| Titel: | Bemerkungen über das Verhalten der vegetabilischen und animalischen Faser beim Carbonisiren der Wolle und des Tuches; von Prof. Dr. Julius Wiesner. | 
| Autor: | Julius Wiesner [GND] | 
| Fundstelle: | Band 220, Jahrgang 1876, Nr. , S. 454 | 
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                        Bemerkungen über das
                           								Verhalten der vegetabilischen und animalischen Faser beim
                           								Carbonisiren der Wolle und des Tuches; von Prof. Dr. Julius
                              								Wiesner.
                        Wiesner, über Carbonisiren der Wolle und des
                           								Tuches.
                        
                     
                        
                           Die rasche und anscheinend vollständige Zerstörung der
                              									Pflanzenstoffe beim Carbonisiren (Entkletten, épaillage) der Wolle oder der Loden hat
                              									mich zunächst veranlaßt, diesen Proceß durch eigene Anschauung
                              									und selbstständige Versuche kennen zu lernen. Die hierbei
                              									gewonnenen, ziemlich präcisen Resultate drängten mich, auch den
                              									etwaigen Veränderungen nachzugehen, welche bei diesem
                              									Fabrikationsverfahren die thierische Faser erleidet. Hierbei
                              									erhielt ich einige ganz überraschende Versuchsergebnisse. Da nun
                              									meines Wissens die Veränderungen, welche die animalische und
                              									vegetabilische Faser bei Anwendung des Carbonisirungsverfahrens
                              									erleidet, nicht in so genauer Weise wie bei meinen Versuchen
                              									verfolgt wurden, so bringe ich meine Wahrnehmungen hiermit um so
                              									lieber zur allgemeinen Kenntniß, als dieser Fabrikationsproceß
                              									sich bereits einer ausgedehnten Anwendung erfreut.
                           Ueber den Zweck des Carbonisirens, sowie über die
                              									verschiedenartige Durchführung desselben ist in diesen Blättern
                              									so ausführlichVgl. Jullion 1855 138 74. Leloup 1856 139 465. Böttger 1858 148 319. Cliff 1860 158 443. Boode 1870 198 263. Duclaux, Lechartier und
                                    									Raulin 1874 213 65. Lix 1876 219
                                    									182. Barral und Salvetat 1876 219 469. Notizen 1872 203 159. 1874 213 174. abgehandelt
                              									worden, daß es mir überflüssig erscheint, hierüber erst
                              									eingehend zu berichten. Es genügt anzuführen, daß hierfür in der
                              									Regel eine schwachprocentige Schwefelsäure angewendet wird, mit
                              									welcher bei gewöhnlicher Temperatur die Wolle oder der Loden
                              									durch kurze Zeit behandelt wird, worauf die adhärirende
                              									Flüssigkeit mechanisch — am besten durch Centrifugiren
                              									— entfernt und das feuchte Material auf 50 bis
                              									100°, wohl auch darüber, erhitzt wird. Schließlich
                              									beseitigt man die noch anhaftende Schwefelsäure durch Sodabäder
                              									und Wasser. Nunmehr zerstäubt die vegetabilische Faser angeblich
                              									vollständig, während die Wolle bei all diesen Processen keine
                              									merkliche Veränderung erfahren haben soll.
                           Ich beschränke mich im Nachfolgenden blos auf die Beurtheilung
                              									des Carbonisirens mittels Schwefelsäure. Ueber andere zum
                              									Carbonisiren gleichfalls verwendbare Substanzen (vgl. 1876 219 469) stehen mir keine eigene Erfahrungen zu Gebote.
                           Bei dem Umstande, daß die Stoffe, welche an der Zusammensetzung
                              									der vegetabilischen Gewebe und Organe Antheil nehmen, gegen
                              									Schwefelsäure  ein sehr verschiedenartiges Verhalten
                              									zeigen, schien es mir nothwendig, zunächst die in der Wolle
                              									auftretenden Pflanzenstoffe kennen zu lernen. Ich ließ einige
                              									größere Mengen verschiedener roher (europäischer) Wollen
                              									sorgfältigst von allen fremden anhängenden Bestandtheilen
                              									befreien und sortirte die letztern. Dieselben bestanden fast nur
                              									aus vegetabilischen Stoffen, neben welchen kleine, ganz
                              									unerhebliche Mengen von Erde und klein Fragmente von
                              									Insectencadavern auftraten.
                           Unter den vegetabilischen Stoffen fanden sich:
                           1) Sogen. Kletten, nämlich verschiedene, mit
                              									Stacheln versehene Früchte. Ich beobachtete darunter die Früchte
                              									von Xanthium spinosum, Echinospermum
                                 									Lappula, Galium aparine, Medicago minima und Daucus Carota. Es werden die kleinern
                              									dieser aus der Wolle mechanisch außerordentlich schwer zu
                              									entfernenden stachlichen Früchte bekanntlich als
                              									„Wollläuse“ bezeichnet.
