| Titel: | Ueber die denitrirende Function des Gloverthurmes; von Prof. Dr. G. Lunge. | 
| Autor: | Georg Lunge [GND] | 
| Fundstelle: | Band 228, Jahrgang 1878, S. 152 | 
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                        Ueber die denitrirende Function des
                           								Gloverthurmes; von Prof. Dr. G.
                              									Lunge.
                        (Schluss von S. 80 dieses Bandes.)Zum ersten Theil dieser Abhandlung sind folgende Berichtigungen bezieh. Nachträge
                                 										eingelaufen:S. 73 Z. 18 v. u. lies „Vorherrschens“ statt „Vorster'schen“.S. 74 Z. 15 v. u. ist einzuschalten: „Die Jarrow
                                       												Chemical Company arbeitet in einer ihrer Fabriken, nach
                                    											Vergröſserung ihrer Gay-Lussac-Thürme, mit nur 1,05 Salpeter auf 100 Pyrit,
                                    											oder etwa 2,4 auf 100 verbrannten Schwefel, wie ich aus authentischer Quelle
                                    											versichern kann.“S. 77 Z. 17 v. u. ist einzuschalten: „Quantitativ könnte man sie allerdings
                                    											finden, aber eben nicht in minimalen Mengen.“S. 77 Z. 7 v. u. lies „Absorptionssäure“ statt „Absorption“.S. 80 ist zum Schluſs nachzutragen: „Während der Correctur dieser
                                    												Abhandlung kommt mir ein Aufsatz von Davis zu Gesicht
                                    												(Chemical News, 1878 Bd. 37 S. 125), nach
                                    											welchem er in einer Nitrose etwas NO2
                                    											gefunden habe, freilich nur 2,97 auf 7,68 N2O3. Seine Beweisführung dafür ist
                                    											aber durchaus nicht zureichend; doch kann ich natürlich jetzt nicht näher
                                    											hierauf eingehen.“
                           							
                        Lunge, über die denitrirende Function des
                           								Gloverthurmes.
                        
                     
                        
                           Im Schluſstheile seiner Abhandlung (1877 227 563) wiederholt Hurter zunächst die oben als völlig ungegründet nachgewiesene Behauptung,
                              										daſs er aus den Vorster'schen Resultaten schon einen Salpeterverlust im
                              									Gloverthurm habe berechnen können. Er macht mir (und zugleich Bode) dann den Vorwurf, ich habe mir von den Vorgängen
                              									im Kammersystem ein nicht ganz klares Bild gemacht. Dies sucht er aus einer
                              									Aeuſserung von mir nachzuweisen, welche er durchaus miſsversteht. Indem er in einem
                              									Citate das Wort „davon“ auf „Volumprocent“ bezieht (welches Wort bei mir gar nicht vorkommt), statt auf
                              										„Sauerstoff“ oder „schweflige Säure“, wie es der Sinn jener Stelle
                              									deutlich verlangt, kommt er zu der Behauptung, ich hätte bei meiner Berechnung der
                              									Gaszusammensetzung nur auf den frisch zugeführten, nicht auf den auch sonst, also
                              									namentlich in Gestalt von Nitrose, verwendeten Salpeter Rücksicht genommen. Ich
                              									hatte aber, wie man dies früher gewöhnlich gethan hat, angenommen, daſs man etwa die
                              									Hälfte alles Salpeters im Gay-Lussac-Thurm wiedergewinnt; dies macht, bei einem
                              									Salpeterverbrauch von 5 Proc., 10 Proc. von Schwefel, also auf 200 G.-Th. SO2 10 G.-Th. NO3Na,
                              									oder 4,47 G.-Th. N2O3, oder auf 200 Vol. SO2 3,76 Vol. N2O3. Dies ist eben
                              										„noch nicht ein Fünfzigstel davon“, wie ich es gesagt hatte. Uebrigens
                              									wäre es für die ganze an jener Stelle enthaltene Argumentation völlig auf dasselbe
                              									herausgekommen, wenn man statt 1/50 auch 1/25 gesagt hätte; Hurter's ganze Berechnung ist also durchaus nebensächlich für die Frage
                              									vom Gloverthurm und hat in diesem Zusammenhange keinen Sinn, als mich, eben
                              									unverdientermaſsen, eines unvollkommenen Verständnisses des Kammerprocesses
                              									beschuldigen zu können.
