| Titel: | Die Nutzbarmachung der Kanaljauche. | 
| Autor: | E. Rider Cook, B. | 
| Fundstelle: | Band 282, Jahrgang 1890, S. 21 | 
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                        Die Nutzbarmachung der Kanaljauche.
                        Von E. Rider Cook.Vgl. Journal of Society of Chemical Industry, 1891
                                    										600.
                           							
                        Eröffnungsrede des Präsidenten der Society of Chemical Industry.
                           							
                        Die Nutzbarmachung der Kanaljauche.
                        
                     
                        
                           Es ist nicht abzusehen, in welcher Weise und in welchem Maasse man in Zukunft den
                              									Stickstoff der Luft für künstliche Dünger wird verwerthen können, aber es ist wohl
                              									nicht zu viel behauptet, dass, wenn wir lernen, die Kanaljauche eines Landes
                              									rationell zu verwerthen, wir dasselbe dadurch völlig unabhängig von Chili und seinem
                              									Dünger machen können und so jährlich rund 50 Millionen M. sparen, welche wir jetzt
                              									für die Einfuhr von Phosphaten und Nitraten auszugeben haben. Auf alle Fälle sollten
                              									wir bestrebt sein, die Ausgaben für diese Düngemittel in England zu sparen, so weit
                              									sie in den Grenzen unseres Landes verbraucht und nicht exportirt werden, und ebenso
                              									die Schwefelsäure, welche in so hohem Maasse für diese Zwecke Verwendung findet.
                           Folgende Zahlen finde ich in den Abrechnungen unseres Handelsamtes (Board of Trade),
                              									welche den Geldwerth für den Import dieser Producte in den letzten drei Jahren
                              									angeben:
                           
                              
                                 
                                 1888
                                 1889
                                 1890
                                 
                              
                                 
                                 t
                                 M.
                                 t
                                 M.
                                 t
                                 M.
                                 
                              
                                 Nitrate
                                 
                                 19697880
                                 
                                 22051660
                                 
                                 18072610
                                 
                              
                                 Guano
                                 
                                   3183580
                                 
                                   3203820
                                 
                                   2760020
                                 
                              
                                 Phosphate
                                 258000
                                 10898380
                                 305000
                                 14074080
                                 313500
                                 16989010
                                 
                              
                                 Knochen
                                   66000
                                   6219660
                                   63000
                                   6205260
                                   70000
                                   7440960
                                 
                              
                                 
                                 
                                 ––––––––
                                 
                                 ––––––––
                                 
                                 ––––––––
                                 
                              
                                 
                                 
                                 39999500
                                 
                                 45534820
                                 
                                 45262660
                                 
                              
                                 Schwefelsäure
                                 
                                   6480000
                                 
                                   7360000
                                 
                                   8270000
                                 
                              
                                 
                                 
                                 ––––––––
                                 
                                 ––––––––
                                 
                                 ––––––––
                                 
                              
                                 
