| Titel: | Zur Geschichte der Anilinfabrikation; von C. Häussermann. | 
| Autor: | C. Häuſsermann | 
| Fundstelle: | Band 228, Jahrgang 1878, S. 180 | 
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                        Zur Geschichte der Anilinfabrikation; von
                           									C. Häuſsermann.
                        Häuſsermann, zur Geschichte der Anilinfabrikation.
                        
                     
                        
                           In den meisten Werken über chemische Technologie, selbst in dem sonst fast ganz auf
                              									dem Boden der Praxis fuſsenden Progrès de l'industrie des
                                 										matières colorantes (Paris 1876) par A. Wurtz
                              									findet sich die irrige Angabe, daſs man das Nitrobenzol im Groſsen mit Hilfe von
                              									Essigsäure (und Eisen) reducire. Schon seit dem J. 1864 benutzt man in Frankreich an
                              									Stelle der theuren Essigsäure gewöhnliche Salzsäure, und hat diese Methode, die in
                              									England vielleicht schon früher angewendet wurde, vor etwa 12 Jahren in Deutschland
                              									allgemein Eingang gefunden und die ursprüngliche Bechamp'sche sofort verdrängt. Es ist auffallend, daſs diese wichtige
                              									Neuerung sich so lange der allgemeinen Kenntniſs entziehen konnte, denn auſser A. W. Hofmann, (Neues
                                 										Handwörterbuch der Chemie, Artikel Anilin) hat
                              									wohl kaum Jemand derselben Erwähnung gethan.Girard und Delaire
                                    												(Traité des dérirés de la houille, Paris
                                    											1873) bemerken, daſs man das Nitrobenzol auch mit Salzsäure und Eisen
                                    											reduciren könne, geben aber nicht an, daſs diese Methode die in der Technik
                                    											allein gebräuchliche ist. – Man begegnet übrigens derartigen Erscheinungen
                                    											häufig. So wird z.B. die Pikrinsäure in der Technik seit mehr als 10 Jahren
                                    											nicht durch directes Nitriren des Phenols dargestellt, sondern man bedient
                                    											sich der rohen Phenolsulfosäure, wobei man die Harzbildung auf ein Minimum
                                    											reducirt.
                           Die Anwendung von Chlorwasserstoffsäure anstatt Essigsäure bietet, abgesehen von dem
                              									billigeren Preise der erstem und dem Umstand, daſs die immer mit Verlustquellen
                              									verknüpfte Regeneration in Weg- fall kommt, namentlich den Vortheil, daſs die Bildung von
                              									Acetanilid vermieden wird, und daſs sich in Folge dessen die Ausbeute an Anilin
                              									erhöht. Man verwendet in der Fabrikpraxis auf 100k
                              									Nitrobenzol nur etwa 5 bis 10k gewöhnlicher
                              										SalzsäureMan verdünnt die Salzsäure mit ihrem mehrfachen Gewichte Wasser. Auch
                                    											verdünnte Schwefelsäure bewirkt eine glatte Reaction. – eine
                              									Menge, welche zur vollständigen Reduction vollkommen genügend ist, indem das zuerst
                              									gebildete Eisenchlorür durch das gleichzeitig entstandene Anilin (unter den im
                              									Groſsen gegebenen Bedingungen) in Oxyduloxyd und Anilinchlorhydrat umgewandelt wird,
                              									welch letzteres wieder auf eine neue Quantität Eisen einwirkt. Nach Beendigung der
                              									Reaction, in deren Verlauf sich übrigens bei zu energischer Reduction geringe Mengen
                              									von Benzol und Ammoniak bilden können, wie dies Scheurer-Kestner zuerst bei der Bechamp'schen
                              									Methode beobachtet hat, gibt man Kalkhydrat zu und destillirt meist mit Hilfe eines
                              									Dampfstromes von 2at das Anilin ab.In diesem Falle wird das überdestillirende Wasser immer wieder in den eigens
                                    											hierzu reservirten Dampfkessel zurückgegeben. Einige Fabriken destilliren
                                    											jedoch über freiem Feuer ab. Das im Rückstande verbleibende
                              									Eisenoxyduloxyd wird an die Hüttenwerke zurückgeliefert, während man die
                              									Chlorcalciumlösung als völlig werthlos verloren gehen läſst.
                           Die zur Nitration des Benzols und Reduction des Nitrobenzols dienenden Apparate
                              									entsprechen im Allgemeinen den in den Werken von Wurtz,
                                 										Girard und Delaire, Bolley u.a. angegebenen
                              									Beschreibungen und sind wesentliche Veränderungen an denselben im Laufe der letzten
                              									Jahre nicht vorgenommen worden.