                           2) Stroh- und Grastheile, namentlich Spindeln
                              									der Blüthen- oder Fruchtähren.
                           3) Grobe Gewebsfasern, besonders Jute;
                              									zweifellos von den Wollsäcken herrührend.
                           4) Blatt- und Stengelfragmente der
                              									verschiedensten krautartigen Gewächse.
                           Zu den vegetabilschen Stoffen ist wohl auch der unter die
                              									Verunreinigungen der Wolle relativ so reichlich auftretende
                              									Schafkoth zu zählen, welcher ja der Hauptmasse nach aus
                              									vegetabilischen Stoffen, vorzugsweise aus cuticularisirter,
                              									verholzter oder reiner Cellulose besteht.
                           Um den Einfluß des Carbonisirens auf die genannten
                              									vegetabilischen Stoffe kennen zu lernen, erschien es nothwendig,
                              									zu untersuchen, wie sich bei diesem Processe verhält: die reine
                              									Cellulose, die verholzte und die mit einer Cuticula überzogene
                              									Zellwand. Auf die im Zellinhalte dieser Vegetabilien
                              									auftretenden Stoffe ist im Grunde nicht nöthig, Rücksicht zu
                              									nehmen, und zwar aus zweierlei Gründen. Erstens weil die
                              									Zellinhaltsstoffe wie Stärke, Chlorophyllkörner,
                              									Protoplasmareste bei dem Processe des Carbonisirens gewiß
                              									zerstört werden, und zweitens, weil die Zellinhaltsstoffe,
                              									welche Beschaffenheit sie auch immer besitzen mögen, bei der
                              									Zerstörung der sie umhüllenden Zellenmembran eine aus losen
                              									Theilchen bestehende Masse bilden müssen, welche schon beim
                              									Waschen der Wolle, bezieh. des Tuches abgingen. — Die
                              									Cellulose findet sich in ziemlich reinem Zustande in einzelnen
                              									Bast- und Markgeweben der oben genannten vegetabischen
                              									Verunreinigungen der Wolle vor, ferner im Schafkoth. Verholzte
                              									Cellulose bildet die Hauptmasse des festen Zellgerüstes jener
                              									Pflanzenstoffe. Die mit Cuticula überzogene Zellwand tritt in
                              									
                              									allen Hautgeweben der oben genannten Früchte, der Blätter und
                              									Stengelfragmente auf.
                           Zu den Versuchen mit reiner Cellulose wurde schwedisches
                              									Filtrirpapier, zu den mit verholzter Cellulose sowohl Jute,
                              									deren Zellen, wie meine frühern Untersuchungen lehrtenVgl. Wiesner: Die Rohstoffe des
                                    									Pflanzenreiches (Leipzig 1873) S. 393 ff., stark
                              									verholzt sind, als dünne Fichtenholzspäne (sehr dünne
                              									Längsschnitte von Fichtenholz) genommen. Als Versuchsobject für
                              									mit Cuticula überzogene Zellwand diente rohe Baumwolle.
                           Die genannten Substanzen wurden in eine verdünnte Schwefelsäure
                              									mit bestimmtem Procentgehalt eingelegt, mit dieser durch eine
                              									Viertelstunde bei gewöhnlicher Temperatur in Berührung gelassen,
                              									hierauf durch Auspressen zwischen Filterpapier sorgfältig von
                              									der adhärirenden Flüssigkeit befreit und schließlich einer
                              									bestimmten erhöhten Temperatur ausgesetzt. Es ergab sich hierbei
                              									folgendes.
                           Verholzte Pflanzenfasern werden schon bei Behandlung mit ein- bis
                              									zweiprocentiger Schwefelsäure (HO, SO3) und hierauf folgendes Erwärmen bei 45 bis 50°
                              									nach Ablauf von drei Viertel bis einer Stunde brüchig und nehmen
                              									eine dunkle, bräunliche Farbe an. Auf 55° erhitzt, nehmen
                              									diese Fasern bereits einen kohligen Charakter an.
                           Reine Cellulose verhält sich etwas resistenter. Mit ein- bis
                              									zweiprocentiger Schwefelsäure behandelt, wird sie bei Erhitzung
                              									auf 50 bis 55° nach Ablauf von etwa einer Stunde brüchig,
                              									beginnt sich bei 60° zu bräunen und verkohlt erst bei
                              									65°.
                           Eine noch größere Widerstandskraft zeigt bei diesem Processe die
                              									Baumwolle, da dieselbe bei Behandlung mit ein- bis
                              									zweiprocentiger Schwefelsäure erst bei 60 bis 62° brüchig
                              									wird, und die Bräunung erst bei 70 bis 72° beginnt. Erst
                              									einige Grade darüber tritt Verkohlung ein.
