| Titel: | Die Herstellung der Luftspitzen (Aetzspitzen). | 
| Autor: | H. Glafey | 
| Fundstelle: | Band 280, Jahrgang 1891, S. 292 | 
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                        Die Herstellung der Luftspitzen
                           								(Aetzspitzen).
                        Von H. Glafey, Ingenieur,
                           									Berlin.
                        Mit Abbildungen.
                        Die Herstellung der Luftspitzen (Aetzspitzen).
                        
                     
                        
                           Vor etwa einem Jahrzehnt konnte man auf dem Gebiete der Spitzenindustrie eine
                              									epochemachende Erfindung verzeichnen, durch welche die bis dahin für unlösbar
                              									gehaltene Aufgabe, die sogen. echten, alten Handspitzen (venetianische, irische
                              									u.s.w.) auch auf mechanischem Wege herzustellen, ihrer Verwirklichung
                              									entgegengeführt wurde.
                           Besonders die Schweiz, soweit nachweisbar das Geburtsland dieser Erfindung, und unser
                              									sächsisches Erzgebirge haben es verstanden, dieselbe derart zu vervollkommnen, dass
                              									die auf der Stickmaschine jetzt erzielten Producte Verwunderung hervorrufen, und es
                              									wird deshalb gestattet sein, im Nachstehenden etwas näher auf den Ursprung und die
                              									weitere Entwickelung dieser Erfindung einzugehen.
                           Mit dem Namen Luftspitze oder Aetzspitze, wie sie bisweilen auch heisst, bezeichnet
                              									man ein Product, welches dadurch erhalten wird, dass man mit der Nadel auf
                              									mechanischem Wege einen Grundstoff bestickt, der nach Vollendung der Stickerei
                              									zerstört wird, so dass nur noch das durch die Nadel erzeugte Fadengebilde – die
                              									Spitze – zurückbleibt. Abgesehen von dem für die letzteren gewählten Muster wird die
                              									Spitze hierbei je nach Wahl des Materials für Grundstoff und Nadelfaden, sowie der
                              									für die Verarbeitung des letzteren zu Grunde gelegten Stichbildung einen
                              									verschiedenartigen Charakter zeigen.
                           Die ersten zuverlässigen Angaben über die Herstellung von Luftspitzen finden sich in
                              									dem amerikanischen Patent Nr. 280094 (angemeldet am 29. November 1882, ertheilt am 26. Juni 1883) der
                              									Firma Wetter frères in St. Gallen, Schweiz, dessen
                              									Anspruch folgendermassen lautet:
                           
                              „The process of manufacturing open-work fabrics, consisting in first embroidering
                                 										vegetable fiber on a ground of animal fiber and then dissolving the latter in a
                                 										solution of chloride of lime.“
                              
                           Textabbildung Bd. 280, S. 292Halter, Herstellung der Luftspitzen. Behufs Erzeugung der Spitze verfuhr genannte Firma nach Angabe der
                              									Patentschrift in der Weise, dass sie einen Grundstoff aus Seide mit einer Stickerei
                              									aus Baumwolle versah und das so erhaltene Product mit einer Lösung von Chlorkalk so
                              									lange behandelte, bis die Seide vollständig zerstört war. Es blieb somit nach diesem
                              									Verfahren, wenn man auch die weiteren Vorschläge der Erfinder, sowohl Seide als
                              									Baumwolle durch ein anderes entsprechendes Material zu ersetzen und für den aus
                              									Thierfaser hergestellten Grundstoff das geeignete Lösungsmittel zu suchen, beachtet,
                              									immer eine aus minderwerthigem Material hergestellte Spitze, während das werthvolle
                              									Material vernichtet wurde.
                           Nach diesem ersten Versuch lag es nun sehr nahe, auch den umgekehrten Weg
                              									einzuschlagen, d.h. einen minderwertigen Grundstoff mit Fäden aus werthvollerem
                              									Material zu besticken. Um hierbei gleichzeitig auch das chemische Lösungsmittel zu
                              									umgehen, wandte man für den ersteren zunächst einfach Papier an, das man nach dem
                              									Besticken durch einen Waschprocess beseitigte. Dieses Verfahren hat aber nur eine
                              									ganz beschränkte Anwendung gefunden, weil sich das Papier für viele Stickereien
                              									nicht widerstandsfähig genug zeigte und auch für einfache Muster einen Hilfsapparat
                              									verlangte, der den Zweck hatte, das Papier während des Durchstichs der Nadeln
                              									festzuhalten und die für die Aufnahme der eigentlichen Zierstiche zuerst gebildeten
                              									Unterstiche zu verhindern, ihre Lage zu verändern.
