| Titel: | Neuheiten in der Explosivstoffindustrie und Sprengarbeit. | 
| Autor: | Oscar Guttmann | 
| Fundstelle: | Band 282, Jahrgang 1890, S. 85 | 
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                        Neuheiten in der Explosivstoffindustrie und
                           								Sprengarbeit.
                        (Schluss des Berichtes S. 61 d. Bd.)
                        Mit Abbildungen.
                        Neuheiten in der Explosivstoffindustrie und
                           								Sprengarbeit.
                        
                     
                        
                           Die Sprengung von Felshindernissen in Strömen, Häfen u.
                              									dgl. nimmt gegenwärtig das allgemeine Interesse in Anspruch, seitdem insbesondere
                              									die Regulirung des „eisernen Thores“ in Angriff genommen wurde. Aus diesem
                              									Anlasse, 
                              									hauptsächlich in Folge einer Einladung zum Wettbewerbe, welche die königl.
                              									ungarische Regierung erliess, sind eine Menge von Vorschlägen erstattet worden.
                           Als eine Nachahmung der schon lange bei submarinen Sprengungen üblichen Versenkung
                              									grösserer Mengen von Sprengmitteln erscheint die Methode von Rudolf Urbanitzky in Linz (Oesterreichisch-Ungarisches Patent vom 27.
                              									December 1889). Derselbe füllt Säcke mit langsam erhärtendem Beton, in welchen die
                              									Ladung eingebettet ist, drückt denselben, oder mehrere solcher zu einem Körper
                              									vereinigt, in Vertiefungen im Flussbette und sprengt die Ladung in 4 bis 6 Wochen
                              									nach erfolgter Erhärtung.
                           Selbstverständlich kam auch Lauer's ausgezeichnete
                              									Sprengmethode (vgl. 1884 251 * 124, 1885 255 * 518) in Vorschlag, doch scheint es, als ob man bei
                              									der heftigen Strömung im eisernen Thore und bei dem gewünschten raschen Vorschreiten
                              									von der mehr im Detail arbeitenden Lauer'schen Methode
                              									nicht genügend Hoffnung hegte.
                           Ein von Hauptmann Mathias Mezgolich gemachter Vorschlag,
                              									an welchem Lieutenant Richard Ritter v. Gruber
                              									constructiv mitwirkte, bewegt sich besser innerhalb der Aufgabe, grössere Massen
                              									rasch zu bewältigen. Nach den Mittheilungen über Geg. des
                                 										Artillerie- und Geniewesens, 1891 S. 105, errichtet Mezgolich eine aus vier langgestreckten Pontons bestehende Arbeitsbühne,
                              									welche entsprechend verankert sind, um eine Horizontalbewegung auszuschliessen.
                              									Jeder der Pontons steht ferner auf vier oder mehr Füssen f (Fig. 2), auf welchen er mit Hilfe der
                              									Fusswinden fw gehoben wird, wodurch die senkrechte
                              									Bewegung verhindert ist. Auf der etwa 400 qm Fläche bietenden Arbeitsbühne stehen
                              									drei Dampfkessel K und drei Dampfmaschinen M, von welchen aus die Transmission W betrieben wird. Von hier gehen dann Seiltriebe nach
                              									den Fusswinden fw, den Ankerwinden AW und den Vorgelegen W
                              									für die Bohrmaschinen. Wasserbehälter Wr werden von
                              									Pumpen gespeist und liefern das zum Spülen der Bohrlöcher nöthige Wasser, eine
                              									Brücke B vermittelt die Communication und eine
                              									Kabelwinde KW trägt das elektrische Kabel für die
                              									Zündung. Auf dem Rande der Arbeitsbühne sind 24 Bohrmaschinen in Entfernungen von 80
                              									cm angebracht, von welchen stets 12, d. i. jede zweite, zu gleicher Zeit arbeiten,
                              									während die anderen in Stand gesetzt werden.
                           Textabbildung Bd. 282, S. 86Fig. 2.Arbeitsbühne für Sprengarbeiten von Mezgolich. Die Construction der Bohrmaschine ist in den Fig. 3 bis 5 gegeben. Dieselbe ist
                              									eine Diamantbohrmaschine mit Differentialschraubenvortrieb und Bohrkronen nach Taverdon. Die Seilscheibe SS bewegt die Bohrspindel durch Mitnehmer m,
                              									welche in Längsnuthen n eingreifen. Die Bohrspindel ist
                              									eine hohle, flachgängige Schraubenspindel, welche in der gleichfalls drehbaren
                              									Mutter M läuft, und zwar bewegen sich Spindel und
                              									Mutter mit um ein Geringes verschiedener Geschwindigkeit, welche durch das
                              									Differentialgetriebe RR1rr1uu1vv1 geregelt wird. Die
                              									Riemen werden durch die Spannvorrichtung schlhk
                              									gestellt. Das Schutzrohr Sr verhindert die Einwirkung
                              									der Strömung und dient zugleich zur Einführung der an Holzlatten befestigten
                              									Ladung.
