| Titel: | Die Fortschritte der chemischen Technologie der Textilfasern; von Dr. Otto N. Witt. | 
| Autor: | Otto N. Witt | 
| Fundstelle: | Band 270, Jahrgang 1888, S. 274 | 
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                        Die Fortschritte der chemischen Technologie der
                           								Textilfasern; von Dr. Otto N. Witt.
                        (Fortsetzung des Berichtes Bd. 266 S.
                           								167.)
                        Witt, Fortschritte der chemischen Technologie der
                           								Textilfasern.
                        
                     
                        
                           Der geschäftliche Aufschwung des Jahres 1888 ist auch an der Stammten Textilindustrie
                              									nicht spurlos vorübergegangen. Die erhöhte Production, der bessere Verdienst haben
                              									allerorten auch das Bestreben nach Vervollkommnung der Resultate geweckt und so hat sich
                              									in aller Stille und mitten in der angestrengten Arbeit mancher Fortschritt
                              									vollzogen. Freilich bietet dieses Jahr nicht wie das verflossene, eine glänzende
                              									Gelegenheit zum Studium dieser Fortschritte auf einer groſsen Ausstellung in einem
                              									der gewerblichen Centren. Während die Ausstellungen in Barcelona und Kopenhagen
                              									(über welch letztere ich in diesen Blättern bereits berichtet habe, Bd. 269 369) in
                              									dem Kreise, den sie repräsentiren, zu eng begrenzt sind, ist andererseits die
                              									Weltausstellung in Brüssel leider als gescheitert zu betrachten. Zur Erlangung eines
                              									Bildes über die erzielten Fortschritte ist man daher auf die Publicationen und auf
                              									den Besuch einiger Fabriken angewiesen. Wenn es auch auf diese Weise kaum gelingt,
                              									ein sehr vollständiges Bild des Erreichten zusammenzustellen, so entbehrt dasselbe
                              									doch nicht der Mannigfaltigkeit.
                           Die zahlreichen Uebelstände, welche dem bisherigen Haspelverfahren für Seide
                              									anhaften, haben dazu geführt, die Seidenhaspelmaschine zu construiren, welche die
                              									Auffindung des Fadenendes, die fortwährende Messung der Dicke des Grègefadens und
                              									die entsprechende Einschaltung neuer Fäden automatisch besorgt. Die Lösung dieses
                              									Problemes ist dem Amerikaner Edward W. Serrell nach
                              									siebenjährigen Versuchen neuerdings gelungen. Eine genaue Beschreibung der von ihm
                              									construirten automatischen Seidenhaspelmaschine findet sich in der englischen
                              									Zeitschrift Industries, 1887 S. 388 ff., auf welche für
                              									die Details der Maschine verwiesen sei, während hier nur die Prinzipien ihrer
                              									Construction angegeben werden können:
                           1) Die Auffindung des Fadens erfolgt durch Behandlung der Cocons mit rasch strömendem
                              									Wasser. Das Fadenende löst sich alsbald los und wird von dem Wasserstrome der
                              									Maschine zugeführt.
                           2) Die Messung des erzeugten Grègefadens wird nach einem ganz neuen Prinzipe bewirkt.
                              									Es wird nämlich nicht die Dicke des Fadens, sondern die ihr proportionale
                              									Elasticität gemessen.
                           3) Die Elasticität des Fadens wird alsdann sofort benutzt, um einen Hebel in Bewegung
                              									zu setzen, welcher, wenn der Faden zu dünn wird, einen elektrischen Contact bewirkt.
                              									Dieser letztere setzt alsdann einen einfachen Mechanismus in Bewegung, welcher einen
                              									neuen Coconfaden einschaltet und dadurch die Elasticität und mit ihr die Dicke des
                              									gehaspelten Grègefadens zur Normale zurückführt.
                           Die Maschine arbeitet vorzüglich und es ist anzunehmen, daſs sie für die Seidencultur
                              									der Vereinigten Staaten und anderer Länder eine ähnliche Bedeutung erlangen wird,
                              									wie die Whitney'sche Egrenirmaschine für die Cultur der
                              									Baumwollpflanze es gethan hat.
                           Weniger bedeutsam sind die neuen Errungenschaften auf dem Gebiete der Behandlung der
                              									Rohwolle.
