| Titel: | Ueber die Schöpfstellen für frische Luft; von Prof. Herm. Fischer. | 
| Autor: | Hermann Fischer | 
| Fundstelle: | Band 253, Jahrgang 1884, S. 386 | 
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                        Ueber die Schöpfstellen für frische Luft; von
                           								Prof. Herm. Fischer.
                        Herm. Fischer, über die Schöpfstellen für frische Luft.
                        
                     
                        
                           Die Nützlichkeit möglichst reiner Luft für das Wohlbefinden und Gedeihen des Menschen
                              									wird wohl von Niemandem bezweifelt; leider freilich fehlen uns Zahlen über den
                              									Schaden, welchen Luftverunreinigungen dem menschlichen Körper zufügen. Eigenart,
                              									Voreingenommenheit und Gewohnheiten derjenigen Menschen, welche zu
                              									Versuchsgegenständen benutzt werden, verdunkeln die Versuchsergebnisse derart, daſs
                              									sie zu rechnungsmäſsigem Nachweise des Vortheiles einer reineren, gegenüber einer in
                              									bestimmtem Grade weniger reinen Luft schwerlich verwerthet werden können. Vielleicht haben
                              									an Thieren vorzunehmende Versuche besseren Erfolg; wenigstens sind die von mehreren
                              									Seiten eingegangenen Nachrichten, nach welchen der Milchertrag der Kühe bei guter
                              									Lüftung der Ställe, aber unter sonst gleichen Umständen, um 12 Proc. und mehr sich
                              									steigerte, geeignet, auf eine demnächstige, einwandfreiere Begründung des Nutzens
                              									reinerer Luft hoffen zu lassen. Alsdann wird man auch bestimmtere, vielleicht weiter
                              									gehende Forderungen hinsichtlich der Luftreinheit stellen können als jetzt.
                           Die Luft geschlossener Räume, in denen wir uns aufhalten, wird namentlich durch den
                              									menschlichen Stoffwechsel verunreinigt. Wir verdünnen die Verunreinigungen, indem
                              									wir reinere Luft einführen und eine gleiche Menge der Zimmerluft abführen. Völlig
                              										reine Luft steht uns überhaupt nicht zur Verfügung.
                              									Wir schöpfen aus dem groſsen Luftmeere, in welchem bezieh. durch das die
                              									Luftverunreinigungen zerstört oder an Orte geführt werden, an welchen sie zur
                              									Ernährung der Pflanzen oder zu anderen Zwecken verwendet werden. Die freie Luft ist
                              									sonach die Trägerin bezieh. Verarbeiterin der Unreinigkeiten; sie ist also mit
                              									diesen je nach den Umständen mehr oder weniger geschwängert. Soll diese freie oder
                              									frische Luft zur Verdünnung der in geschlossenen Räumen frei werdenden
                              									Verunreinigungen dienen, so muſs sie mindestens reiner sein als die Luft der
                              									fraglichen Räume; dieselbe erfüllt alsdann ihren Zweck je nach dem Grade ihrer
                              									Reinheit, so daſs also der Erfolg als das Product aus Luftreinheit und Lüftungsmenge
                              									zu betrachten ist, keineswegs aber die Gröſse des Luftwechsels allein einen Maſsstab
                              									für die erzielte Verdünnung der Luftverunreinigung bietet. Es ist daher
                              									erforderlich, wenn man den Erfolg einer vielleicht kostspieligen Anlage sichern
                              									will, die Reinheit der einzuführenden Luft festzustellen und dauernd zu sichern.
                              									Einen zuverläſsigen Maſsstab für „Unreinheit“ der freien Luft besitzen wir
                              									noch nicht; die einzelnen, als Verunreinigungen bezeichneten Bestandtheile sind
                              									unter sich sehr verschieden und ihr Einfluſs auf die menschliche Natur, wie bereits
                              									erwähnt, in nur geringem Maſse bekannt, weshalb wir uns hier mit einer allgemeinen
                              									Kennzeichnung derselben begnügen müssen.
                           Die Verunreinigungen der freien Luft bestehen theilweise in solchen, welche bei
                              									gröſster Verdünnung an ihrer Gefährlichkeit nichts einbüſsen (die Organismen der
                              									ansteckenden Krankheiten), theilweise in solchen, welche nach unserer gegenwärtigen
                              									Kenntniſs durch entsprechende Verdünnung unschädlich werden. Von ersteren kann hier
                              									nicht weiter die Rede sein; letztere bestehen aus Fäulniſsgasen, Gasen des
                              									Stoffwechsels, Rauch und Staub.