                           Textabbildung Bd. 282, S. 86Bohrmaschine nach Taverdon. Eine gleichfalls auf dem Principe der Bohrung und gleichzeitigen Sprengung
                              									einer grösseren Anzahl von Löchern beruhende Methode ist bei der Regulirung des
                              									Donaustrudels bei Grein in Verwendung und der Bauunternehmung A. Schlepitzka patentirt. Sie vermeidet das Aufstellen,
                              									Verankern und fortwährende Weiteraufwinden von Flössen, welche bei den heftigen
                              									Strömungen und Gegenstömungen im Strudel nicht möglich wäre, und vollzieht die
                              									Arbeit gewissermaassen vom Lande aus. Die projectirte Wasserstrasse soll eine
                              									nutzbare Breite von 80 m und eine Tiefe von 3 m unter dem Nullwasser erhalten. Nach
                              									einem in der Zeitschrift des österreichischen Ingenieur- und
                                 										Architektenvereins, 1891 S. 110, veröffentlichten Vortrage von
                              									Ministerialrath Johann Rössler ist ein Bohrgerüst am
                              									Ufer aufgestellt, welches eine Art Eisenbahnkrahn darstellt. Ein eiserner, 40 m
                              									langer Gittersteg ist nämlich an einem drehbaren Mastbaume befestigt und wird von
                              									einem Drahtseile getragen, das um eine Rolle an einem vom Maste abzweigenden
                              									Anschlagbaume und dann um die Welle eines Krahnes am Mäste läuft. Dadurch kann der
                              									Gitterträger gehoben und gedreht werden. An diesem Gitterträger gleitet ein
                              									Querhaupt zwischen zwei Schienen, welches die Bohrspindel und das Gestänge, sowie
                              									eine secundäre Dynamomaschine trägt. In denselben. Schienen bewegt sich ein
                              									Schlitten mit einem unten gezahnten Rohrstutzen, welcher auf der Bohrstelle aufsitzt
                              									und dem Bohrer als Schutz dient. Querhaupt und Gestänge sind theilweise abgebremst,
                              									so dass der Ueberschuss allein den erforderlichen Druck von 300 k ergibt. Das
                              									Bohrrohr ist aus Stücken von etwa 1 m Länge zusammengeschraubt, hat 35 mm äusseren
                              									und 25 mm inneren Durchmesser. Die Bohrkrone ist die bei Diamantbohrmaschinen
                              									übliche, macht Bohrlöcher von 50 mm Durchmesser 
                              									und Bohrkerne von 20 mm. Die Bohrspindel wird, wie gesagt, von einer secundären
                              									Dynamomaschine betrieben, während die Dampfmaschine und die primäre Dynamomaschine
                              									sich am Ufer befinden. Der Vorschub wird von Hand durch den Bohrmeister geregelt.
                              									Zur Regelung der den sehr ungleichen Gesteinsverhältnissen entsprechenden
                              									Geschwindigkeit, welche durchschnittlich 1500 bis 2000 Umdrehungen in der Minute
                              									beträgt; dient ein mit einem Läutewerke verbundenes Schaltbrett und als Widerstände
                              									werden Glühlichter oder Bogenlampen eingeschaltet. Der Arbeitsfortschritt beträgt im
                              									Maximum 1 m in der ersten, 0,80 m in der zweiten und 0,50 m in der dritten Tiefe für
                              									je 10 Minuten. Die Ladung erfolgt sofort, die Zündung in Gruppen. Bisher sind etwa
                              									7000 cbm unter Wasser gesprengt worden.
                           Ein anderer, recht praktischer Vorschlag rührt von Thunhart und Könyves-Tóth her. Nach einem in
                              									der Zeitschrift des ungarischen Ingenieur- und
                                 										Architektenvereins, 1891 S. 325, veröffentlichten Vortrage erklärt Michael Könyves-Tóth, dass frei aufliegende Ladungen
                              									nur einen Theil ihrer Wirkung zur Geltung kommen lassen, weil dieselbe nur innerhalb
                              									der Trennungssphäre, nicht aber auch auf die viel grössere Rissphäre hin sich
                              									äussert. Blosse Bohrschüsse würden dennoch bedeutende Unebenheiten zurücklassen,
                              									wenn nicht wiederholt nachgesprengt würde, und ein einziges solches vorragendes Riff
                              									wäre genügend, um ein Schiff zu beschädigen. Deshalb schlägt er ein auf einem
                              									Felsenbrechschiffe von Thunhart und einem ähnlich
                              									construirten Felsenbohrschiffe basirtes combinirtes Spreng-
                                 										und Brechverfahren vor.
                           Textabbildung Bd. 282, S. 87Felsenbohrschiff von Thunhart.Fig. 6 bis 8 versinnlichen das Felsenbohrschiff. Dasselbe ist
                              									durch zwei grosse Eisenpiloten gegen wagerechte Bewegung geschützt und sonst mit
                              									Ketten in der bei Baggerschiffen üblichen Weise befestigt und verschiebbar gemacht.
                              									Wie ersichtlich, befinden sich in dem Schiffe Senkkästen mit ovalem Querschnitte
                              									(3,8 m lang, 3,0 m breit und 5,0 m hoch), welche in Rollen gut geführt sind und
