| Titel: | Von der Nordwestdeutschen Gewerbe- und Industrie-Ausstellung in Bremen 1890. | 
| Fundstelle: | Band 277, Jahrgang 1890, S. 402 | 
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                        Von der Nordwestdeutschen Gewerbe- und
                           								Industrie-Ausstellung in Bremen 1890.
                        Nordwestdeutsche Gewerbe- und Industrie-Ausstellung in
                           								Bremen.
                        
                     
                        
                           Die am 31. Mai 1890 eröffnete, aber erst Anfang Juli zur annähernden Vollendung
                              									gebrachte Nordwestdeutsche Gewerbe- und Industrie-Ausstellung soll ein Bild von
                              									Gewerbe und Industrie der Stadt Bremen, der Provinz Hannover, sowie des
                              									Groſsherzogthums Oldenburg geben, gleichzeitig aber auch den über Bremen geleiteten
                              									Welthandel in seiner besonderen Eigenart zur Darstellung bringen.
                           Mit dem 15. Oktober 1889 wurde bekanntlich die freie und Hansestadt Bremen in das
                              									Zollgebiet des Deutschen Reichs eingezogen und dadurch wirthschaftlich wie
                              									industriell in engere Fühlung mit ihren benachbarten Gebieten und dem gesammten
                              									Reiche gebracht. Die seitherige Freihafenstellung Bremens hatte naturgemäſs eine
                              									gewisse Abgeschiedenheit zur Folge, welche sich weniger in den wirthschaftlichen
                              									Verhältnissen, als in einer gewissen Unabhängigkeit und Specialisirung des
                              									Bremensischen Handwerksbetriebes sichtbar machte. Gestützt auf altgewohntes
                              									Herkommen und gefördert durch die Wohlhabenheit der Bremer Bürgerschaft entwickelte
                              									sich das Handwerk in ganz eigenartiger Weise, um besonders im Kunstgewerbe gewisse
                              									charakteristische Kennzeichen auszubilden, welche für die Bremer Verhältnisse eigenthümlich
                              									sind.
                           Wesentlich im Hintergrunde steht dem Handwerke gegenüber die Industrie. Hat die
                              									Bremer Bürgerschaft das Handwerk für ihre eigenen Zwecke des Lebens und der
                              									Behaglichkeit groſs gezogen und gestützt, so lag eine Entwickelung des industriellen
                              									Lebens mehr auſserhalb des Interesses der maſsgebend nur Groſshandel treibenden
                              									Kaufmannschaft, wenn auch nicht verkannt werden darf, daſs die allerjüngste Zeit in
                              									letzterer Beziehung eine wesentliche Wandelung herbeizuführen scheint.
                           Aber gerade die hier vorgeführte Ausstellung – so unvollkommen und dürftig sie
                              									genannt werden muſs – zeigt das Miſsverhältniſs zwischen dem Handwerk, der Industrie
                              									und dem Handel. So kernig das erstere entwickelt ist, so überwältigend der letztere
                              									sich darstellt, so kümmerlich erscheint die Industrie. Der Sinn für letztere ist
                              									eben noch nicht hinreichend groſs gezogen, um sich maſsgebend namentlich den
                              									Handelsinteressen gegenüber geltend zu machen.
                           Zweifellos erscheint aber die nunmehrige Einbeziehung Bremens in das deutsche
                              									Zollgebiet hinreichende Gelegenheit zu bieten, um offenbar zu machen, wie sehr sich
                              									an einem so hervorragenden Knotenpunkte des Welthandels eine Industrie zur
                              									Verarbeitung der eingeführten Rohstoffe nützlich und gewinnbringend bethätigen
                              									kann.