                           Rascher als mit ein- bis zweiprocentiger Schwefelsäure gelingt
                              									der mechanische Zerfall und die Verkohlung der drei genannten
                              									Arten von vegetabilischen Fasern bei Behandlung mit
                              									höherprocentiger Schwefelsäure und bei Anwendung noch höherer,
                              									als den oben genannten Temperaturen. Immer ist es aber die
                              									verholzte Faser, welche unter gleichen Verhältnissen der
                              									Behandlung zuerst, die mit Cuticula versehene Zellwand, welche
                              									zuletzt verkohlt, während die reine Cellulose ein intermediäres
                              									Verhalten zeigt. Noch bevor die Anzeichen beginnender Verkohlung
                              									sich einstellen und die angesäuerte und erwärmte Faser noch ihre
                              									ursprüngliche Farbe besitzt, wird dieselbe so brüchig, daß sie
                              									bei dem leisesten Druck in eine staubige Masse zerfällt. Für die
                              									Beseitigung der  vegetabilischen Verunreinigungen aus der
                              									Wolle (oder dem Tuche) ist es also gar nicht nöthig, die
                              									Bräunung oder gar die Verkohlung der Pflanzenstoffe
                              									abzuwarten.
                           Die beim Carbonisiren verkohlenden Pflanzenstoffe verbreiten
                              									einen nicht unangenehmen, caramelartigen Geruch. Aus der
                              									verkohlten Substanz läßt sich eine bräunliche, in Wasser
                              									lösliche Substanz abscheiden. Ob dieselbe Caramel ist, habe ich
                              									nicht untersucht. Doch scheint kein Zucker beim Proceß des
                              									Carbonisirens, wenigstens nicht in nachweisbaren Mengen,
                              									gebildet zu werden. Ich habe nämlich weder in der zur
                              									Vorbehandlung der Cellulose benützten verdünnten Schwefelsäure,
                              									noch in der unverkohlten, mit Schwefelsäure vorbehandelten und
                              									erhitzten Faser durch das Trommer'sche Reagens Zucker
                              									nachzuweisen vermocht.
                           Nach meinen Erfahrungen kann man die oben genannten
                              									vegetabilischen Verunreinigungen der Wolle durch zwei- bis
                              									dreiprocentige Schwefelsäure und Erwärmen auf 50 bis 60°
                              									in einer Stunde völlig zerstören.
                           Es scheint mir der Erwähnung werth, daß nach meinen
                              									Untersuchungen durchaus nicht alle vegetabilischen Gewebe so
                              									leicht mittels Schwefelsäure und Erhitzen zerstörbar sind wie
                              									die reine, verholzte oder mit Cuticula versehene Cellulose. Es
                              									gilt dies namentlich für die peridermatischen Gewebe,
                              									beispielweise für viele Rinden. Wenn man z. B. Kork, welcher der
                              									beste Repräsentant dieser Gewebe ist, mit fünfprocentiger
                              									Schwefelsäure durch eine Viertelstunde bei gewöhnlicher
                              									Temperatur behandelt und nach Entfernung der adhärirenden
                              									Flüssigkeit auf 60 bis 70° erhitzt, so gibt sich an
                              									denselben keine merkliche Veränderung kund.
                           Es fragt sich nun, welche Veränderungen die animalische Faser
                              									erleidet, wenn sie jenen Processen unterworfen wird, bei welchen
                              									die obengenannten vegetabilischen Stoffe zerstört werden? Zur
                              									Lösung dieser Frage schien es mir nöthig, die absolute
                              									Festigkeit der unveränderten und hierauf die der carbonisirten
                              									Thierfaser zu prüfen.
                           Da die thierischen Haare sowohl im anatomischen Baue, als auch in
                              									der chemischen Zusammensetzung mit einander im Wesentlichen
                              									übereinstimmen, so ist es begreiflich, daß zu diesen
                              									vergleichenden Untersuchungen sich jenes thierische Haar am
                              									besten eignet, welches die möglichste Constanz im Baue sowohl,
                              									als in den Dimensionen des Querschnittes zeigt. Ich fand hierzu
                              									das Roßhaar am passendsten, weitaus passender als das Wollhaar
                              									des Schafes; ich wählte deshalb zunächst ersteres zu meinen
                              									Versuchen. Ich suchte Roßhaarfäden (Schwanzhaare) aus, welche
                              									bei einer Länge von 10 bis 15cm ziemlich genau einen
                              									Querschnittsdurchmesser von 0mm,16 hatten, bestimmte an jedem
                              									einzelnen Faden die absolute Festigkeit direct durch
                              									Zerreißproben, unterwarf das  längere Stück
                              									des zerrissenen Fadens allen Processen des Carbonisirens durch
                              									so lange Zeit und bei so hoher Temperatur, bis eine
                              									Vergleichsprobe von Baumwolle in Staub zerfiel, und bestimmte an
                              									den so behandelten Faden neuerdings die absolute Festigkeit.