                           Die Fäulniß liefert Kohlensäure, Ammoniak, Wasserdampf,
                              									also Gase, welche in reinem Zustande kaum einen Schaden anrichten können, wenn sie
                              									nicht in zu groſser Menge geathmet werden. Aber neben diesen entstehen noch andere,
                              									weniger bekannte Gase; es drängt sich auch die Besorgniſs auf, daſs die
                              									Fäulniſspilze, sobald dieselben auf betreffende Gewebe des menschlichen Körpers in
                              									gröſserer Menge wirken, die Empfänglichkeit derselben für die Ansteckungsstoffe
                              									mehren, gleichsam für diesen den Boden beackern. Man wird daher bestrebt sein
                              									müssen, diese Gase möglichst von der Athmungsluft entfernt zu halten.
                           Die Gase, welche der Stoffwechsel des gesunden Menschen
                              									liefert, sind Kohlensäure und Wasserdampf: diese können also nur dann schädlich
                              									wirken, wenn sie in gröſserer Menge auftreten. Aber schon der an Blähungen leidende
                              									Mensch liefert neben jenen andere Gase und der kranke Mensch im engeren Sinne des
                              									Wortes auſser diesen nach Umständen jene als unbedingt gefährlich bezeichneten
                              									Ansteckungskeime. Man hat sich daher vor der aus Krankenzimmern kommenden Luft
                              									besonders zu hüten.
                           Der Rauch besteht (wenn man, wie hier überall geschehen,
                              									von den Gasen gewisser gewerblicher Anstalten absieht) aus Kohlensäure,
                              									Schwefligsäure und Ruſs. Die erstere bedarf hier keiner weiteren Erörterung; die
                              									andere beeinfluſst, in gröſserer Menge geathmet, zweifellos die Athmungswerkzeuge in
                              									ungünstigem Sinne, dient aber, namentlich in ihrer höheren Oxydationsstufe als
                              									Schwefelsäure, vielleicht als Desinfectionsmittel der Luft. Der Ruſs schadet der
                              									Gesundheit nur mittelbar, indem er recht unangenehmen Schmutz erzeugt, die Hautporen verstopft
                              									u.s.w. So nach gehört der Rauch wohl zu den lästigsten der Luftverunreinigungen,
                              									keineswegs aber zu den gefährlichsten.
                           Der nicht vom Rauche herrührende Staub ist weniger
                              									harmlos. Seine dem Steinreiche entstammenden Bestandtheile wirken mechanisch auf die
                              									Lungen (man denke nur an die Steinhauer); diejenigen pflanzlichen und thierischen
                              									Ursprunges erregen aber den Verdacht, Träger solcher Organismen zu sein, welche mehr
                              									oder weniger unmittelbare Krankheitserzeuger sind.
                           Nach dieser Erörterung können wir zur Prüfung der
                                 										verschiedenen Lagen der Schöpfstellen in Bezug auf die Reinheit der von
                              									ihnen entnommenen Luft übergehen.
                           Gegen die nahe der Erdoberfläche befindlichen
                              									Schöpfstellen ist geltend zu machen, daſs an manchen Stellen dem Erdboden gröſsere
                              									Kohlensäure- und Ammoniakmengen entströmen, welche auf Verunreinigung des Bodens
                              									schlieſsen lassen. Jedoch nicht überall findet man den Gehalt an genannten beiden
                              									Gasen nahe der Erdoberfläche wesentlich gröſser als in höheren Luftschichten.
                              									Namentlich bilden unsere Asphaltbeläge der Straſsen und Höfe einen dichten
                              									Abschluſs, so daſs gegen die über diesen befindlichen Schöpfstellen, sobald, erstere
                              									sauber gehalten werden, nicht viel einzuwenden ist, indem der Rauch auf dem Wege zum
                              									Erdboden verdünnt wird und der an diesem Orte vielleicht in gröſserer Menge
                              									auftretende, grobkörnige Staub verhältniſsmäſsig leicht ausgeschieden werden kann.
                              									Die Rücksichtnahme auf Staub und Ruſs laſst die in einem belaubten, reinlichen
                              									Garten 0,5 bis 2m über der Erdoberfläche
                              									befindlichen Schöpfstellen noch empfehlenswerther erscheinen.