                           Namentlich die hauptsächlichsten Einfuhrstoffe Bremens, wie Tabak, Reis, Wolle,
                              									Baumwolle u.s.w. gewähren die denkbar günstigste Gelegenheit zur Entwickelung
                              									groſser Industrie, ganz abgesehen davon, daſs sich im Anschlusse hieran die
                              									Hilfsindustrien, namentlich Maschinenfabriken, nothwendig mit zu kräftiger Blüthe
                              									entfalten müssen. –
                           Die Ausstellung hatte ihren Ursprung in sehr stattlichen „kunstgewerblichen
                                 										Weihnachtsmessen“, als deren Urheber Prof. Reuleaux hingestellt wird. Das glückliche Ergebniſs dieser Messen lieſs
                              									naturgemäſs das innerhalb der Mauern jeder gröſseren Stadt herrschende
                              									Ausstellungsfieber zur freien Entwickelung kommen, so daſs die Thatsache einer in
                              									der Concurrenzhandelsstadt an der Elbe erfolgten Ausstellung mit Gewalt zur
                              									Veranstaltung drängte. Hamburg durfte vor Bremen nichts voraus haben.
                           Der vollzogene Akt des Zollanschlusses war eine gute Gelegenheit, eine Ausstellung zu
                              									veranstalten, in welcher eine Vereinigung der nordwestdeutschen Gebiete, und zwar in
                              									den zunächst berührten Interessen des Handels, der Industrie und des Gewerbes zum
                              									Ausdruck gebracht werden sollte.
                           Dieser Ausstellungsgedanke ist denn nun auch seitens der Kreise der Bremer
                              									Bürgerschaft mit groſser Sympathie aufgenommen und mit bewunderungswürdiger
                              									materieller Hilfe verkörpert worden. Nicht allein, daſs eine stattliche
                              									Garantiesumme schnell gezeichnet wurde, daſs ausschlieſslich aus privaten Mitteln
                              									rund 50000 M. an Geldpreisen ausgesetzt wurden, nein auch durch prächtige Gestaltung des
                              									Ausstellungsplatzes, der gröſsten Zierde Bremens, wurde der Ausstellung ein Rahmen
                              									gegeben, wie er bisher in Deutschland noch nicht gesehen wurde.
                           Leider liegt es in den Verhältnissen, daſs dieser prächtige Rahmen das Bild selbst
                              									drückt und fast gar nicht zur Geltung kommen läſst, weil eben der Werth von Rahmen
                              									und Bild gar zu gewaltig unterschieden ist. Andererseits wird aber der
                              									Durchschnittsbesucher sich an diesem Rahmen freuen, sich an dessen herrlicher
                              									Gestaltung genügen lassen und über den Rahmen nicht zur Betrachtung und Prüfung des
                              									Bildes gelangen.
                           Für die Ausstellung ist der Bürgerpark hergegeben, eine groſsartige, besonders durch
                              									wasserreiche groſse Teiche imponirende und gefallende Parkanlage in unmittelbarer
                              									Nähe des Bahnhofes. In diesen Park ist ein architektonisch hervorragendes, für
                              									spätere Zeiten zu erhaltendes Gebäude, das sogen. Parkhaus gesetzt, welches der
                              									gröſste Bau des Platzes ist und eine der zahlreichen Restaurationen aufnimmt. Der
                              									Besucher empfängt beim Eintritt in den Ausstellungsraum, der nebenbei gesagt in
                              									seiner Ausdehnung alle seitherigen Ausstellungsplätze weit überragt, durch den
                              									Anblick dieses fein gegliederten, monumentalen Parkhauses mit dem vorliegenden
                              									groſsen Teiche einen Eindruck, wie er wohlthuender kaum möglich ist.
                           Wiederholt muſs darauf hingewiesen werden, daſs die geschickte Gliederung der
                              									Ausstellungsgebäude, die Anpassung an die vorhandenen Verhältnisse, die Ausnutzung
                              									des Parkes vortrefflich gelungen ist. Die Krone für die äuſserlich so gewinnende
                              									Veranstaltung gebührt ausschlieſslich den bauleitenden Architekten, welche ebenso
                              									viel Geschick wie Geschmack entwickelten, um ein hervorragendes Werk zu schaffen,
                              									welches sowohl am Tage, wie im Glänze der überaus reichen und guten elektrischen
                              									Beleuchtung von eindringlichster Wirkung auf den Beschauer sich erweist.