                                 
                                 46479500
                                 
                                 52894820
                                 
                                 53532660
                                 
                              
                           Nun wird zwar eine bedeutende Menge Kunstdünger exportirt, aber, da Koprolithen
                              									und grosse Mengen thierischer Substanzen für die Herstellung von Kunstdünger benutzt
                              									werden, und der Werth des exportirten Düngers diese einschliesst, sowie
                              									beträchtliche Summen für Arbeitslöhne, Nebenausgaben, Nutzen u.s.w., so ist es
                              									schwer, eine bestimmte Summe von obigen Zahlen in Abzug zu bringen; so viel aber ist
                              									gewiss, dass England jährlich für Kunstdünger fremdem Ursprungs 40 bis 50 Millionen
                              									M. verausgabt.
                           Im J. 1886 versuchte das „Metropolitan Board of Works“ die Kanaljauche geruchlos zu machen
                              									durch Beimischung von übermangansaurem Natrium und Schwefelsäure. Damals betrugen
                              									die Kosten dieses Verfahrens jährlich 2141260 M., wenn für 1 cbm nur etwa 28,7 g
                              									Permanganat angewandt wurden. Es fiel mir damals auf, dass diese Ausgabe praktisch
                              									nutzlos sein musste, und durch Versuche fand ich, dass im Durchschnitt 1 cbm
                              									Kanaljauche in 1 Minute 428 g Natriumpermanganat (20 Proc.) verbrauchte, in 5
                              									Minuten 527 g und in 3 Stunden 955 g, oder in 1 Minute würden 1125000 cbm
                              									Kanaljauche 287 t Permanganat verbraucht haben, während in Wirklichkeit für obige
                              									Menge nur 18,2 t verwendet wurden. Das Verfahren wurde auf Grund dieser Versuche
                              									aufgegeben, bezieh. im J. 1887 auf durch Absitzenlassen geklärtes und in die Themse
                              									geleitetes Wasser beschränkt. Hierdurch wurden etwa 1 Million M. gespart, da die
                              									Kosten nunmehr etwa 1 155 200 M. gegenüber 2 155 200 M. im J. 1886 betrugen.
                           Man wird zugeben, dass, so gross auch solche Ausgaben sein mögen, dieselben doch
                              									gerechtfertigt erscheinen, wenn man bedenkt, dass die Quellen und Flüsse auf die
                              									Weise vor zu grosser Verunreinigung geschützt werden können. Welche Folgen die
                              									Flussverunreinigungen für die Trinkwasserversorgung haben können, geht daraus
                              									hervor, dass einige Städte gezwungen sind, ihr Wasser aus entfernt gelegenen Quellen
                              									zu entnehmen. So liefert das Loch Katrine für Glasgow, der Vyrnwy-See für Liverpool
                              									und Thirlmere für Manchester das Wasser; für London ist geplant worden, das Wasser
                              									den Welsh Mountains zu entnehmen. Die Kosten derartiger Anlagen sind enorm, und die
                              									Resultate wären kaum günstig zu nennen.
                           In Kriegszeiten und bei unvorhergesehenen Naturereignissen kann durch Zerstörung
                              									einer solchen Leitung die Wasserversorgung einer Stadt abgeschnitten, und diese in
                              									eine schlimme Lage versetzt werden. Bei der stets wachsenden Bevölkerungszahl der
                              									meisten Städte werden, ohne dass die Quellen der Wasserverunreinigung gehemmt
                              									werden, die Ausgaben für Trinkwasserversorgung unverhältnissmässig wachsen.
                           Die Kanaljauche eines Landes, wenn dieselbe gehörig ausgenutzt wird, kann mit
                              									organischen Resten, wie Knochen, Schlachthausabfällen, Blut u.s.w. vermischt als
                              									Kunstdünger dem Lande wieder zu Gute kommen.
                           Die Nahrungsmittel, welche dem menschlichen und thierischen Organismus zugeführt
                              									werden, gehen bekanntlich in Körpersubstanz und gasförmige Producte über, theils
                              									werden sie als Excremente (Urin und Fäces) aus dem Organismus altgeschieden. Die
                              									gasförmigen Producte gelangen aus den Lungen und Poren wieder in die Luft, die
                              									Körper selbst kommen früher oder später ebenfalls zurück zur Erde. Der Stoff macht
                              									also einen vollständigen Kreislauf, und wenn die Excremente u.s.w. anstatt in das
                              									Wasser entleert zu werden, dem Boden wieder zugeführt würden, so könnten sie wieder
                              									für kommende Generationen nutzbar gemacht werden. Wenn wir also in der Kanaljauche
                              									diese Stoffe dem Meere zuführen, so müssen wir, um den Boden auf gleicher Güte zu
                              									erhalten, aus fremden Ländern Substitute für dieselben kaufen.
                           Um zu zeigen, in wie weit die Produktion an Nahrungsmitteln in England hinter dem
                              									Bedarf zurückbleibt, seien folgende Zahlen erwähnt.
                           Im J. 1888 importirte England Weizen im Werthe von 439426740 M. und exportirte für
                              									3121400 M., so dass der eigene Bedarf einen Werth von 436305340 M. repräsentirte;
                              									1889 betrug derselbe 447741000 M. und 1890 469017640 M., also im Mittel rund
                              									450000000 M. Der Werth für das nach England importirte Mehl beläuft sich jährlich
                              									auf 180000000 M., so dass für fremden Weizen und Mehl etwa 630000000 M. jährlich
                              									verausgabt werden. Davon geht nun eine geringe Summe für den Export von Biscuits,
                              									Cakes u.s.w. ab, andererseits muss aber eine nicht unbedeutende Summe für fremde
                              									Gemüse, Kartoffeln u.s.w., sowie für Hafer und Mais, welche den Thieren zur Nahrung
                              									dienen, hinzugerechnet werden, so dass für fremde importirte Nahrungsmittel für
                              									Menschen und Thiere mindestens jährlich 700000000 M. gezahlt werden. Dazu ist zu
                              									rechnen die jährliche Ausgabe, welche für Beseitigung bezieh. Unschädlichmachung der
                              									Kanaljauche aus dem Staatsschatz fliesst, so dass ein Gesammtverlust von rund
                              									800000000 M. verursacht wird:
                           
