| Titel: | Ueber die Vorgänge in den Schwefelsäurekammern. | 
| Fundstelle: | Band 252, Jahrgang 1884, S. 169 | 
| Download: | XML | 
                     
                        Ueber die Vorgänge in den
                           								Schwefelsäurekammern.
                        Lunge und Naef, über Vorgänge in den
                           								Schwefelsäurekammern.
                        
                     
                        
                           G. Lunge und P. Naef
                              									berichten in der Chemischen Industrie, 1884 S. 5 über
                              									umfassende Versuche, welche namentlich in der Schwefelsäurefabrik von Schnorf in Uetikon ausgeführt wurden. Das dortige
                              									Kammersystem hat im Ganzen 3650cbm Inhalt und
                              									besteht aus 3 Kammern, Nr. 1: 42m lang, 7m,1 breit, 7m
                              									hoch, Nr. 2: 20 × 7,1 × 7m, Nr. 3: 11 × 7,1 × 7m. Dazu gehört ein Feinkiesofen nach Malétra mit 10 Abtheilungen, ein Gloverthurm von 3m,3 Durchmesser und 9m Höhe und ein ungewöhnlich groſser Gay-Lussac-Thurm von 2m,4 Durchmesser und 17m Höhe, also von 76cbm,8 Inhalt, d. i.
                              									2,1 Procent vom Rauminhalte des Kammersystemes. Dieses System arbeitet unter
                              									gewöhnlichen Umständen ganz normal. Der Salpeter wird auſser in Form von Nitrose
                              									durch die bei der Fabrikation von Eisenbeize (Rouille) entwickelten Gase eingeführt
                              										und kann auch in
                              									dieser Form aufs Genaueste controlirt werden. Man braucht im Jahresdurchschnitte 1,4
                              									Proc. Salpetersäure 36° B. auf den Pyrit, oder 2,2 Proc. NaNO3 auf den Schwefel, was gewiſs sehr günstig ist.
                           Zur Ausführung der Versuche wurden an verschiedenen Stellen des
                              									Systemes Bleirohrstutzen angelöthet, in welche Kautschukstopfen mit zwei Löchern
                              									eingesetzt waren. Durch eine der Bohrungen ging ein 1m,5 tief in die Kammer eintretendes Glasrohr zur Absaugung der Gasproben,
                              									durch die zweite ein Thermometer. Die Gase wurden durch ein langes, mit Baumwolle
                              									gefülltes Rohr von Schwefelsäure befreit und durch Natronlauge gesäugt, welche N2O3, N2O4 und SO2 absorbirt, dann durch Chamäleon zur Absorption von
                              									NO; der im Aspirator bleibende Gasrückstand konnte nur Sauerstoff und Stickstoff
                              									enthalten, wovon der erstere direkt, der zweite durch Differenz bestimmt wurde. Die
                              									Chamäleonlösung wurde mit überschüssiger Eisenvitriollösung von bekanntem Titer
                              									versetzt, mit neuem Chamäleon zurücktitrirt und dadurch das NO bestimmt. Zu
                              									gröſserer Sicherheit wurde das Chamäleon meist noch nach der Titration mit
                              									Eisenlösung im Ventilkolben gekocht und von Neuem zurücktitrirt, namentlich wenn die
                              									Analyse viel SO2 ergeben hatte.
                           In der Natronlauge wurde bestimmt: a) der Schwefelgehalt durch
                              									Oxydation mit Bromwasser und Fällung mit Chlorbarium; b) der Sauerstoffverbrauch
                              									durch Einlaufenlassen aus der Bürette in eine gemessene Menge von reiner
                              									Chamäleonlösung, c) der Stickstoffgehalt durch Analyse im Nitrometer oder nach der
                              									Eisenmethode. Indem man den Sauerstoffverbrauch für SO2 aus a berechnete und von b abzog, konnte man nach der gewöhnlichen
