| Titel: | Ueber die Constitution des Glases; von Dr. O. Schott. | 
| Autor: | O. Schott | 
| Fundstelle: | Band 216, Jahrgang 1875, Nr. , S. 346 | 
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                        Ueber die Constitution des Glases; von Dr.
                           									O. Schott.
                        Schott, über die Constitution des Glases.
                        
                     
                        
                           Es ist von Knapp nachgewiesen worden, daß sowohl die
                              									kohlensauren als auch die schwefelsauren Salze der Alkalien je mit den gleichnamigen
                              									Salzen des Calciums zu einer homogenen Flüssigkeit verschmelzen und beim Erkalten
                              									krystallinisch neben einander erstarren. Man kann demnach von einer Lösung der
                              									unschmelzbaren Calciumsalze in den gleichnamigen leichter schmelzbaren Alkalisalzen
                              									sprechen.
                           Auch die kieselsauren Salze der beiden genannten Metalle verschmelzen zu homogenen
                              									Flüssigkeiten und erstarren neben einander; allein während von den vorhergenannten
                              									Salzen jedes für sich krystallinisch ist, haben wir hier ein amorphes Salz, das
                              									kieselsaure Alkali, welches auf das kieselsaure Calcium einen wesentlichen Einfluß
                              									ausübt.
                           Wenn es vorher richtig war, von einer Lösung der Kalkverbindungen in den Alkalisalzen
                              									im geschmolzenen Zustande zu reden, so muß mit einer Veränderung der Temperatur auch
                              									die Löslichkeit des Calciumsalzes zu- oder abnehmen. Denken wir uns den Fall,
                              									daß Natriumsilicat bei hoher Temperater Calciumsilicat bis zur Sättigung gelöst
                              									habe, so wird wahrscheinlich auch mit dem Sinken der Temperatur eine Ausscheidung
                              									des Calciumsilicates stattfinden. Dieser Schluß wird durch die Erfahrung vollkommen
                              									bestätigt, da bei der Tafelglasfabrikation sich Krystalle von kieselsaurem Calcium
                              									ausscheiden, wenn die Temperatur des Glases während der Verarbeitung zu tief sinkt
                              										(„rauhes Glas“).  Nimmt man z. B. aus einer geschmolzenen, vielleicht bei
                              									900° mit Calciumsilicat gesättigten Glasflüssigkeit, eine Probe und läßt sie
                              									schnell erkalten, so erstarrt dieselbe amorph; ließe man dagegen die Temperatur
                              									vielleicht auf 800° sinken und erhielte dieselbe einige Zeit, so würde man
                              									finden, daß sich dann in einer herausgenommenen Probe Ausscheidungen von Krystallen
                              									zeigen, deren Mengen den Sättigungscapacitäten des Natriumsilicates bei 800°
                              									und 900° entsprechen.
                           Neben der bisher besprochenen Eigenschaft des Natriumsilicates ist noch eine andere
                              									von großer Wichtigkeit. Erhitzt man ein ziemlich saures, schon vorher geschmolzenes
                              									Natriumsilicat, so zeigen sich bei 450° bis 550° die ersten schwachen
                              									Anfänge der Schmelzung. Durch weiteres Erhitzen schreitet die Schmelzung durch alle
                              									Stadien der Erweichung fort, bis vielleicht bei einer Temperatur von 1000 bis
                              									1200° der flüssige Zustand erreicht ist. Zwischen dem Erweichen und dem
                              									flüssigen Zustande des Glases liegt daher ein Temperaturintervall von etwa
                              									500°, in welchem das Glas sich durch Zähflüssigkeit auszeichnet.
                           Erstarrt nun eine Lösung von kieselsaurem Calcium in kieselsaurem Natrium
                              									einigermaßen rasch, so wirkt die letztere Substanz durch ihre zähflüssige amorphe
                              									Natur hindernd auf die Krystallisation der ersteren und die ganze Masse bleibt
                              									amorph, wenn die Menge des Calciumsilicates nur so hoch war, daß sich dasselbe erst
                              									innerhalb der Erweichungstemperatur hätte abscheiden können.
                           Uebrigens scheint es, als wenn in einer amorph und schnell erstarrten Glasmasse sich
                              									die Molecüle des Calciumsilicates an einzelnen Stellen in großer Menge
                              									zusammenzulagern streben. Es lassen die von Leydolt durch
                              									Anätzen mit Flußsäure erhaltenen Glaskörper dies schließen. Sehr leicht läßt sich
                              									eine bedeutende Ausscheidung des Calciumsilicates erreichen, wenn man ein Kalkglas
                              									andauernd erhitzt, so daß es eben erweicht ist. Dasselbe ist dann einer Temperatur
                              									ausgesetzt, bei welcher das kieselsaure Calcium in größerer Menge vorhanden ist, als
                              									das kieselsaure Natrium gelöst zu halten vermag; der Ueberschuß wird also
                              									abgeschieden (EntglasungVergl. 1872 203 19; 204
                                    											390; 205 53 422; 1874 213 329. D. Red.). Von dem Grade der Flüssigkeit bei
                              									der Abscheidung hängt die Form der Krystalle des kieselsauren Calciums ab.Eine ausführlichere Behandlung dieses Gegenstandes folgt in Poggendorff's Annalen 1875, Bd. 2.
                           Daß auch indifferente, amorphe Körper die Krystallisation anderer stören oder
                              									verhindern, dafür gibt es Beispiele; Vogelsang hat durch
                              									Zusatz von Canadabalsam zu einer Lösung von Schwefel in Schwefel
                           
