| Titel: | Kryolith und seine Stellvertreter in der Glasindustrie; von Richard Zsigmondy. | 
| Autor: | Richard Zsigmondy | 
| Fundstelle: | Band 271, Jahrgang 1889, S. 36 | 
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                        Kryolith und seine Stellvertreter in der
                           								Glasindustrie; von Richard
                              									Zsigmondy.
                        Kryolith und seine Stellvertreter in der Glasindustrie.
                        
                     
                        
                           Der Kryolith wird, seitdem er in bedeutenden Quantitäten in den Handel gebracht
                              									wurde, mit groſsem Vortheile in der Glasindustrie zur Darstellung von Milch- oder
                              									Opalgläsern verwendet.
                           Als vor etwa 3 Jahren die Ausbeutung der Kryolithlager in Grönland von der dänischen
                              									Regierung der Oeresund-Company übertragen wurde, stieg
                              									der Preis dieses Minerales so bedeutend, daſs die Glasfabrikanten sich allgemein
                              									nach einem Ersatze des kostspieligen Kryolithes umsahen.
                           Man machte mit mehr oder weniger Glück Versuche, den Kryolith durch Gemenge von
                              									Feldspath und Fluſsspath zu ersetzen. Diesen Versuchen verdankt das sogen. Spathglas
                              									seine Entstehung.
                           Aus jener Zeit stammt auch eine Abhandlung von C.
                                 										WeinrebZur Kenntniſs des Kryolithglases, 1885 256
                                    											361., der Fluornatrium, gemengt mit Thonerde haltigen Mineralien
                              									als passenden Ersatz des Kryolithes vorschlug. Um den Fluſsspath fabrikmäſsig in
                              									Alkalifluorid umzusetzen, würde man denselben nach Weinreb unter Zusatz von Sand mit Soda oder Potasche, oder auch mit Sulfat
                              									und Kohle am besten in Drehöfen schmelzen.
                           Bald darauf wandte ich mich, veranlaſst durch einen österreichischen
                              									Glasindustriellen dem Studium derselben Frage zu. Es war mir bald klar, daſs das
                              									Fluorkalium als Ersatz für Kryolith zu theuer wäre, da man bei seiner Darstellung
                              									durch Schmelzen von Fluſsspath mit Potasche einen erheblichen Ueberschuſs der
                              									letzteren anwenden müſste, von dem sich das Fluorkalium nicht trennen lieſse, und
                              									man, selbst bei Anwendung von reinem Fluorkalium, bedeutend mehr Kali in das Glas
                              									schmelzen würde, als demselben sonst zugesetzt wird. Dadurch würde aber der Ersatz
                              									des Kryolithes theurer zu stehen kommen, als dieser selbst. Es bleibt also auſser
                              									einigen, in der Natur in nicht allzu groſsen Mengen vorkommenden Fluor haltigen
                              									Mineralien, z.B. der Lepidolith nur mehr das Fluornatrium, das mit Vortheil statt
                              									des Kryolithes verwendet werden könnte. Einige Versuche, dasselbe nach dem von Weinreb angegebenen Verfahren herzustellen, zeigten mir
                              									jedoch, daſs dasselbe sich ökonomisch im Grossen auch nicht durchführen lieſse, da
                              									man beim Zusammenschmelzen von Fluſsspath mit etwas Kieselsäure und dem nöthigen
                              									Ueberschuſs von Soda, falls derselbe nicht sehr groſs gewählt wird, in Wasser sehr
                              									schwer erweichende Schmelzen erhält, aus denen sich nur wenig Fluornatrium
                              									extrahiren läſst; selbst wenn es aber gelingen würde, leicht erweichende Fritten zu
                              									erhalten, so würde die Schwerlöslichkeit des Fluornatrium (1 : 23) das Eindampfen
                              									von groſsen Quantitäten Wasser nöthig machen, was den Prozeſs wesentlich vertheuern
                              									würde.
                           