                           Ein derartiger Hilfsapparat ist in den beistehenden Fig. 1 bis 4 wiedergegeben und rührt von Jos. Halter in Rebstein (St. Gallen) her. Nach Angabe der deutschen
                              									Patentschrift Nr. 17903 aus dem Jahre 1882 (das Patent ist bereits erloschen)
                              									besteht derselbe nach der in den Fig. 1, 2 und 3 gegebenen
                              									Ausführungsform aus zwei gezahnten Schienen A aus Holz,
                              									Eisen oder Weissblech, welche sich von beiden Seiten gegen das Papier anlegen und
                              									durch feste lothrechte Arme, die oben an der wagerechten Traverse der Stickmaschine
                              									befestigt sind, gehalten werden. Die inneren Ecken a
                              									zwischen zwei Bogen oder Zähnen gewähren den Nadeln den Durchgang. Der in Fig. 4 wiedergegebene Apparat unterscheidet sich von
                              									dem erwähnten einestheils durch die verschiedene Befestigungsweise am
                              									Maschinengestell, anderentheils können für den Durchlass der Nadeln nebst den
                              									Einkerbungen Löcher in einem flachen Stabe oder in federnden Zungen angebracht
                              									werden, wodurch ein noch sichereres Festhalten des zu bestickenden Stoffes erzielt
                              									wird.
                           In den beiden Supporten B (Fig.
                                 										4), welche an der Traverse A des
                              									Maschinengestelles befestigt sind, ist eine Welle C
                              									drehbar; die Arme D sind fest auf dieser Welle und
                              									tragen den Winkelstab E, an welchem entweder mit
                              									Löchern versehene federnde Zungen a oder ausgekerbte
                              									Blechschienen b oder ganze, mit Löchern versehene
                              									Blechschienen c angebracht sind.
                           Textabbildung Bd. 280, S. 292Fig. 4.Halter, Herstellung der Luftspitzen Bei solchen Stickmaschinen, bei welchen nicht wie bei den Heilmann'schen ein die Nadeln führender Wagen den
                              									Apparat während des Durchstechens der Nadeln an den Stickgrund drückt, muss derselbe
                              									durch eine besondere Bewegung beim jeweiligen Durchgehen der Nadeln durch den Grund
                              									an denselben angedrückt werden, was hier durch Welle C,
                              									Hebel d und Excenter e
                              									erfolgt. Zur Erzeugung des Dessins kann sich der Rahmen mit der Stickerei in der
                              									Zwischenzeit frei bewegen.
                           Eine grössere Zukunft war dem Verfahren beschieden, welches nicht das wenig
                              									Festigkeit besitzende Papier anwendete, sondern einen durch chemische Lösungsmittel
                              									zerstörbaren Grundstoff aus Pflanzenfaser als Unterlage für die zu erzeugende Spitze
                              									benutzte. Wie sich aus der amerikanischen Patentbeschreibung Nr. 337687 und
                              									englischen Patentschrift Nr. 7931 A. D. 1885 von Jean
                                 										Krüsi in St. Gallen (Schweiz) ergibt, haben sich bei Ausführung dieses
                              									letztbezeichneten Verfahrens zwei Methoden ausgebildet. Nach der einen wird das
                              									gewöhnlich aus Baumwolle hergestellte Grundgewebe vor dem Besticken in ein Bad
                              									verdünnte Säure (Schwefel- oder Salzsäure) gebracht, dann getrocknet und nach dem
                              									Besticken einer hohen Temperatur ausgesetzt, was eine Zerstörung des Grundstoffes
                              									zur Folge hat. Bei der zweiten Methode dagegen wird der Unterstoff erst nach dem
                              									Besticken mit Säure behandelt und der zur Hervorbringung der Stickerei verwendete
                              									Stickfaden vor seiner Verarbeitung mit einem Material präparirt, welches die spätere
                              									Einwirkung der Säure neutralisirt, die Stickerei also vor einer Zerstörung bewahrt.
                              									Als geeignet für die Behandlung des Stickfadens aus Wolle, Seide und Metall schlägt
                              										Krüsi den Salmiakgeist vor, den er auch durch eine
                              									Lauge bezieh. alkalische Lösung ersetzen will. Der Grundstoff wird, nachdem er mit
                              									dem präparirten und wieder getrockneten Faden bestickt ist, mit Säure behandelt und
                              									schliesslich durch Auswaschen beseitigt.
                           Zur Beseitigung des durch die Carbonisation zerstörten Grundstoffes schlägt Frederic Hungersford Bowman in Halifax, Grafschaft York
                              									(England), in den ihm ertheilten englischen Patenten Nr. 11478, 16420 und 17283 aus
                              									dem Jahre 1888 für das Auswaschen ein Behandeln der getrockneten und carbonisirten
                              									Stickerei mit einem Wasser-, Luft- oder Dampfstrahl vor oder das Einschlagen der
                              									Stickerei in Tücher und darauf folgendes Klopfen. Die nach Beseitigung des
                              									Grundstoffes übrig bleibende Spitze wäscht Bowman in
                              									Wasser mit einem geringen Zusatz von Alkali aus, um jede Spur von dem Stickfaden
                              									anhaftender Säure zu beseitigen.