                           Trotz der durchweg schlechten Erfahrungen, welche man mit dem Entfetten roher Wolle durch
                              									Lösungsmittel der Fette gemacht hat, werden die einschlägigen Versuche doch
                              									fortgesetzt. Das D. R. P. Nr. 40088 von Th. Zabrowski
                              									in Moskau schlägt vor, die Wolle durch Benzin zu entfetten und durch gleichzeitig
                              									dem Benzin zugesetztes Thionylchlorür, SOCl2, die
                              									Faser zu bleichen. Der Erfinder gibt an, nach diesem Verfahren nicht nur eine
                              									wesentlich schönere und festere Faser zu erhalten, als nach dem bisher üblichen,
                              									sondern auch, daſs die Ausbeute an gewaschener Wolle wesentlich gröſser sei, da nach
                              									seiner Behauptung bei dem jetzt üblichen Verfahren ein Theil der Wolle von den
                              									angewandten alkalischen (??) Bädern gelöst werde.
                           Im Bereiche der Baumwollindustrie ist die hervorragendste Errungenschaft dieses
                              									Jahres die definitive Einführung des Mather'schen
                              									bleich Verfahrens. Dasselbe bietet so auſserordentliche Vortheile gegenüber dem
                              									alten Verfahren, daſs seine allgemeine Einführung in alle gröſseren Fabriken nur
                              									eine Frage der allerkürzesten Zeit ist. Während das alte Verfahren zu seiner
                              									Durchführung etwa zehn bis vierzehn läge erforderte und viel Raum und manuelle
                              									Arbeit beanspruchte, gestattet der neue Prozeſs bei Verringerung von Raum und
                              									Arbeitskraft die Durchführung der Bleiche in kaum drei Tagen. Die chemischen
                              									Prinzipien des neuen Verfahrens sind die gleichen, wie sie dem alten Prozesse zu
                              									Grunde liegen, aber sie sind in weit rationellerer Weise angewandt. Der Schwerpunkt
                              									des neuen Verfahrens liegt indessen in der genialen Construction der zur Anwendung
                              									gelangenden Apparate. Der wesentlichste dieser Apparate ist der Mather'sche Bäuchkessel, ein hegender, an einem Ende
                              									offener Cylinder, welcher seiner Länge nach Schienen enthält, auf welche der die zu
                              									bauchenden Stücke enthaltende Korbwagen zu stehen kommt. Sobald der Cylinder
                              									beschickt ist, wird er verschlossen, indem ein passendes, guſseisernes Kopfstück in
                              									einen an Ende des Cylinders angebrachten Keilverschluſs hineingleitet. Die Bewegung
                              									dieses sehr schweren Kopfstückes geschieht durch Dampfkraft. Der Cylinder ist mit
                              									einer Einrichtung zum Füllen und Entleeren, sowie zum steten Aufpumpen der durch die
                              									Stoffe hindurch circulirenden und auf der Bodenseite des Cylinders sich ansammelnden
                              									Flüssigkeit versehen und entspricht in dieser Beziehung den alten Bäuchkesseln. Der
                              									chemische Theil des neuen Verfahrens besteht in folgenden Operationen: Die
                              									Kalkpassage der Stücke, welche bisher üblich war, fällt weg. Die Stücke werden nach
                              									dem Sengen einfach gewaschen bezieh. genetzt und dann durch verdünnte Schwefelsäure
                              									von 2½° Bé. genommen. Sie bleiben dann eine Zeitlang liegen und werden hierauf
                              									gewaschen. Nun werden sie mit Natronlauge von 1½° Bé. (und selbst stärker)
                              									imprägnirt und in die zu ihrer Aufnahme bestimmten Korbwagen gelegt, mit denen sie
                              									direkt in den Mather'schen Bäuchkessel gefahren werden.
                              									Der Natronlauge wird bisweilen etwas Natriumsulfit zugesetzt. Nach dem Verschlusse
                              									des Bäuchcylinders wird derselbe  mit der nöthigen Menge Bäuchflüssigkeit beschickt. Als
                              									solche wird entweder dünne Natronlauge oder auch Natronlauge mit Harzseife
                              									verwendet. Eine italienische Fabrik verwendet beispielsweise für 2500k trockenen Gewebes eine aus 2000l Wasser, 40k
                              									Aetznatron und 20k Harz bereitete
                              									Harzseifenlösung. Mit dieser Flüssigkeit, welche beständig unten abgesogen und oben
                              									wieder über die Stücke gebraust wird, wird während 6 Stunden bei einem Dampfdrucke
                              									von ⅔at gekocht. Die Flüssigkeit wird alsdann
                              									abgelassen und durch eine Lösung von 30k
                              									calcinirter Soda in 1700l Wasser ersetzt, mit
                              									welcher weitere 2 Stunden bei ⅓at Druck gekocht
                              									wird. Alsdann wird, immer noch im geschlossenen Bäuchkessel, mit heiſsem Wasser und
                              									schlieſslich mit kaltem Wasser gewaschen. Nun wird der Kessel geöffnet und die aus
                              									demselben heraus gefahrenen Stücke gehen sofort ins Chlorkalkbad, während der
                              									Bäuchkessel sofort wieder mit einem neuen, vorher präparirten Korbwagen beschickt
                              									wird.