                           Gegen die eigene Berechnung von Hurter über den in den
                              										Gaskell-Deacon'schen
                              									Kammersystemen umlaufenden Salpeter habe ich an sich nichts einzuwenden, als daſs
                              									dieselbe selbstredend nur für jene Fabrik und auch nur für die Beobachtungszeit
                              									Geltung beanspruchen kann. Anderwärts wird man, bei verschiedenen
                              									Gröſsenverhältnissen der Apparate und verschiedener Arbeitsweise viel weniger,
                              									vielleicht auch mehr Salpeter im Umlaufe haben. Aber auf das entschiedenste muſs ich
                              									mich gegen die ganz willkürliche, stillschweigende Voraussetzung Hurter's verwahren, daſs „der groſse Theil“ des
                              									zersetzten Salpeters (22,75 Proc. des Umlaufenden) auf Rechnung des Gloverthurmes
                              									geschoben werden müsse. Seine Beweisführung dafür ist durchaus unzureichend. Er
                              									nimmt an, daſs man bei der Anwendung der Kochtrommel ebenso, wie bei dem
                              									Gloverthurme, 5 Proc. Salpeter nöthig habe; aber im letzteren Falle decken diese
                              									einen kleinen mechanischen und einen groſsen chemischen Verlust, während im System
                              									mit Kochtrommel der mechanische Verlust mit der Kammersäure weit überwiegender sei und wohl 3 Proc. von
                              									den 5 Proc. ausmachen werde. Hier also macht Hurter,
                              									der mich weiter oben (Bd. 227 S. 468) „unzuverläſsiger Schätzungen“ anklagt,
                              									seinerseits eine Schätzung, welche nicht nur völlig unzuverläſsig ist, sondern auch
                              									seinen eigenen Angaben gradezu widerspricht. Auf S. 468 sagt er: „Der Beweis ist
                                 										ganz leicht zu führen, daſs die Kammersäure allein, selbst ohne Denitration,
                                 										keine 3 Proc. Salpeter auf 100 Schwefel verlieren könnte.“ Ferner betont er
                              									es selbst auf S. 469, daſs die Ersparniſs an Salpeter, wenn man den Gloverthurm für
                              									Kammersäure allein braucht, „nur eine geringe“ sei. Uebrigens gibt es, wie
                              									oben erwähnt, Fabriken, welche überhaupt weniger als 3 Proc. Salpeter im Ganzen
                              									verbrauchen, sei es mit Kochtrommel oder mit Gloverthurm; und auch solche, welche
                              									nur einen, oft den kleineren Theil ihrer Kammersäure durch den Gloverthurm gehen
                              									lassen, ohne erheblich mehr Salpeter zu verbrauchen. Hurter's Ansicht, daſs die gröſsere Hälfte des Salpeter Verlustes (weiter
                              									oben nennt er es „den groſsen Theil“) im Gloverthurme stattfinde, ist auf
                              									keinerlei Gründe gestützt, als auf die Behauptung, daſs daselbst die Bedingungen für
                              									eine solche Zersetzung viel günstiger als in den Kammern seien. Er beachtet also
                              									nicht das Resultat von Weber's Untersuchungen, daſs
                              									eine zu weit gehende Reduction der Stickstoffoxyde wesentlich bei Anwesenheit eines
                              									Ueberschusses von Feuchtigkeit eintrete (Wagner's
                                 										Jahresbericht, 1867 S. 170), also sicher doch eher in der Kammer an der
                              									Eintrittsstelle des Dampfes als im Gloverthurm. So lange Weber's Arbeit nicht widerlegt ist, bleibt Hurter's Vermuthung ohne allen Boden. Aber gesetzt selbst, er hätte Recht,
                              										so käme ja grade nach seiner Behauptung nur die gröſsere
                                 										Hälfte eines Verlustes von 22,75 Proc. des durch den Gloverthurm gehenden
                                 										Salpeters, sage etwa 12 Proc., auf die Rechnung des Thurmes, statt der von
                                 										Vorster behaupteten 70, oder eigentlich bis 94 Proc., und doch steht Hurter nicht an, mehrfach zu betonen, daſs seine
                              									Resultate mit denen von Vorster stimmen! Auf die Gefahr
                              									hin, von Hurter wiederum, wie dies in seiner Abhandlung
                              									mehrfach geschieht, eines mangelhaften Auffassungsvermögens bezichtigt zu werden,
                              									muſs ich gestehen, daſs ich diesen Widerspruch nicht
                              									verstehe.