                           Man muſs das hier Gebotene dankbar genieſsen und den Ruhm des Architekten nicht
                              									verkümmern, wenn er vielleicht in gewisser Vorahnung dem Aeuſseren seiner Bauwerke
                              									den Charakter einer industriellen Veranstaltung nicht aufdrückte. Wer aber ohne
                              									Kenntniſs des wirklichen Charakters diesen Platz besucht, die zahllosen
                              									Restaurationslokale in ihren bunten, aufdringlichen Häusern, die vielen
                              									Verkaufsläden für alle möglichen Gegenstände, die Naschbuden, Carroussels,
                              									Schieſsbuden, das Theater, Rutschbahn, die Lachcabinette u.s.w. u.s.w. ansieht, wer
                              									beobachtet, wie zwischen diesen einzelnen Orten das Publikum wogt in dem
                              									augenscheinlich einzigen Streben, sich thatkräftig zu unterhalten, der wird ganz
                              									entschieden glauben, sich auf einem hübsch angelegten Schützenfestplatze zu
                              									befinden, oder annehmen, daſs die Bremer eine Kirmeſs abhalten.
                           Dieses vollständige Ueberwiegen der Genuſsplätze für das groſse Publikum ist gewiſs nicht
                              									unbewuſst. Ist doch leider in den letzten Jahren oft genug augenscheinlich geworden,
                              									daſs die Veranstaltung einer Industrie-Ausstellung ganz und gar Nebenzweck ist, daſs
                              									es mehr darauf abgesehen ist, für ein breites Publikum möglichst viel Unterhaltungs-
                              									und Vergnügungsstoff zu bieten, als ein Bild heimischen Gewerbefleiſses zu geben;
                              									man will recht viel Leute zum Besuche veranlassen, um ein hohes Kassenergebniſs zu
                              									gewinnen, und muſs die weiteren Schichten der Bevölkerung, welche für industrielle
                              									Veranstaltungen ihrer ganzen Berufsveranlagung nach keinen Sinn haben, durch Mittel
                              									anlocken, welche doch gewiſs recht fragwürdiger Natur sind.
                           Die Industrie hat aber ein volles, gutes Recht, wenn sie sich sehr vorsichtig
                              									abwartend solchen Veranstaltungen gegenüber verhält; sie soll ja auch oft nur ein
                              									Mittel zum Zweck sein, indem sie den Deckmantel hergibt für das Streben einzelner
                              									Kreise, einem groſsen Publikum einen neuen Vergnügungsplatz und Vergnügungsreiz zu
                              									gewähren. Wenn jemand sagen will, daſs man beide Zwecke – den Ernst wie das
                              									Vergnügen – in dieser Beziehung verbinden könne, so müssen wir dies entschieden
                              									bestreiten. Der Name „Industrie-Ausstellung“ wird bald eine noch
                              									unangenehmere Nebenbedeutung gewinnen, als er jetzt schon besitzt, und das
                              									Endergebniſs wird sein, eine Ausstellung ohne
                              									Fabrikanten, an deren Stelle vielleicht einige Händler bleiben.
