| Titel: | Ueber Milchglas; von A. Tedesco. | 
| Autor: | A. Tedesco | 
| Fundstelle: | Band 271, Jahrgang 1889, S. 424 | 
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                        Ueber Milchglas; von A. Tedesco.
                        Tedesco, über Milchglas.
                        
                     
                        
                           Im Band 271 Heft 1 und 2 dieses Journales gibt Herr Rich.
                                 										Zsigmondy einen sehr schätzenswerthen Beitrag zur Frage: wodurch wird die Trübung im
                              									Milchglase hervorgerufen. Dieser Artikel gipfelt in dem Vorschlage, den auch C. Weinreb 1885 gemacht, den Kryolith durch
                              									Fluornatrium und ein thonerdehaltiges Material zu ersetzen. Beide Autoren haben wohl
                              									keine Kenntniſs davon, daſs ich schon seit dem Jahre 1883 ein Patent auf die
                              									Herstellung von Milchglas und Emaille mittels Fluornatrium und einem
                              									thonerdehaltigen Material sowohl in Deutschland als auch den bedeutendsten anderen
                              									Industrieländern besitze.
                           Das Verfahren ist seit der Patentertheilung in der Industrie eingeführt und hat auch
                              									die Darstellung von Fluornatrium im Groſsen in der von mir geleiteten Chemischen
                              									Fabrik durch mich eine Lösung gefunden, die dieses Ersatzmaterial von Kryolith
                              									concurrenzfähig macht. Aus naheliegenden Gründen habe ich es vermieden, dem Patente
                              									eine gröſsere Oeffentlichkeit zu geben, und wird es wohl darin liegen, daſs die
                              									Kenntniſs davon nicht allgemein geworden.
                           Die mittels Fluornatrium geschmolzenen Gläser haben vollständig dieselbe
                              									Beschaffenheit wie solche mittels Kryolith hergestellten, was wohl auf dasselbe
                              									Trübungsmittel hinweist; beide sind aber wesentlich von den sogen. Spathgläsern
                              									(mittels Fluſsspath hergestellte Opalgläser) verschieden.
                           In Frankreich wird bis jetzt Kryolith oder Fluornatrium so gut wie gar nicht verwandt
                              									und das französische Opalglas wird, wie mir ein deutscher Glasindustrieller
                              									mittheilte, mittels Zusatz von Fluſs- und Feldspath geschmolzen. Diese Gläser haben
                              									nicht die sattweiſse Farbe des Kryolith-Milchglases, sondern einen mehr bläulichen
                              									Ton, sind im Preise bedeutend höher, so daſs dieselben blos bei feinen
                              									Beleuchtungsinstallationen verwandt werden und mit dem Kryolith-Milchglase nicht
                              									concurriren können. Der Preisunterschied ist nicht durch den Preis des Glasgemenges,
                              									welches eher billiger ist als bei Kryolithglas, sondern durch die verschiedene
                              									Arbeitsweise bedingt und diese wird wieder durch die Verschiedenheit beider Gläser
                              									erforderlich. Während Kryolithglas seine Eigenschaft direct beim Schmelzen erhält
                              									und ein aus dieser Glasmasse geformter Gegenstand sogleich die Beschaffenheit des
                              									Milchglases hat, bedarf es beim Spathglas ein wiederholtes Anwärmen und Abkühlen, um
                              									dasselbe vollständig opak zu machen. Gegenstände aus Milchglas können daher in
                              									Formen geblasen werden, welche Arbeitsweise für Massenartikel allein möglich ist.
                              									Die Spathgläser werden dagegen aus freier Hand geblasen, hierbei ist zum Zwecke des
                              									Formens ein öfteres Anwärmen erforderlich und gleichzeitig erhalten dieselben ihre
                              									opake Beschaffenheit. Daſs durch die Handarbeit und den damit verbundenen gröſseren
                              									Verlust an Ausschuſs der Preis wesentlich mehr beeinfluſst wird als durch die Kosten
                              									des Gemenges, ist einleuchtend.
                           Aus dem Unterschiede der beiden Glassorten glaube ich den Schluſs ziehen zu dürfen,
                              									daſs auch die Ursache der Trübung in beiden Fällen eine verschiedene ist, da Gläser,
                              									die sonst procentual gleich zusammengesetzt sind, dieses verschiedene Verhalten zeigen, je nachdem
                              									Fluor, Kalk und Thonerde in Form von Fluſsspath und Feldspath oder von Kryolith und
                              									Kalkstein der Glasmischung zugesetzt sind.