                           Das aus dem Satz I resultirende Glas, welches der Formel
                              										Textabbildung Bd. 216, S. 350 entspricht, war vollständig entglast und näherte sich in seinem Ansehen
                              									dem Alabasterglase, so daß man mit bloßem Auge und der Loupe die Masse hätte für
                              									amorph halten können. Unter dem MikroskopDie Beobachtungen mittels des Mikroskops wurden in diesen Fällen so
                                    											ausgeführt, daß beim Zerschlagen des Glases entstehende, ausgesuchte dünne
                                    											Flitterchen auf einem Objectträger mit Canadabalsam betröpfelt und mit einem
                                    											Deckplättchen bedeckt wurden. zeigte sich eine unbestimmte,
                              									verworrene krystallinische Structur in amorpher Grundmasse.
                           Das Glas des Satzes II nach der Formel Textabbildung Bd. 216, S. 350 verhielt sich dem vorigen fast vollständig gleich, nur war nicht die ganze
                              									Masse entglast, sondern eine kleine Partie glasig.
                           Satz III, entsprechend Textabbildung Bd. 216, S. 350 , zeigte sehr wenig Entglasung, welche nur von etwas gelöster Thonerde
                              									herrührte; sonst war das entstandene Glas dem Anscheine nach gut und lauter.
                           Das Glas des Satzes IV: Textabbildung Bd. 216, S. 350 war sehr gut.
                           Satz V: Textabbildung Bd. 216, S. 350 war nicht ganz verschmolzen. Es befanden sich an der Oberfläche
                              									unverschmolzene Sandkörnchen. Das entstandene Glas wurde einem zweiten
                              									Schmelzversuch unterworfen; die Sandkörnchen konnten dennoch nicht zum Verschwinden
                              									gebracht werden. Die Temperatur des Ofens reichte zum Verschmelzen dieses Glases
                              									nicht aus; Glas mit 75 Proc. Kieselsäure ist in der Praxis eben nicht häufig.
                           Weiter habe ich noch 3 Versuche ausgeführt, bei welchen das Verhältniß von Na2O und CaO gleich 1 : 2 war,
                              									und zwar zeigte sich der Glassatz VI entsprechend der
                              									Formel Textabbildung Bd. 216, S. 350 zur Hälfte entglast, während die Gläser VII:
                              										Textabbildung Bd. 216, S. 350 und VIII: Textabbildung Bd. 216, S. 350 anscheinend gut waren.
                           Wie aus dem oben angeführten hervorgeht, entglaste ein Glas der Zusammensetzung
                              										Textabbildung Bd. 216, S. 350 und Textabbildung Bd. 216, S. 350 , entsprechend einem Kieselsäuregehalt von 50,4 resp. 60,4 Proc., bei
                              									gewöhnlichem Erkalten im Tiegel vollständig, während dagegen von den Gläsern der
                              									Formel 
                              									Textabbildung Bd. 216, S. 351 und Textabbildung Bd. 216, S. 351 mit einem ziemlich gleichen Kieselsäuregehalt von 50,0 bezieh. 57,1 Proc.
                              									ersteres zur Hälfte und letzteres vollkommen amorph blieb unter denselben
                              									Erkaltungsbedingungen.
                           Dies Verhalten bestätigt die vorher ausgeführten theoretischen Vorstellungen über das
                              									Glas. Es geht daraus hervor, daß die Entglasungsfähigkeit von dem relativen Gehalt
                              									an Calcium resp. an Calciumsilicat abhängig ist. Bei dem ersteren Product mit dem
                              									Kalk-Natron-Verhältniß 1:1 war die im Glase vorhandene Menge von
                              									Natriumsilicat nicht im Stande, das Calciumsilicat gelöst zu erhalten. Das Glas VI und VII jedoch mit dem
                              									Kalk-Natron-Verhältniß 1:2 enthielt an Natrium eine sehr viel größere
                              									Menge und vermochte dadurch das kieselsaure Calcium an der Krystallisation zu
                              									verhindern.
                           Aus der ersten Versuchsreihe ergibt sich, daß nicht das Verhältniß von Natrium und
                              									Calcium allein für die Entglasungsfähigkeit maßgebend ist, denn bei gleich
                              									bleibendem Verhältniß von Na2O und CaO nahm
                              									die Entglasung mit der Zunahme an SiO2 ab. Es spielt die Kieselsäure also eine wichtige
                              									Rolle, welche hinreichend erklärlich wird, wenn man bedenkt, daß Natriumsilicat um