                           Diese Umstände gaben mir Veranlassung, auf Grundlage der Weinreb'schen Angaben ein neues Verfahren zur Darstellung von Fluornatrium
                              									auszuarbeiten.
                           Bevor ich jedoch zur Beschreibung meiner eigenen Versuche übergehe, halte ich es für
                              									nothwendig, die Chemie der Kryolith- und Spathgläser eingehender zu besprechen und
                              									daran eine vergleichende Betrachtung der Eigenschaften beider zu reihen.
                           Schon im J. 1869, also bald nach Einführung des Kryolithes in die Glasindustrie,
                              									wurden zwei einander gänzlich widersprechende Ansichten über das Verhalten des
                              									Kryolithes im geschmolzenen Glase von zwei verschiedenen Autoren ausgesprochen, Benrath1869 192 240. gelangt auf Grund seiner
                              									Analysen und Versuche zur Annahme, daſs der Kryolith sich mit der Kieselsäure nach
                              									folgender Gleichung umsetzt:
                           Al2Fl66NaFl + 14SiO2 = 3SiFl4 + 3Na2O, Al2O3, 11SiO2
                           und schreibt die Trübung der Kryolithgläser der
                              									ausgeschiedenen Thonerde zu. Williams1869 192 412. nimmt das
                              									Kieselfluornatrium als trübenden Bestandtheil an und erklärt den Vorgang etwa
                              									folgender Weise: Fluornatrium tritt mit dem aus Kieselsäure und Kryolith gebildeten
                              									Fluorsilicium zu Kieselfluornatrium zusammen; der Rest des Fluors entweicht als
                              									Fluorsilicium und die übrige Kieselsäure verbindet sich mit dem Zinkoxyde, dem
                              									gebildeten Natron und Aluminiumoxyde zu einem Gemische von Silicaten, das von der
                              									Zusammensetzung des Glases nicht wesentlich abweicht.
                           Auch P. Ebell (1877 225 77)
                              									machte die Kryolithfrage zum Gegenstande einiger Versuche. Er schmolz wie Benrath 1 Th. Kryolith mit 2 Th. Sand zusammen und
                              									untersuchte das geschmolzene Opalglas. Er fand darin – entgegen der Behauptung Benrath's – 1,74 Proc.
                              									Fluor. Des Weiteren bewies er, daſs durch einen Ueberschuſs von Kieselsäure
                              									sämmtliches Fluor ausgetrieben werden kann und daſs das erschmolzene Glas nicht mehr
                              									trüb anläuft. Durch Zusammenschmelzen von 100 Th. Glasbrocken mit 10 Th.
                              									Kieselfluornatrium erhielt er ein farbloses Krystallglas.
                           Hagemann und Jörgson (1874 213 223) zeigten, daſs sowohl Gläser, die mit Fluſsspath, als solche, die
                              									mit Kryolith geschmolzen sind, Fluor enthalten.
                           Einige Jahre später befaſste sich Weinreb (1885 256 362) mit derselben Frage und erwies durch seine
                              									Versuche zur Evidenz, daſs Fluornatrium allein, sowie Thonerde allein, dem Glassatze
                              									allein beigemischt, keine Trübung im Glase hervorruft; daſs man aber durch Gemenge
                              									beider tadellose Milchgläser erzeugen könne.
                           Schlieſslich spricht noch H. Schwarz in seinen
                              										GlasstudienVerhandlungen des Vereins zur Beförderung des Gewerbfleiſses 1887; vgl. auch
                                    											1888 267 223 u. ff. die Ansicht aus – wohl ohne von Weinreb's Arbeit Kenntniſs zu haben – daſs die Trübung
                              									der Fluorgläser aller Wahrscheinlichkeit nach auf die Bildung von Kieselfluornatrium
                              									zurückzuführen sei.
                           Betrachten wir nun die Grundlagen, auf welche die einzelnen Autoren ihre Behauptungen
                              									stützen, etwas näher. Benrath fand in einem Glase der
                              										Hat-cast Porcelain Company: 67 Proc. SiO2, 11 Proc. Al2O3 und 20 Proc. Na2O.
                              									– Er schmolz Kryolith mit der doppelten Menge Kieselsäure zusammen und fand, daſs
                              									sämmtliches Fluor als Fluorsilicium entweicht. Eine geringe Menge Fluor dürfte dabei
                              									doch im Glase zurückgeblieben sein und sich seiner Beobachtung entzogen haben; denn
                              									reine Thonerde ruft keine Trübung im bleifreien Glase hervor, wie Ebell und Weinreb bewiesen
                              									haben, und der folgende von mir angestellte Versuch zeigen wird:
                           