                              									Methode aus a, b und c Stickstofftrioxyd und Tetroxyd neben einander berechnen.
                              									Leider erwies sich dieses Verfahren in vorliegendem Falle als ungenau, offenbar weil
                              									Natronlauge eine theilweise Zersetzung der Salpetrigsäure bewirkt. Dagegen ergab die
                              										Peligot'sche Eisenmethode (vgl. Lunge 1877 225 290) genaue
                              									Resultate; es wurde aber ein Theil des entstandenen schwefligsauren Salzes durch den
                              									Sauerstoff der durchgesaugten Gase zu Sulfat oxydirt. Man kann daher nur dann
                              									Natronlauge als Absorptionsmittel anwenden, wenn man auf die quantitative Trennung
                              									von N2O3 und N2O4 verzichtet; wo
                              									es auf diese ankommt, ist sie unbrauchbar. Uebrigens wäre in der ersten Kammer, wo
                              									eine verhältniſsmäſsig groſse Menge von SO2
                              									gegenüber den Stickstoffsäuren vorhanden ist, die beschriebene Methode schon darum
                              									nicht anwendbar für Trennung von N2O3 und N2O4, weil die unvermeidlichen kleinen Versuchsfehler
                              									bei der groſsen Menge der SO2 auf die Bestimmung der
                              									geringen Mengen Stickstoffsäuren einen ganz bedeutenden störenden Einfluſs haben. Da
                              									auch Versuche mit Chamäleon als Absorptionsmittel in diesem Falle durchaus
                              									miſsglückten, so muſste man darauf verzichten, in der ersten Kammer quantitativ
                              									zwischen N2O3 und
                              										N2O4 zu
                              									unterscheiden.
                           Bei der zweiten und dritten Kammer und dem Gay-Lussac-Thurme, wo
                              									die Schwefligsäure so sehr zurücktritt, wurde das Gasabsaugerohr mit einem T-Rohre
                              									verbunden, an dessen beide Schenkel sich U-Röhren anschlössen. Der eine Schenkel
                              									führte zu vier U-Röhren, von denen drei mit concentrirter Schwefelsäure, das letzte
                              									mit ⅕-Normal-Chamäleon beschickt waren. Der zweite Schenkel setzte sich in ein Rohr
                              									fort, welches eine 0m,5 lange Schicht Baumwolle
                              									zur Zurückhaltung von mechanisch aus der Kammer fortgerissener Schwefelsäure
                              									enthielt, und stand mit zwei U-Röhren in Verbindung, welche Natronlauge zur
                              									Bestimmung von SO2 enthielten. Am Ende jedes der
                              									beiden Röhrensysteme befand sich ein Aspirator. Man bestimmte nun in dem so
                              									angesammelten und gemessenen Gasrückstande den Sauerstoff und in dem Inhalte der
                              									Natronröhren die Schwefligsäure durch Oxydation mit Bromwasser, Ansäuern mit
                              									Salzsäure und Fällung mit Chlorbarium. Das Chamäleon wurde mit überschüssiger
                              									titrirter Eisenvitriollösung versetzt und wieder mit 0,1-Normal-Chamäleon bis zur
                              									Rosafärbung zurücktitrirt. Da an dieser Stelle ein Gehalt an Stickoxyd, namentlich
                              									bei stark gelben Kammern, sehr unwahrscheinlich war, so wurde die übrigens stets
                              									sehr unbedeutende Menge des zersetzten Chamäleons auf N2O3 verrechnet, nämlich 1cc 0,1-Normal-Chamäleon = 0cc,558 N2O3. In der Schwefelsäure wurde N2O3 und N2O4 neben einander