                              									so schwerer schmelzbar wird, je saurer es ist. Es wird hierdurch der
                              									Temperaturintervall zwischen Erweichung und völliger Schmelzung bedeutend größer und
                              									der zähflüssige Zustand bleibt bei höherer Temperatur erhalten; das vorhandene
                              									Calciumsilicat wird also an der Krystallisation um so mehr verhindert.
                           Die in der ersten Versuchsreihe erhaltenen Resultate beweisen das Irrige der von Benrath in seinem Werke über Glasfabrikation dargelegten
                              									Ansichten über Entglasung, da es doch offenbar unmöglich scheint, daß sich in einem
                              									Glase von der Zusammensetzung Textabbildung Bd. 216, S. 351 (welches völlig entglast war) Kieselsäure ausscheidet. Ferner geht noch
                              									aus diesen Versuchen hervor, daß im Allgemeinen die Neigung zur Entglasung mit der
                              									Zunahme an Kieselsäure abnimmt. Dieses Resultat steht ebenfalls im Widerspruch mit
                              									den Angaben Benrath's, da nach dessen Beobachtungen bei
                              									hohen Kieselsäuregehalten eine starke Neigung zur Entglasung eintritt. Es ist daher
                              									vielleicht meine obige Angabe nur innerhalb gewisser Grenzen bei nicht zu hohen
                              									Kieselsäuremengen richtig.
                           Obschon die wenigen angeführten Schmelzversuche nicht dazu dienen können, eine
                              									Normalformel des Glases festzustellen, so sagen uns dieselben in Bezug auf die
                              									quantitative Zusammensetzung, daß man bei einem Verhältniß von Na2O: CaO = 1:1 nicht unter
                              									einen Kieselsäuregehalt von  67 Proc. gehen darf, wenn nicht leichte Entglasbarkeit
                              									des Productes eintreten soll.
                           Wie wichtig auch die Aufgabe sein mag, die Normalzusammensetzung eines Glases
                              									festzustellen, welches allen Anforderungen genügt, so sind doch die Ansprüche,
                              									welche man an die einzelnen Glassorten stellt, so verschieden, daß man sich
                              									schwerlich in allen Zweigen der Glastechnik mit Vortheil eines und desselben
                              									Glassatzes bedienen dürfte und könnte.
                           In Folgendem wollen wir daher sehen, welche Eigenschaften von den verschiedenen
                              									Glasarten verlangt werden, und wie dadurch eine gewisse Zusammensetzung bedingt
                              									ist.
                           Das Spiegelglas ist dasjenige von den technisch wichtigen Gläsern, an welches die
                              									meisten Forderungen gestellt werden. Dasselbe soll nicht allein vollkommen farblos
                              									und von allen sonstigen Fehlern frei sein, sondern soll auch des theuren Preises
                              									wegen seine Eigenschaften möglichst lange bewahren, den atmosphärischen Einflüssen
                              									also einen dauernden Widerstand entgegenstellen. Dieses ist um so schwieriger zu
                              									erzielen, da Spiegelglas hauptsächlich in geschliffenem und polirtem Zustande
                              									verwendet wird, wobei es bekanntlich äußeren Einflüssen geneigter ist als mit der
                              									natürlichen Oberfläche.
                           Hiernach würde man die oben gewünschte Eigenschaft durch einen hohen
                              									Kieselsäure- und Kalkgehalt erreichen können; jedoch muß man mit dem Zusatz
                              									der letzteren Substanz äußerst vorsichtig sein, denn da Spiegelglas nach dem Gießen
                              									einer sehr langsamen Erkaltung ausgesetzt werden muß, so sind hierdurch die
                              									Bedingungen zur Entglasung gegeben, und es wird dieselbe nicht ausbleiben, wenn der
                              									Kalkgehalt eine gewisse Grenze überschreitet. Man wird daher in der
                              									Spiegelglasfabrikation die Widerstandsfähigkeit des Glases durch möglichst hohen
                              									Kieselsäuregehalt zu erreichen suchen, an Kalk aber nur das äußerst Nothwendige
                              									zusetzen.
                           Das Fenster- oder Tafelglas hat die vorher genannten Eigenschaften nicht in so
                              									hohem Grade nothwendig; die Widerstandsfähigkeit ist wegen der natürlichen