                           Meine Berufsgeschäfte gestatten es mir nicht, mich mit dieser theoretischen Frage
                              									eingehender zu beschäftigen und muſs ich dies einem wissenschaftlichen oder
                              									glastechnischen Laboratorium überlassen, ich möchte aber im Nachstehenden meine bei
                              									der Ausarbeitung und Ausführung meines Patentes gewonnenen Erfahrungen und die
                              									daraus gefolgerte Ansicht darlegen, vielleicht gibt dies zu weiteren klärenden
                              									Untersuchungen Veranlassung.
                           Die Natur des Glases macht es sehr schwierig, auf analytischem Wege festzustellen,
                              									wodurch die Trübung der Opalgläser hervorgerufen wird, doch stimmen jetzt alle
                              									Autoren, die in den letzten Jahren Arbeiten über diesen Gegenstand veröffentlicht,
                              									darin überein, daſs das eine Fluorverbindung ist; alle specielleren Angaben sind
                              									bloſs Schluſsfolgerungen, welchen der analytische Beleg fehlt. Meiner Ansicht nach
                              									wird die Trübung bei solchen Gläsern, die mit Fluſsspath geschmolzen sind, durch
                              									Fluorcalcium hervorgerufen, während bei einem Zusätze von Kryolith oder Fluornatrium
                              									der Hauptsache nach ausgeschiedenes Fluornatrium die Trübung bewirkt.
                           Es soll hierbei nicht ausgeschlossen sein, daſs bei Kryolithgläsern auch
                              									Fluoraluminium, soweit dieses in der Glasmischung nicht zersetzt wurde, zur Trübung
                              									beiträgt. Daſs in den nach meinem Patente geschmolzenen Gläsern, also mittels Zusatz
                              									von Fluornatrium und einem thonerdehaltigen Körper, das Fluornatrium als solches
                              									sich in der Glasmasse ausscheidet, habe ich schon in den Verhandlungen, welche die
                              									Prüfung meines Patentgesuches hervorgerufen, ausgesprochen.
                           Die Ursache, warum Fluornatrium oder Fluorcalcium erst bei Gegenwart von Thonerde
                              									oder, nach den Versuchen von Schott, anderer
                              									glasbildender Metalloxyde eine Trübung ergibt, erklärt sich aus dem
                              									Lösungsverhältnisse der verschiedenen Gläser. Während ein reines Kalk-Alkaliglas,
                              									wie auch Herr Rich. Zsigmondy bestätigt, auf alle
                              									Trübungsmittel, also auch auf Fluorverbindungen stark lösend wirkt, sind diese in
                              									Thonerde- oder anderen Metalloxydgläsern unlöslich, so daſs beim Erkalten eine
                              									Ausscheidung derselben erfolgt; man wird sonach bei einem Zusätze von Fluſsspath
                              									oder Fluornatrium zu einer gewöhnlichen Glasmischung, gewöhnliches Krystallglas, bei
                              									Anwesenheit einer Thonerde Verbindung aber Opalglas erhalten.
                           Es ergibt sich hieraus auch der Unterschied der Opalgläser je nachdem Fluſsspath oder
                              									Kryolith bezieh. Fluornatrium als Trübungsmittel verwandt wurde.
                           Die Annahme des Herrn Zsigmondy, daſs während des
                              									Schmelzprozesses die Thonerde auf Fluorcalcium bezieh. Fluornatrium einwirkt und
                              									sich Fluoraluminium bildet, scheint mir sehr unwahrscheinlich und ist durch Nichts erwiesen. Es
                              									ist nicht gut denkbar, daſs bei Gegenwart eines solch groſsen Ueberschusses von
                              									Kieselsäure, welche bei der hierbei in Betracht kommenden Temperatur eine sehr
                              									starke Säure ist, ein Nebenprozeſs wie die Einwirkung von kieselsaurer Thonerde auf
                              									Fluſsspath oder Fluornatrium eintreten kann, vielmehr wird die Kieselsäure direkt
                              									zersetzend auf die Fluor Verbindungen einwirken unter Entwickelung von flüchtigem
                              									Fluorkiesel und Bildung des entsprechenden Silicats. Dieser Prozeſs geht
                              									unaufhaltsam fort und bei genügender Schmelzdauer kann man aus jeder Glasmischung,
                              									mögen derselben noch so viel Fluor- und Thonerde-Verbindungen (selbst Kryolith)
                              									beigemengt sein, ein fluorfreies, vollständig durchsichtiges Krystallglas erhalten.
