| Titel: | Die Vollendungs-Arbeiten der gewirkten Stoffe und Gebrauchsgegenstände; von Director G. Willkomm. | 
| Autor: | G. Willkomm | 
| Fundstelle: | Band 228, Jahrgang 1878, S. 410 | 
| Download: | XML | 
                     
                        Die Vollendungs-Arbeiten der gewirkten Stoffe und
                           								Gebrauchsgegenstände; von Director G.
                              									Willkomm.
                        (Schluſs von S. 322 dieses Bandes.)
                        Willkomm, über die Vollendungsarbeiten der gewirkten Stoffe und
                           								Gebrauchsgegenstände.
                        
                     
                        
                           8) Zur Herstellung der zum Gebrauche bestimmten Kleidungs-
                                 										oder Luxusgegenstände aus den Stoffstücken oder aus den in richtiger Form
                              									schon gewirkten Theilen dient noch das Schneiden und Nähen. Diese Verrichtungen sind
                              									nicht, wie bei der Verarbeitung der Webstoffe, besondere Gewerbe (das des Schneiders
                              									oder Kleidermachers), sondern werden vom Wirker selbst vorgenommen, welcher schon
                              									durch die Fabrikation regulärer Waaren auf Herstellung fertiger Gebrauchsartikel
                              									hingewiesen ist.
                           a) Das Schneiden. Da gewirkte Kleidungsstücke in den
                              									seltensten Fällen nach genommenem Einzelmaſs angefertigt, sondern durchgängig in
                              									groſsen Mengen fabricirt und vorräthig gehalten werden, so sind sie immer nach
                              									Maſstabellen gearbeitet, welche jedes Geschäft nach den Wünschen seiner Kundschaft
                              									oder nach eigenen Erfahrungen aufstellt. Für das Wirken regulärer Waaren hängt
                              									deshalb in der Werkstatt oder an der Maschine eine Tabelle mit der Angabe aller
                              									Längen- und Breitenmaſse der Waarentheile; geschnittene Gegenstände werden auch in
                              									der Regel nicht im groſsen Stoffstücke gemessen und vorgezeichnet, sondern, da sie
                              									Massenartikel bilden, nach aufgelegten Mustern oder Schablonen von Pappe gezeichnet
                              									und geschnitten. Für kleine Stücke (z.B. Handschuhe) benutzt man noch vortheilhafter
                              									Druckformen, d. s. Holzplatten mit aufgesetzten Zinkstreifen, welche die
                              									Schnittlinien vorstellen und welche man in einen Farbstoff (z.B. Kalkbrei)
                              									eintaucht, worauf dann die betreffenden Linien auf die Waare gedruckt werden. Diese
                              									Druckformen hat man endlich zu sogen. Schneidformen umgewandelt, hat sie aus Eisen
                              									und die Druckkanten aus Stahl hergestellt und letztere scharf geschliffen; auf eine
                              									solche Form werden etwa ein Dutzend Stofflagen gebracht, dann wird mit einer ebenen
                              									Holzplatte überdeckt und das Ganze nun in einer Presse so weit zusammen gedrückt,
                              									daſs die Schneidkanten alle Stofflagen durchschnitten und damit 12 Stücke der
                              									gewünschten Form gebildet haben. Die Pressen wirken entweder durch eine steile mehrgängige
                              									Schraube oder durch Kniehebel oder Excenter.
                           b) Das Nähen der Wirkwaaren ist je nach der Güte der
                              									letzteren verschieden. In regulären Waaren, deren Seitenkanten noch feste
                              									Randmaschen enthalten, näht man gern die äuſsersten Maschen oder Henkel an einander,
                              									da die Naht möglichst wenig auftragen und nicht dicker als die Waare selbst
                              									ausfallen soll; denn man trägt Wirkwaaren zum groſsen Theile als Unterkleider auf
                              									der Haut und wünscht nicht, daſs sie an einzelnen Stellen mit dicken Nahtkanten
                              									drücken. In geschnittenen Waaren aber kann man nicht in die Randmaschen nähen, da
                              									diese eben zerschnitten sind; man muſs entweder die zweite oder dritte Masche von
                              									jeder Kante einwärts anstechen, oder mehrere Maschenstäbchen beider Ränder durch den
                              									Nähfaden mit einander verbinden; auf jeden Fall wird die Naht wulstig und dick.
                              									Ferner ist in den elastischen Wirkwaaren die Naht immer so einzurichten, daſs die
                              									Lagen ihres Fadens nicht straff gerade gestreckt, sondern vielfach gebogen sind,
                              									damit sie selbst mit elastisch ist und beim Verziehen der Waaren nicht reifst;
                              									deshalb verwendet man von Handnähten hauptsächlich die überwendliche und zum Theile
                              									auch die Rückstich-Naht, von Maschinennähten aber nur die Maschen- (Kettenstich-)
                              									Naht, welche zum Theile auch zur überwendlichen Naht umgebildet worden ist.
                           Die hauptsächlichsten Fadenverbindungen der Handnäherei sind folgende: Die
                              									halbenglische oder einfache Schlingennaht verbindet den äuſsersten Henkel einer
                              									Reihe des einen Waarentheiles mit dem äuſsersten Henkel der nächsten Reihe des
                              									anderen Theiles, oder, was dasselbe ist, sie umschlingt in zwei mit einander zu
                              									verbindenden Kanten die äuſsersten Henkel in einer Reihe um die andere überwendlich
                              									mit dem Nähfaden. Die Stiche einer jeden Handnaht dürfen nicht dicht zusammen
                              									gezogen werden, sondern man muſs die Waaren während des Nähens anspannen, um die
