| Titel: | Versuche über die gährungshemmende Wirkung der Salicylsäure und anderer aromatischer Säuren; von Ernst v. Meyer und H. Kolbe. | 
| Fundstelle: | Band 217, Jahrgang 1875, S. 402 | 
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                        Versuche über die gährungshemmende Wirkung der
                           Salicylsäure und anderer aromatischer Säuren; von Ernst v. Meyer und H. Kolbe.Auszug aus einem von den Verf. gütigst eingesendeten Separatabdruck aus dem
                                 Journal für praktische Chemie, Bd. 12.
                           
                        Meyer u. Kolbe, über die gährungshemmende Wirkung der Salicylsäure
                           und anderer aromatischer Säuren.
                        
                     
                        
                           Im Anschluß an unsere früheren Versuche über die gährungshemmende Wirkung der
                              Salicylsäure (1874 214 132. 1875 215 245), bei denen einige theoretisch wie praktisch interessante Fragen
                              theils unvollständig behandelt, theils gar nicht in Betracht gezogen sind, haben wir
                              durch eine Reihe neuer Versuche festzustellen gesucht, in welchem Maße die
                              gährungshemmende Kraft der Salicylsäure zunimmt, wenn dieselbe in einem gegebenen
                              constanten Volum einer mit Hefe versetzten Zubkerlösung vermehrt wird.
                           Aus Neubauer's (1875 215 169)
                              mit Weinmost angestellten ergebnißreichen Untersuchungen scheint hervorzugehen, daß
                              die Menge der durch Salicylsäure getödteten Hefezellen der dem Most zugefügten Menge
                              Salicylsäure direct proportional ist. Unsere in ähnlicher
                              Richtung angestellten Versuche haben indessen ergeben, daß eine solche
                              Proportionalität nur innerhalb gewisser Grenzen statt hat.
                           Zu den nachstehend beschriebenen Gährungsversuchen diente in der Regel eine 12proc.
                              Traubenzuckerlösung (unter „Zuckerlösung“ ist immer eine solche
                              von 12 Proc. Zuckergehalt verstanden). Zu je 1l dieser Lösung wurden verschiedene Gewichtsmengen Salicylsäure (jedesmal
                              zuvor in wenig heißem Wasser gelöst) und verschiedene Mengen frischer Bierhefe
                              hinzugefügt, um so bei der normalen Gährungstemperatur die Menge Salicylsäure
                              annähernd festzustellen, welche genügt, die Hefe gerade noch unwirksam zu machen,
                              und so die Grenzen zu finden, mit deren Ueberschreitung in den Versuchsflüssigkeiten
                              Gährung begann.
                           Versuch 1. Versuchsflüssigkeit: 1l Zuckerlösung, 0g,25 Salicylsäure.
                           3g Hefe bewirkten in derselben eine schwache
                              Gährung, ebenso 2g Hefe, welche der
                              gleichen Versuchsflüssigkeit zugesetzt waren. Dagegen trat keine Gährung ein, als
                              eine dritte Menge jener Lösung mit nur 1g
                              Hefe vermischt war. – Der letzte Versuch wurde mit einer 6proc. Zuckerlösung
                              wiederholt. 1l derselben, mit 0g,25 Salicylsäure und mit 1g Hefe versetzt, zeigte keine
                              Gährungserscheinung.
                           Demnach sind 0g,25
                              Salicylsäure im Stande, 1g Bierhefe in 1l sowohl 12- wie auch 6proc.
                              Zuckerlösung zu tödten, aber nicht 2g davon
                              unwirksam zu machen.
                           