                           Das Chlorkalkbad hat gewöhnlich ¼° Bé.; es folgt ein Schwefelsäurebad von 2½° Bé.,
                              									dann wird gut gewaschen, ausgebreitet und auf der Trockenmaschine getrocknet. Die
                              									auf diese Weise gebleichten Gewebe sind trotz der raschen und einfachen Herstellung
                              									den nach dem alten Verfahren gebleichten mindestens ebenbürtig.
                           Das Hermité'sche elektrolytische Bleichverfahren für
                              									Gewebs- und Papierfasern, ist von Bevan und Cross studiert und namentlich für Leinenwaaren
                              									empfohlen und vielfach eingeführt worden. Die von Hurter an diesem Verfahren und den Bevan und
                              									6'ross'schen Versuchen geübte sehr abfällige Kritik ist zwar von den genannten
                              									Forschern widerlegt worden, immerhin hat das neue Verfahren das Stadium des
                              									Versuches noch nicht überschritten (vgl. 1887 266 *
                              									175).
                           Das Bleichen wollener Gewebe geschieht jetzt ausschlieſslich mit
                              									Wasserstoffsuperoxyd. Es wird mehr und mehr erkannt, daſs beim Bleichen mit diesem
                              									vortrefflichen Reagens ein Körper zugegen sein muſs, welcher die allmähliche
                              									Zersetzung des Peroxydes bewirkt. Die von manchen Seiten empfohlene Verwendung von
                              									Seife zu diesem Zwecke scheint wenig Anklang zu finden. In der Seidenfärberei
                              									bedient man sich vielfach eines Zusatzes von Wasserglas zum Bleichbade, während
                              									Kieselfluorverbindungen die bleichende Wirkung vollkommen aufheben sollen. Für
                              									Wollengewebe bedient man sich nach dem Vorgange Horace
                                 										Köchlin's mit groſsem Vortheile des Natriumbisulfites. Die mit
                              									Wasserstoffsuperoxyd getränkten Gewebe bleiben einige Zeit aufgerollt und werden
                              									dann durch Natriumbisulfit genommen. Das erzeugte Weiſs ist so vollkommen, daſs
                              									unter Umständen dem Bleichprozesse rechtzeitig Einhalt gethan werden muſs, um eine
                              									allzu blendende Weiſse, welche für Wolle nicht gewünscht wird, zu vermeiden.
                           Ueber das Bleichen und Färben von Stroh – bekanntlich eine ziemlich mühsame Operation
                              									– gibt eine Arbeit in Romens Journaleinen interessanten Ueberblick.
                              									Ein sorgsames Sortiren des Rohmateriales nach Qualität und Farbe ist erste
                              									Bedingung. Nur auf von Hause aus hellem Stroh läſst sich ein hübsches Weiſs
                              									erzielen, welches das nachträgliche Färben in zarten Tönen gestattet. Das Bleichen
                              									geschieht mittels Chlorkalklauge und geht rasch und leicht vor sich. Wenn für
                              									weniger zarte Farben nur eine mäſsige Bleichung erforderlich ist, so begnügt man
                              									sich, das Stroh zu schwefeln, was entweder in dem bekannten Fasse ohne Boden oder
                              									auch mit einer wässerigen Lösung von schwefliger Säure geschieht. Nach der Bleiche
                              									wird das Stroh in Seifenwasser gewaschen, gut gespült und getrocknet. Es wird auch
                              									Empfohlen, der Chlor- oder Schwefelbleiche eine sorgsame Sonnenbleiche vorangehen zu
                              									lassen. Die Chlorbleiche hinterläſst leicht einen ziemlich anhaftenden Geruch und
                              									soll auch bei unvorsichtiger Anwendung das Stroh brüchig machen. Die in dem
                              									angeführten Aufsatze angegebenen Färbeverfahren sind identisch mit sehr altmodischen
                              									Verfahren für Baumwolle und lassen sich zweifellos durch Anwendung künstlicher
                              									Farbstoffe vereinfachen.
                           Für die Wiedergewinnung der Seife aus den Färbebädern der Seidenfärber hat Gionoli in der Industria
                              									ein Verfahren angegeben, welches darauf beruht, die Färbebäder mit Eisenvitriol zu
                              									fällen und die entstandene Eisenseife nach dem Abfiltriren und Abspülen unter einem
                              									Drucke von ½ bis ¾at mit verdünnter Schwefelsäure
                              									zu zersetzen. Es wird so ein zur Bereitung neuer Seife taugliches Fettsäuregemisch
                              									gewonnen.