                              									Will man aber Opalglas erhalten, kommt es darauf an, daſs möglichst viel von den
                              									Fluorverbindungen unzersetzt bleibt bezieh. die Zersetzung derselben nicht zu weit
                              									geht. Dieses wird erzielt durch Einschränkung der Temperatur, insbesondere aber
                              									durch Verkürzung der Schmelzzeit. Opalglas wird in etwa ⅔ der Zeit, die Krystallglas
                              									braucht, zur Verarbeitung reif und die Glasöfen, die solches Glas schmelzen, werden
                              									in der Temperatur auch nicht so hoch gehalten, wie Krystallglasöfen. Ein bedeutender
                              									Glasindustrieller sagte mir, um das drastisch auszudrücken: „Opalgläser werden
                                 										mehr gebacken als geschmolzen.“
                           Was speciell Kryolithglas betrifft, so glaube ich, daſs der Kryolith zum gröſsten
                              									Theile vor Eintritt der Schmelztemperatur durch das zugesetzte Alkali und den Kalk
                              									zerlegt wird und das Fluoraluminium in Fluoralkali zum Theile auch Fluorcalcium und
                              									Thonerdenatron bezieh. Calcium umgewandelt wird. Dieser Prozeſs, auf den auch die
                              									Darstellung von Thonerdehydrat und Soda aus Kryolith basirt, kann in dem ersten
                              									Stadium, nach Einbringung der Glasmischung in den Hafen, sehr leicht vor sich gehen,
                              									da die Kieselsäure noch nicht activ ist.
                           Es unterliegt keinem Zweifel, daſs der Kryolith zersetzt wird und Fluornatrium als
                              									solches im Glase enthalten ist. Man kann dasselbe aus jedem mit Kryolith
                              									geschmolzenen Glase durch einfache Extraction mit Wasser ausziehen und ich war im
                              									Stande, 2 bis 2,4 Proc. Fluornatrium zu extrahiren. Bei der Beschaffenheit der
                              									Glasmasse wäre es wohl möglich, daſs noch ein bedeutender Antheil sich trotz
                              									feinster Pulverisirung der Extraction entzieht. Der Umstand, daſs Kryolithglas
                              									wasserlösliches Fluornatrium enthält, scheint bisher allen Autoren, die sich mit der
                              									Frage beschäftigt, entgangen zu sein und doch ist dies auf die Entscheidung der
                              									Frage: worin besteht die Trübung beim Opalglase, von groſsem Belange.
                           Ist meine Annahme der Zersetzung des Kryoliths in oben gedachtem Sinne richtig, so
                              									muſs der Gehalt der Kryolithglasschmelze an löslichem Fluornatrium im ersten Stadium
                              									des Schmelzprozesses am stärksten sein und bis zur Gare stetig abnehmen. Dieses ist
                              									auch ein Punkt, wo
                              									weitere Untersuchungen einsetzen müſsten und die Analyse derselben Schmelzmischung
                              									in verschiedenen Zeitintervallen, während der Schmelzdauer müſsten wohl
                              									Anhaltspunkte zur Klärung der Frage geben. Spathglas enthält keine Spur von
                              									löslichem Fluornatrium; eine Einwirkung von kieselsaurer Thonerde auf Fluorcalcium
                              									bei niedriger Temperatur findet nicht statt, während bei der Schmelztemperatur des
                              									Glases eine solche schwer anzunehmen ist. Es liegt daher nahe, die Trübung dem
                              									unzersetzten Fluorcalcium zuzuschreiben, mit welcher Annahme auch die verschiedene
                              									Beschaffenheit gegenüber Kryolithglas sich erklären läſst.
                           Ich bin mir wohl bewuſst, daſs auch meine Ansicht der ausreichenden analytischen
                              									Belege entbehrt, doch wäre der Zweck dieser Zeilen erfüllt, wenn dieselben
                              									Veranlassung zu weiteren Untersuchungen in dieser Richtung geben würden.