                           Hurter beschreibt alsdann eine Anzahl von
                              									Laboratoriumsversuchen, welche einen Verlust an Salpeter bei der Denitrirung von
                              									Nitrose durch schweflige Säure und Luft ergeben, mithin Vorster's Behauptungen unterstützen, die mehligen widerlegen sollen. Er
                              									verschmäht dabei den von mir eingeschlagenen Weg, die Operation möglichst so wie im
                              									Groſsen zu leiten und die Gase in Schwefelsäure aufzufangen, und begnügt sich, wie
                              										Vorster, mit einem alkalischen Absorptionsmittel.
                              									Die Berechtigung dazu leitet er daraus her, daſs er ganz übereinstimmende Resultate
                              									erhielt, als er zweimal Nitrose, in einem Glaskügelchen abgewogen, auf dem Boden
                              									eines tiefen, mit starker Natronlauge gefüllten Cylinders durch Zertrümmerung des
                              									Kugelchens ausflieſsen lieſs und dann die Lauge nach der Siewert-Harcourt'schen Methode analysirte. Er unterläſst es aber einmal zu
                              									untersuchen, ob diese Uebereinstimmung zweier Versuche nur eine zufällige war oder
                              									nicht; er kannte ja gar nicht den wirklichen Inhalt seiner Nitrose, und ohne eine
                              									wirkliche Urprüfung mit bekannten Materialien kann man sich auf eine solche Methode
                              									überhaupt nicht verlassen. Aber bei der praktischen Ausführung seiner Versuche muſs
                              									er dann auch noch in viel roherer Weise verfahren, nämlich die Nitrose durch den
                              									langen Hals seiner Denitrationskölbchen auf den Boden eines Cylinders mit
                              									Natronlauge entleeren. Ich habe nun einen entsprechenden Versuch gemacht, welcher
                              									mich überzeugt hat, daſs ein alkalisches Absorptionsmittel hier nicht passend ist,
                              									weil dabei eine Zersetzung, wahrscheinlich analog der von Rammelsberg (Berichte der deutschen chemischen
                                 										Gesellschaft, 1872 S. 316) bemerkten, mit Verlust von Stickoxyd
                              									eintritt.
                           Ich lieſs aus einer Pipette 10cc
                              									einer künstlichen, genau analysirten Nitrose auf den Boden eines sehr hohen und
                              									engen Cylinders einflieſsen, in welchen sich 160cc
                              									einer Natronlauge von 15 Proc. (stärkere Lauge lieſs sich wegen zu heftiger
                              									Erhitzung und Ausscheidung von Natriumsulfat nicht anwenden) befand. Durch ganz
                              									allmäliges Heben der Pipette konnte der Ausfluſs beliebig verlangsamt werden. Dabei
                              									enstand natürlich ein reichliches Auftreten von Gas- oder Luftbläschen; eine
                              									deutliche Entwicklung von Stickoxyd fand freilich nicht statt; dies ist aber auch
                              									nicht der Fall bei den von mir früher (1877 225 293)
                              									beschriebenen Versuchen, wo doch nicht der leiseste Zweifel stattfinden kann, daſs
                              									ein Verlust an NO eingetreten war. Die Lauge wurde dann abgekühlt, auf 200cc verdünnt und aus einer Bürette in sehr stark
                              									mit Schwefelsäure angesäuerte, verdünnte, warme Chamäleonlösung einlaufen lassen, so
                              									daſs die frei werdende salpetrige Säure sich sofort oxydiren muſste. Von der
                              									ursprünglichen Nitrose kamen nach vielen ganz übereinstimmenden Versuchen 26cc auf 100cc
                              									meines Halbnormal Chamäleons; sie enthielt absolut keine Untersalpetersäure oder
                              									Salpetersäure, wie es durch Zusatz von Ferrosulfatlösung zu der eben entfärbten
                              									Mischung von Chamäleon und Nitrose, Kochen im Ventilkolben und Rücktitriren mit
                              									Chamäleon erwiesen wurde (vgl. 1877 225 290). Zur
                              									gröſseren Sicherheit wurde noch eine ganze Anzahl von Bestimmungen mit dem
                              										„Nitrometer“ gemacht; hierbei wird das durch Schütteln mit Quecksilber
                              									entwickelte Stickoxyd gemessen, mag es von salpetriger Säure, Untersalpetersäure
                              									oder Salpetersäure herstammen. Das Chamäleon zeigte im Cubikcentimeter der Nitrose
                              									einen Gehalt von 0g,0364, das Nitrometer einen
                              									solchen von 0g,0367 an (1cc ergab im Durchschnitt nahestehender
                              									Bestimmungen 21cc,58 NO von 0° und 760mm Druck). Die gewonnene Lauge enthielt nur 1/20 ihres Volums
                              									von der ursprünglichen Nitrose; also entsprachen 52cc derselben 10cc Chamäleon. Es wurden
                              									aber beim Versuche auf 10cc Chamäleon 58cc,9 Nitrose verbraucht, also enthielt diese 13
                              									Proc. N2O3 zu wenig.