                              
                                 70dg
                                 Sand
                                 
                                 
                              
                                 25
                                 Kaolin
                                 10 Al2O311 SiO2
                                 
                              
                                 34
                                 Soda
                                 
                                 
                              
                           wurden im Siemens-Ofen geschmolzen. Es resultirte ein leicht
                              									schmelzbares Krystallglas ohne die leiseste Trübung; diese trat auch bei
                              									wiederholtem Nachwärmen des Glases nicht auf. Dem fertigen Glase kommt annähernd
                              									folgende Formel zu:
                              										\frac{2}{5}\,\mbox{Al}_2\mbox{O}_3\,\frac{7}{5}\,\mbox{Na}_2\mbox{O}.6\mbox{SiO}_2.
                              									(Ich beziehe hier, wie in der Folge der besseren Uebersichtlichkeit halber, die
                              									Formeln der Gläser auf 6SiO2 und schreibe daher
                              									Bruchtheile von Molekülen; aufgelöst würde die Formel 2Al2O3.7Na2O.30SiO2 lauten.) Die beiden von Weinreb im Platintiegel geschmolzenen Gläser haben
                              									nahezu folgende Formeln: ½Al2O3, Na2O,6SiO2 und ⅔Al2O38/5Na2O, 6SiO2; ersteres war krätzig und ungar, letzteres
                              									wasserklar. Wie man sieht, läſst sich eine groſse Quantität Thonerde ohne Schaden
                              									einem selbst kalkfreien Glase einverleiben, nur muſs man dann den Alkaligehalt etwas
                              									über das normale Maſs steigern.
                           Williams fand als Durchschnitt von 5 Analysen folgende
                              									Zusammensetzung eines amerikanischen Kryolithglases:
                           
                              
                                 SiO2
                                 63,84
                                 
                              
                                 Al2O3
                                   7,86
                                 
                              
                                 Fe2O3
                                   1,50
                                 
                              
                                 MnO
                                   1,12
                                 
                              
                                 ZnO
                                   6,99
                                 
                              
                                 CaO
                                   1,86
                                 
                              
                                 MgO
                                   0,25
                                 
                              
                                 Fl
                                  8,05.
                                 
                              
                           Warum Williams gerade Kieselfluornatrium als trübenden
                              									Bestandtheil des Glases annimmt, einen Körper, der in der Glühhitze gar nicht
                              									beständig ist, ist nicht recht einzusehen. Kieselfluormetalle verlieren bei
                              									fortgesetztem Glühen alles Fluorsilicium (Berzelius)
                              									unter Zurückbleiben der Fluormetalle (vgl. auch Gmelin-Kraut, Handbuch der Chemie). Williams
                              									leitet auf Grund seiner Analysen folgende Formel für das Kryolithglas ab: 2(R2O33SiO2 + 3[RO3SiO2]) +
                              										NaFlSiFl2. Zu bemerken ist, daſs Williams noch die alten Aequivalentformeln gebraucht.
                              									RO bedeutet ZnO, CaO, MgO, MnO und Na2O. Aus seinen
                              									Daten habe ich folgende Formel abgeleitet, unter der Annahme, daſs Fluoraluminium
                              									den trübenden Bestandtheil des Glases bildet:
                           Na2O, 9/10RO, 6 SiO2 + ½ Al2Fl6,
                           eine Formel, die mit der eines Glases wohl viel mehr
                              									Aehnlichkeit hat, als die von Williams. Berechnet man
                              									aus dem Aluminiumgehalt die angewendete Menge Kryolith, so kommt man zu folgendem
                              									Glassatz:
                           
                              
                                 100
                                 Th.
                                 Sand
                                 
                              
                                   46,7
                                 „
                                 Kryolith
                                 
                              
                                   10
                                 „
                                 Zinkweiſs.
                                 