                           An Stelle der Schwefelsäure und Salzsäure bezieh. des Chlors wendet derselbe Erfinder
                              									ferner alle Salze an, welche durch ihre Zersetzung in der Hitze Säuren entwickeln,
                              									die eine Zerstörung der Pflanzenfaser herbeiführen. Als geeignet erscheinen ihm
                              									hierbei besonders Aluminiumchlorid und Zinkchlorid.
                           Eine weitere Ausbildung erfuhr das Verfahren zur Herstellung von Luftspitzen durch
                              										Frederick Charles Juncker in Paris. Derselbe
                              									stellte nach Angabe der deutschen Patentschrift Nr. 36819, amerikanischen
                              									Patentbeschreibung Nr. 358156 und englischen Patentschrift Nr. 17148 A. D. 1886 die
                              									Spitzen aus Wolle, Seide u. dgl. edlem Material nicht in der Weise her, dass er
                              									einen aus Pflanzenfaser angefertigten Grundstoff bestickte und dann durch ein die
                              									Faser zersetzendes Lösungsmittel zerstörte, sondern er stickte auf Guttapercha und
                              									löste dies alsdann in einem geeigneten Lösungsmittel (Schwefelkohlenstoff, Benzin u.
                              									dgl.) auf.
                           Es war hierdurch das Mittel an die Hand gegeben, besonders werthvolle Materialien,
                              									wie Seide, echte Metallfäden u. dgl. zu Spitzen zu verarbeiten. Während die zum
                              									Zerstören des Grundstoffes in Vorschlag gebrachten Säuren und Alkalien sämmtlich die
                              									Stickerei etwas angreifen, besonders aber den aus reinen Metallfäden oder mit
                              									Metallfäden verzwirnten Garnen den Glanz nehmen, lassen Schwefelkohlenstoff, Benzin
                              									u. dgl. diese Materialien unbeschädigt, ausserdem ermöglichen diese Lösungsmittel
                              									auch die Herstellung verschiedenfarbiger Spitzen, da sie die Farben wenig
                              									beeinflussen, während die bereits benannten Verfahren im Allgemeinen nur weisse
                              									Spitzen im Auge haben.
                           Ein weiterer Vorschlag Juncker's, das Grundgewebe zu
                              									zerstören, welcher sich aber nur bei Spitzen anwenden lässt, die aus reinen
                              									Metallfäden hergestellt sind, geht dahin, dasselbe durch Verbrennung zu beseitigen
                              									und die so erhaltene Spitze sodann behufs Wiederherstellung des Glanzes durch
                              									ein Bad aus Gold-, Silberlösung o. dgl. zu ziehen.
                           Zum Schlusse mögen noch einige Worte über die bei Herstellung der Luftspitzen
                              									angewendeten Stich arten gesagt sein. Wie bereits in der Einleitung angeführt, wird
                              									das Aussehen der Spitze mit von der Wahl des Stiches abhängig sein. Im Allgemeinen
                              									verfährt man in der Weise, dass man mit der Plattstichstickmaschine auf dem
                              									Grundstoff zunächst ein Halt und Zusammenhang gebendes Gerippe in bekannter Weise
                              									hervorruft und dann zwischen dasselbe Spachtelstiche legt und zu den gewünschten
                              									Ziergebildeten verschlingt. Neben der Plattstichstickmaschine hat in den letzten
                              									Jahren auch die Steppstichstickmaschine bei der Anfertigung von Luftspitzen eine
                              									vielseitige Verwendung gefunden. Besonders hat man sie dann verwendet, wenn es sich
                              									um die Herstellung netzartiger Luftspitzen handelte. Man verfuhr und verfährt
                              									hierbei noch heute im Allgemeinen in der Weise; dass
                              									man auf dem Grundstoff sich kreuzende Steppstiche stickt und diese wieder an den
                              									Knotenpunkten, wo sich die einzelnen Fäden überdecken, so umstickt, dass gewisse
                              									Arten von Verknotungen entstehen, welche die Steppstiche nach dem Zerstören des
                              									Grundstoffes in ihrer gegenseitigen Lage halten. Das gekennzeichnete Verfahren wird
                              									von Johannes Singer in Plauen ausgeführt und ist
                              									Gegenstand des Schweizer Patents Nr. 241 Kl. 39, veröffentlicht am 12. Februar 1889.
                              									Nach Bedarf kann die Stickerei, welche sich besonders durch ihre Leichtigkeit
                              									auszeichnet, solange der Grundstoff noch ausgespannt ist, auch noch mit, eine
                              									Musterung hervorrufenden Plattstichgebildeten versehen werden.