                              									Um zu sehen, wie viel davon doch noch als N2O5 vorhanden seien, wurde die eben oxydirte
                              									Flüssigkeit mit 50cc Eisenvitriollösung (= 32,4
                              									Chamäleon) versetzt; nach dem Kochen etc. zurückgebraucht 17,2, also verbraucht
                              										15cc,2 Chamäleon; den ursprünglichen 10cc entsprechen jetzt 15cc Chamäleon, und bleiben nur 0cc,2 für Salpetersäure = 0g,0018. Es war also ein bedeutender Verlust an
                              									Stickstoffoxyden entstanden, und muſs ich deshalb die von Vorster und Hurter gewählte
                              									Experimentirmethode als unzuverlässig bezeichnen.
                           Die genaueren Resultate von Hurter's Versuchen, welche,
                              									im Gegensatze zu den meinigen, einen Verlust im Gloverthurme beweisen sollen, können
                              									uns nach dem eben Gesagten nicht mehr speciell interessiren. Er findet
                              									Salpeterverluste von 13 bis 48 Proc. und schlieſst, daſs auf 100 SO2 um so mehr Salpeter zersetzt werde, je höher die Temperatur und je
                              									weniger Sauerstoff vorhanden war.
                           Bei seinem „Dissociations“-Versuche, wo er Nitrose mit einem Luftstrome von
                              									85° behandelte und dabei keine Veränderung wahrnahm, übersieht er, daſs nach Winkler's Untersuchungen (a. a. O. S. 12) eine wirklich
                              										NO2 enthaltene Schwefelsäure sich hätte
                              									verändern müssen; daſs also seine beharrlich
                              									festgehaltene Bezeichnung der Nitrose nach dem Gehalt an „NO2“ nicht zutreffend ist.