                           Versuch 2. Versuchsflüssigkeit: 1l Zuckerlösung, 0g,4 Salicylsäure.
                           Die Maximalmenge Hefe, welche jener Lösung zugesetzt werden konnte, ohne Gährung zu
                              bewirken, welche also durch 0g,4
                              Salicylsäure getödtet wurde, betrug in zwei Versuchen 4g. Dagegen kam eine gleiche Zuckerlösung in
                              schwache, aber deutlich wahrnehmbare Gährung, als ihr 5g Hefe zugefügt wurden.
                           Versuch 3. Versuchsflüssigkeit: 1l Zuckerlösung, 0g,5 Salicylsäure.
                           Zusatz von 15g Hefe erzeugte sehr schwache
                              Gährung, welche schon nach kürzester Zeit aufhörte, wogegen 20g derselben Hefe in einer gleichen Lösung
                              lebhafte Gährung hervorriefen. Die Grenze, bei welcher 0g,5 Salicylsäure die Wirkung der Hefe
                              gänzlich aufzuheben vermag, liegt demnach jedenfalls nahe unterhalb des ersteren
                              Werthes (15g Hefe).
                           Versuch 4. Versuchsflüssigkeit: 1l Zuckerlösung, 0g,6 Salicylsäure.
                           25g Hefe erregten keine, 35g derselben Hefe ziemlich starke Gährung.
                              Durch 0g,6 Salicylsäure wird demnach eine
                              zwischen beiden Grenzen liegende Hefenmenge unwirksam gemacht.
                           Versuch 5. Versuchsflüssigkeit: 1l Zuckerlösung, 0g,75 Salicylsäure.
                           50g Hefe bewirkten keine Gährung; die
                              Flüssigkeit blieb zwar trübe, doch fand Gasentwickelung absolut nicht statt. Die
                              gleiche Lösung wurde aber durch 60g Hefe in
                              deutliche Gährung versetzt. – Eben so verhielt sich 0g,75 Salicylsäure derselben Hefenmenge
                              gegenüber in einer 6procentigen Zuckerlösung.
                           Folgende Zusammenstellung der durch obige Versuche ermittelten Werthe veranschaulicht
                              am besten die Verhältnisse der Mengen Salicylsäure und der Maximalmengen Hefe,
                              welche in 1l Zuckerlösung durch jene
                              unwirksam gemacht werden.
                           
                              
                                 
                                 A.Salicylsäure.
                                 B.Hefe.
                                 C.Quotient B : A.
                                 
                              
                                 
                                 
                                    g
                                    
                                 
                                           g
                                    
                                 
                                 
                              
                                 Versuch 1
                                 0,25
                                       
                                    1
                                   4
                                 
                              
                                 Versuch 2
                                 0,40
                                       
                                    4
                                 10
                                 
                              
                                 Versuch 3
                                 0,50
                                      15
                                 30
                                 
                              
                                 Versuch 4
                                 0,60
                                 ca. 30
                                 50
                                 
                              
                                 Versuch 5
                                 0,75
                                 ca. 55
                                 75
                                 
                              
                           Die unter C aufgeführten Werthe geben an, das
                              Wievielfache der Hefe von dem Gewicht der vorhandenen Salicylsäure getödtet wird.
                              Fände eine mit der Menge der letzteren direct proportional zunehmende Wirkung auf
                              die Hefe statt, so würde man, ausgehend von dem Versuch 1, für die Columne B die Verhältnißzahlen 1 : 1,6 : 2 : 2,4 : 3 berechnen,
                              die sehr weit hinter den gefundenen Werthen zurückbleiben.
                           
