| Titel: | Neue Gewinnungsmethode von Benzol, Naphtalin und Anthracen. | 
| Fundstelle: | Band 246, Jahrgang 1882, S. 429 | 
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                        Neue Gewinnungsmethode von Benzol, Naphtalin und
                           								Anthracen.
                        Neue Gewinnungsmethode von Benzol, Naphtalin und
                           								Anthracen.
                        
                     
                        
                           Man hielt früher die Umwandlung von Kohlenwasserstoffen der Grubengas- und
                              									Aethylenreihe, aus denen man den Braunkohlentheer und das Erdöl bestehend annahm, in
                              									die aromatischen Kohlenwasserstoffe für schwierig, bis später durch Versuche von Burg und Liebermann (vgl.
                              									1878 228 555) an Braunkohlentheerdestillaten und von Beilstein und Kurbatow
                              									(vgl. 1881 240 129. 241 471)
                              									an kaukasischem Erdöl festgestellt wurde, daſs die Kohlenwasserstoffe derselben
                              									keineswegs sämmtlich der Grubengas- und Aethylenreihe angehören. Inzwischen hatte
                              										Berthelot (vgl. 1877 224
                              									109. 226. 226 559) gezeigt, daſs bei der
                              									Steinkohlendestillation aus dem Acetylen, Aethylen u. dgl. die Bestandtheile des
                              									Kohlentheeres gebildet werden. Dem entsprechend erhielt Letny (1878 229 353; vgl. auch 1878 227 78) durch Destillation von Erdölrückständen Benzol,
                              									Toluol, Naphtalin, Anthracen u. dgl., Liebermann und
                              										Burg (1878 228 555)
                              									dieselben Stoffe durch Destillation von Braunkohlentheeröl. Entsprechende Versuche
                              									wurden von Wichelhaus und Salzmann (vgl. 1879 231 173) mit
                              									Braunkohlentheer, von Atterberg (1879 231 190) mit Holztheer, von Rudnew (1881 239 72) mit Erdölrückständen mit
                              									Erfolg ausgeführt.
                           Wie nun Liebermann (Sitzungsberichte des Vereins zur
                                 										Beförderung des Gewerbefleiſses, 1882 S. 242) berichtet, wird diese
                              									Fabrikation in gröſserem Maſsstabe gegenwärtig von Gebrüder
                                 										Nobel in Baku eingerichtet. Von denselben eingesandtes, aus
                              									Erdölrückständen dargestelltes Anthracen bildete eine grüne Masse und enthielt an
                              									reinem Anthracen die eine Probe 35 Proc. die andere 25 Proc. Zur Prüfung, ob kein
                              									für die Alizarinfabrikation schädlicher Bestandtheil in diesem Rohanthracen
                              									enthalten sei, hat die Badische Anilin- und Sodafabrik
                              									in Ludwigshafen aus demselben ein Alizarinöl darstellen lassen, welches sehr gut
                              									ausfiel und auf der diesjährigen Moskauer Ausstellung sich befand. Das Naphtalin war
                              									bereits vollkommen rein. Das übersandte Benzol, obwohl von 80 bis 85° siedend,
                              									enthielt noch beträchtliche Mengen fremder Kohlen Wasserstoffe und erwies sich für
                              									die technische Nitrobenzol-Darstellung noch ungeeignet. In einer Kältemischung von –
                              									14° konnte es jedoch mit Leichtigkeit zum Erstarren gebracht werden. Man ist, da die
                              									beigemengten verunreinigenden Verbindungen nicht fest werden, auf diese Art im
                              									Stande, durch Absaugen leicht reines Benzol zu erzeugen, und dürfte diese Reinigungsmethode, welche
                              									auch Rudnew bereits erwähnt, bei den tiefen
                              									Kältegraden, über welche man auf dem Transportwege durch Ruſsland verfügt, in der
                              									Benutzung keine Schwierigkeiten haben. So gereinigtes Benzol gab sofort fast reines
                              									Nitrobenzol vom Siedepunkt 205°. Uebrigens kann selbst ein Benzol, welches bis 30
                              									Proc. ligroinartiger Beimengungen enthält, durch Erkälten noch gereinigt werden.