                           Die Architektur hat für die Ausstellung den Löwenantheil. Wenn auch nur das Parkhaus
                              									in edlem Material fest aufgeführt wurde, so zeugen doch die übrigen, ausschlieſslich
                              									in Holz mit Leinwandüberzug hergestellten Ausstellungsbaulichkeiten von ungemeinem
                              									Geschmack. Die Architektur fand eine besonders lohnende Aufgabe in der
                              									künstlerischen Behandlung der Restaurationen und Schauläden. Für erstere waren
                              									verschiedene Einzelhäuser aufgeführt im Charakter der in den Bereich des
                              									Ausstellungsgebietes fallenden Länder, so namentlich ein westfälisches Bauernhaus
                              									und ein Nordsee-Fischerhaus. Den Haupttrumpf spielt jedoch die Architektur mit der
                              									Straſse „Alt-Bremen“ aus, welche zum Theil aus vollständigen im Charakter des
                              									16. Jahrhunderts aufgeführten und in den Ausstellungsverkehr gezogenen Häusern, zum
                              									Theil nur aus Erdgeschoſsräumen mit blinden Façaden besteht. Das
                              									Hauptausstellungsgebäude, welches ausschlieſslich fertige Erzeugnisse der Industrie
                              									und des Handwerks enthält, nimmt den Hauptraum hinter dem Parkhause ein. Der
                              									eingeschlossene freie, sehr groſse Platz wird einerseits von dem Gebäude für die
                              									Kunstausstellung, andererseits von einem solchen für die Marine-Ausstellung
                              									begrenzt. Der Raum selbst ist durch groſsartige Springbrunnen-Anlagen und Wasser
                              									Kaskaden belebt, welche namentlich Abends in Folge der geschickten Anordnung von
                              									zahlreichen bunten elektrischen Glühlampen einen wundervollen Anblick gewähren.
                           Auſser den genannten Räumen besteht noch ein Gebäude seitlich des Hauptausstellungsgebäudes
                              									für die Handelsausstellung, sowie seitlich des Parkhauses, aber glücklicherweise von
                              									hier dem Anblick völlig entzogen, die am unansehnlichsten ausgestattete – und zwar
                              									auſsen wie innen – Maschinenhalle; endlich ist noch einer kleinen Halle für eine
                              									Gartenbau-Ausstellung im Inneren des Parks zu gedenken. Ein die
                              									Architektur-Abtheilung aufnehmendes Gebäude kennzeichnet sich als Anbau einer
                              									Kneipe, der sogen. Architektenhalle.
                           Die Baulichkeiten sind unter Leitung des Bremer Architekten J. G. Poppe nach dessen eigenem Entwürfe ausgeführt.
                           Die Ausstellung, an welcher sich insgesammt dem Kataloge zu Folge rund 1100
                              									Aussteller betheiligt haben, ist im Kataloge, wenn auch nicht in der Wirklichkeit,
                              									in 21 Gruppen eingetheilt.
                           Bei der Besprechung können wir uns an diese Eintheilung nicht halten, weil
                              									einestheils einige dieser Gruppen fast unvertreten geblieben sind, während
                              									andererseits verhältniſsmäſsig so wenig Neues und Auffallendes geboten ist, daſs im
                              									Interesse der Allgemeinheit eine Erörterung nicht angebracht erscheint.
                           Der Inhalt des Hauptausstellungsgebäudes zeigt im Allgemeinen nicht mehr, als die
                              									Schauläden gut ausgestatteter Verkaufsgeschäfte in gröſseren Städten zu bieten
                              									pflegen. Die Einzelleistungen sind zwar durchschnittlich recht gut, erheben sich
                              									aber nicht über das auf Ausstellungen gewohnte Maſs.
                           Das Handwerk in Bremen ist auf Grund der oben erwähnten örtlichen Zustände zu manchen
                              									geschäftlichen Einrichtungen und Maſsnahmen gekommen, welche es von demjenigen
                              									anderer Plätze mehr oder weniger unterscheiden. Die sogen. Nahrungsgewerbe haben der
                              									gröſseren Ausdehnung der Stadt, den vielfach feineren Ansprüchen u. dgl. Rechnung zu
                              									tragen; insbesondere ist es das Kunsthandwerk, dem durch die in Bremen
                              									vorherrschende stabile Wohnung, die Gleichmäſsigkeit der Bauart, die
                              									gesellschaftlichen Sitten und die bürgerlichen Gewohnheiten ganz bestimmte Aufgaben
                              									gestellt werden, von welchen nur ausnahmsweise eine geringe Abweichung zulässig
                              									erscheint. Als eine natürliche Folge ergibt sich bei dieser Gleichartigkeit des
                              									Erfordernisses eine gewisse Solidität der Arbeit und die langsame Veränderung der
                              									einmal angenommenen Geschmacksformen, das Festhalten einer bestimmten Stilrichtung
                              									und der daraus sich ergebenden Consequenzen hinsichtlich der Massenwirkungen und
                              									Farbenstimmungen; endlich die Beibehaltung einmal eingebürgerter Materialien und
                              									Verwendungsweisen.