                           Versucht man die Verhältnisse zwischen den verschiedenen Mengen Salicylsäure und den
                              durch sie getödteten Hefenmengen graphisch darzustellen, dadurch, daß man die Werthe
                              unter A (x), welchen man der
                              Deutlichkeit wegen nicht zu kleine Dimensionen gibt, auf der Abscissenachse, die
                              unter B (y) auf der
                              Ordinatenachse abträgt, so erhält man eine Curve, welche von x = 0,4 an fast genau den Lauf einer sehr steil ansteigenden geraden Linie
                              nimmt, wogegen sie für geringere Werthe von x nach dem
                              Nullpunkte hin sanft abfällt.
                           Aus den Versuchen 1 bis 5 geht also hervor, daß innerhalb gewisser Grenzen (0,4 bis
                              0g,75 Salicylsäure pro 1l Zuckerlösung) die Wirkung der
                              Salicylsäure mit ihrer Menge rapid wächst, wogegen bei Verminderung der Salicylsäure
                              (unter 0g,4) ihre gährungshemmende Kraft
                              sehr allmälig abnimmt. Würde letztere in demselben Verhältnisse sich vermindern, wie
                              sie bei Anwendung von mehr als 0g,4
                              Salicylsäure zunimmt, so würde, wie aus den Versuchen 2 bis 5 leicht zu berechnen
                              ist, bei Anwendung von etwa 0g,36
                              Salicylsäure ihre Wirkung auf Null herabsinken, während in Wirklichkeit noch viel
                              kleinere Mengen in deutlich nachweisbarem Maße die Wirkung der Hefe hemmen. Neubauer hat in seiner Abhandlung über die
                              gährungshemmende Wirkung der Salicylsäure gezeigt, daß selbst 0g,0055 Salicylsäure in 1l Most, also in außerordentlich starker
                              Verdünnung, noch die Gährung zu hemmen vermag.
                           Es schien uns von Interesse, zu wissen und durch besondere Versuche die Frage zu
                              entscheiden, ob und welchen Einfluß auf die gährungshemmende Wirkung der
                              Salicylsäure der Grad der Verdünnung ausübt, ob dieselbe Menge Salicylsäure, welche
                              in einem Liter Zuckerlösung eine bestimmte Menge Hefe
                              eben unwirksam zu machen fähig ist, die gleiche Wirkung auf die gleiche Hefenmenge
                              zu äußern vermag, wenn beide in zwei oder mehr Liter
                              Zuckerlösung einander begegnen.
                           Nach Versuch 3 werden 15g Hefe durch 0g,5 Salicylsäure
                              getödtet, wenn die Gesammtflüssigkeit 1l
                              beträgt, gleichviel ob sie 12 oder 6 Proc. Zucker enthält.
                           Versuch 6. Versuchsflüssigkeit: 2l 6proc. Zuckerlösung, 0g,5 Salicylsäure, 15g Hefe.
                           Nach kurzer Zeit erfolgte deutliche Gährung. Die 0g,5 Salicylsäure verhalten sich hier in 2l Zuckerlösung gegen die 15g Heft ähnlich, wie dieselbe Gewichtsmenge
                              Salicylsäure, d. i. 0g,25 in 1l Zuckerlösung gegen die halbe Menge (7g,5) Hefe, worin nach Versuch 1 0g,25 Salicylsäure schon 3g Hefe nicht zu tödten vermag.
                           