                           Der Antrieb zur Verarbeitung der Rückstände liegt in Baku in dem Mangel an geeignetem
                              									Feuerungsmaterial, wie Holz oder Kohle, und dem belästigenden Ueberfluſs an
                              									Naphtarückständen, so daſs man letztere ganz allgemein direkt zum Heizen der
                              									Destillirblasen benutzt. In neuester Zeit hat man sich nun entschlossen, die
                              									Rückstände zuerst zu vergasen, indem man sie in glühende eiserne, mit Bimsstein
                              									gefüllte Retorten eintropfen läſst, um das so erhaltene Gas für die Feuerungs- und
                              									Leuchtbedürfnisse zu verwenden. Daneben gewinnt man einen dem Steinkohlentheer
                              									ähnlichen Theer. 1000k Naphtarückstände liefern
                              									etwa 500cbm Gas und durchschnittlich 300k Theer, welcher 17 Proc. Rohbenzol (bis 120°
                              									siedendes und wohl nur zum 4. Theile aus Benzol und Toluol bestehendes, daher
                              									richtiger 4 bis 5 Procent Benzol und Toluol) und 0,6 Proc. Rohanthracen enthält. In
                              									Baku befinden sich gegen 200 meist kleinere Theerdestillationen neben einigen
                              									gröſseren Anlagen, deren hervorragendste die der Gebrüder
                                 										Nobel ist, welche vor 8 Jahren mit einem Grundkapital von 6 Mill. Rubel,
                              									das gegenwärtig auf 10 Mill. erhöht wird, begründet wurde. Im J. 1881 wurden in Baku
                              									insgesammt etwa 33 Mill. Pud oder 500000t
                              									Rohnaphta destillirt, welche 33 Proc. Leuchtöle (Kerosine) lieferten.
                           Die Firma Nobel erhält ihre Rohnaphta von den 12km von der Fabrik entfernten Quellen durch ein
                              										13cm weites Rohr zugeleitet, welches täglich
                              										16700t (100000 Pud) der Fabrik zuführt. Dieses
                              									Rohr soll jetzt durch ein 15cm weites ersetzt
                              									werden. Bei der Verarbeitung werden zuerst die auch hier vorkommenden
                              									feuergefährlichen Leuchtöle durch Destillation mit Wasserdampf entfernt. Dann werden
                              									die eigentlichen Leuchtöle oder Kerosine übergetrieben und für sich in bekannter
                              									Weise finden Gebrauch gereinigt. Hierbei bleiben ⅔ der gesammten Rohnaphta als
                              									Naphtarückstände zurück, die einen werthvolleren Bestandtheil in dein sogen.
                              									Schmieröl enthalten. Auf dieses wird aber nur ein geringer Theil der Rückstände
                              									(Residuen) verarbeitet, indem man die Oele von 0,835 bis 0,885 sp. G. (Siedepunkt
                              									von 270° aufwärts), werthlose Solaröle, durch Destillation entfernt und das
                              									rückständige Schmieröl zur letzten Reinigung alsdann für sich destillirt. Der
                              									gröſste Theil der Rückstände wurde bisher als Feuerungsmaterial für Dampfschiffe
                              									oder zur Gasbereitung nach dem Inneren Ruſslands verkauft, ein anderer Theil als
                              									Feuerungsmaterial in der Fabrik selbst benutzt. Die Fabrik erzeugte im J. 1880 an
                              										22000t Leuchtöl; 1882 erreicht die Production
                              									etwa 90000t Leuchtöl, während für 1883 und 1884
                              									eine neue sehr beträchtlichebeträchltiche Vermehrung der
                              									Leistung in Aussicht genommen ist. Hierbei fallen als Nebenproducte im J. 1882 fast
                              										200000t Rückstände und 4000t Solaröl.
                           Die Verarbeitung der Rückstände auf Gas und Theer fand zuerst im laufenden Jahre
                              									versuchsweise statt, wobei monatlich nur 66t
                              									Rückstände zur Vergasung gelangten. Unter Zugrundelegung der oben angegebenen
                              									Ausbeute an Theer und dessen Einzelbestandtheilen ergibt sich daher für das J. 1882
                              									nur eine Production von 1500k Rohanthracen und
                              									etwa 15t 80 procentiges Benzol. Dagegen rechnet
                              									man für 1883 bereits auf eine Ausbeute von 42t 30
                              									procentiges Rohanthracen und 500t 80 procentiges
                              									Benzol.
                           Wenn man die Menge des jährlich für Alizarin verbrauchten Anthracens auf 4000 bis
                              										5000t 30 procentiges Rohanthracen und die des
                              									verbrauchten Benzols und Toluols auf 10000 bis 12000t schätzt, so ist auch die durch Nobel's
                              									Vergasung der Naphtarückstände für das J. 1883 in Aussicht stehende Menge an diesen
                              									Kohlenwasserstoffen nicht bedeutend zu nennen. Vergegenwärtigt man sich aber den
                              									bedeutenden Aufschwung, in welchem sich die kaukasische Erdölindustrie befindet, und
                              									das Uebermaſs der wachsend verfügbaren Naphtarückstände, so wird es klar, daſs bei
                              									einiger Rentabilität des Verfahrens der Vergasung bei gleichzeitiger Theergewinnung
                              									die Production der Theerkohlenwasserstoffe in Baku leicht einen Umfang annehmen
                              									kann, welcher eine vollständige Umgestaltung unserer Theerdestillation und unserer
                              									Bezugsquellen für Benzol und Anthracen herbeiführt.