                           Was die Qualität des heutzutage von den Anilinfabriken gelieferten Erzeugnisses
                              									betrifft, so enthalten alle Anilinsorten durchweg mindestens 98 bis 98,5 Proc. ihres
                              									Gewichtes an Aminen aromatischer Kohlenwasserstoffe. Die Verunreinigungen bestehen
                              									hauptsächlich aus Wasser, Benzol, Nitrobenzol, Ammoniak und unter Umständen aus
                              									Spuren nicht näher bekannter schwefelhaltiger Körper, die sich durch einen
                              									unangenehmen Geruch bemerkbar machen.Diese schwefelhaltigen Körper sind jedoch nur in so geringer Menge vorhanden,
                                    											daſs eine zur genauen Untersuchung hinreichende Menge bis jetzt nicht
                                    											erhalten werden konnte. Ihren Schwefelgehalt verdanken sie zweifelsohne dem
                                    											zur Reduction des Nitrobenzols verwendeten Guſseisen. Die Summe
                              									aller dieser Verunreinigungen (mit Ausnahme des Wassers) beträgt wohl kaum über 0,5
                              									Proc., da ein stärker verunreinigtes Anilin sich nicht mehr völlig in verdünnter
                              									Salzsäure lösen würde und in Folge dessen unverkäuflich wäre. Die sogen. Queues d'aniline, deren chemische Kenntniſs man A. W. Hofmann verdankt, treten heutzutage in der
                              									Fabrikation nicht mehr auf, da man bei der Nitrirung die Bildung von Binitrobenzol
                              									vermeidet und somit das Phenylendiamin u.s.w. von vornherein ausschlieſst, und da
                              									andererseits „Benzine“, welche Xylol und höhere Homologe enthalten, nicht mehr
                              									direct verarbeitet werden. Aniline, wie sie namentlich Springmühl (Die chemische Prüfung der künstlichen
                                 										organischen Farbstoffe, Berlin 1873) beschreibt, kommen schon seit einer
                              									Reihe von Jahren nicht mehr im Handel vor, und haben ihm offenbar nicht von Fabriken
                              									bezogene Producte vorgelegen.
                           Es werden zur Zeit unter dem Namen „Anilinöl“ vier verschiedene Producte auf
                              									den Markt gebracht. Neben annähernd reinem Amidobenzol wird ein Gemenge der beiden
                              									Toluidine unter der Bezeichnung „reines Toluidin“ erzeugt, während die beiden
                              									andern „Anilinöle“ Gemenge von Anilin mit Toluidin in wechselnden
                              									Verhältnissen darstellen, die auſserdem einige Procent Xylidin u.a. enthalten
                              									können.
                           Das sogen, „reine Anilin“, welches seit 1870 fabrikmäſsig gewonnen wirdCoupier hat zwar dasselbe schon weit früher
                                    											dargestellt, aber die allgemeinere Anwendung des reinen Anilins datirt erst
                                    											von genanntem Jahre., und dessen Production sich im J. 1877 in
                              									Deutschland auf etwa 500000k belaufen haben mag,
                              									destillirt innerhalb 1½ bis 2° (Thermometer im Dampf) vollständig über und zeigt bei
                              									15° 1,0245 sp. G. Es enthält nur sehr geringe Mengen (nicht über 1 Proc.) von
                              									Toluidin und ist in verdünnter Säure vollkommen klar löslich. Seine hauptsächlichste
                              									Anwendung erleidet es zur Fabrikation von Fuchsinblau, sowie zur Darstellung von
                              									Methylanilin und Diphenylamin. Auſserdem dient es in der Druckerei zur Erzeugung von
                              									Anilinschwarz, und in neuester Zeit ist es gelungen, dasselbe für das Schwarzfärben
                              									von Baumwolle (Methode von Grawitz) nutzbar zu
                              									machen.
                           Das „Toluidin“ entspricht in Bezug auf Reinheit etwa dem eben beschriebenen
                              									Anilin; es destillirt innerhalb 3 bis 3,5° über und zeigt 1,00 sp. G. Je nach der
                              									Darstellungsweise überwiegt in demselben das Ortho- oder das Para-Toluidin.
                           Das in gröſster Menge producirte „Anilinöl“ ist das gewöhnliche „Anilin für
                                 										Roth“, ein Gemenge von Anilin mit den beiden Toluidinen und wenig Xylidin,
                              									das innerhalb 10 bis 12° destillirt und 1,004 bis 1,006 sp. G. zeigt. Es besteht
                              									annähernd aus 10 bis 20 Proc. Anilin, 25 bis 40 Proc. Paratoluidin und 30 bis 40
                              									Proc. Orthotoluidin in wechselnder Mischung. Da die verschiedenen Fuchsinfabriken
                              									nicht ein und dasselbe „Rothanilin“ verarbeiten, sondern „Anilinöle“
                              									von verschiedener Zusammensetzung verwenden, so scheint die Praxis bis jetzt noch
                              									nicht mit Sicherheit entschieden zu haben, welches von den beiden Toluidinen bei der
                              									Fuchsinbildung die wichtigere Rolle spielt.
                           Man kann das „Anilin für Roth“ sowohl durch Mischen von reinem Anilin mit
                              									reinem Toluidin, als auch durch Ueberführung eines entsprechend zusammengesetzten
                              									Gemenges von Benzol und Toluol in Amine erhalten, und entscheidet für den einen oder
                              									den andern Weg nur der Kostenpunkt. Wird jedoch in der Folge ein Ueberwiegen des Orthotoluidins über das
                              									Paratoluidin als für rationelle Fuchsinfabrikation günstig erkannt und ein
                              									bestimmter Procentgehalt des „Anilinöles“ an dem einen oder dem andern der
                              									Toluidine verlangt, so dürfte die Methode der directen Nitration rasch
                              									zurückgehen.
                           Auſser dem „Anilin für Roth“ wird noch in verhältniſsmäſsig geringer Menge
                              										„Anilin für Safranin“ dargestellt, das sich nur durch seinen Mehrgehalt
                              									an Anilin von dem Rothanilin unterscheidet. Dieses Ausgangsmaterial für die
                              									Safraninfabrikation enthält etwa 35 Proc. reines Anilin neben Toluidin und
                              									destillirt bei einem Volumgewicht von etwa 1,016 zwischen 185 bis 190° über. Es hat
                              									meist eine ähnliche Zusammensetzung wie die sog. Échappés der Fuchsinfabriken und werden diese auch vielfach als
                              										„Safraninanilin“ verwendet.