                           Hurter will schlieſslich den von mir den Vorster'schen Versuchen gemachten (und auf die seinigen
                              									genau ebenso anwendbaren) Vorwurf zurückweisen, daſs sie den Verhältnissen des
                              									Groſsbetriebes nicht entsprächen. Er meinte wenn es einmal festgestellt sei, daſs
                              										SO2 die Stickstoffoxyde bis zu Stickoxydul (wie
                              									steht es hier mit der Uebereinstimmung mit Vorster,
                              									welcher nichts von Stickoxydul, sondern nur von Stickstoff wissen will? Vgl. 1874
                              									213 508 bis 511) reducire, so müsse dies immer unter beliebigen relativen
                              									Verhältnissen von SO2 und NO2 vorkommen können; und nach den neueren Aussichten
                              									über den Gaszustand könne, wenn NO oder N2O3 und SO2 im reinen Zustande sich zu weit reduciren, auch der
                              									Zutritt von Sauerstoff diese Reaction „höchstens“ verlangsamen, aber nicht
                              									aufheben. Solche Argumente verdienen keine ernsthafte
                              									Bekämpfung. Diesen Ansichten über den Gaszustand unterwerfe auch ich mich, bescheide
                              									mich aber ihre Anwendung auf concrete Fälle nur an der Hand der Erfahrung zu unternehmen; denn es kann sich hier nicht
                              									um Differentialquotienten, sondern nur um merkbare und
                              										nachweisbare Gröſsen handeln. Hurter hält sich dann darüber auf, daſs ich, wie man es
                              									in vielen technischen Laboratorien thue, den Groſsbetrieb nicht nur dem Wesen,
                              									sondern auch der Form nach nachahmen wolle und nur deshalb einen gläsernen
                              									Gloverthurm gebaut habe. Ich sehe mich zwar nicht, wie es Hurter in dem vorhergehenden Absatze thut, als Mandatar „jedes anderen
                                 										Chemikers“ an, glaube aber, in der Annahme nicht zu irren, daſs wenn nicht
                              										Hurter, doch die meisten anderen Chemiker einsehen werden, was für ein enormer sachlicher
                              									Unterschied darin liegt, ob heiſse Nitrose lange Zeit der Einwirkung von kalter
                              									schwefliger Säure und Luft unter Druck, oder kalte Nitrose nur augenblicklich in
                              									Tröpfchenform der Einwirkung heiſser Röstgase ohne Druck ausgesetzt wird. Grade aus
                              									diesem Grunde kann ich für meine früheren und für die sofort zu beschreibenden
                              									Laboratoriums versuche nicht einen absolut maſsgebenden, sondern nur einen
                              									relativen, durch den Groſsbetrieb zu controlirenden Werth beanspruchen.
                           Schlieſslich soll ich nach Hurter zu viel Sauerstoff auf
                              									die schweflige Säure genommen haben, nämlich 20 : 1 SO2, statt 1 O auf 1 SO2. Erstens wird in
                              									der Praxis stets mehr als 1 O auf 1 SO2 genommen, zweitens ist auch bei einem meiner
                              									früher beschriebenen Versuche (dem dritten) genau gleichviel O und SO2 verwendet worden. Daſs ich bei meinen Versuchen,
                              										wie auch Hurter selbst, ein weit geringeres Verhältniſs von N2O3 zu SO2 angewendet habe, als es in der Praxis erreicht
                              									wird, ist richtig; aber einmal ist dies unvermeidlich, und dann fehlt es durchaus an
                              									Beweisen dafür, daſs die Versuchsresultate dadurch wesentlich verändert werden.
                              									Andere von uns allen vernachläſsigte Umstände, welche ich eben durch meinen
                              									gläsernen Gloverthurm theilweise beheben wollte, scheinen mir viel wichtiger zu
                              									sein.
                           Ich bedaure ungemein, daſs ich in dieser Abhandlung so wenig Positives habe leisten
                              									und mich fast ganz mit der Wegräumung des von einem Andern aufgehäuften Schuttes
                              									habe befassen müssen; freilich ist auch diese Art Arbeit in der Wissenschaft
                              									unentbehrlich, und in meinem Falle kommt noch der Zustand der Nothwehr gegen
                              									ungerechtfertigte Angriffe als Entschuldigung in Betracht. Um jedoch nicht ganz mit
                              									Negativem schlieſsen zu müssen, habe ich noch einige neue Versuche angestellt, wobei
                              									ich mich wesentlich des früher (1877 225 488) von mir beschriebenen Apparates
                              									bediente; jedoch wendete ich vier Mitscherlich'sche
                              									Kugelapparate zur Absorption der Salpetergase an und lieſs das früher hinten
                              									vorgeschlagene Chamäleon ganz fort. Das Gemenge von Luft und SO2 hielt ich regelmäſsig wie 5 : 1, wie Hurter es verlangt; die Temperatur konnte genau
                              									zwischen 150 und 155° gehalten werden. Die Analysen wurden dieses Mal nicht allein
                              									mit Chamäleon, sondern mit dem Nitrometer ausgeführt, also in allen Fällen nur das
                              									NO gemessen, wodurch es gleichgiltig wird, ob N2O3, NO2 oder N2O5 vorhanden sind.
                              									Zu den zwei ersten Versuchen diente die oben erwähnte künstliche, aus reiner
                              									Schwefelsäure erhaltene Nitrose, von welcher 1cc
                              										21cc,58 NO (corrigirt) = 0g,03670 N2O3 ergab. Es wurden angewendet je 20cc = 0g,734 N2O3.