                              									Fadenlagen der Stiche genügend locker und dehnbar zu erhalten. Die polnische Naht
                              									legt den Faden wie die vorige, verbindet aber die vollen Randmaschen der zwei
                              									Waarenkanten, und die deutsche Naht verbindet den zweiten und dritten Henkel einer
                              									Seite mit denselben Stücken der anderen Seite. Die englische und französische Naht
                              									haben Rückstiche; erstere verbindet die ersten und letztere die dritten Henkel jeder
                              									Waarenkante durch Fadenlagen, welche zwei Maschen vorwärts und eine Masche rückwärts
                              									gerichtet liegen. Dieselben Nähte können auch als combinirt Rückstich- und
                              									überwendliche Nähte ausgeführt werden.
                           Nähmaschinen, welche den Ein- oder den Zwei-Faden-Kettenstich liefern, sind
                              									ursprünglich nur für geschnittene Waaren verwendet worden; erst in neuerer Zeit hat
                              									man sie so construirt, daſs sie bei genügender Uebung und Umsicht des Arbeiters auch
                              									reguläre Waare nähen (Rudolf's und Hertel's Nähmaschinen); letzteres würde eigentlich am vollkommensten die
                              									Kettelmaschine verrichten, wenn nicht das „Aufstoſsen“ der Randhenkel so
                              									mühsam wäre. Zum Nähen ist auch das Aufketteln und Annähen gefallener Maschen
                              									(Kettelmaschen) zu rechnen.
                           9) Das Verzieren oder Ausputzen der Wirkwaaren ist ursprünglich nur an fertigen Gegenständen
                              									vorgenommen worden und hat namentlich im Sticken (Bordiren) und Aufnähen von Stoff-
                              									oder Besatzstückchen, Bändern, Schnuren u. dgl. bestanden; später hat man aber auch
                              									ganze Stoffstücke an bestimmten Stellen mit groſsen Maschinen gestickt, so daſs
                              									diese verzierten Theile in den später herzustellenden Gegenständen eine bestimmte
                              									Verwendung fanden, z.B. als Kanten an den Handschuhen. Es ist dabei sowohl
                              									Plattstich, als auch Kettenstich (hier Tambourirstich genannt) benutzt worden. Das
                              									Umwickeln oder Umnähen der einzelnen Maschen durch Plattstiche mittels Handarbeit
                              									nennt man Bordiren (französich: broder, d. i. sticken
                              									daher oft auch „brodiren“), und das Aufnähen von Maschen eines bunten Fadens
                              									auf die Maschen der Waare nennt man Tambouriren. Für beide Arbeiten werden die
                              									Waaren straff' ausgespannt, beim Bordiren über ein rundes, nur wenig conisches
                              									Holzstück (Bordirkegel) und beim Tambouriren über einen Reifen oder Rahmen (tambour). Zu letzterer Arbeit benutzt man eine
                              									Handnadel mit Haken und Spitze, schiebt dieselbe ein Stück durch die Waare abwärts,
                              									legt unten den Faden mit der Hand in den Haken und zieht ihn als Schleife durch die
                              									Waare wieder nach oben. Zum Ersätze des Handbordirens hat man die groſsen
                              									Plattstich-Stickmaschinen, wie sie für Weiſswaaren in Gebrauch sind, da wo es
                              									thunlich war, benutzt; die Handarbeit des Tambourirens ist aber vollständig durch
                              									die Tambourirmaschine verdrängt worden (Cuso brodeur,
                              									d. i. Näh-Stick-Maschine, von Bonnaz in Paris);
                              									letztere wird nicht nur mit einer Nadel, sondern auch mit einer Reihe Nadeln
                              									arbeitend ausgeführt.
                           Als Ziernähte sind endlich noch für Herstellung der sogen. Zwickel auf
                              									Handobertheilen, eine aus überwendlicher und Rückstich-Naht zusammengesetzte
                              									Fadenverbindung, der sogen. Handzwickel, und die nachgeahmte überwendliche Naht der
                              										Rudolf'schen Nähmaschinen zu erwähnen.
                           10) Die sogen. „Aufmachung“ der Waaren dient zwar nicht mehr zu ihrer Vollendung
                              									als Gebrauchsgegenstände, wohl aber zu ihrer Fertigstellung als Handelsobjecte. Es
                              									gehören hierher die Angaben von Fabrikzeichen, von Groſsen- und Qualitätsnummern
                              									durch Stempeln mit bunten Farben auf die Gewirke selbst, das Heften
                              									zusammengehöriger Stücke, als z.B. zweier Strümpfe, welche ein Paar bilden, oder das
                              									Zusammenheften der Handschuhfinger, deren jeder einzelne sich sonst beliebig biegt
                              									und verschiebt, das Brechen und das Zusammenlegen der Gegenstände zu einer einfachen
                              									handlichen Form, in der Regel zu der eines Rechteckes, so daſs die Verpackung in Kästchen bequem erfolgen
                              									kann, das Einbinden einer bestimmten Anzahl Gegenstände (z.B. ½ oder 1 Dutzend
                              									Strümpfe) zwischen Papptafeln oder das Umbinden dieser Partien mit farbigen Bändern,
                              									das Einlegen dieser Packete in Pappkästchen (Cartons),
                              									Schlieſsen letzterer und Bekleben mit Zetteln, welche wiederum Angaben über Gröſse,
                              									Art, Farbe u.s.w. enthalten, endlich die Verpackung in Kisten, welche man zur
                              									Verhütung der Einwirkung von Feuchtigkeit innen mit Zinkblech (durch Verlöthen mit
                              									einander verbundene Tafeln) auslegt.