                           Versuch 7. Versuchsflüssigkeit: 4l 6proc. Zuckerlösung, 0g,5 Salicylsäure, 5g Hefe.
                           Diese Verhältnisse sind dieselben, wie wenn in 1l Zuckerlösung 0g,125
                              Salicylsäure auf 1g,25 Hefe wirken. Da nun
                              nach Versuch 1 0g,25 Salicylsäure kaum mehr
                              als 1g Hefe zu tödten vermag, so ist zu
                              erwarten, daß die halbe Gewichtsmenge Salicylsäure (0g, 125) die Wirkung von 1g,25 Hefe nicht vernichten kann. In der
                              That trat in jener Mischung nach kurzer Zeit lebhafte Gährung ein.
                           Dieselbe Gewichtsmenge Salicylsäure (0g,5),
                              welche in 1l 6proc. Zuckerlösung 15g Hefe unwirksam macht, vermag in 4l Zuckerlösung, also bei vierfacher
                              Verdünnung, nicht den dritten Theil derselben Hefenmenge zu tödten.
                           Wir haben in dieser Richtung noch weitere Versuche angestellt. Wenn die Wirksamkeit
                              der Salicylsäure in dem Maße, wie Versuch 2 bis 5 ergeben, mit der Menge derselben
                              steigt, so darf man annehmen, daß 1g
                              Salicylsäure in 1l 6- oder 12proc.
                              Zuckerlösung gegen 100g Hefe unwirksam
                              macht. Wir haben nun statt 100g Hefe nur
                              30g, zuletzt 10g Hefe mit je 1g Salicylsäure in verschiedener Verdünnung
                              auf Zuckerlösungen reagiren lassen, mit folgenden Ergebnissen.
                           Versuch 8. Versuchsflüssigkeit: 1l 12proc. Zuckerlösung, 1g Salicylsäure, 30g Hefe.
                           Selbstverständlich trat absolut keine Gährung ein.
                           Versuch 9. Versuchsflüssigkeit: 4l 12proc. Zuckerlösung, 1g Salicylsäure, 30g Hefe.
                           Versuch 10. Versuchsflüssigkeit: 4l 3proc. Zuckerlösung, 1g Salicylsäure, 30g Heft.
                           In beiden Fällen gerieth die Flüssigkeit in starke Gährung.
                           Versuch 11. Versuchsflüssigkeit: 4g 3proc. Zuckerlösung, 1g Salicylsäure, 10g Hefe.
                           Auch hier trat deutliche Gährung ein. Die Wirkung der 10g Hefe in den 4l Zuckerlösung wurde durch 1g Salicylsäure eben so wenig vernichtet,
                              wie der vierte Theil jener Hefenmenge (2g,5) in einem Liter Gährungsflüssigkeit durch 0g,25 Salicylsäure nicht unwirksam gemacht
                              sein würde (vergl. Versuch 1).
                           Obige Versuche beweisen, daß die gährungshemmende Wirkung, welche eine bestimmte
                              Menge Salicylsäure in einer Zuckerlösung auf eine bestimmte Menge Hefe ausübt, nicht
                              in allen Fällen dieselbe ist, sondern daß sie wesentlich von dem Grade der
                              Verdünnung der Gährungsflüssigkeit abhängt, während der Zuckergehalt der letzteren,
                              wenigstens innerhalb gewisser Grenzen, keinen entscheidenden Einfluß übt.
                           NeubauerJournal für praktische Chemie, 1875 Bd. 11 S. 359. hat gefunden, daß zur Unterdrückung einer bereits begonnenen lebhaften
                              Gährung relativ große, und jedenfalls größere Mengen Salicylsäure erforderlich sind,
                              als genügen, um das Eintreten der Gährung von vornherein zu verhindern. Hierbei ist
                              zu beachten, daß Neubauer mit Most gearbeitet hat, also
                              mit einer Gährungsflüssigkeit, in welcher während der Gährung die Hefenmenge
                              zunimmt, so daß, wenn die Gährung einige Zeit angedauert hat, die kleine Menge
                              Salicylsäure, welche genügte, den anfänglichen Bestand von Hefe unwirksam zu machen,
                              bald nicht mehr hinreicht, um auch noch das Plus der neu gewachsenen Hefe zu
                              tödten.
                           Anders gestalten sich deshalb die Erscheinungen, wenn man mit reiner Zuckerlösung, in