                           1. Versuch. Angewendet 450cc
                              										SO2 und 2250cc
                              									Luft, dann noch 2l Luft zur Austreibung der Gase
                              									durchgeleitet.
                           a) Rückstand auf 100cc gebracht;
                              										5cc davon ergaben 19,7 und 19,5, also 19cc,6 NO bei 15° und 729mm = 17cc,78
                              									corrigirt, entsprechend 0g,0301 N2O3; die 100cc enthielten also 0g,6062 N2O3.
                           b) Absorptionssäure auf 250cc
                              									gebracht; 10cc ergaben 3,4 und 3,2, also 3cc,3 NO bei 15° und 729mm, reducirt = 3cc,0 = 0g,00510 N2O3; die 250cc enthielten also 0g,1275, im Ganzen wiedererhalten 0g,7337.
                           2. Versuch. Angewendet 450cc
                              										SO2 und 2150cc
                              									Luft, schlieſslich wieder 2l Luft.
                           a) Rückstand auf 100cc gebracht;
                              										5cc davon ergaben 19,4 und 19,5, also 19cc,45 NO bei 16° und 730mm,5, reducirt = 17cc,66 NO = 0g,03004 N2O3, zusammen 0g,6008 N2O3.
                           b) Absorptionssäure auf 250cc
                              									gebracht; 10cc davon = 3,6 und 3,3, also 3cc,45, reducirt = 3cc,13 NO = 0g,005327 N2O3, zusammen 0g,1331. Im Ganzen wiedererhalten 0g,7339.
                           Die angewendete Nitrose war etwas zu stark (1,760 sp. G.) und denitrirte sich daher
                              									schlecht; doch wirkte die von mir angewendete Nachbildung der Schwefelsäurekammer so
                              									günstig, daſs während des Versuches durchaus keine
                                 										schweflige Säure aus dem Apparate entwich
                              									und auch die
                              									Absorptionssäure nicht danach roch, was, wie oben bemerkt, schon bei einem ganz
                              									minimen Gehalte der Säure an SO2 eintritt. Ich
                              									wollte aber doch noch etwas besser denitriren und wendete deshalb eine mir vor
                              									Kurzem durch die Güte des Hrn. Director Kloſs aus
                              									Dieuze zugeschickte Nitrose an. Auch diese Nitrose, ganz wie
                                 										die früher von mir untersuchte Nitrose von Uetikon, zeigt bei der Analyse
                                 										ausschlieſslich N2O3, kein N2O5, also auch kein NO2, und
                              									zwar stimmte das Resultat des Chamäleons, der Pelouze'schen Methode und des Nitrometers bis auf 1 Proc. des N2O3-Gehaltes
                              									überein.
                           Wir benutzen hier nur die Nitrometerbestimmung, welche im
                              									Durchschnitt einer Anzahl fast identischer Zahlen 22cc,87 (corr.) NO = 0g,03888 N2O3 ergab. 20cc davon enthielten also 0g,7776 N2O3. Durchgeleitet 450cc SO2 + 2300cc Luft, dann noch 2l Luft; absolut kein
                              									Geruch nach SO2 am Ausgange des Apparates.
                           a) Rückstand auf 100cc gebracht,
                              									gibt am Nitrometer für 5cc 16,7 und 16,5, also
                              										16cc,6 NO bei 17° und 728mm,5, corrigirt 14cc,98 = 0g,02548, im Ganzen 0g,5096 N2O3. Derselbe mit Chamäleon titrirt: 10 Chamäleon
                              									brauchen 18,4 und 18,8, also 18,6, macht im Ganzen (0,095 × 100) : 18,6 = 0g,5107 N2O3.
                           b) Absorptionssäure auf 250cc
                              									gebracht; 10cc = 7,1 und 7,2, also 7cc,15, corrigirt = 6cc,45 NO = 0,01097 N2O3, im Ganzen = 0g,2742 N2O3.
                              									Dieselbe mit Chamäleon titrirt: 5cc = 44,1 und
                              									43,9 Nitrose, also 10cc Chamäleon = 84,0; im
                              									Ganzen = (0,095 × 250) : 88 = 0g,2700 N2O3.