                              
                           Es haben sich dann 2,5 Th. Fluor als NaFl und 12,3 als SiFl4 verflüchtigt, also etwas mehr als die Hälfte des Gesammt-Fluorgehaltes.
                              									Das Zinkoxyd hat hier zur Silicatbildung beigetragen und dadurch das Fluoraluminium
                              									vor Zersetzung geschützt.
                           Auch aus den Daten, die C. Weinreb gibt, geht deutlich
                              									hervor, daſs zugesetzte Oxyde oder Carbonate einen Theil des Kryolithes vor
                              									Zersetzung schützen. Die Analyse eines von Weinreb
                              									untersuchten österreichischen Kryolithglases lautet, auf 100 SiO2 bezogen, folgendermaſsen:
                           
                              
                                 SiO2
                                 100
                                 
                              
                                 Al2O3
                                    4,0
                                 
                              
                                 CaO
                                    4,9
                                 
                              
                                 K2O
                                    5,6
                                 
                              
                                 Na2O
                                  12,1
                                 
                              
                                 Fl
                                    4,8.
                                 
                              
                           Aus dem Thonerdegehalte des Glases berechnet sich ein Zusatz von 16,4 Th. Kryolith,
                              									entsprechend 8,9 Th. Fluor. Gefunden wurden 4,8 Th. Fl, so daſs sich also fast die
                              									Hafte Fl verflüchtigt hat. Aus der Analyse habe ich folgende Formel abgeleitet:
                           ⅚R2O, ⅓CaO, 6SiO2, 1/7Al2Fl6.
                           Auch hier hat die Kieselsäure nur zersetzend auf den Kryolith
                              									eingewirkt, um sich der zur Glasbildung nöthigen Menge Alkali zu bemächtigen. Durch
                              									Zusammenschmelzen von 100 Th. SiO2, 20 Th. NaFl, 8
                              									Th. K2CO3, 7 Th.
                              										Na2CO3, 8 Th.
                              										CaCO3 und 6 Th. Al2(OH)6, eines dem berechneten Glassatze
                              									entsprechenden Gemenges erhielt Weinreb ein tadelloses
                              									Kryolithglas. Jedenfalls hat hier die Kieselsäure zur Glasbildung die Hälfte des
                              									angewendeten Fluornatriums zersetzt, während die andere Hälfte sich mit dem
                              									Aluminiumoxyde in Fluoraluminium und Natriumoxyd umgesetzt hat; unter dieser
                              									Voraussetzung entspricht das erschmolzene Milchglas folgender Zusammensetzung:
                           R2O, ⅓CaO, 6SiO2, 1/7Al2Fl6.
                           Als weiterer Beleg für die Beobachtung Weinreb's, daſs
                              									Fluornatrium allein ein Kalkglas nicht opak macht, kann ich einen von mir
                              									ausgeführten Versuch anführen: In einem Chamottetiegel von etwa 1k,5 Inhalt wurde folgender Satz im Siemens-Ofen geschmolzen:
                           
                           
                              
                                 Sand
                                 65dg
                                 
                              
                                 Potasche
                                 18
                                 
                              
                                 Soda
                                   5
                                 
                              
                                 Kalk
                                 13
                                 
                              
                                 NaFl
                                   9.
                                 