                              welcher die Bedingungen zur Vermehrung der Hefe fehlen, und überhaupt in
                              concentrirteren Lösungen operirt, wie aus folgenden Versuchen hervorgeht.
                           Versuch 12. Zu 1l Zuckerlösung wurde 1g Hefe
                              gesetzt, und nach begonnener Gährung eine lauwarme Lösung von 0g,25 Salicylsäure hinzugefügt. Diese Menge
                              Salicylsäure bewirkte nach kurzer Zeit völligen Stillstand der Gährung (vergl.
                              Versuch 1).
                           Versuch 13. In 1l Zuckerlösung wurden 15g Hefe
                              eingerührt und der Mischung, nachdem sie in lebhafte Gährung gerathen war, 0g,5 Salicylsäure zugesetzt (vergl. Versuch
                              3). Nach etwa einer Stunde war keine Gasentwickelung mehr bemerkbar.
                           Versuch 14. Als 1l Zuckerlösung nach Zusatz von 50g Hefe in Gährung gerathen war, und diese gährende Flüssigkeit dann mit
                              0g,75 Salicylsäure versetzt wurde
                              (vergl. Versuch 5), hörte die Gährung nach 1/2 Stunde ganz und gar auf.
                           Hieraus erhellt, daß unter obigen Bedingungen, wo die Menge der Hefe während des
                              Gährprocesses sich nicht erheblich vermehrt, dieselbe Menge Salicylsäure, welche von
                              vornherein die Gährung hindert, dieselbe auch zu unterdrücken vermag, nachdem sie
                              eingeleitet ist und eine Zeit lang angedauert hat.
                           Die wunderbare Eigenschaft der Salicylsäure, die Gährung erregende Wirkung der Hefe
                              in Zuckerlösungen zu sistiren, regt die weitere Frage an, ob die durch die Berührung
                              mit Salicylsäure inactiv gewordene Hefe nach sorgfältigem Auswaschen und nach so
                              bewirkter vollständiger Entfernung noch adhärirender Salicylsäure dauernd ihre gährungserregende Kraft
                              eingebüßt hat. Nachstehende Versuche gaben auf diese Frage entscheidende
                              Antwort.
                           Versuch 15. 1l
                              Zuckerlösung wurde mit 1g warm gelöster
                              Salicylsäure und dann mit 30g Hefe
                              versetzt.
                           Versuch 16. 1l
                              Zuckerlösung bekam 0g,5 Salicylsäure und
                              10g Hefe zugesetzt.
                           In beiden Versuchsflüssigkeiten trat absolut keine Gährung ein; sie wurden sehr bald
                              vollständig klar. Die Hefe wurde alsdann abfiltrirt und auf dem Filter so lange mit
                              Wasser sorgsam ausgewaschen, bis das Filtrat von Eisenchlorid nicht mehr gefärbt
                              wurde, also alle Salicylsäure daraus entfernt war. Diese Hefe vermochte in neuer
                              Zuckerlösung nicht die mindeste Gährung mehr hervorzubringen, ein Beweis, daß sie
                              durch die Berührung mit der Salicylsäure definitiv getödtet war.
                           Eine andere hiermit im Zusammenhange stehende Frage ist die, ob die Salicylsäure,
                              wenn sie verhältnißmäßig große Mengen Hefe tödtet, hierbei chemisch wirkt, d.h.
                              selbst eine Veränderung, resp. Zersetzung erleidet, oder ob sie unzersetzt bleibt.
                              Um hierüber Aufschluß zu erhalten, haben wir Zuckerlösungen, welchen eine genau
                              abgewogene Menge Salicylsäure zugefügt war, durch überschüssige Hefe in lebhafte
                              Gährung versetzt, und nach Beendigung derselben darin die Menge der vorhandenen
                              Salicylsäure quantitativ bestimmt.
                           Versuch 17. Gährungsgemisch: 4l 3proc. Zuckerlösung, 1g Salicylsäure, 30g Hefe.
                           Die Menge der aus dieser Mischung nach beendeter Gährung wiedergewonnenen