                           Die Resultate des Nitrometers ergeben zusammen 0g,7838, die des Chamäleons 0g,7807; wirklich angewendet 0g,7776 N2O3.
                           Zu einer Rückprüfung der Absorptionssäure nach dem Pelouze'schen Verfahren, um auf etwa vorhandene N2O5 zu fahnden, war
                              									die Absorptionssäure zu geringhaltig, um ein genaues Resultat erhoffen zu können;
                              									hierfür tritt eben das Nitrometer ein, welches ja ebenfalls alle höheren
                              									Stickstoffoxyde anzeigt.
                           Das Resultat aller Versuche ist wiederum, daſs auch bei
                                 										Anwendung aller von Hurter gewünschten Cautelen und einer Untersuchungsmethode,
                                 										welche einen Irrthum durch SO2 oder NO2 ausschloſs, kein merkbarer Verlust bei der
                                 										Denitrirung constatirt werden konnte.
                           Die in Obigem gewonnenen Resultate erlaube ich mir nunmehr in folgenden Sätzen
                              										zusammenzufassen:Auf meine Beweisführung, daſs Hurter selbst,
                                    											trotz seiner gegentheiligen Behauptung, nicht
                                    											mit den Schlüssen Vorster's übereinstimme,
                                    											könnte er mir allenfalls entgegnen, daſs er nicht die ursprüngliche
                                    											Abhandlung Vorster's (1874 213 411) 506), sondern dessen kurze Antwort auf
                                    											meine Kritik (1875 215 558) meine, worin Vorster zugibt, daſs er in seiner ersten
                                    											Abhandlung zu weit gegangen sei, aber behauptet, daſs seine Schlüsse durch
                                    											meine Rechnung nur modificirt, nicht über den Haufen geworfen worden seien.
                                    											Nun hat aber Vorster diese
                                    												„modificirten“ Schlüsse nie mitgetheilt; er spricht zwar von
                                    											einer „Schätzung“ von 2 Proc. Natronsalpeter auf 100 Th. Schwefel,
                                    											bringt aber für diese Schätzung absolut keine Anhaltspunkte und vor allem
                                    											keine Berührungspunkte mit seinen Laboratoriumsversuchen. Meinen Schluſs, daſs die letzteren (mit ihren
                                    											Resultaten von 68 Proc. etc.) für die Beurtheilung der Vorgänge im
                                    											Gloverthurm durchaus werthlos seien, hat Vorster in keiner Weise modificiren können. Sollte nun Hurter seinerseits ebenfalls die Versuche Vorster's
                                    											als für den
                                    											vorliegenden Punkt nicht maſsgebend anerkennen und nur insofern Vorster beistimmen, daſs ein gewisser, aber von
                                    												Vorster eben nur vermutheter, auch nicht im
                                    											mindesten bewiesener, Verlust im Gloverthurm stattfinde, so würde ja
                                    											eigentlich von Vorster's groſser Arbeit durch
                                    												Hurter's Preisgebung so gut wie gar nichts
                                    											übrig bleiben und Hurter's Polemik gegen meine
                                    											Kritik jener Arbeit gar keinen Boden haben. Es liegen also ganz klar hier
                                    											nur zwei Auffassungen vor: Entweder tritt Hurter für die Vorster'schen Versuche selbst oder auch nur deren annähernde
                                    											Richtigkeit und Giltigkeit für unsern Zweck in die Schranken; alsdann
                                    											beziehe ich mich auf den oben gegebenen, erneuerten Beweis der
                                    											mathematischen Unvereinbarkeit dieser Versuchsresultate mit der Praxis. Oder Hurter läſst den Vorster'schen ersten Aufsatz, soweit es seine Denitrirungsversuche
                                    											betrifft, überhaupt ganz fallen und beschränkt sich auf die allgemeine
                                    											Annahme Vorster's in seinem zweiten Aufsatze,
                                    											daſs ein gewisser Verlust stattfinde. Da nun aber nach Preisgebung der
                                    											Versuche absolut kein Beweis für einen solchen
                                    											Verlust mehr von Vorster geliefert wird, so ist
                                    											ebenso gut wie gar nichts vorhanden, was Hurter
                                    											mir gegenüber noch in Schutz nehmen könnte; denn eine solche unbewiesene
                                    											Vermuthung eines beliebigen Chemikers wäre doch wahrlich aller dieser
                                    											Polemik nicht werth, und Hurter würde durch
                                    											diese zweite Auffassung meiner Opposition gegenüber Vorster's erstem Aufsatze und der aufmunternden Erwähnung, welche
                                    											er an manchen Orten gefunden hat, selbst Recht geben. Ich habe aber
                                    											geglaubt, bei Hurter die erstere Auffassung
                                    											annehmen zu dürfen, weil er Bd. 227 S. 465 erwähnt, daſs er die sämmtlichen
                                    												Vorster'schen Experimente schon vor
                                    											Erscheinen meiner Arbeit wiederholt habe, und gleich darauf sagt, daſs seine
                                    											Schlüsse mit denen von Vorster übereinstimmen.