                              									durch Ermittelung des Gesammtstickstoffgehaltes als Stickoxyd im Nitrometer und des
                              									Sauerstoffverbrauches beim Einlaufenlassen in 0,1-Normal-Chamäleon bestimmt.
                              									Natürlich wurde von letzterem der durch die Schwefligsäure in Anspruch genommene
                              									Sauerstoff abgezogen (vgl. Lunge 1879 233 155).
                           Die Versuche über die Anwesenheit von Untersalpetersäure in einem normal arbeitenden
                              									Kammersysteme waren bei möglichst normalem und gleichmäſsigem Kammergange ausgeführt
                              									und zwar so, daſs die erste Kammer hell, die zweite ziemlich gelb und die dritte
                              									stark gelb gehalten wurde. Auf dem Gay-Lussac-Thurme war beständig ein schwach
                              									gelber Dampf sichtbar. Die Analysen ergaben, daſs in einer normal arbeitenden Kammer
                              									sich keine Untersalpetersäure findet, daſs hier vielmehr Salpetrigsäure vorwaltet,
                              									welche örtlich durch Schwefligsäure zu Stickoxyd reducirt, aber stets augenblicklich
                              									durch zuströmenden Sauerstoff wieder regenerirt wird. Ist jedoch in den Bleikammern
                              									ein groſser Ueberschuſs von Salpetergasen vorhanden, so entsteht Untersalpetersäure,
                              									somit nur unter abnormen Umständen und nur im hinteren Theile des Systemes; sie
                              									nimmt also keinen wesentlichen Antheil an dem Bildungsprozesse der Schwefelsäure in
                              									den Bleikammern. Die Bildung. von Untersalpetersäure in der letzten Kammer erfolgt
                              									nur bei sehr groſsem Ueberschusse von Salpetergasen, und zwar einmal, weil dann
                              									daselbst nur äuſserst wenig Schwefelsäure in der Kammeratmosphäre vorhanden ist und
                              									weil die reducirende Wirkung der Schwefligsäure wegen deren fast völligem
                              									Zurücktreten nicht eintritt. Der Sauerstoffgehalt der Gase hat keinen Einfluſs auf
                              									die Bildung von N2O4
                              									in den Bleikammern- bei starkem Ueberschusse von Salpetergasen erscheint N2O4, selbst wenn
                              									abnorm wenig Sauerstoff vorhanden ist, bei normaler
                              									Salpeterzufuhr aber nicht, selbst wenn abnorm viel
                              									Sauerstoff vorhanden ist.
                           Zu Uetikon befindet sich ein Apparat von Lasne und Benker (vgl. 1882 243 56).
                              									Die damit erzielten Resultate sind in so fern günstig, als sofort mit dem Einlassen
                              									von Schwefligsäure die gelben Dämpfe am Gay-Lussac-Thurme verschwinden, ohne daſs
                              									ein merklicher Ueberschuſs von Schwefligsäure vorhanden wäre; aber es läſst sich
                              									nicht mit Bestimmtheit sagen, daſs ein wesentlicher Vortheil dadurch erzielt werde,
                              									da die im Groſsen beobachteten quantitativen Differenzen doch unbedeutende sind.
                              									Genaue Versuche waren nicht ausführbar, weil der Apparat ausbesserungsbedürftig war.
                              									Die Gasproben auf dem Gay-Lussac-Thurme ergaben mit den gleichzeitig aus den Kammern
                              									entnommenen u.a. folgende Resultate in Procent:
                           
