| Titel: | Die Salicylsäure in chemisch-technologischer Beziehung; von Dr. Rud. Wagner. | 
| Fundstelle: | Band 217, Jahrgang 1875, S. 136 | 
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                        Die Salicylsäure in
                           chemisch-technologischer Beziehung; von Dr. Rud. Wagner.
                        Aus der deutschen Industriezeitung, 1875 S.
                              253.
                        Wagner, über Salicylsäure in chemisch-technologischer
                           Beziehung.
                        
                     
                        
                           Die nach dem Patente von H. Kolbe dargestellte
                              Salicylsäure (1874 213 165. 214 132. 1875 215 245. 345) ist auch für
                              gewerbliche und hauswirthschaftliche Zwecke von großem Werth. Nach meinen Versuchen,
                              die jedoch noch nicht abgeschlossen sind, kann die Salicylsäure Verwendung
                              finden:
                           1) Zur Conservation von Nahrungsmitteln, insbesondere zur
                              Aufbewahrung von Fleisch. Anstatt indessen, wie Kolbe
                              empfiehlt, das frische Fleisch mit trockener Salicylsäure einzureiben, wende ich
                              gesättigte wässerige Lösungen von Salicylsäure an, mit welchen das Fleisch
                              übergossen und in gut verschlossenen Gefäßen aufbewahrt wird. Fett- und
                              knochenfreies Ochsenfleisch am 23. April l. J. mit Salicylsäure übergossen und im
                              Keller stehen gelassen, zeigte bis auf den heutigen Tag (20. Juni) keine Spur eines
                              an Zersetzung erinnernden Geruches. Es ist bemerkenswerth, daß die rothe Farbe des
                              rohen Fleisches durch die Salicylsäurelösung nach kurzer Zeit in die graue Farbe des
                              gesottenen Fleisches übergeht.
                           Als Zusatz zum Pökelsalz für Fleischwaaren und Würste halte ich indessen die
                              Salicylsäure vor der Hand für wichtiger als für die directe Präservirung von
                              Fleisch. Für die Schinken- und Wurstbereitung ist die Einführung einer aus
                              dem Phenol entstandenen Substanz, die bis zu einem gewissen Grade die Wirkung des
                              Räucherns zu ersetzen im Stande ist, ohne Widerrede von großem Nutzen. Die Bildung
                              des Wurstgiftes, das in Süddeutschland immer noch Opfer fordert, wird durch
                              entsprechenden Zusatz von Salicylsäure zur Wurstmasse vermuthlich verhütet werden
                              können.
                           Die in Süddeutschland übliche ungesalzene Butter hält sich, mit etwas Salicylsäure
                              (ich nehme 1 bis 2 pro Mille) zusammengeknetet oder, besser vielleicht noch, unter
                              verdünnter Salicylsäurelösung aufbewahrt, selbst in der heißen Jahreszeit 3 bis 5
                              Mal so lange als ungesalzene Butter ohne Salicylsäure.
                           Für die Fabrikation eingemachter Früchte (Preißelbeeren, Johannis- und
                              Stachelbeeren, Kirschen, Pflaumen, Aprikosen, Pfirsichen, Ananas, Birnen) ist die
                              Salicylsäure von großem Werth. Ebenso wird auch die Anwendung dieser Substanz für
                              die Conservirung von Gurken, Bohnen, Spargel etc. von Erfolg sein.
                           