                           Alle diese Einzelheiten unterschieden Bremens Industrie und Gewerbe nicht
                              									unwesentlich von derjenigen der angrenzenden Nachbargebiete, die
                              									Unterscheidungsmerkmale hie und da noch verschärft durch die lange Zeit bestandenen
                              									Zoll Verhältnisse, welche einen anregenden geschäftlichen Verkehr mit der näheren
                              									oder ferneren Umgegend nicht nur sehr erschwerten, sondern theilweise unmöglich
                              									machten. Dieselben Umstände begünstigten zum Theil den industriellen Aufschwung der näheren Umgegend,
                              									namentlich der Stadt Hannover.
                           Das Kunstgewerbe Bremens zeigt sich auf der Ausstellung am auffallendsten in den
                              									zahlreichen Zimmereinrichtungen, weniger in der Formgebung in Metall, Leder, Holz,
                              									Porzellan und Glas. In letzterer Beziehung ist die auswärtige Industrie
                              									maſsgebend.
                           Wenig hervortretend, aber sehr interessant unter geschichtlichem Gesichtspunkte
                              									erweist sich die auf die Korkindustrie bezügliche Ausstellung.
                           Die Korkfabrikation, von den Hausindustrien des
                              									Groſsherzogthums Oldenburg wohl die bedeutendste, besteht in Delmenhorst und
                              									Umgegend schon seit etwa 160 Jahren und wurde ums Jahr 1730 in Hasbergen von C. H. Cordes und Johann
                                 										Lürssen ins Leben gerufen. – Mitglieder dieser beiden Familien haben sich
                              									seit jener Zeit ununterbrochen in der Korkfabrikation bethätigt. Man findet die
                              									unmittelbaren Nachkommen jener beiden Begründer der Korkindustrie noch jetzt als
                              									Firmen träger der Firmen J. C. Lürssen, Carl Lürssen
                              									und Cordes und Ellgaſs. Aus kleinen Anfängen heraus hat
                              									sich die Korkindustrie zu ihrer jetzigen Bedeutung entwickelt und beschäftigt
                              									augenblicklich wohl etwa 1200 Haushaltungen bezieh. etwa 4000 Personen, da bei der
                              									Hausfabrikation in vielen Haushaltungen nicht allein die männlichen Familienglieder
                              									sich mit der Korkschneiderei befassen, sondern auch die Frauen und Töchter mit Hand
                              									anlegen. Ursprünglich wurde die Korkschneiderei nur als Hausindustrie betrieben,
                              									indem die Arbeiter das Rohmaterial, das Korkholz, von der betreffenden Fabrik
                              									abholten, zu Hause verarbeiteten und dann die fertigen Korken wieder zur Fabrik
                              									brachten, wo ihnen der Arbeitslohn ausbezahlt wurde. Dieses Verfahren ist auch jetzt
                              									noch bei der Mehrzahl der Arbeiter im Gange. Indessen sind auch schon seit langer
                              									Zeit Maschinen eingeführt: gerade in letzter Zeit hat die Maschinenfabrikation einen
                              									bedeutenden Aufschwung genommen. Einzelne Firmen wenden für ihre
                              									Maschinenfabrikation mechanische Antriebskräfte an, so arbeiten zur Zeit zwei
                              									Firmen, Julius Bieting und Eduard Pundt, mit Gasmotor, und eine, Carl
                                 										Lürssen, mit Dampfbetrieb.
                           Was nun die Fabrikation selbst anbelangt, so werden die Korken, wie bekannt ist, aus
                              									dem Korkholz geschnitten. Letzteres, die Rinde der Korkeiche (Quercus suber) wird in Ballen von etwa 150 Pfd.