                              
                                 
                                 
                                 3. Kammer
                                 Gay-Lussac
                                 
                              
                                 I)
                                 Sauerstoff
                                      6,20
                                    –
                                 
                              
                                 
                                 Stickstoff
                                    93,59
                                     –
                                 
                              
                                 
                                 SO2
                                          0,0006
                                     –
                                 
                              
                                 
                                 N2O3
                                        0,210
                                       0,029
                                 
                              
                                 
                                 N2O4
                                 0
                                 0
                                 
                              
                           
                           
                              
                                 
                                 
                                 3. Kammer
                                 2. Kammer
                                 Gay-Lussac
                                 Nitrose (60° B.)
                                 
                              
                                 II)
                                 Sauerstoff
                                   5,32
                                     5,61
                                 –
                                 –
                                 
                              
                                 
                                 Stickstoff
                                 94,43
                                   94,14
                                 –
                                 –
                                 
                              
                                 
                                 SO2
                                       0,0004
                                       0,064
                                 –
                                 –
                                 
                              
                                 
                                 N2O3
                                     0,195
                                       0,189
                                 0,022
                                     1,52
                                 
                              
                                 
                                 N2O4
                                     0,051
                                 0
                                 0,002
                                 0
                                 
                              
                           
                              
                                 
                                 
                                 3. Kammer
                                 Gay-Lussac
                                 Nitrose (59° B.)
                                 
                              
                                 III)
                                 Sauerstoff
                                   5,50
                                 –
                                 –
                                 
                              
                                 
                                 Stickstoff
                                 94,25
                                 –
                                 –
                                 
                              
                                 
                                 N2O3
                                     0,246
                                 0,018
                                     1,52
                                 
                              
                                 
                                 N2O4
                                     0,005
                                 0,001
                                 0
                                 
                              
                           In dem Kammersysteme wurden täglich 2700k Schwefel
                              									(aus 6t Pyrit) verbrannt, also in 24 Stunden 7 ×
                              									2700 = 18900cbm Gase entlassen. Hieraus berechnet
                              									sich der tägliche Verlust an N2O3 und N2O4 durch Nichtabsorption im Gay-Lussac-Thurme:
                           
                              
                                 
                                 
                                 NaNO3
                                 Salpetersäure 38° B.
                                 
                              
                                 Versuch
                                 N2O3
                                 k
                                 Proc. desSchwefels
                                 Proc. desPyrites
                                 k
                                 Proc. desSchwefels
                                 Proc. desPyrites
                                 
                              
                                   I
                                 5481
                                 41,65
                                 1,54
                                 0,69
                                 61,93
                                 2,29
                                 1,03
                                 
                              
                                  II
                                 4347
                                 33,13
                                 1,22
                                 0,55
                                 49,12
                                 1,81
                                 0,81
                                 
                              
                                 III
                                 3591
                                 27,29
                                 1,01
                                 0,45
                                 40,07
                                 1,50
                                 0,67
                                 
                              
                                 Das System arbeitet mit einem Verluste
                                    											von:
                                 
                              
                                 
                                 
                                 
                                 2,2
                                 1,0
                                 –
                                 3,1
                                 1,4
                                 
                              
                           Trotz der auſsergewöhnlichen Gröſse des Gay-Lussac-Thurmes
                              									entsteht mithin noch ein groſser Verlust durch unvollständige Absorption der Gase.
                              									In Fabriken, welche mit kleineren Thürmen arbeiten, wird dieser Verlust noch gröſser
                              									sein. Da auſserdem durch die Kammersäure Stickstoffverbindungen mit fortgeführt
                              									werden, so ergibt sich, daſs bei richtiger Construction und normalem Gange des
                              									Kammersystemes der Verlust an Salpeter durch zu starke Reduction, wenn überhaupt
                              									vorhanden, nur gering sein kann. Die Versuche zeigen ferner, daſs nicht, wie man oft
                              									glaubt, die gelben Dämpfe in den Austrittsgasen des Gay-Lussac-Thurmes aus N2O4 bestehen. Bei
                              									schwach gelber Farbe bestehen dieselben nur aus N2O3; bei stark gelber Färbung der Kammern
                              									tritt N2O4 im
                              									Eintritts- und dann auch im Austrittsgase des Thurmes auf. Die Nitrosen enthielten
                              									nur N2O3, auch wenn
                              									in den Kammergasen N2O4 enthalten war (vgl. 1877 225 291).
                           Versuche bei absichtlich heller gehaltenen Kammern, also bei merklichem Ueberschusse
                              									an Schwefligsäure ergaben folgende Resultate:
                           
                              
                                 
                                 I
                                 II
                                 III
                                 IV
                                 
                              
                                 
                                 3. Kam-mer
                                 Gay-Lussac
                                 3. Kam-mer
                                 Gay-Lussac
                                 3. Kam-mer
                                 Gay-Lussac
                                 3. Kam-mer
                                 Gay-Lussac
                                 