                              
                           Um das Fluornatrium vor der Einwirkung der Flammen zu schützen, wurde der Hafen mit
                              									einem passenden Deckel versehen. Bald nachdem der Tiegel in den Ofen eingesetzt war,
                              									zeigte sich eine heftige Reaction: Der Deckel beginnt zu tanzen, das Glas raucht und
                              									der Tiegel bekommt Längsrisse; es bedurfte der ganzen Aufmerksamkeit der Schmelzer,
                              									um den Tiegel vor einem verderblichen Seitensprunge in einen benachbarten Hafen zu
                              									bewahren. Nach dem Erkalten zeigte sich das erschmolzene Glas wasserhell und der
                              									Tiegel war heftig angegriffen.
                           Wenn ich nicht fürchten müſste, zu weitläufig zu werden, könnte ich noch einige
                              									Beispiele aus der Literatur, sowie eigene Versuche über Kryolithgläser anführen: ich
                              									würde damit aber nichts wesentlich Neues bringen, und so gehe ich denn zur
                              									Zusammenfassung obiger Betrachtungen über, aus denen sich folgende lehrreiche Sätze
                              									ableiten lassen:
                           1) Der trübende Bestandtheil des Kryolithglases ist nicht Kieselfluornatrium, wie vor
                              									nicht gar langer Zeit ein gewiſs genauer Kenner der Chemie des Glases behauptet hat,
                              									sondern wahrscheinlich Fluoraluminium.
                           2) Fluornatrium, sowie Kieselfluornatrium, einem guten Kalkglase zugesetzt, sind
                              									nicht im Stande, dasselbe zu trüben. Ersteres entsteht in der Glühhitze aus
                              									letzterem und beide verflüchtigen sich bei der Temperatur des Siemens-Ofens aus dem Glase.
                           3) Fluornatrium und Thonerde, gemeinsam dem Glassatze zugefügt, geben gute
                              									Opalgläser.
                           4) Fluorverbindungen der Metalle wirken auf freie Kieselsäure bei Weiſsglühhitze
                              									gerade so aufschlieſsend ein, wie die Fluſsſäure bei gewöhnlicher Temperatur. Dabei
                              									entsteht Fluorsilicium und das werthvolle Fluor entweicht. Ist die Kieselsäure
                              									gebunden, so schmelzen sie mit dem Silicate unverändert zusammen.
                           5) Die Zusammensetzung guter Kryolithgläser weicht nicht wesentlich von der anderer
                              									Gläser ab, nähert sich sehr der der Alabastergläser (z.B. R2O, ⅕CaO, 6SiO2) und
                              									läſst sich annähernd durch folgende Formel ausdrücken:
                           R2O,(⅓ bis 1) RO, 6SiO2 + (1/7 bis ½)Al2Fl6.
                           Jenen Glasfabrikanten, die den Kryolith beibehalten, ist daher anzurathen, eine dem
                              									Fluornatrium im Kryolith äquivalente Menge Kaolin, Thonerdehydrat oder Feldspath dem
                              									Glassatze zuzusetzen, sie werden dadurch viel Kryolith ersparen.
                           Im Widerspruche mit dem unter 2) Angeführten scheinen einige Versuche von O. Schott (Sprechsaal Bd.
                              									85, S. 386) zu stehen. Schott schmolz folgende
                              									Gemenge:
                           
                           
                              
                                 
                                 I.
                                 II.
                                 III.
                                 
                              
                                 Soda
                                 30
                                 100
                                 –
                                 
                              
                                 NaFl
                                 100
                                 85
                                 160
                                 
                              
                                 SiO2
                                 370
                                 330
                                 320
                                 
                              
                                 Minium
                                 –
                                 75
                                 320
                                 
