| Titel: | Beiträge zur technischen Rohstofflehre; von Fr. v. Höhnel. | 
| Autor: | Franz R. v. Höhnel | 
| Fundstelle: | Band 252, Jahrgang 1884, S. 165 | 
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                        Beiträge zur technischen Rohstofflehre; von Fr.
                              								v. Höhnel.
                        (Fortsetzung der Abhandlung Bd. 251 S.
                           								273.)
                        F. v. Höhnel, Beiträge zur technischen Rohstofflehre.
                        
                     
                        
                           Ueber einige technisch wichtige Eigenschaften der Textilfasern
                                 										und die Ursache der Verkürzung der Seile im Wasser.
                           Die Frage, warum sich Seile bei der Benetzung mit Wasser verkürzen, ist bisher noch
                              									nicht endgültig und vollständig erschöpfend beantwortet worden. Es konnte dies auch
                              									nicht geschehen, bevor nicht die Einzelfaser mikrometrisch auf ihr Verhalten geprüft
                              									wurde; denn dieses ist für das ganze Seil maſsgebend. In der That wurde die
                              									Verkürzung der Seile von Seiten der Pflanzenphysiologie auf die der Einzelfaser
                              									zurückgeführt, während von anderen Seiten eine capillare Einlagerung von Wasser
                              									zwischen die Fasern, ein Auf- oder Zudrehen des Seiles beim Naſswerden und andere
                              									Ursachen, z.B. die Drehung der Fasern an und für sich, zur Erklärung benutzt
                              									wurden.
                           Ich habe nun eine Reihe von technisch wichtigen pflanzlichen und thierischen
                              									Textilfasern auf ihr Verhalten bei der Quellung in Wasser geprüft sowohl was ihre
                              									Längen- als ihre Dickenveränderungen anbelangt. Die Dickenveränderungen konnten an
                              									fixirten Fasern sowie an Querschnitten unter dem Mikroskope mit Hilfe eines
                              									Okularmikrometers ohne weitere Vorrichtungen gemessen werden, nicht so die
                              									Veränderungen in der Länge; denn diese sind meist äuſserst gering und muſs hierbei
                              									die Faser stets gleichmäſsig gespannt sein. Ich construirte mir aus Glasplatten und
                              									Glasröhren, welche heiſs mit Siegellack fest verbunden wurden, einen kleinen
                              									Apparat, der mit dem Objekttische seitlich unverschiebbar verbunden war und welcher
                              									mir gestattete, mit einem fixirten Okularmikrometer noch 0,005 Proc.
                              									Längenveränderung der Faser mit Sicherheit abzulesen. Die Faser führte ein leichtes
                              									Glasplättchen, in das ein Maſsstab mit 0mm,1
                              									Theilstrichen eingeritzt war, hin und her. Der in einer Glasrinne liegende
                              									befeuchtbare Theil der Faser war 10cm lang. Ein
                              									Theilstrich des Okularmikrometers hatte den Werth von 0mm,005, also 0,005 Procent des in Wirkung tretenden 10cm langen Faserstückes. Es konnten daher die Procent Verkürzung und
                              									Verlängerung direkt abgelesen werden.
                           Jede Faser wird beim Anhauchen oder beim Befeuchten mit Wasser dicker, ob sie gedreht
                              									ist oder nicht. Die Pflanzenfasern unterscheiden sich dadurch von den Thierfasern,
                              									daſs sie rascher und stärker anquellen. Thierfasern werden in Wasser gelegt um 10 bis 14 Proc.
                              									dicker, z.B. ein Menschenhaar 10,67 Proc., ein Angorahaar 10,2 Proc., ein weiſses
                              									Alpaccahaar 13,7 Proc., ein Tussahseidenfaden 11 Proc. Nur solche Haare, welche ein
                              									groſses Mark besitzen, quellen etwas mehr, denn die Markzellen dehnen sich stärker
                              									aus, z.B. Kuhhaar 16 Proc. Die Dickenzunahme der Pflanzenfasern beträgt meist an
                              									oder über 20 Proc., so z.B. bei neuseeländischem Flachse bei 3 Versuchen 19,5, 20,0
                              									und 22,3, bei Aloëhanf 25,8, bei Lein 17,1, 29,0 und 21,1, bei Hanf 21,1, 25,2 und
                              									21,9 (Mittel für Hanf 22,7), bei Bäumwolle 27,5 Proc.