                              									meistens durch Vermittelung Bremer und Hamburger Commissionshäuser bezogen aus den
                              									Productionsländern, Portugal, Spanien, Algerien, Südfrankreich, Sardinien. –
                              									Augenblicklich liefert Portugal das meiste Korkholz nach Deutschland, während für
                              									die weitere Zukunft Algerien ihm erhebliche Concurrenz machen dürfte.
                           Das Korkholz wird verkauft nach Marken und Nummern, die eine ganz bestimmte Qualität
                              									und Dicke repräsentiren, indessen sind diese Qualitäten und Stärken in sich sehr verschieden, und in
                              									Folge dessen auch die Preise sehr verschieden, z.B. wird prima Korkholz mit 140 bis
                              									150 M. für 100k bezahlt, es gibt einzelne
                              									ausgesuchte Marken, die über 200 M. kosten – während ordinäres Korkholz 20 M. für
                              										100k und theilweise noch weniger kostet. Im
                              									Kaliber des Korkholzes kennt man im Allgemeinen drei Unterschiede, regulär, dick,
                              									dünn. Aus dem Korkholz regulärer Stärke schneidet man Wein-, Selterswasser-,
                              									Bierkorken, während das dicke Korkholz zur Anfertigung von Faſskorken, das dünne zu
                              									Medizinkorken, flachen Spunden u.s.w. benutzt wird. Das Korkholz besteht aus
                              									Platten, die bei der Verarbeitung in Streifen und Würfel zerlegt werden, aus welch
                              									letzteren der Kork geschnitten wird; man rechnet, daſs ein fleiſsiger Handarbeiter
                              									durchschnittlich 2000 Korken täglich schneidet, welche Zahl bei der Fabrikation von
                              									Bier- und Medizinkorken wohl etwas überschritten, bei der von langen Weinkorken
                              									nicht ganz erreicht wird; dementsprechend sind auch die Arbeitslöhne für Weinkorken
                              									höher. Hat nun der Arbeiter das ihm von der Fabrik zugetheilte Korkholz, meistens
                              									100 bis 200 Pfd., aufgearbeitet, so liefert er die fertigen Korken an die Fabrik
                              									wieder ab und erhält den Lohn dafür; diese Korken aber sind nun noch keineswegs für
                              									den Consum brauchbar, im Gegentheile müssen sie noch die verschiedensten
                              									Behandlungen erfahren. Da nämlich das Korkholz einer Marke nicht ganz gleichmäſsig
                              									stark ist, sondern wieder dünnere und dickere Stücke enthält, so fallen
                              									dementsprechend auch die Korken dünner oder dicker aus. Sie werden nun, damit man
                              									gleiche Kaliber erhält, in der Fabrik über groſse Siebe mit verstellbaren Stangen
                              									geschüttet; so daſs durch diese Manipulation die dünnen von den stärkeren Korken
                              									gesondert werden, indem die ersteren durch die Zwischenräume der Stangen fallen,
                              									während die letzteren auf den Stangen liegen bleiben. Diese verstellbaren Stangen
                              									müssen natürlich sehr sorgfältig gearbeitet sein; das hervorragendste auf diesem
                              									Gebiete ist wohl eine von dem Maschinenfabrikanten A.
                                 										Heel in Delmenhorst erfundene Maschine mit verstellbarer Siebplatte, die es
                              									ermöglicht, Korken bis auf 0mm,5 aus einander zu
                              									sieben. Nachdem die Korken gesiebt sind, werden sie auf Qualität sortirt, dann
                              									gezählt und verpackt, worauf sie für den Versand fertig sind. Bei der Qualität der
                              									Korken kennt man ebenso viele Unterschiede wie beim Korkholz und dementsprechend
                              									variirend sind auch die Preise für die prima und ordinäre Qualität desselben Korkes.