                              
                           und erhielt dicht milchweiſse Gläser. Die Originalabhandlung
                              									war mir leider nicht zugänglich; wahrscheinlich wurde bei verhältniſsmäſsig
                              									niedriger Temperatur geschmolzen. Die Schmelze I weicht so vollständig von der
                              									Zusammensetzung eines Glases ab, daſs sich die Trübung leicht erklären läſst: Freie
                              									Kieselsäure schmilzt mit Fluornatrium noch unter dessen Schmelzpunkt unverändert
                              									zusammen (vgl. Gmelin-Kraut). Hier gesellt sich zu
                              									dieser Schmelze noch etwas Natriumsilicat. Wurde dagegen bei hoher Temperatur
                              									geschmolzen, so ist die Trübung der Aufnahme von Al2O3 aus dem Tiegel zuzuschreiben.
                           Die Undurchsichtigkeit der Gläser II und III ist wohl der Bildung von PbFl2 zuzuschreiben. Dafür sprechen auch zahlreiche
                              									Versuche von H. Schwarz (Glasstudien, Verhandlungen des Vereins zur Beförderung des
                                 									Gewerbfleiſses). Bleihaltige Normalgläser wurden mit wechselnden Mengen von
                              										CaFl2 und KFl zusammengeschmolzen und dabei gut
                              									opake Gläser erhalten.
                           Spathglas. Die ersten Versuche zur Herstellung von
                              									opaken Gläsern aus Fluſsspath unter Zusatz von Thonerde haltigen Mineralien wie
                              									Feldspath, waren meist von Miſserfolgen begleitet. Schon im J. 1879 lieſs sich N. Kempner eine „Milchglascomposition aus Feldspath,
                                 										Fluſsspath und Schwerspath“ patentiren. Ich glaube kaum, daſs der Autor der
                              									Patentschrift, der sich darin übrigens einige wissenschaftliche Blöſsen gegeben, mit
                              									seinem Patente bedeutende Erfolge erzielt hat. Es könnte sein, daſs der Schwerspath
                              									die unangenehmen Eigenschaften derartiger Gläser modificirt, Gemenge von Feldspath
                              									und Fluſsspath allein geben, dem Glassatze zugesetzt, stets ungleiche, schlierige
                              									Gläser, die den Hafen stark angreifen und für die Praxis unbrauchbar sind.
                           Ich rieth, dem Glassatze Kaolin zuzufügen. Das half; man erhielt gleichmäſsig opake
                              									Gläser, die den aus Kryolith geschmolzenen an Schönheit wenig nachstanden. Bald aber
                              									zeigte sich ein anderer Uebelstand. Während die Wand des Hafens ganz unversehrt
                              									blieb, war am Boden desselben eine groſse Menge halbkugelförmiger Vertiefungen in
                              									den verschiedensten Gröſsen von 1 bis 10cm
                              									Durchmesser bemerkbar, die mit durchsichtiger, glasartiger Materie erfüllt waren.
                              									Den Uebergang dieser kesselförmigen Gruben in die Chamottemasse des Hafens bildet
                              									eine harte, porzellanartige Rinde. Man konnte durch vergleichende Betrachtung
                              									förmlich das Wachsen dieser unwillkommenen Gäste beobachten; wo ein solches Grübchen
                              									auftritt, dort friſst die Masse weiter und zwar so lange, bis der Hafen leck ist,
                              									was oft nach ein bis zwei Tagen geschah. Nach dem Erkalten des Hafens konnte man
                              									durch Klopfen die auf diese Weise gebildeten Glaszapfen leicht von Chamotte befreien. Die Analyse
                              									eines mir eingesandten Probestückes führte zu folgender procentischer
                              									Zusammensetzung:
                           
                              
                                 SiO2
                                 61,56
                                 Proc.
                                 
                              
                                 Al2O3
                                 19,58
                                 „
                                 
                              
                                 FeO
                                 0,80
                                 „
                                 
                              
                                 Na2O
                                 3,79
                                 „
                                 
                              
                                 K2O
                                 3,61
                                 „
                                 
                              
                                 PbO
                                 0,94
                                 „
                                 
                              
                                 MgO
                                 1,77
                                 „
                                 
                              
                                 CaO
                                 6,65
                                 „
                                 
                              
                                 Fl
                                 0,65
                                 „
                                 
                              
                                 
                                 –––––––––––
                                 
                              
                                 
                                 99,45
                                 Proc.
                                 