                                    											Es schien mir mithin keineswegs überflüssig nachzuweisen, daſs Hurter dieser Behauptung thatsächlich durch
                                    											seine eigene Arbeit entschieden widerspricht, und auf der andern Seite dem
                                    											vorzubeugen, daſs er nicht, meiner Beweisführung gegenüber, auf die
                                    											abgeschwächte und eigentlich nichtssagende Antwort Vorster's auf meine Kritik zurückgreift.
                           1) Hurter's Versuch, meine Berechnung des Widerspruches
                              									zwischen Vorster's Laboratoriums- und Fabriksresultaten
                              									umzustoſsen, ist völlig miſslungen; seine eigene Berechnung aller oder der meisten nicht
                              										„mechanischen“ Verluste als dem Gloverthurm zufallend ist völlig ohne
                              									Anhalt.
                           2) Obwohl Hurter an verschiedenen Stellen behauptet,
                              									daſs er mit Vorster's Resultaten übereinstimme, so ist
                              									das grade Gegentheil der Fall denn a) Vorster setzt den
                              									Verlust im Gloverthurm auf 67,9 Proc., ja eigentlich (6. Versuch) auf 94 Proc. des
                              									durchgehenden Salpeters, Hurter nur auf „die
                                 										gröſsere Hälfte“ von 22 Proc. b) Vorster
                              									behauptet, es entstehe dabei gar kein Stickoxydul, nur Stickstoff; Hurter spricht nur von Stickoxydul, c) Vorster erklärt den Gloverthurm als ungeeignet zur
                              									Denitrirung der Nitrose und zieht die Verdünnungsmethode vor; Hurter aber sagt kein Wort hiervon, sondern erkennt
                              									durch sein widerspruchsloses Citat es an, daſs mit dem Gloverthurm eher weniger
                              									Salpeter als mit der Verdünnungsmethode gebraucht werde. Ist ja doch der Gloverthurm
                              									in 7 Exemplaren in der Fabrik vorhanden, in welcher Hurter thätig ist.
                           3) Die von Hurter angefochtene Giltigkeit meiner
                              									Denitrirungsversuche ist vollkommen erwiesen a) durch Widerlegung von Hurter's Einwänden, b) durch neue Versuche, bei denen
                              									alle möglichen Fehlerquellen durch eine Veränderung der analytischen Methode
                              									ausgeschlossen waren.
                           4) In den von Hurter selbst angestellten Versuchen ist
                              									eine Fehlerquelle in der
                              									Anwendung seines alkalischen Absorptionsmittels nachgewiesen worden.
                           5) Gegenüber Hurter's Behauptung ist erwiesen worden,
                              									daſs beim Durchleiten von Luft und Stickoxyd durch Schwefelsäure wirklich nur N2O3 entsteht, wie
                              									schon Cl. Winkler behauptet hatte.
                           Hiermit sind denn alle von Hurter gegen mich gerichteten Angriffe vollständig widerlegt und es ist
                              									damit erwiesen worden, daſs die von mir aufgestellten Ansichten über die
                              									denitrirende Function des Gloverthurmes in allen wesentlichen Stücken noch immer die
                              									gröſste Wahrscheinlichkeit für sich haben.
                           Zürich, technisch-chemisches
                                 										Laboratorium des Polytechnicums.