                           Unsere Kenntnisse von den Beizen haben einige Bereicherung, namentlich aber auch
                              									durch genauere Studien über dieselben und die Art ihrer Aufnahme durch die Faser
                              									eine beachtenswerthe Vertiefung erfahren.
                           Der auf dem Gebiete der Fette und Oele so eifrig thätige R.
                                 										Benedikt lieferte neue Mittheilungen über die Analyse des in der
                              									Baumwollfärberei und Druckerei so vielfach angewandten Türkischrothöles. Der
                              									Gesammtfettgehalt wird dem mit Wasser verdünnten und schwach ammoniakalisch
                              									gemachten Producte durch Zusatz von Stearinsäure entzogen und in bekannter Weise
                              									gewogen. Das vorhandene Neutralfett wird der mit Wasser, Ammoniak und Glycerin
                              									versetzten Probe durch Aether entzogen. Die Fettschwefelsäuren werden durch
                              									Verseifen mit buchender Salzsäure bei 130 bis 150° und nachheriges Bestimmen der
                              									gebildeten Schwefelsäure ermittelt. Die schon in dem Producte enthaltene
                              									Schwefelsäure wird vorher ermittelt und in Abzug gebracht.
                           Die seit einigen Jahren so eifrig betriebene Suche nach neuen Antimonsalzen, welche
                              									den Brechweinstein zu ersetzen vermögen, hat einige neue Substanzen zu Tage
                              									gefördert, Doppelfluorüre des Antimons, Welche sich durch prächtige Krystallisation
                              									und reichliche Löslichkeit in Wasser auszeichnen. Das eine derselben, SbFl3.(NH4)2SO4, ist der Firma
                              										E. de Haën patentirt und enthält 47 Proc.
                              									Antimonoxyd, das andere,
                              									eine Erfindung der Firma Rud. Kopp und Comp. in
                              									Oestrich im Rheingau, besitzt die Zusammensetzung SbFl3NaFl und enthält 66 Proc. Antimonoxyd. Beide
                              									sind billiger als Brechweinstein und sollen befriedigende Resultate liefern.
                           Die Herren Rud. Kopp und Comp. fabriciren ferner ein
                              									Chromfluorid, welches nach der Formel Cr2Fl6 + 8 H2O
                              									zusammengesetzt sein soll, in Form eines dunkelgrünen Pulvers in den Handel kommt
                              									und dessen wässerige Lösung als Chrombeize Verwendung findet. Das Chromfluorid
                              									scheint sich leicht zu dissociiren, wenn Fasern in seine wässerige Lösung getaucht
                              									werden. Es schlagen sich unlösliche basische Chromfluoride auf der Faser nieder,
                              									während freie, aber in der groſsen Verdünnung des Färbebades unschädliche
                              									Fluorwasserstoffsäure im Bade zurückbleibt. Diese neue Chrombeize scheint sich zu
                              									bewähren und findet hauptsächlich für Wolle Anwendung (vgl. H. Lange 1888 268 273).
                           Ueber die Fixirung des Chroms durch die Wollfaser hat Dr. Edmund Knecht werthvolle Studien veröffentlicht. Aus der groſsen Zahl
                              									quantitativ durchgeführter Versuche ergibt sich, daſs die Menge des von der Wolle
                              									fixirten Chromes abhängig ist von der Concentration der angewandten Lösungen. Bei
                              									Gegenwart von Schwefelsäure wird mehr Chrom fixirt, als aus Lösungen der reinen
                              									Bichromate. Natriumbichromat gibt mehr Chrom an die Wolle ab, als das Kaliumsalz.
                              									Der Zusatz von Weinstein hat keinen Einfluſs auf die Menge des fixirten Chroms.
                              									Chromalaun gibt doppelt so viel Chrom an die Wolle ab als Bichromat, doch ist das
                              									Chrom in einer zum Färben weniger geeigneten Form vorhanden. Die Menge des aus
                              									Kaliumbichromat aufgenommenen Chroms ist auch um so gröſser, je länger die Faser in
                              									der Flüssigkeit verbleibt und je höher die Temperatur der letzteren ist. Aus
                              									Kaliumbichromat wird das Chrom zum gröſsten Theile in Form von Chromsäure
                              									aufgenommen, wahrscheinlich indem dieselbe sich mit dem Keratin der Wolle verbindet,
                              									während neutrales Chromat im Bade verbleibt. Da die Beizbäder nie von der Wolle
                              									völlig ausgezogen werden, so empfiehlt es sich, für einen rationellen,
                              									continuirlichen Betrieb den Bädern stets nur so viel Bichromat wieder zuzusetzen,
                              									als bei der vorhergehenden Benutzung entzogen wurde.
                           
                              
                                 (Fortsetzung folgt.)