                              									Oberfläche größer. Um daher möglichst vortheilhaft zu produciren, wird man die
                              									Schmelzbarkeit durch einen etwas geringeren Kieselsäuregehalt erniedrigen und dafür
                              									den Kalkgehalt erhöhen. Jedoch findet auch letzterer darin seine Grenzen, daß das
                              									Fensterglas zur Verarbeitung mehrere Stunden in einem zähflüssigen Zustande
                              									verbleiben muß, wodurch, falls derselbe zu hoch ist, eine Krystallisation
                              									(Entglasung) hervorgerufen wird, welche sogen. „rauhes Glas“
                              									liefert. Zur Herstellung eines guten Fensterglases, welches den an dasselbe
                              									gestellten Anforderungen genügt, wird man daher die Combination der Rohmaterialien
                              									so wählen, daß man neben einem geringeren Kieselsäuregehalt als Spiegelglas einen
                              									Fehler in der Seitenabfolge der Druckvorlage, hier korrigiert. ziemlich hohen
                              									Zusatz an Kalk zu erzielen sucht, wobei die Kosten für die Schmelzung wohl in
                              									Erwägung gezogen werden müssen, um die Menge des Alkalis schon aus diesem Grunde
                              									nicht zu gering zu machen.
                           Das weiße Hohlglas (Kalkglas) und Flaschenglas erfahren insofern dieselbe Behandlung
                              									als die Abkühlung aus dem dünnflüssigen in den festen Zustand sehr schnell vor sich
                              									geht, also die Entglasung weniger leicht eintritt. Dieselben werden zwar auch einer
                              									langsamen Abkühlung unterworfen, aber von einer Temperatur aus, bei welcher sie sich
                              									schon in festem Zustande befinden. Ebenso sind diese Gläser keinen
                              									Witterungseinflüssen ausgesetzt. Es kann daher der Kalkzusatz um ein Bedeutendes
                              									erhöht werden, und zwar muß noch mindestens die Erstarrung zu einem amorphen Product
                              									eintreten. Daß diese Bedingung sehr häufig nicht erfüllt wird, kann man an dem
                              									massenhaften Auftreten von Krystallen im Flaschenglase beobachten. Für das feinere
                              									Hohlglas, welches geschliffen werden soll, sind noch andere Rücksichten
                              									maßgebend.
                           Aus dem Gesagten ist ersichtlich, daß für jede der technisch wichtigen Glasarten die
                              									Zusammensetzung aus Utilitätsrücksichten verschieden ist.
                           Von den drei betrachteten Glasarten steht das Fensterglas in seiner Zusammensetzung
                              									jedenfalls in der Mitte. Nehmen wir für dieses vielleicht die
                              									Normalzusammensetzung:
                           
                              
                                 Kieselsäure
                                 71,5 Proc.
                                 
                              
                                 Natron
                                 13,5 Proc.
                                 
                              
                                 Kalk
                                 15,0 Proc.
                                 
                              
                           an, so ließen sich für jede andere Glasart, durch Vermehrung
                              									oder Verminderung der einen Substanz auf Kosten der beiden anderen unter
                              									Zugrundelegung der oben ausgesprochenen Ansichten, brauchbare Mittelwerthe
                              									erhalten.
                           Man würde auch die von Benrath aufgestellte Normalformel
                              									zu Grunde legen können; allein, da dieselbe nach dem Ausspruche Benrath's in ihrem Kieselsäuregehalt 3 bis 4 Proc. höher
                              									steht, als der Praxis entspricht, so ist es vielleicht passender, eine durch
                              									Procentzahlen angegebene Zusammensetzung als normale zu nehmen.
                           Ich will die Aenderungen für die verschiedenen Glasarten nicht durchführen, sondern,
                              									wenn sich diese Ansichten einigen Anklanges erfreuen sollten, dies gewiegten
                              									Praktikern überlassen.
                           Witten, im April 1875.