahnen mindestens drei- bis viermal so viel Achsen besitzen,
                              									als sie dann wirklich brauchen würden. Wenn ferner der durchgehende Güterverkehr
                              									besonderen Schnellzügen, welche nur auf Hauptstationen halten, und der Güterverkehr
                              									der kleineren Zwischenstationen besonderen Localzügen zugewiesen würde, und wenn
                              									sich dadurch für beide Züge die den Haltpunkten entsprechende Zahl von Kastengruppen
                              									verringerte und das Sortiren der Stückgüter vereinfachte, so würden die Güterzüge in
                              									jeder Hinsicht die Präcision der Personenzüge erreichen.
                           Es handelt sich hier um eine neue Anwendung des Princips der Arbeitstheilung. Man theile den Wagen in zwei beliebig von einander
                              									lösbare Theile, in das Wagengestell und den Wagenkasten; man theile auch den für
                              									viele Fälle zu schwerfälligen Wagenkasten in mehrere Coupés; man trenne, wenn man
                              									will, die Spedition von dem eigentlichen Transport, indem man Spediteuren die
                              									Beschaffung und Befrachtung der rollbaren Kästen überläßt und das Geschäft und den
                              									Tarif der Bahnen dadurch wesentlich vereinfacht. Die Annahme dieses Systemes
                              									rollbarer Wagenkästen würde nothwendig die Annahme des Collo- oder
                              									Wagenraum-Tarifes herbeiführen. Alle schwerfälligen Formen und Operationen,
                              									das Verwiegen, Classificiren und Aufspeichern der Frachtstücke in Güterschuppen u.
                              									s. w. müssen fortfallen. Für einen Kasten, welcher ein paar Minuten vor Abgang des
                              									Güterzuges auf den Güterperron gerollt wird, muß mit derselben Leichtigkeit und
                              									Schnelligkeit ein Kastenbillet zu lösen sein wie ein
                              									Personenbillet.
                           Die Kosten der allgemeinen Einrichtung dieses Betriebssystemes würden überreichlich
                              									gedeckt werden durch die verfügbar werdenden vielen Rangirgleise und Achsen und
                              									durch die Ersparnisse an den Rangirbewegungen.
                           Wenn auch die vorgeschlagene Umgestaltung der Güterbeförderung so einfach ist, daß
                              									jeder Bau- und Betriebsbeamte die Einzelnheiten der Einrichtung und deren
                              									Handhabung auf den ersten Blick durchschauen wird, so dürfen wir die
                              									außerordentlichen Schwierigkeiten nicht unterschätzen, welche der allgemeinen
                              									Einführung entgegenstehen und namentlich  darin beruhen, daß das ganze System nur dann Werth hat,
                              									wenn es von einem großen Eisenbahnverbande gleichzeitig angenommen wird. Die
                              									Uebelstände des jetzigen Güterverkehrs auf den Eisenbahnen sind indeß zu
                              									schwerwiegend, als daß nicht das allgemeine Interesse eine Abhilfe dringend gebieten
                              									würde. Man muß zunächst darüber klar werden, was man auf diesem Gebiete will, und
                              									was man kann und muß: Das Princip der Schienenwege, das Rollen
                                 										von Lasten auf möglichst wagerechter und glatter Bahn, muß auch auf die
                                 										Befrachtung selbst angewendet werden.
                           
                        
                     
                  
               Tafeln