                           Die Luftentnahme in größerer Höhe, etwa 8 bis 12m über der Erdoberfläche wird vielfach für besser
                              									gehalten als erstere, namentlich unter Bezugnahme auf die dem Erdboden entströmenden
                              									Fäulniſsgase und auf Grund der Anschauung, daſs in dieser Höhe die Luft staubfreier
                              									sei als in der Nähe des Erdbodens.
                           In neuerer Zeit endlich hat das Schöpfen der Luft über
                                 										Dach allgemeinere Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Man muſs zu dessen
                              									Gunsten ohne weiteres zugestehen, daſs über den Dächern der gröſseren Städte der
                              									Austausch der verunreinigten mit der reineren Luft des allgemeinen groſsen
                              									Luftmeeres stattfindet; die Straſsenquerschnitte genügen hierfür nicht, selbst wenn
                              									die Luft mit groſser Geschwindigkeit sich bewegt. So erscheint es denn
                              									selbstverständlich, daſs die frische Luft hier reiner ist, als wenn dieselbe den Weg
                              									aus den oberen Schichten bis zur Erdoberfläche, den von Straſsen, Höfen oder Gärten
                              									aufsteigenden, verunreinigenden Gasen entgegenströmend, zurückgelegt hat. Allein
                              									über den Dächern münden zahlreiche die Luft verunreinigende Ströme, welche einer
                              									dort befindlichen Luftschöpfstelle bei ungünstigem Winde, wenn auch nur
                              									vorübergehend, verhängniſsvoll werden können. Zunächst sind die Abluftkanäle zu
                              									nennen. Man will zwar diese über die Luftschöpfstelle legen und erwartet auf Grund
                              									der Annahme, daſs die Abluft wärmer sei als die frische Luft, daſs erstere der
                              									Schöpfstelle fern bleibe. Hiergegen ist jedoch einzuwenden, daſs die Abluft unter
                              									Umständen auch kühler sein kann als die frische Luft und daſs die
                              									Witterungsverhältnisse die Bewegungsrichtung der ausströmenden Luft oft bedeutend
                              									von der gewöhnlichen ablenken. Indessen ist ein nur zeitweises Wiedereinführen der
                              									soeben ausgestoſsenen Luft wenig bedenklich; dasselbe kann höchstens den Zustand
                              									herbeiführen, welcher in ungelüfteten Räumen herrscht. Gewichtiger sind die Bedenken
                              									gegen ein gelegentliches Einführen des einem benachbarten Schornsteine entquellenden
                              									dicken Rauches. Daſs solches stattfinden kann, wird Jeder zugeben, der bei
                              									verschiedenem Wetter die Bahn des Schornsteinrauches näher beobachtet hat. Man kann
                              									zwar den gröbsten Ruſs in groſsen Staubkammern niederschlagen (das
                              									Universitäts-Krankenhaus in Tübingen benutzt hierzu den Dachboden), der unangenehme
                              									Geruch des Rauches bleibt jedoch zum gröſsten Theile erhalten. In Städten welche dem
                              									raschen Fortschwemmen der menschlichen Auswurfstoffe ein längeres Aufbewahren
                              									derselben, bis dieselben in lebhafte Fäulniſs übergehen, vorziehen, kommen endlich
                              									noch die Oeffnungen derjenigen Röhren in Frage, welche den in der Abtrittsgrube
                              									entstehenden Gasen freien Abzug gewähren. Fürchtet man sich vor den Fäulniſsgasen
                              									der Ausleerungen Gesunder nicht, so ist doch alle Ursache vorhanden, den
                              									Aushauchungen derjenigen Abtrittsgruben, welche auch die Auswürfe kranker Menschen aufnehmen und
                              									vielleicht Gelegenheit zur Züchtung ansteckender Pilze bieten, ernstlich zu
                              									miſstrauen. Sind diese Bedenken nicht genügend, um in der Regel die Vortheile des
                              									über Dach stattfindenden Luftschöpfens zu überwiegen?
                           Keine der erwähnten Schöpfstellen hat in Bezug auf Reinheit ein unbedingtes
                              									Uebergewicht über die anderen.