                              
                                 O
                                   5,81
                                 
                                   5,79
                                 
                                   5,91
                                 
                                   6,00
                                 
                                 
                              
                                 N
                                 94,00
                                 
                                 94,05
                                 
                                 93,94
                                 
                                 93,78
                                 
                                 
                              
                                 N2O3
                                   0,155
                                 Spur
                                   0,132
                                 0,0004
                                   0,111
                                 0,0011
                                   0,169
                                 0,009
                                 
                              
                                 N2O4
                                   0
                                 „
                                   0
                                 0
                                   0
                                 0
                                   0,001
                                 0
                                 
                              
                                 NO
                                   0,003
                                   0,0046
                                   0,012
                                 0,0104
                                   0,020
                                 0,017
                                   0,014
                                 0,0066
                                 
                              
                                 SO2
                                   0,037
                                 0,044
                                   0,013
                                 0,026
                                   0,020
                                 0,037
                                   0,036
                                 0,0346
                                 
                              
                           
                           Wenn also die aus dem Gay-Lussac-Thurme abziehenden Gase noch etwas Schwefligsäure
                              									enthalten, so entweichen nur höchst geringe Mengen von N2O3 und N2O4, – dagegen Stickoxyd und zwar hiervon
                              									jedenfalls etwas gröſsere Mengen, als die Analysen zeigen, da die Absorption dieses
                              									Gases in so groſser Verdünnung bei der Analyse schwerlich vollständig sein wird.
                              									Immerhin stellt sich der Verlust an allen Salpetergasen entschieden bedeutend
                              									geringer als bei stark gelben Kammern, nämlich auf 0,13 bis 0,65 Proc. Salpeter auf
                              									den Schwefel, gegenüber 1 bis 1,5 Proc. Es wird mithin in Bezug auf
                              									Salpeterverbrauch von Vortheil sein, mit einem (natürlich ganz geringen)
                              									Ueberschusse an SO2 zu arbeiten. Gerade hierin mag
                              									ein Vortheil des Verfahrens von Lame und Benker liegen, da man bei diesem mit stark gelber
                              									Kammer (also auch mit stärkerem Einsatze an Pyrit) arbeiten und doch im Thurme noch
                              									eine Correctur durch Einlassen von Schwefligsäure vornehmen kann. Freilich muſs dies
                              									mit gröſster Vorsicht geschehen, damit keine Reduction zu Stickoxyd eintritt, und
                              									andererseits begreift man, daſs von geschickten Praktikern auch ohne jenes Verfahren
                              									die richtige Zusammensetzung der Gase erreicht werden kann.
                           Nach entsprechenden Versuchen in Widnes sind hier die Salpeterverluste gröſser sowohl
                              									im Gay-Lussac-Thurme, als im ganzen Systeme und der auf den ersteren fallende Theil
                              									des Verlustes geringer. Die Versuche bestätigen, daſs bei starkem
                              									Salpeterüberschusse, wo sogar die aus dem Gay-Lussac-Thurme austretenden Gase noch
                              									gelb waren, allerdings N2O4 auftritt, aber bei schwächerer Salpeterzufuhr.
                           Ueber die Vertheilung der Gase und das Fortschreiten des Prozesses in den Bleikammern
                              									ist die weitaus wichtigste neuere Arbeit von HurterVgl. Hurter's dynamische Theorie der
                                    											Schwefelsäurefabrikation in D. p. J. 1882 246 341, im Jahresbericht
                                       												der chemischen Technologie, 1882 * S. 240. geliefert.
                              									Nach den Versuchen von Lunge und Naef nimmt bei normalem Kammergange der Gehalt an