                           Was das Verhalten der Länge nach betrifft, so kann sich eine Faser bei Benetzung
                              									verlängern und verkürzen, oder ihre Länge beibehalten und dasselbe kann beim
                              									Trocknen geschehen, alles je nach dem Zustande, in
                              									welchem sich die Faser befindet. Diese Längenänderungen schwanken bei Pflanzenfasern
                              									von etwa 0,01 bis 0,20 Proc.und sind bei den Thierfasern gröſser, nämlich 0,05 bis
                              									1,00 Proc.
                           Wenn man dieselbe Faser oftmals hinter einander und abwechselnd naſs macht (oder
                              									stark anhaucht) und trocknen läſst, dabei zugleich die Längenänderungen studirt, so
                              									ergeben sich (aus mehreren 100 Beobachtungen) etwa folgende Regeln.
                           1) Eine natürliche, nicht gedrehte Faser von Flachs, Hanf, Aloehanf, Chinagras,
                              									Baumwolle, Manilahanf verlängert sich naſs gemacht oder
                              									angehaucht um etwa 0,05 bis 0,10 Proc. und verkürzt sich um ebenso viel an der Luft
                              									trocknend.
                           2) Die neuseeländische Flachsfaser des Handels verhält sich umgekehrt.
                           3) Die Mehrzahl der vegetabilischen Fasern zeigte die merkwürdige Eigenthümlichkeit,
                              									daſs sie ihre gröſste Länge beim starken Anhauchen erhielten, worauf sie, in Wasser
                              									gebracht, sich um 0,010 bis 0,030 Proc. verkürzten. Wenn man daher eine nasse Faser
                              									trocknet, so wird sie erst etwas länger, um dann rasch kürzer zu werden.
                           4) Wenn man eine nasse Pflanzenfaser stark spannt und im gedehnten Zustande trocknen
                              									läſst, so zeigt sie nachträglich entweder: a) fortdauernd – soweit die Versuche
                              									reichten – beim Naſsmachen und beim Trocknen eine Verkürzung, jedesmal um etwa 0,05
                              									bis 0,10 Proc. (rohes Chinagras), oder aber: b) es tritt bei den ersten Versuchen –
                              									ob naſs gemacht oder getrocknet – Verkürzung ein, während späterhin sich die Faser
                              									genau so wie neuseeländischer Flachs verhält, sich also naſs verkürzt und trocken
                              									verlängert (Aloehanf), oder endlich: c) die Faser verkürzt sich anfänglich dauernd,
                              									um sich dann in Wasser zu verlängern und beim Trocknen kürzer zu werden
                              									(Manilahanf).
                           
                           5) Jede stark gezwirnte Pflanzenfaser zeigt die
                              									Eigenthümlickeit, sich beim Trocknen zu verlängern und naſs gemacht zu verkürzen.
                              									Hierbei überwiegt anfänglich die Verkürzung stark.
                           6) Eine natürliche Thierfaser verlängert sich stets beim Naſsmachen und verkürzt sich
                              									beim Trocknen, beides um etwa 0,5 bis 1,0 Proc.
                           7) Eine einfache, stark gedrehte Thierfaser zeigt anfänglich auch beim Naſsmachen
                              									eine 1 bis 2procentige Verkürzung, um sich dann ebenso (meist schon vom 2.
                              									Naſsmachen angefangen) wie eine nicht gedrehte zu verhalten; nur sind die Amplituden
                              									meist viel kleiner.
                           8) Eine gespannt getrocknete Thierfaser verkürzt sich beim ersten Naſsmachen (oft um
                              									einige Procent), um sich dann wie eine normale zu verhalten.
                           Man sieht, daſs sich Pflanzen- und Thierfasern ganz wesentlich von einander
                              									unterscheiden. Man könnte glauben, daſs diese Resultate zum Theile durch das
                              									spannende Gewicht (welches aber immer möglichst klein
                              									gewählt wurde) bedingt sind. Indem man jedoch ein kurzes Fadenstück, welches man so
                              									weit mit der Hand spannt, daſs es ganz gerade erscheint, an zwei Stellen mit
                              									Siegellack auf einer Glasplatte befestigt, hat man eine Vorrichtung, an welcher man
                              									sich leicht davon überzeugen kann, ob sich eine Faser bei gegebener Behandlung
                              									wirklich von selbst verkürzt oder verlängert. Ich habe mich auf diese Weise von der
                              									Richtigkkeit meiner Resultate überzeugt.