                              									mittels an zwei Seiten angebrachten hydraulischen Kolben gehoben und gesenkt werden.
                              									In der 4,50 m hohen Arbeitskammer befindet sich ein an Ketten aufgehängtes 10000 k
                              									schweres Bohrgestelle für vier Bohrmaschinen, dessen vier als Kolben gearbeitete
                              									Füsse durch hydraulischen Druck der Felsenformation entsprechend tief herabgelassen
                              									werden. Sodann wird der Senkkasten weiter herabgelassen, so dass das Bohrgestelle
                              									frei in nur 0,30 bis 0,40 m Wasser steht und von den Schwankungen des Schiffes und
                              									der Strömung vollkommen unbeeinflusst ist. Nach dem Abbohren wird das Bohrgestelle
                              									mit dem Senkkasten zugleich gehoben.
                           Ein ganz ähnlich construirtes Schiff dient zum Abbrechen der stehen gebliebenen
                              									Riffe. Fig. 9 zeigt einen Querschnitt desselben. Der
                              									Senkkasten ist hier unten geschlossen und trägt einen Dampfhammer, dessen
                              									Kolbenstange in einen Gusstahlkreuzbohrer endigt und durch eine Stopfbüchse am Boden
                              									des Senkkastens hindurchgeht. Der Dampfhammer arbeitet mit 100 bis 150 Schlägen in
                              									der Minute mit 3 t Schlagkraft und bricht etwa 0,15 m vom Gesteine ab. Je sechs
                              									solcher Hämmer arbeiten in einem Schiffe, einer in der Spur des anderen, während das
                              									Schiff sich mit etwa 1,00 m Geschwindigkeit in der Minute vorwärts bewegt.
                           Bei den Arbeiten am „eisernen Thore“ war, bevor dieselben an eine
                              									Generalunternehmung vergeben wurden, von der ungarischen Regierung ein solches
                              									Felsbrechschiff mit einem Hammer probeweise in Verwendung und gab während der kurzen
                              									Prüfungszeit viel versprechende Resultate.
                           J. Elton Bott in Openshaw bei Manchester hat eine pneumatische Granate erfunden, welche mit Hilfe von
                              									gewöhnlichen glatten Geschützen (nach geringen Aenderungen) abgefeuert werden kann,
                              									und, wie es scheint, die monströsen Zalinski-Kanonen
                              									aus dem Felde schlagen wird. Die Granate 
                              									ist 4½ bis 5 Kaliber lang, aus Gusstahl. In dem Kopfe der Granate ist der
                              									Explosivstoff untergebracht, an der Spitze ein Contactzünder. Der Hintertheil ist
                              									hohl und mit einem Bronzepfropfen verschlossen. Dieser Pfropfen, ebenso wie die
                              									Höhlung haben ein unterbrochenes Schraubengewinde wie ein Hinterladerverschlusstück,
                              									und der Pfropfen hat einen vorstehenden Ring, um die Granate in der Ladekammer
                              									festzuhalten. Die Granate wird mit hochgepresster Luft durch eine mit selbsthätigem
                              									Ventile versehene Bohrung im Pfropfen gefüllt. Das Feuern erfolgt, indem ein
                              									vierkantiger Schlüssel durch das Verschlusstück in den Pfropfen gesteckt und durch
                              									eine geringe Drehung die Granate vom Gewinde des Pfropfens gelöst wird. Die so frei
                              									gewordene Granate wird sofort mit grosser Kraft vorwärts geschleudert, bevor noch
                              									die Luft expandiren konnte. Die Kanone soll zwei Schüsse in der Minute abfeuern, und
                              									die Granaten können natürlich im geladenen Zustande aufbewahrt werden, was alle
                              									Umständlichkeit erspart.
                           Textabbildung Bd. 282, S. 88Fig. 8.Felsenbohrschiff von Thunhart.Textabbildung Bd. 282, S. 88Fig. 9.Schiff mit Senkkasten und Dampfhammer. Die englischen Explosivstoffinspectoren haben ihren Bericht für das Jahr
                              									1890 veröffentlicht (vgl. 1883 250 184. 1884 253 74. 1885 258 222. 1886 261 29. 1887 265 278. 1888 268 525. 1889 273 62).
                           Am Ende dieses Jahres bestanden 123 Fabriken für Explosivstoffe (+ 1), 24 Fabriken
                              									für Kleinfeuerwerk, 12 für Spielfeuerwerk. Es wurden 48 Zusatzlicenzen ertheilt,
                              									Magazine bestanden 359 (+ 2), Lager 1972, Verkaufsläden 22262. 116 Eisenbahn- und
                              									108 Kanalgesellschaften befördern Explosivstoffe, 15 bezieh. 11 nicht. Die Einfuhr
                              									betrug: 697664 k Pulver (+ 83823 k), 188806 k Dynamit, 217153 k
                              									Gelatinedynamit, 17553 k Sprenggelatine, 33 529 k Stonit und Carbonit, 191 k Cooppal's Pulver, 19559 k Bellit, 224 k Ballistit,
                              									10950000 Stück Sprenghütchen; die Ausfuhr von englischem Pulver betrug 4739369 k (–
                              									104805). Es fanden 132 Unglücksfälle statt (+ 0), wobei 44 Personen getödtet und 85
                              									verwundet wurden. Diese Fälle vertheilen sich wie folgt:
                           