                              Salicylsäure betrug 0g,8913 = 39,1
                              Proc.
                           Versuch 18. Gährungsgemisch: 4l 6proc. Zuckerlösung, 1g Salicylsäure, 40g Hefe.
                           Die Menge der wiedergewonnenen Salicylsäure betrug bei diesem Versuch 0g,870 = 87,0 Proc.
                           Versuch 19. Gährungsgemisch: 4l 3proc. Zuckerlösung, 1g,5 Salicylsäure, 60g Hefe.
                           Menge der wiedergewonnenen Salicylsäure: 1g,35 = 90,0 Proc.
                           Wir glauben aus den Ergebnissen dieser Versuche folgern zu dürfen, daß die
                              Salicylsäure bei dem Gährungsproceß und bei Abtödtung einer Quantität Hefe selbst
                              keine chemische Veränderung erleidet. Die verhältnißmäßig geringen, höchstens 13
                              Proc. betragenden Verluste sind natürliche Folge des umständlichen Verfahrens zur
                              Gewinnung der Säure aus
                              den gegohrenen Flüssigkeiten und zur Reinigung derselben. Die verschiedenen
                              Niederschläge, sowie die mit Aether ausgeschüttelten Flüssigkeiten hielten
                              nachweislich immer noch etwas Salicylsäure zurück.
                           Daß die Salicylsäure bei Abtödtung der Hefe selbst unverändert bleibt, dafür haben
                              wir noch durch ein paar andere Versuche einen Beweis erhalten, welche durch folgende
                              Argumentation veranlaßt wurden. Gesetzt, die Salicylsäure erleidet keine chemische
                              Veränderung, während sie in einer Zuckerlösung die zugefügte Hefe tödtet, so muß
                              sie, nachdem sie die Wirkung einer entsprechenden Menge Hefe vernichtet hat, im
                              Stande sein, nachher eine neue gleiche Quantität Hefe abzutödten, und so nach und
                              nach große Mengen von Hefe, von welcher successive jedesmal eine bestimmte Menge der
                              Lösung zugefügt wird, unwirksam zu machen.
                           Versuch 20. Zu 1l Zuckerlösung, welche 0g,5
                              Salicylsäure enthielt, wurden in Pausen von 4 bis 5 Stunden dreimal 5g und zweimal 10g, im Ganzen also 35g Hefe, also 20g mehr zugesetzt, als jene 0g,5 Hefe auf einmal zu tödten vermag. Die
                              Flüssigkeit trübte sich von der eingetragenen Hefe, aber Gährung trat nicht ein.
                           Versuch 21. Zu 1l Zuckerlösung mit 1g,0
                              Salicylsäure wurden in gleichen Intervallen einmal 20, und viermal je 30g Hefe, zusammen 140g zugesetzt, ohne daß Gährung erfolgte.
                           Die gewonnenen Resultate werden in folgenden Sätzen kurz zusammengefaßt.
                           1) Die Menge Bierhefe, welche durch Salicylsäure unwirksam gemacht wird, nimmt bei
                              gleichen Flüssigkeitsmengen mit der Menge zugefügter Salicylsäure unverhältnißmäßig
                              stark und in einem viel größeren Verhältniß zu, als den wachsenden
                              Salicylsäuremengen direct entspricht, was daraus hervorgeht, daß in 1l Zuckerlösung 0g,25 Salicylsäure 1g Hefe, 0g,5 Salicylsäure 15g Hefe, 0g,75 Salicylsäure 55g Hefe zu tödten vermag. Während also die
                              Salicylsäure im Verhältniß von 1 : 2 : 3 wächst, stehen die davon getödteten
                              Hefenmengen im Verhältniß von 1 : 15 : 55 (Versuch 1 bis 5).
                           2) Unterhalb gewisser Grenzen, z.B. bei Anwendung von weniger als 0g,40 Salicylsäure auf 1l Zuckerlösung, nimmt die gährungshemmende
                              Kraft in viel geringerem Grade ab, als sie oberhalb jener Grenzen wächst, wodurch es
                              zu erklären ist, daß nach Neubauer's Versuchen sehr
                              geringe Mengen von Salicylsäure noch sehr kleine Hefenmengen im Most unwirksam zu
                              machen vermögen.
                           