                           Die Meinung C. Neubauer's über die Bedeutung der
                              Salicylsäure für die Kellerwirthschaft (1875 215 169) in
                              Bezug auf Wein und Bier theile ich vollständig. Ich hätte nur hinzuzufügen, daß die
                              gährungshemmende Eigenschaft der Salicylsäure auch für den Schaumweinfabrikanten und
                              für die Essigbereitung von Belang ist. Ein geringer Zusatz von Salicylsäure zum
                              Essiggut verlangsamt die Essigbildung, wovon in den heißen Sommermonaten gewiß unter
                              Umständen vortheilhaft Gebrauch gemacht werden kann.
                           Salicylsäure verhindert das Sauerwerden von Fleischbrühe und Suppen (namentlich
                              stärkemehlreicher) mehrere Tage lang.
                           2) In der Leimbereitung kann eine Lösung der Salicylsäure
                              Anwendung finden zum Maceriren des Leimgutes und als Zusatz beim Versieden
                              desselben. Die mit Salicylsäure versetzte Gallerte läßt sich leichter in trockenen
                              Leim überführen als Gallerte ohne Zusatz.
                           Eine wässerige Lösung von Leim wird durch etwas Salicylsäure haltbarer, ohne die
                              Klebkraft zu beeinträchtigen.
                           Bei der Fabrikation der Darmseiten, des Pergamentes und der Metallschlägerformen
                              dürfte die Einführung der Salicylsäure zur Verhinderung der Fäulniß wesentliche
                              Vortheile darbieten.
                           3) Für die Zwecke der Lederfabrikation scheint mir die
                              Salicylsäure äußerst zukunftsvoll zu sein. Anstatt der zum Schwellen oder Treiben
                              des Corium (der sogen. Blöße) bisher angewendeten Schwellbeize wird, erhebliche
                              Preisermäßigung der Salicylsäure vorausgesetzt, in der Folge höchst wahrscheinlich
                              eine Lösung derselben Anwendung finden können. Das Treiben des Corium geht in
                              normaler Weise vor sich, und die Blöße ist nach einigen Tagen zur Aufnahme der
                              Gerbematerialien geeignet. Einige Stücke Blöße von Rindshäuten der stärksten Sorte,
                              wie sie in den Rothgerbereien zur Herstellung des Sohlenleders genommen werden,
                              zeigten nach vierwöchentlichem Verweilen in einer 1/20 gesättigten Lösung von
                              Salicylsäure noch keine Spur eines Zersetzung verrathenden Geruches, während Stücke
                              der nämlichen Blöße in gewöhnlichem Wasser nach 8 Tagen schon einen unerträglichen
                              Geruch entwickelten. Die in Salicylsäurelösung geschwellten Blößen nehmen eine
                              röthliche Färbung an.
                           Wie es scheint, kann Salicylsäure bis zu einem gewissen Grade die gerbende Wirkung
                              der Eichenrinde und ähnlicher Gerbematerialien unterstützen. Ueber diesen Punkt, der
                              möglicherweise eine hohe wirthschaftliche Bedeutung erlangen kann, behalte ich mir
                              weitere Versuche vor.
                           In der Handschuhleder-Fabrikation ist ein Zusatz von Salicylsäure zu der
                              sogen. „Nahrung“ zu empfehlen. Es macht den Gerbebrei
                              haltbarer.
                           
                           4) Die Schlichte der Weberei läßt sich durch Versetzen mit
                              einer Lösung von Salicylsäure lange Zeit unverändert aufbewahren. Dem Kleister der
                              Buchbindereien, Portefeuille- und Cartonagenfabriken u.s.w. kann durch
                              Salicylsäure eine vierwöchentliche Haltbarkeit ertheilt werden, während der nämliche
                              Kleister ohne Salicylsäure in der wärmeren Jahreszeit nach einigen Tagen schon seine
                              Consistenz verliert, seine Klebkraft einbüßt und milchsauer wird. Albumin (Blut- und Hühner-Eiweiß) läßt
                              sich, mit Salicylsäure versetzt, für längere Zeit conserviren.
                           5) Wenn es an violetten Farben fehlt, so würde die Salicylsäure in der Färberei zur Erzeugung von Violett Anwendung finden können. Nach A.
                              Dollfus (Journal für praktische Chemie, 1853 Bd. 60
                              S. 256) ist Salicylsäure ein weit empfindlicheres Reagens auf Eisenoxyd als
                              Schwefelcyankalium; letzteres gibt bei 64000facher Verdünnung kaum noch eine
                              Reaction, während Salicylsäure sogar noch bei 572000facher Verdünnung einen
                              violetten Schimmer zeigt.
                           Die Erzeugung einer wohlfeilen violetten Tinte mit Hilfe
                              von Salicylsäure ist wohl nur noch eine Frage der Zeit. Vor einigen Jahren kam aus
                              Louisville (Kentucky, Verein. Staaten) eine schwarzviolette Tinte unter dem Namen
                              „Gaultheria-Ink“ in den Handel, die nach
                              Wintergrünöl roch und Eisen enthielt. Lag vielleicht eine Salicylsäure-Tinte
                              vor?
                           6) Für die Parfümerie ist die Salicylsäure ein
                              unschätzbarer Gewinn. Neben dem künstlichen Gaultheriaöl (Methyläther der
                              Salicylsäure) werden auch die entsprechenden Aethyl- und Amyläther zum
                              Parfümiren und Aromatisiren Verwendung finden.
                           Kaliumsalicylat (aus Gaultheriaöl, von Prof. Ch. Joy in
                              Newyork dargestellt) zeigte beim Aufbewahren unter Zersetzung und Gelbwerden einen
                              intensiven Rosengeruch und gab bei der Destillation mit Wasser ein nach Rosen
                              riechendes Destillat. Ich habe diese Beobachtung bereits 1856 (Wagner's Jahresbericht, 1856 S. 260) veröffentlicht und auf die
                              Möglichkeit der Herstellung von Rosenwasser aus Salicylsäure aufmerksam gemacht.
                           Nach einigen Monaten hoffe ich weitere Notizen über die Verwendbarkeit der
                              Salicylsäure in den chemischen Gewerben liefern zu können.
                           Technologisches Institut der k. Universität Würzburg, 20. Juni
                              1875.