                              
                           Die Anwesenheit von Bleioxyd ist darauf zurückzuführen, daſs dem Glassatze etwas
                              									Minium beigefügt wurde. Bei der Aufschlieſsung mit Fluſssäure blieb ein fein
                              									vertheilter, weiſser Rückstand, der erst bei wiederholter Behandlung mit Fluſssäure
                              									und Schwefelsäure in Lösung ging und gröſstentheils aus Al2O3 bestand. Erst nach dieser Operation
                              									konnte das Bleisulfat rein erhalten werden.
                           Wie man sieht, nähert sich die Zusammensetzung dieser Glastropfen sehr der eines
                              									Feldspathes, und unterscheidet sich davon hauptsächlich durch den Mehrgehalt an
                              									Kalk. – Die chemische Zusammensetzung, die halbkugelige Form, die eigenthümliche
                              									Erscheinung des Wachsens dieser Zapfen, ferner Beobachtungen während des Schmelzens
                              									lassen folgende Erklärung dieser merkwürdigen Erscheinung als die wahrscheinlichste
                              									erscheinen: Der Fluſsspath schmilzt noch lange bevor die zur Glasbildung
                              									erforderliche Temperatur erreicht ist, und flieſst entweder unverändert, oder
                              									nachdem er sich mit den Alkalien des Glassatzes theilweise zu jenem leichtflüssigen
                              									Gemenge von Fluoriden umgesetzt hat, die H.
                                 										SchwarzGlasstudien, Verhandlungen des Vereins zur
                                       												Beförderung des Gewerbefleißes, 1887. beim Schmelzen
                              									eines Kryolithglases erhalten hat, in die halb gefrittete Masse des Glassatzes
                              									Kanäle bohrend nach abwärts bis auf den Boden der Hafen, durchdringt die Glasur
                              									derselben, schlieſst die Chamotte auf unter Abgabe des Fluors und bildet unter
                              									Aufnahme von Glas jene geschmolzenen Zapfen, deren Analyse oben mitgetheilt. Ist
                              									einmal ein Kanal gebildet, so wird anderer Fluſsspath leicht denselben Weg zum Boden
                              									finden und diesen gerade dort treffen, wo schon anderes Fluorcalcium zum Schmelzen
                              									der Chamotte Veranlassung gegeben hat; auf diese Weise erklärt sich leicht das
                              									Gröſserwerden der Vertiefungen.
                           Da auch andere Versuche, Spathglas herzustellen, an ähnlichen Uebelständen
                              									scheiterten, trachtete man, und dies mit gröſserem Erfolge, den Kryolith wenigstens
                              									theilweise durch andere Mineralien zu ersetzen. Einen Glassatz, der sich in der
                              									Praxis wohl bewährt hat, kann ich hier mittheilen:
                           
                           
                              
                                 Sand
                                 100
                                 Th.
                                 
                              
                                 Potasche
                                     7,1
                                 „
                                 
                              
                                 Soda
                                   12,2
                                 „
                                 
                              
                                 Fluſsspath
                                     7,4
                                 „
                                 
                              
                                 Kryolith
                                     7,4
                                 „
                                 
                              
                                 Orthoklas
                                     7,1
                                 „
                                 
                              
                                 Kaolin
                                     1,9
                                 „
                                 
                              
                           Statt der beiden letzten Gemengtheile könnte man auch 11 Th. Feldspath anwenden,
                              									müſste dann aber etwas weniger Sand und Potasche zusetzen.
                           H. Schwarz bringt in seinen ebenso werthvollen als
                              									interessanten Glasstudien auch die Analyse eines Spathglases, die ich hier wegen
                              									eines merkwürdigen Umstandes wiedergebe:
                           
                              
                                 SiO2
                                 67,8
                                 Proc.
                                 
                              
                                 Fe2O3
                                   0,28
                                 „
                                 
                              
                                 ZnO
                                   9,2
                                 „
                                 
                              
                                 CaO
                                   8,0
                                 „
                                 
                              
                                 MgO
                                   1,2
                                 „
                                 
                              
                                 Na2O
                                   9,0
                                 „
                                 
                              
                                 K2O
                                   0,2
                                 „
                                 
                              
                                 Fl
                                   3,54
                                 „
                                 
                              
                           Höchst auffallend ist das gänzliche Fehlen von Thonerde in diesem Glase; man kann
                              									hier die Trübung bloſs der Bildung von Fluorzink zuschreiben, das in der
                              									erstarrenden Glasmasse jedenfalls ebenso unlöslich ist, wie Fluoraluminium,
                              									phosphorsaurer Kalk, Zinnasche und eine Reihe anderer Körper.
                           Nicht uninteressant sind auch einige Angaben von Hock
                              									über sogen. „französischen Opal“ (1877 224 624);
                              									er fand durch Analyse dieses vorzüglich opaken Glases:
                           
                              
                                 SiO2
                                 63,7
                                 Proc.
                                 