                              									Schwefligsäure vom Eingange bis zur Mitte der 1. Kammer sehr schnell ab, nämlich von
                              									etwa 7 auf 1,7 bis 1,9 Proc; demnach ist hier schon etwa 70 Procent der
                              									Schwefligsäure in Schwefelsäure übergegangen, wie es auch die früheren Beobachter
                              									fanden und auch mit der Theorie von Hurter sehr gut
                              									stimmt. Von der Mitte bis zum Ende der 1. Kammer nimmt die SO2 sehr wenig ab, entsprechend einer Verwandlung von
                              									etwa 4 Procent der Anfangsmenge in Schwefelsäure. Mit dem Eintritte in die 2. Kammer
                              									erfährt die Reaction eine plötzliche Steigerung- in der Mitte derselben ist nur noch
                              									0,2 bis 0,4 Proc. Schwefligsäure vorhanden, so daſs auf diesem Wege 20 Proc.
                              									derselben in Schwefelsäure verwandelt sind. Von da ab bis an das Ende des Systemes
                              									geht die Oxydation bei der groſsen Verdünnung der Gase sehr langsam vor sich und,
                              									damit sie die praktisch mögliche Grenze erreicht (absolut vollständig wird sie nie
                              									sein), muſs man eben noch ziemlich bedeutenden Kammerraum aufwenden. Bei zu geringer
                              									Zufuhr an Salpetergasen
                              									nimmt die Schwefligsäure weniger schnell ab und der Prozeſs schiebt sich mehr in die
                              									2. und 3. Kammer vor.
                           Somit ergibt sich, daſs die Schwefelsäurebildung in der ersten Kammer zunächst mit
                              									groſser Energie, im hinteren Theile der Kammer aber schon sehr träge stattfindet und
                              									daſs die Reaction beim Eintritte in die zweite Kammer wieder lebhafter, also
                              									ruckweise verstärkt wird. Hierfür ist keine andere Erklärung zu finden, als daſs im
                              									letzten Theile der 1. Kammer, bei der groſsen Verdünnung der Gase mit 90 Proc.
                              									Stickstoff, die Schwefligsäure-Moleküle nicht hinreichend N2O3 und Sauerstoff
                              									vorfinden, die wieder an anderen Stellen angehäuft sind, daſs dann aber beim
                              									Durchziehen durch das Verbindungsrohr eine innige Mischung der Gase, befördert durch
                              									eine schwache Pressung, stattfindet, so daſs die vorher bei der groſsen Verdünnung
                              									von einander getrennten Moleküle der drei activen Gase einander wieder nahe genug
                              									kommen, um gegenseitig zu reagiren.
                           Hiernach wäre also das beste System eine gröſsere Anzahl von kleineren Kammern.
                              									Freilich ist man, wesentlich aus Rücksicht der Ersparniſs an Blei und Raum, in
                              									neuerer Zeit hiervon zurückgekommen und manchmal sogar dazu übergegangen, das ganze
                              									System in eine einzige Kammer zu verlegen. Aber letzteres muſs sich nicht bewährt
                              									haben, denn es ist höchst selten und man ist davon wieder zu dem Systeme mehrerer
                              									Kammern zurückgekommen. Es scheint, als ob das öftere Hindurchleiten durch
                              									Verbindungsröhren und die dadurch bewirkte Mischung vortheilhaft ist (vgl. Richters 1882 243 * 56). Die
                              									aufgestellten Diagramme zeigen, daſs die normalen Versuche der Verfasser gut mit der
                              										Hurter'schen Theorie übereinstimmen.
                           Um über die vollständige Mischung der Gase Auskunft zu bekommen, wurden gleichzeitig
                              									in drei verschiedenen Höhen in der Mitte der Kammer und an einer Seite, zusammen
                              									also 6 Proben entnommen:
                           
                              
                                 
                                 
                                 Oben
                                 Mitte
                                 Unten
                                 
                              
                                 
                                 
                                 Innen
                                 Auſsen
                                 Innen
                                 Auſsen
                                 Innen
                                 Auſsen
                                 
                              
                                   I)
                                 Sauerstoff
                                   7,34
                                   7,12
                                   7,76
                                   7,36
                                   6,93
                                   7,39
                                 
                              
                                 