                           1) dadurch, dass man fremde Düngemittel zu kaufen gezwungen ist,
                           2) dadurch, dass man Nahrungsmittel zu kaufen genöthigt ist, welche in England selbst
                              									geerntet werden sollten,
                           3) durch Ausgaben für Arbeiten, welche für complicirtere Wasserversorgungssysteme
                              									gemacht werden müssen, da die natürlichen Wasser in der Nähe der Städte stark
                              									verunreinigt sind.
                           Man wird hierzu bemerken, dass dies alles nichts Neues ist, aber so gut der
                              									Gegenstand selbst bekannt ist, so wenig ist davon in der Praxis Anwendung
                              									gemacht.
                           Die Erfahrung der letzten 20 bis 25 Jahre lehrt Folgendes: Erstens, was die
                              									Kanalwasserableitung anbelangt, so ist dieselbe zweifellos Schuld an der Bildung der
                              									Kanalgase. Ich weiss wohl, dass die Schwemmkanalisation für das Publikum grosse
                              									Vortheile bietet. Trotzdem ist mit diesem Schwemmsystem ein grosser Nachtheil,
                              									nämlich die Bildung von Kanalgasen verbunden, welch letztere bei Sturm oder starken
                              									Luftdruckschwankungen ihren Weg in die Häuser nehmen. Die Kanäle bieten durch ihre
                              									poröse Oberfläche beim Steigen und darauffolgendem Fallen der Kanaljauche und bei
                              									der warmen, feuchten Temperatur in einer Atmosphäre, in der es an Sauerstoff
                              									mangelt, die günstigsten Bedingungen für die Bildung dieser Gase.
                           Zweitens, die starke Verdünnung der Kanaljauche durch Wasser macht sie untauglich als
                              									Düngemittel. Dieselbe enthält Stoffe, welche aus der starken Verdünnung abzuscheiden
                              									mehr als das Zwanzigfache ihres Werthes kosten würden.
                           Drittens, auf die Verdünnung der Kanaljauche in den Häusern selbst muss nothwendig
                              									eine zweite in dem Kanalnetze folgen. Es ist mehrfach in Vorschlag gebracht worden,
                              									zwei Kanalnetze neben einander anzulegen, eines für die eigentliche Kanaljauche, und
                              									das zweite für die Abfuhr von Oberflächenwasser. Diesem Vorschlage widerspricht die
                              									Notwendigkeit, welche jeder Tiefbauingenieur kennt, die Kanäle mittels der
                              									Regenmassen zu reinigen und dieselben so in einem für die Gesundheit zuträglichen
                              									Zustande zu erhalten. Die grossen Sielkanäle Londons, von welchen einige 11 bis 12
                              									Fuss Durchmesser besitzen, haben oft auf einer Länge von mehreren Meilen nur 1 Fuss
                              									Gefalle für 1 Meile (engl. = 1,609 km).
                           Welche Anhäufungen von Unrath würden in diesen Kanälen Platz haben, wenn nicht das
                              									Regenwasser von Zeit zu Zeit ausspülte. Durch diese starke Verdünnung wird aber das
                              									Volumen sehr vergrössert und somit der Werth der brauchbaren Stoffe auf ein Minimum
                              									reducirt.
                           Die Menge Sielwasser, welche 1888 täglich im Durchschnitt aus London abfloss, belief
                              									sich auf 6¾ Millionen cbm, und voraussichtlich ist dieselbe seitdem noch
                              									angewachsen. Lässt man diese Kanaljauche absitzen und entfernt den Schlamm, so würde
                              									man daraus 8000 t Schlamm erhalten, welcher durch Filterpressen abgepresst, 850 t
                              									Rückstand von folgender Zusammensetzung ergeben würde:
                           
                              
                                     Mineralsubstanz
                                   30
                                 Proc.
                                 