                           3) Die gährungshemmende Wirkung, welche eine bestimmte Menge Salicylsäure in einer
                              Zuckerlösung auf eine bestimmte Menge Hefe ausübt, ist nicht unter allen Umständen
                              dieselbe; sie hängt wesentlich von dem Grade der Verdünnung der Gährungsflüssigkeit
                              ab, und steht im umgekehrten Verhältnisse zu der Menge der letzteren, während der
                              Zuckergehalt derselben, wenigstens innerhalb gewisser Grenzen, keinen merklichen
                              Einfluß ausübt (Versuch 6 bis 11).
                           4) Zur Sistirung der eingeleiteten Gährung in reiner Zuckerlösung genügen dieselben
                              minimalen Mengen Salicylsäure, welche, wenn sie gleich zu Anfang zugesetzt wären,
                              die Gährung sogleich unterdrückt haben würden (Versuch 12 bis 14).
                           5) Die Hefe, welche durch Berührung mit Salicylsäure ihre Eigenschaft, Zuckerlösung
                              in Gährung zu versetzen, eingebüßt hat, ist dieser Kraft dauernd verlustig geworden.
                              Sie vermag nachher, auch wenn durch Auswaschen alle Salicylsäure entfernt ist, in
                              neuer Zuckerlösung keine Gährung mehr hervorzurufen (Versuch 15 und 16).
                           6) Die Salicylsäure erleidet in einer mit Hefe versetzten Zuckerlösung selbst keine
                              chemische Veränderung, auch wenn die Hefenmenge so beträchtlich ist, daß sie durch
                              die Salicylsäure nicht ganz abgetödtet wird (Versuch 17 bis 19).
                           7) In Salicylsäure haltenden Zuckerlösungen können sehr große Mengen Hefe durch die
                              Salicylsäure unwirksam gemacht und getödtet werden, wenn die Hefe nach und nach in
                              kleineren Portionen eingetragen wird (Versuch 20 und 21).
                           8) Die Salicylsäure übt auch auf Amygdalin zersetzendes Emulsin gährungshemmende
                              Kraft aus, wenn schon in geringerem Grade, als es die Wirkung der Hefe vernichtet,
                              und vermag in einprocentiger Lösung das in dem fünf- bis siebenfachen Gewicht
                              entölter süßer Mandeln enthaltene Emulsin, jedenfalls in Folge der Coagulirung des
                              letzteren, unwirksam zu machen. Mit Vermehrung des Mandelmehles gelangt nur die jene
                              Grenzmenge überschreitende Quantität Emulsin zur Wirkung (Versuch 22 bis 28 a. a. O.
                              S. 13 bis 17).
                           Im Anschluß an obige Versuche haben wir vergleichsweise noch die gährungshemmende
                              Wirkung anderer der Salicylsäure nahe stehender aromatischer Säuren studirt, worüber
                              wir nachstehendes kurze Referat geben.
                           Die der Salicylsäure homologe Kresotinsäure besitzt nach
                              vorläufigen Versuchen ebenso starke gährungshemmende Kraft wie die Salicylsäure. Wir
                              haben diese Versuche mit der Kresotinsäure wiederholt, welche aus dem constant bei
                              203° siedenden Kresol gewonnen war, und gleiches Resultat damit erhalten.
                           Die Benzoësäure wirkt auch hemmend auf die Alkoholgährung ein, aber in viel
                              geringerem Grade als die Salicylsäure.
                           Versuch 29. Versuchsflüssigkeit: 1l Zuckerlösung, 0g,5 Benzoësäure.
                           Zusatz von 5g Hefe bewirkte lebhafte
                              Gährung, welche nach Hinzufügen von weiteren 0g,5 Benzoësäure zwar verlangsamt, aber nicht aufgehoben wurde.
                           Versuch 30. Versuchsflüssigkeit: 1l Zuckerlösung, 0g,5 Benzoësäure.
                           3g Hefe erzeugten in jener Mischung noch
                              eine, wenn auch schwache, doch deutliche Gährung.
                           Versuch 31. Versuchsflüssigkeit: 1l Zuckerlösung, 0g,75 Benzoësäure.
                           Auf Zusatz von 20g Hefe erfolgte sehr starke
                              Gährung.
                           Die Zusammenstellung der Versuche 3 und 5 einerseits, und 29 bis 31 andererseits läßt
                              deutlich erkennen, daß die gährungshemmende Kraft der Salicylsäure unter diesen
                              Bedingungen gegen fünfmal stärker ist, als die der Benzoësäure.
                           Chlorsalylsäure, aus der Salicylsäure durch Behandlung
                              mit fünffach Chlorphosphor gewonnen.
                           Versuch 32. In 1l Zuckerlösung, welche 0g,5 Chlorsalylsäure enthielt, bewirkten
                              5g Hefe Gährung, doch wurde dieselbe
                              durch Zusatz von weiteren 0g,5
                              Chlorsalylsäure vollständig aufgehoben. Dieselbe wirkt also viel weniger energisch
                              als Salicylsäure, aber kräftiger als die Benzoësäure.
                           Die aus der Paraoxybenzoësäure (welche selbst die Gährung nicht hemmt) mittels
                              fünffach Chlorphosphor gewonnene, mit der Chlorsalylsäure isomere Chlordracylsäure hat nach einigen Versuchen, welche wegen
                              ihrer großen Schwerlöslichkeit kein genaues Resultat zulassen, jedenfalls eine
                              deutliche gährungshemmende Wirkung.
                           Die mit der Kresotinsäure isomere Mandelsäure vermag die
                              Alkoholgährung nicht aufzuheben.
                           Die Gallussäure und Pyrogallussäure, von denen je 3g zu je 1l Zuckerlösung zugefügt wurden, welche je
                              5g Hefe enthielten, vermochten die
                              Gährung nicht im mindesten zu stören und aufzuhalten.
                           Auch die Phtalsäure und Isophtalsäure in gleichen Mengen, wie bei Versuch 32 die
                              Chlorsalylsäure, angewendet, verhielten sich unwirksam.
                           Leipzig. im Juni 1875.
                           
                           Auch die weiter von dem Verfasser mitgetheilten Versuche (Journal für praktische
                              Chemie, Bd. 12 S. 178) bestätigen, daß Salicylsäure stärker gährungshemmend wirkt
                              als Benzoësäure.
                           Ferner verzögerte ein Zusatz von 0,05 Proc. Salicylsäure die Zersetzung des Harnes um
                              mehrere Tage; 0,2 Proc. genügte Harn 4 Wochen völlig unverändert zu erhalten.
                           G. Kolbe zeigt ferner (a. a. O. S. 161) in einer längeren
                              Kritik der Broschüre von Fleck (vergl. 217 154), daß die von demselben gemachten Angaben über
                              die Salicylsäure nicht richtig sind.
                           D. Red.