                           Ein ganz wesentlicher Unterschied besteht zwischen Pflanzen- und Thierfaser in der
                              										Dehnbarkeit, Trockene Pflanzenfasern lassen sich,
                              									ohne zu zerreiſsen, nur um 1 bis 2 Proc. ausdehnen, nasse um 2 bis 4 Proc., während
                              									die Thierfasern bekanntlich sich um 5 bis 36 Proc. und im nassen Zustande noch
                              									stärker dehnen lassen, ohne zu zerreiſsen. Hier sei auch eine andere Beobachtung
                              									angeführt, welche durch die bekannte Eigenschaft der Formbarkeit und Elasticität der Thierhaare
                              									bedingt ist. Wenn man ein Angora- oder Schafwollhaar so oft um die Achse dreht, daſs
                              									es mit der Lupe wie ein Seil aussieht, und es einige Stunden gespannt in diesem
                              									gedrehten Zustande beläſst, so bleibt es auch frei gemacht gedreht; es ist also
                              									plastisch. Sobald man es aber naſs macht oder erwärmt, verschwinden die Drehungen
                              									sofort.
                           Daſs sich die meisten Fasern im natürlichen Zustande beim Befeuchten verlängern, ist
                              									verständlich. Warum verhält sich aber der neuseeländische Flachs umgekehrt? Ich
                              									nehme an, daſs dieser bei der Gewinnung stark gedehnt und in noch gedehntem Zustande
                              									rasch getrocknet wird. Nun verhält er sich so wie eine gespannt getrocknete
                              									Aloëfaser nach dem Eintritte der ersten Verkürzungen (vgl. oben unter 4 b). Weitere
                              									Gründe lassen sich nur vermuthungsweise angeben. Ich stelle mir vor, daſs die Fasern
                              									(neuseeländischer Flachs, Aloëhanf) in jenem Zustande, in welchem sie trocken länger
                              									sind als ganz naſs, ihre gröſste Länge bei einem etwas geringeren Wassergehalte besitzen, als der ist,
                              									welchen sie im Wasser liegend besitzen.
                           Hingegen läſst sich die Frage, warum sich gedrehte Pflanzenfasern im Wasser
                              									verkürzen, genügend beantworten und ebenso auch die, warum sich die gedrehte
                              									Thierfaser anders verhält. Der Grund, warum sich Seile verkürzen, ist derselbe und
                              									zwar folgender: Wenn ein Cylinder dicker wird, so wird jede gegen die Achse geneigte
                              									Gerade im Inneren des Cylinders, sowie jede Spirale, die man sich innen oder auſsen
                              									denkt, zugleich länger. Sind diese Geraden oder Spiralen mit der Substanz des z.B.
                              									durch Quellung dicker werdenden Cylinders fest verbunden, und haben sie gar nicht die Fähigkeit, länger zu werden, so muſs der
                              									ganz anschwellende Cylinder kürzer werden. Dies ist nun beim Seile der Fall. Die
                              									Fasern des Seiles bilden Spiralen und sind dabei unverrückbar fixirt und fast nicht
                              									dehnbar; sie können beim Anschwellen des Seiles ihre Lage nicht ändern. Es muſs sich
                              									daher das Seil verkürzen. Die Verdickung des Seiles ist gerade so groſs, wie die der
                              									einzelnen Faser, aus welchen es gesponnen ist. Ein Hanfseil verdickte sich um 23,6
                              									Proc., Hanffasern zeigten im Durchschnitte ein Anquellen um 22,7 Proc., also fast
                              									genau dasselbe. Im Seile sind die Einzelfasern gedreht; dabei sind sie naſs gespannt
                              									und gespannt getrocknet. Sie können sich daher nach Obigem schon an und für sich
                              									beim Benetzen etwas verkürzen; doch ist diese Verkürzung sehr gering und beträgt nur
                              									Zehntelprocent, während sich gut gedrehte Seile aus Pflanzenfaser um 1,5 bis über 10
                              									Proc. verkürzen. Wenn die Spiralfasern eines quellenden Cylinders stark dehnbar
                              									sind, so wird sich der Cylinder nur wenig verkürzen oder auch gar nicht; daher sich
                              									Seile aus Seide und Haaren nur sehr wenig verkürzen; während eine Rebschnur aus Hanf
                              									sich um 10 Proc. verkürzte, zeigte eine ebenso stark gedrehte seidene Saite nur eine
                              									Verkürzung von 0,24 bis 0,95 Proc. Ein Seil, welches selbst wieder aus Litzen aus
                              									mehreren Fäden besteht, verkürzt sich bedeutend stärker als ein Garnfaden oder eine
                              									Schnur, weil sich jeder Bestandtheil selbstständig verkürzt und diese Verkürzungen
                              									sich summiren. Daher kommt es, daſs eine einfache sehr stark gedrehte Pflanzenfaser
                              									sich beim Quellen nur um Zehntelprocent verkürzt und selbst sehr stark gezwirnte
                              									Thierfasern (deren Schraubengänge nur 0,3 bis 0mm,4 hoch sind) sich sogar beim Quellen verlängern.