                              
                                 PbO
                                 16,5
                                 „
                                 
                              
                                 Fe
                                 0,3
                                 „
                                 
                              
                                 Al2O3
                                 16,8
                                 „
                                 
                              
                                 K2O
                                 2,3
                                 „
                                 
                              
                           und erhält durch Zusammenschmelzen von 100 Th. Feldspath mit
                              									22 Th. Minium ein gutes Opalglas. Also ein Opalglas ohne Fluor! Es scheint in
                              									Bleigläsern die Thonerde weit weniger löslich zu sein als in bleifreien, was
                              									vielleicht mit der niederen Temperatur, bei der erstere geschmolzen werden, in
                              									Zusammenhang steht.
                           Der groſse pecuniäre Gewinn, der mit dem Verdrängen des Kryolithes aus der
                              									Glasindustrie verbunden ist, hat es dahin gebracht, daſs gegenwärtig einige Fabriken
                              									den oben erläuterten Uebelstand der Spathgläser – das Durchbohren der Hafenböden –
                              									durch passende Modificationen im Schmelzprozesse überwunden haben und Spathgläser
                              									ganz ohne Zusatz von Kryolith schmelzen. Ein derartiges Glas, das jetzt mit groſsem
                              									Vortheile geschmolzen wird, führt zu der Formel ¾K2O, 6/7CaO,
                              										⅓ZnO6SiO2, ⅕Al2Fl6; den Glassatz dazu kann ich leider,
                              									da er Fabriksgeheimniſs bildet, hier nicht mittheilen.
                           
                           Dagegen will ich einige Eigenschaften dieses Glases anführen, die beweisen werden,
                              									daſs selbst das beste Spathglas noch mancherlei zu wünschen übrig läſst: Das Glas
                              									ist häufig ungleich durchgeschmolzen, etwas schlierig, zeigt an der Oberfläche
                              									fettige Stellen, die von nicht vollständig gelöstem Fluorcalcium herrühren, und gibt
                              									mitunter viel Ausschuſswaare. Auſserdem sind die fertigen Waaren nie so satt weiſs
                              									wie Kryolithgläser; den Grund davon läſst ein Blick auf die mitgetheilte Formel
                              									sofort erkennen: Durch das Fluorcalcium kommt viel Kalk in das Glas, und dieser
                              									wirkt, wie unsere Erfahrungen bei Alabaster- und Knochengläsern lehren, stark lösend
                              									auf jedes Trübungsmittel. – Dunkle Farben als Ueberfang schimmern durch das Glas,
                              									ebenso grelle Flammen.
                           Diese und andere Nachtheile sind der Grund, daſs der Kryolith noch immer in gröſserem
                              									Maſsstabe in Glasfabriken verarbeitet wird. Möge es mir gestattet sein, an dieser
                              									Stelle die Ansicht eines bedeutenden russischen Glasfabrikanten anzuführen: Ich
                              									halte das Kryolithglas immer noch für das billigste, sagte dieser; will man den
                              									Kryolith durch Späth ersetzen, so gibt es so viel Ausschuſs, daſs der Mehraufwand an
                              									Glas und Arbeitslohn durch den Gewinn an Kryolith nicht gedeckt wird.
                           Aus dem Mitgetheilten geht zur Genüge hervor, daſs ein kalkfreies Fluorid, falls es
                              									zu billigen Preisen in den Handel gebracht werden kann, immer noch einen
                              									wünschenswerthen Stellvertreter des Kryolithes bilden würde. Vielleicht ist das
                              									Fluornatrium, gemengt mit Thonerde, Zinkoxyd oder Minium, dazu berufen, in Zukunft
                              									den Kryolith zu ersetzen.
                           
                              (Schluſs folgt.)