                           Bei der Wahl des Ortes, an welchem das Schöpfen der Luft stattfinden soll, ist ferner
                              									der Einfluſs des Windes auf die Luftbewegung im Inneren der Häuser zu
                              									berücksichtigen. Der Winddruck beträgt bis 150k
                              									(oder gar mehr) auf 1qm. Selbst bei Anwendung
                              									durch Dampf- oder dergleichen Maschinen betriebener Gebläse benutzt man nun aber für
                              									die Luftbewegung in den zugehörigen Kanälen höchstens 25 k/qm Druck; häufig
                              									muſs man sich aber mit 2 oder 3k begnügen. Diese
                              									Angabe genügt, um alle Vorsicht in Bezug auf Ausschaltung des Winddruckes zu
                              									rechtfertigen. Es fehlt nicht an hierzu geeigneten Einrichtungen; diese sind aber
                              									oft nur schwer oder gar nicht den gegebenen örtlichen Verhältnissen anzupassen und
                              									zwar besonders dann, wenn die Luft in etwa halber Höhe des Hauses geschöpft wird.
                              									Man hat daher unter sonst gleichen Umständen solche Orte für die Luftentnahme
                              									vorzuziehen, welche die letztere unter möglichster Ausschaltung des wechselnden
                              									Winddruckes gestatten. In dieser Beziehung empfehlen sich im Allgemeinen lothrechte,
                              									freistehende Thürmchen, oder über Dach befindliche Luftschöpfstellen; örtliche
                              									Verhältnisse können aber in dem einzelnen Falle eine andere Schöpfstelle
                              									zweckmäſsiger erscheinen lassen.
                           Es läſst sich sonach auch für die Lage der Luftschöpfstellen gegenüber dem
                              									wechselnden Winddrucke eine feste Regel nicht
                                 										aufstellen. Das Endergebniſs unserer Erörterungen ist vielmehr, daſs je
                              									nach den örtlichen Verhältnissen der eine oder der andere Ort für die Anbringung der
                              									Luftschöpfstellen den Vorzug verdient, daſs also eine Entscheidung hierüber nur von
                              									Fall zu Fall getroffen werden kann; man wählt eben unter mehreren Uebeln das
                              									kleinste.
                           Zum Schlüsse werde noch auf die Sorglosigkeit hingewiesen, mit welcher man die
                              									Verunreinigung der Allen gemeinsamen Luft behandelt, – der Luft, welche mindestens
                              									mit ebenso zarten Theilen des menschlichen Körpers in Berührung tritt wie das
                              									Wasser, welche zweifellos mindestens ebenso wichtig für die Gesundheit ist wie
                              									letzteres. Wir halten ein lediglich mechanisch gereinigtes Wasser für wenig
                              									appetitlich, unterlassen aber bei der Luft sogar die mechanische Reinigung. Ammoniak
                              									oder Salpetersäure oder gar organische Körper enthaltendes Wasser wird als sehr
                              									verdächtig oder gar als ungenieſsbar bezeichnet und grundsätzlich ist jede
                              									Verunreinigung der öffentlichen Wasserläufe verboten, während die Verunreinigung der
                              									Luft (mit Ausnahme der Fabriken) Jedem freigestellt ist. Selbst die Krankenhäuser
                              									dürfen ihre vielfach mit Ansteckungsgift geschwängerte Abluft frei ausströmen
                              									lassen! Wir stehen nicht auf dem Standpunkte, ein „Grundrecht“ für die
                              									Gewährung einer reinen Luft anerkennen zu können, theilen vielmehr die Anschauung
                              										Herbert Spencer's bezieh. Rosenthal's, nach welcher jede Verbesserung
                              									auf dem Gebiete der Gesundheitspflege auch eine Verschlechterung auf demselben
                              									Gebiete (z.B. erhöhte Ansprüche an die Arbeitskraft bezieh. Verminderung des
                              									Aufwandes für andere Bedürfnisse) herbeiführen muſs, so daſs jede Neuerung dahin
                              									gründlich geprüft werden muſs, ob ihre Vortheile die unvermeidlichen Nachtheile
                              									überwiegen, oder nicht; – wohl aber möge hier noch auf die ungleichmäſsige
                              									Behandlung des öffentlichen Wassers und der öffentlichen Luft eindringlichst
                              									aufmerksam gemacht werden. (Aus der Zeitschrift des
                                       										Architekten- und Ingenieursvereins zu Hannover, 1884 S. 298.)