                           Nach den von Krämer eingezogenen Nachrichten ist der
                              									Anthracenverbrauch auf rund 6000t in 25 bis 30
                              									procentiger Waare zu bemessen, welche Zahl man erhält, wenn von der Production der
                              									von den Consumenten nicht aufgenommene Rest in Abzug gebracht wird. Was den
                              									Verbrauch an Benzol anlangt, so hat Caro vor Jahren
                              									einmal 12000t genannt und mit dieser Zahl dürfte
                              									der Verbrauch voll ausgedrückt sein. Bezüglich der von Liebermann oben geschilderten Vorgänge in Ruſsland ist zu bemerken, daſs
                              									die Frage der Benzolgewinnung aus Erdölrückständen einstweilen noch nicht aus dem
                              									Stadium des Versuches, wenn auch des Versuches in gröſserem Maſsstabe herausgetreten
                              									ist, daſs sie aber jedenfalls im Laufe der Zeit von Bedeutung werden wird und wir
                              									dermaleinst von Ruſsland groſse Mengen von Benzol und Anthracen erwarten können. Krämer selbst hat schon von Ruſsland eine groſse Menge
                              									sogen. Leichtöle, wie sie direkt aus dem Theer gewonnen werden, bezogen; es waren
                              									Mengen von etwas 10t. Die Untersuchung hat jedoch
                              									ergeben, daſs sie noch sehr unrein waren, so daſs selbst das Reinigungsmittel,
                              									welches Liebermann erwählte, nicht anwendbar gewesen
                              									wäre. Die aus diesem Rohöl, welches etwa durch Abdestilliren des Theeres bis 200°
                              									erhalten war, durch geeignete Reinigungsmittel abgeschiedenen, bis 120° siedenden
                              									Oele enthielten nur 24 Proc. nitrirbarer Benzolkohlenwasserstoffe.
                           
                           Die Vergasungsversuche, welche Krämer mit solchen
                              									Rückständen hat anstellen lassen, und zwar in ziemlich groſsem Maſsstabe, gaben ein
                              									weit günstigeres Resultat, so daſs er Oele erhielt, welche sich auſserordentlich gut
                              									nitriren lieſsen und bis 91 (in einem Falle sogar bis 96) Proc. nitrirbarer
                              									Benzolkohlenwasserstoffe enthielten. Diese Oele wurden aus verschiedenen Fractionen
                              									von deutschem und russischem Roherdöl gewonnen. Das gewonnene Benzol läſst sich in
                              									jeder Weise mit dem des Steinkohlentheeres vergleichen und stehen wir hier einer für
                              									die Theerdestillation nicht ungefährlichen Concurrenz gegenüber.
                           Ob Nobel in der schnellen Weise, wie er die Fabrikation
                              									von Leuchtpetroleum in Ruſsland ausgedehnt hat, auch im Stande sein wird, die
                              									Vergasung seiner Rückstände ins Werk zu setzen, ist zweifelhaft, zumal wenn man
                              									dabei erwägt, welch riesige Einrichtungen dazu gehören. Krämer verwendet 13 bis 15cm weite
                              									Röhren von 2 bis 2m,5 Länge und verarbeitet ein
                              									Ofen mit 2 solcher Röhren in abwechselndem Betrieb, da man das Oel nur vorsichtig
                              									eintropfen lassen darf, in 12 Stunden 50k dieser
                              									Rückstände, in 24 Stunden also 100k. Die
                              									Verarbeitung der vorhanden genannten Mengen von etwa 250000t Rückständen erfordern somit kolossale Anlagen,
                              									welche sich schwerlich so schnell machen lassen werden; in 2 bis 3 Jahren haben wir
                              									allerdings alles zu fürchten. Im Augenblick ist jedenfalls der Einfluſs dieser neuen
                              									Fabrikation von Theerkohlenwasserstoffen gering.
                           Um die Destillationsproducte bei der Verkokung zu gewinnen, sind an verschiedenen
                              									Orten Versuche im Groſsen im Gange, so z.B. in Gelsenkirchen. Man hatte dort groſse
                              									Hoffnung; doch hat die Sache noch ihren Haken, da es in erster Linie darauf ankommt,
                              									gute Schmelzkokes zu gewinnen, was nach dem eigenen Geständniſs eines dabei
                              									betheiligten Unternehmers bis jetzt nicht der Fall ist. Die Frage ist übrigens
                              									bezüglich des Benzols von ganz untergeordneter Bedeutung: der Schwerpunkt dieser
                              									Bestrebungen liegt vielmehr in der Gewinnung des Ammoniaks, welches in Rücksicht auf
                              									die vorhandenen Mengen ein viel werthvollerer Bestandtheil der Destillationsproducte
                              									der Steinkohle ist. Der Vorschlag von Wedding, die bei
                              									der Verkokung der Steinkohlen entweichenden Gase durch eiserne Röhren zu leiten,
                              									welche in den Zügen liegen, in denen die übrig bleibenden Gase später verbrannt
                              									werden, wird um deswillen nicht durchführbar sein, weil hierbei immer eine sehr
                              									starke Kohlenabscheidung stattfindet; es müſsten also die Rohre immer wieder
                              									gereinigt werden, welcher Umstand wohl die Uebersetzung in einen groſsen Maſsstab
                              									scheitern machen würde.