                              									Um es nun zu ermöglichen, die geringeren Korken für gewöhnliche Biere u.s.w., die
                              									sehr niedrig im Preise sind, billiger herzustellen, kam man zur Einführung von
                              									Maschinen, die zwar an Materialausnutzung hinter dem geschickten Handarbeiter weit
                              									zurückstehen, dafür aber eine erheblich gröſsere Production ermöglichen und dadurch
                              									die Herstellungskosten billiger machen. Während, wie gesagt, der geschickte
                              									Handarbeiter durchschnittlich 2000 Korke schneiden kann, kann ein Maschinenarbeiter
                              										bis zu 20000 Stück
                              									schneiden. Wenn man nun nicht ganz zur Maschinenarbeit übergegangen ist, im
                              									Gegentheile für das feine Korkholz Handarbeit entschieden bevorzugt, so liegt das
                              									daran, daſs der Abfall, die Korkspäne, die zur Linoleumfabrikation benutzt werden,
                              									bei der Korkfabrikation eine sehr groſse Rolle spielt, denn man rechnet im
                              									Durchschnitt nicht weniger als 60 Proc. Abfall. Bei der Handarbeit wird dieser
                              									Procentsatz durchschnittlich wohl nicht ganz erreicht, bei der Maschinenarbeit
                              									dagegen häufig überschritten, jedenfalls ist der Mehrabfall groſs genug, daſs man
                              									bei dem hohen Werthe des feinen Korkholzes dieses trotz des höheren Arbeitslohnes
                              									lieber mit der Hand verarbeiten läſst, zumal der geschickte Handarbeiter schlechte
                              									Stellen im Korkholz, Risse u.s.w. vermeiden wird, was der Maschinenarbeiter nicht
                              									kann, und somit der erstere eine reinere Qualität der Korken zur Ablieferung bringen
                              									wird. Auf alle Fälle vorzuziehen ist dagegen Maschinenarbeit bei der Anfertigung von
                              									groſsen Faſskorken u.s.w., die mit der Hand, weil sie zu groſs sind, nur sehr
                              									unvollkommen geschnitten werden können. In Delmenhorst und Umgegend zählt man jetzt
                              									über 20 Firmen, von denen indessen keine die erstgenannten Firmen J. C. Lürssen, Carl Lürssen und Cordes und Ellgaſs an Bedeutung erreicht hat. Von allen Delmenhorster
                              									Korkfirmen zusammen werden täglich reichlich 1 Million Korken fabricirt, die ihren
                              									Absatz zum groſsen Theil in Deutschland selbst finden, indessen wird auch sehr viel
                              									exportirt, besonders von genannten drei Firmen, die stark nach dem europäischen
                              									Ausland, nach Nord- und Südamerika und Australien arbeiten; nach Südamerika und
                              									Australien gehen besonders Exportbierkorken, nach Nordamerika extrafeine
                              									Medizinkorken und feine Weinkorken. Auch fängt seit einiger Zeit die Ausfuhr an,
                              									sich auf Afrika und Asien in gröſserem Maſsstabe auszudehnen, bisher stehen diese
                              									Länder indessen noch an Bedeutung zurück. Die Menge des in Delmenhorst und Umgegend
                              									verarbeiteten Korkholzes beträgt jährlich etwa 20000 Ballen mit einem Werthe von
                              									etwa 1000000 M.:, an Arbeitslohn werden etwa 500000 M. jährlich gezahlt. Die 1200
                              									Arbeiter sind fast alle in der Umgegend Delmenhorsts ansässig, haben kleinen
                              									Landbesitz und arbeiten im Frühjahr, Sommer und Herbst mehr auf dem Lande als mit
                              									dem Korkmesser. Deshalb ist der angeführte Lohn nicht als der alleinige Verdienst
                              									der Korkschneider anzusehen; vielmehr bietet den Hausarbeitern die Korkindustrie
                              									eine willkommene Beschäftigung und guten Verdienst während des Winters und in der
                              									Zwischenzeit, wenn die Landarbeit ruht.
                           
                              
                                 (Fortsetzung folgt.)