                              
                                     Organische Substanz
                                   14
                                 „
                                 
                              
                                     Wasser
                                   56
                                 „
                                 
                              
                                 
                                 ––––––––––
                                 
                              
                                 
                                 100
                                 Proc.
                                 
                              
                                 Der Schlamm enthält:
                                 
                                 
                                 
                              
                                     Ammoniak
                                 0,04
                                 „
                                 
                              
                                     Gebundenen Stickstoff
                                 0,90
                                 „
                                 
                              
                                     Phosphorsäure (P2O5)
                                 0,50
                                 „
                                 
                              
                           1 cbm Kanaljauche in London enthält etwa 33 g Ammoniak oder rund 0,004 Proc. Die
                              									Menge der Phosphorsäure kommt nicht in Betracht mit Rücksicht auf die starke
                              									Verdünnung. Das Ammoniak ist also der einzige werthvolle Stoff in den Abwässern.
                           Nehmen wir nun den Preis des schwefelsauren Ammoniaks bei 25 Proc. NH3 zu 12,80 M. an, und 1 Einheit Ammoniak im Dünger
                              									in einer Form, welche direkt zum Düngen des Landes verwerthet werden kann, zu
                              									ungefähr 10 M. für 1 t, so ist das Ammoniak in 1 t Londoner Kanaljauche = 0,004 ×
                              									1000 Pf. = 4 Pf. werth. Wie soll man unter solchen Verhältnissen die geringen Mengen
                              									Ammoniak in eine Handelsform bringen? Die einfachen Manipulationen, wie das Pumpen,
                              									Klären und Pressen der Kanaljauche kosten für 1 t schon weit mehr, so dass diese Art
                              									der Verwerthung aus pekuniären Gründen ausgeschlossen ist. Demnach musste man die
                              									Versuche, aus der Kanaljauche die für Düngemittel verwendbaren Stoffe abzuscheiden
                              									und zu verwerthen, überhaupt aufgeben und zufrieden sein, die Abwässer bei möglichst
                              									niederen Unkosten überhaupt los zu werden. Im Orient und in verhältnissmässig
                              									uncivilisirten Ländern wird die Kanaljauche direct auf den Boden gebracht und in
                              									übervölkerten Ländern, wie China, hat dies zur Folge, dass das Land ohne grössere
                              									Importe seine Lebensmittel selbst hervorbringt.
                           In England ist der Vorschlag von Moule nicht ganz ohne
                              									Erfolg gewesen, wonach die Kanaljauche nicht auf den Boden, sondern der Boden
                              									in die Kanaljauche zu bringen, und die saturirte Erde dann mit der Humuserde zu
                              									mischen sei; jedoch der Transport der Bodenerde ist so kostspielig, dass das
                              									Verfahren bei grösseren Städten nicht durchführbar ist.
                           In Warrington und Nottingham ist das Sinkkastensystem eingeführt, und wird der
                              									Schlamm von den dortigen Landwirthen sehr geschätzt, so dass durch denselben ein
                              									Theil der Abfuhrkosten gedeckt wird, jedoch von sanitärer Seite könnten Bedenken
                              									geltend gemacht werden, da man noch kein Mittel besitzt, den Schlamm geruchlos zu
                              									machen.
                           Sollte es wirklich aussichtslos sein, geeignete Chemikalien und eine passende Methode
                              									zu finden, mittels deren die Abfälle einer Stadt schnell trocken und geruchlos
                              									gemacht, gesammelt und dem Boden wieder zugeführt werden können?
                           Meiner Ansicht nach wären hierfür folgende Punkte ins Auge zu fassen:
                           a) die Auffindung eines Stoffes, welcher in geringen Mengen angewandt, die Excrete
                              									sofort geruchlos macht, und deren Zersetzung auf einige Tage verhindert;
                           b) ein Apparat, mit oder ohne Vorrichtung zum Trennen der festen von den flüssigen
                              									Excreten, in welchem die Chemikalien zugesetzt werden, und der die festen Stoffe
                              									schnell in einen Abfuhrwagen o. dgl. und zwar auf eine einfache und reinliche Weise
                              									führt;
                           c) ein Behälter in jedem einzelnen Hause, welcher leicht zugänglich ist und leicht
                              									geleert werden kann.
                           
                              
                                 B.