                                 Stickstoff
                                 90,43
                                 91,07
                                 89,98
                                 90,78
                                 90,71
                                 90,85
                                 
                              
                                 
                                 SO2
                                   2,03
                                   1,66
                                   2,08
                                   1,67
                                   2,18
                                   1,58
                                 
                              
                                 
                                 NO
                                   0,08
                                   0,08
                                   0,08
                                   0,10
                                   0,10
                                   0,10
                                 
                              
                                 
                                 N2O3
                                   0,12
                                   0,08
                                   0,11
                                   0,09
                                   0,07
                                   0,08
                                 
                              
                                 II)
                                 SO2
                                   2,20
                                   1,96
                                   2,03
                                   1,82
                                   2,04
                                   1,93
                                 
                              
                           Die Zusammensetzung der Gase in der ersten Kammer ist somit über den ganzen
                              									senkrechten Querschnitt eine zu gleichförmige, als daſs man annehmen könnte, die
                              									Röstgase stiegen erst in die Höhe, um dann langsam herunter zu sinken. Vielmehr
                              									mischt sich augenscheinlich das aus dem Gloverthurme eintretende Röstgas schnell
                              									schon im vordersten Theile der ersten Kammer mit den in dieser befindlichen Gasen.
                              									Es wird deshalb auf die Stelle der Ein- und Ausmündung der Verbindungsrohre der
                              									Kammern nicht sehr viel ankommen.
                           
                           Die Analysen gleichzeitig an verschiedenen Stellen desselben Vertikalquerschnittes
                              									der ersten Kammer entnommener Gasproben zeigen immerhin eine gewisse
                              									Verschiedenheit, und zwar in der Mitte und innen einen etwas gröſseren Gehalt an
                              									Schwefligsäure und an Sauerstoff als oben, unten und auſsen. Hiernach würde es
                              									scheinen, als ginge die Reaction zwischen Schwefligsäure und Sauerstoff in der Nähe
                              									der Wände der Kammer etwas schneller vor sich als im Centrum derselben (vgl. Abraham 1882 245 416).
                           Eingehende Versuche über die Temperaturverhältnisse in den Bleikammern ergaben, daſs
                              									die Temperatur der in das Kammersystem eintretenden Gase anfangs noch ein wenig
                              									steigt in Folge der starken Reaction; sie fängt aber bald an zu sinken, anfangs
                              									langsam, im hinteren Theile des Systemes aber stärker, weil dort eine sehr geringe
                              									chemische Reaction stattfindet. Bei stärkerer Beschickung der Oefen und
                              									entsprechender höherer Beanspruchung der Kammern erhöht sich deren Temperatur: im
                              									vorliegenden Falle bei Reduction des Kammerraumes von 1,8 auf 1cbm,3 für 1k
                              									Schwefel um 9 bis 10° in der ersten und zweiten Kammer, um 5 bis 6° in der dritten
                              									Kammer. Die Temperatur nimmt bei äuſserer Luftwärme von 19° innerhalb der Kammer bis
                              										25cm von der Kammerwand um 3°, bis zum Centrum
                              									im Ganzen um 8° zu. An der Kammerdecke ist sie sowohl seitlich, als auch im Centrum
                              									höher als weiter unten (in der Mitte der 1. Kammer etwa 4 bis 5°). Diese
                              									Temperaturunterschiede in demselben Vertikalquerschnitte entsprechen keineswegs
                              									irgend genau einer schwächeren oder stärkeren chemischen Reaction, da die anderen
                              									Beobachtungen das Gegentheil beweisen, und müssen auf rein physikalische Ursachen,
                              									wie Ausstrahlung durch die Kammerwände, zurückgeführt werden. Sie sind aber
                              									vereinbar mit der Theorie, daſs die Gase sich in Schraubenlinien den Wänden der
                              									Kammer entlang bewegen, während das Centrum eine langsamere Bewegung hat. Die
                              									Anwendung von zerstäubtem Wasser statt Dampf hat auf die Kammertemperatur keinen
                              									erheblichen Einfluſs.