                           Die Stärke der Verkürzung eines gedrehten Fadens oder Seiles hängt ab: 1) von der
                              									Stärke der Quellung; 2) von dem Verhältnisse des Umfanges zu der Höhe einer
                              									Spiralwindung (oder dem Winkel, welchen die abgerollte Spirale mit der Basis
                              									bildet); 3) von der Gröſse der Längenänderung der spiralig gelegten Fäden in Folge
                              									der Benetzung und der Dehnung beim Anschwellen des Cylinders; 4) von der Härte des
                              									Seiles. – Ein ganz locker gedrehtes Seil kann sich nie so stark verkürzen wie ein
                              									fest geschlagenes, weil nur bei letzterem die Quellung der Einzelfaser voll zur Geltung
                              									kommt. Nur wenn die Einzelfasern ganz dicht an einander liegen, wird das ganze Seil
                              									um ebenso viel dicker werden wie die Faser.
                           Diese Erklärung der Ursache der Verkürzung der Seile zeigt auch., warum sich letztere
                              									beim Naſsmachen stets etwas aufdrehen. Offenbar werden die Fasern straff gespannnt
                              									und suchen sich zu verkürzen, was durch eine theilweise entgegengesetzte Drehung
                              									geschieht.
                           Man könnte glauben, daſs die spiralige Anordnung, also die Drehung der Faser, das
                              									wesentliche Moment bei der Erklärung des Verhaltens der Seile u. dgl. darstellt-
                              									dies ist aber nicht so. Das Wesentliche ist, daſs die Faser gegen die Längsachse des
                              									sich verkürzenden Stranges geneigt ist. Ich habe mir
                              									aus Glasplättchen und zwei dünnen Bündeln von Aloehanf, die ich mit Blumendraht
                              									umwand, eine 39cm lange Kette hergestellt, bei
                              									welcher die ganz ungedrehte Faser gegen die Kettenachse
                              									Winkel von 30 bis 40° bildete. Trotz der Unvollkommenheit der Vorrichtung und der
                              									Verlängerung der Faser zeigte die Kette constant eine Verkürzung von 4 bis 5 Proc.
                              									beim Benetzen.
                           Aus diesen Mittheilungen gehen auch einfache Erklärungen des Verhaltens von Garnen
                              									und Geweben beim Benetzen, Walken, Waschen, Quellen u.s.w. hervor. Da beim Spinnen
                              									der Garne und beim Weben die Fasern gedreht und zugleich gedehnt werden, erklärt
                              									sich das „Eingehen“ derselben. Das Eingehen muſs beim ersten Benetzen am
                              									stärksten sein, weil anfänglich auch die Dehnung, späterhin nur der Draht in
                              									Betracht kommen. Das stärkere Eingehen thierischer Gewebe, im Gegensätze zu den
                              									pflanzlichen, ist auf diese Weise auch verständlich. Das so starke Eingehen
                              									(Krimpen, Einwalken) der Schafwollstoffe in der Walke ist, wenn auch nur zum
                              									kleinsten Theile, ebenfalls mit eine Folge der Dehnung
                              									und Drehung der Faser beim Spinnen und Weben.