                           Ehe ich meine diesbezüglichen Beobachtungsresultate mittheile,
                              									bemerke ich, daß die absolute Festigkeit eines bereits durch
                              									successive Belastung zerrissenen Fadens neuerdings an der
                              									hierbei resultirenden Hälfte bestimmt und dieselbe im
                              									allgemeinen merklich vermindert gefunden wurde.
                           Es wurden im Ganzen mit Roßhaar vierzig Versuche gemacht, welche
                              									folgende Resultate ergaben: Ein- bis fünfprocentige
                              									Schwefelsäure (HO, SO3) erhöhte die
                              									absolute Festigkeit des regelrecht carbonisirten Roßhaares. Bei
                              									Verwendung einer sechsprocentigen Schwefelsäure blieb die
                              									absolute Festigkeit nahezu dieselbe, bei Benützung
                              									höherprocentiger Schwefelsäure nahm die Festigkeit ab. Einige
                              									Versuchsergebnisse mögen zur Erläuterung dieser Sätze hier
                              									ziffermäßig angeführt werden.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 220, S. 458
                              Procentgehalt
                                 										der verwendeten schwefelsäure.; Temperatur.; Zerreißgewicht
                                 										für; unverändertes Roßhaar.; carbonisirtes Roßhaar.
                              
                           Ausgewählte Angoraziegenhaare von
                              									gleichmäßiger Dicke ergaben im allgemeinen dieselben Resultate
                              									wie Roßhaare.
                           Zerreißversuche mit ausgewählten Haaren der Zackelwolle zeigten
                              									beim Carbonisiren mit ein- bis vierprocentiger Schwefelsäure
                              									eine Steigerung der absoluten Festigkeit. In fünfprocentiger
                              									Schwefelsäure wurde die absolute Festigkeit des Haares nicht
                              									merklich geändert, bei höheren Concentrationen der benützten
                              									Schwefelsäure verminderte sich die absolute Festigkeit. Ich
                              									bemerke noch, daß ich Zackelwolle mit achtprocentiger
                              									Schwefelsäure behandelte, und nachher bei 50 bis 60° bis
                              									zum vollständigen Zerfall eine nebenher zum Versuche genommene
                              									Baumwolle erwärmte und gefunden habe, daß erstere dem Anschein nach keine Veränderung in
                              									Betreff der Festigkeit erlitt. Erst bei den Zereißversuchen
                              									stellte es sich heraus, daß die absolute Festigkeit der Wolle
                              									erheblich gelitten hatte.
                           Da es für ein regelrechtes Carbonisiren nothwendig erscheint, die
                              									Faser, in welcher Form immer sie diesem Processe unterworfen
                              									wurde,  mit schwach alkalischen Flüssigkeiten und
                              									hierauf mit Wasser zu behandeln, um etwa noch der Faser
                              									anhaftende Schwefelsäure, welche in der Folge vielleicht
                              									schädigend auf die Faser einwirken könnte, zu entfernen, habe
                              									ich auch eine Reihe von Versuchen in der Weise ausgeführt, daß
                              									ich die regelrecht carbonisirte Faser mit schwacher Sodalösung
                              									und hierauf mit Wasser behandelte. Es hat sich hierbei, wie auch
                              									nicht anders zu erwarten stand, keine Verminderung der absoluten
                              									Festigkeit der Faser ergeben.
                           Die Zunahme der absoluten Festigkeit von Thierhaaren beim
                              									Carbonisiren unter Anwendung niedrigprocentiger Schwefelsäure
                              									und nicht zu hohen Temperaturen dürfte wahrscheinlich darauf
                              									beruhen, daß die Säure, ohne die Substanz der Faser merklich
                              									chemisch zu verändern, die histologischen Elemente zum schwachen
                              									Aufquellen bringt und hierdurch das Gefüge des Haares an
                              									Dichtigkeit gewinnt. Es dürfte nicht unberechtigt sein, sich
                              									vorzustellen, daß beim Carbonisiren des thierischen Haares die
                              									Festigkeit des letztern in ähnlicher Weise, wie dies beim
                              									vegetabilischen Pergament (vgl. 1876 220 380) der Fall
                              									ist, gewinnt, nämlich durch Dichterwerden des Gefüges: hier in
                              									Folge des Aufquellens der Fasern des Papiers, dort in Folge des
                              									Quellens der Elementarorgane des Haares, in erster Linie wohl
                              									der Zellen der substantia
                                 									fibrosa.