                              
                                 
                                 Erzeu-gung
                                 Aufbe-währung
                                 Verfrach-tung
                                 Gebrauchund Ver-schie-denes
                                 
                              
                                 Schiesspulver
                                 3
                                 1
                                 –
                                 24
                                 
                              
                                 Dynamit und Schiesswolle
                                 3
                                 –
                                 –
                                 29
                                 
                              
                                 Knallquecksilber
                                 –
                                 –
                                 –
                                 –
                                 
                              
                                 Munition
                                 7
                                 –
                                 –
                                   9
                                 
                              
                                 Feuerwerkskörper
                                 2
                                 –
                                 –
                                   3
                                 
                              
                                 Verschiedene Stoffe
                                 –
                                 1
                                 –
                                 –
                                 
                              
                           Während dieses Jahres wurde kein Explosivstoff neu concessionirt.
                           Der chemische Rathgeber der Inspectoren, Dr. A. Dupré,
                              									hatte nicht weniger als 392 verschiedene Untersuchungen zu machen. Von 44 Mustern
                              									von Sprenggelatine wurden 25, von 97 Gelatinedynamitmustern nur 10 zurückgewiesen,
                              									beides in Folge der nur schwierig zu erfüllenden Prüfungsvorschriften; bisher haben
                              									thatsächlich nur sehr wenige fremde Fabriken tadellose Sprenggelatine zu erzeugen
                              									vermocht.
                           Es hat sich gezeigt, dass das für die Wärmeprobe zu verwendende Talkpulver
                              									(französischer Kalk) je nach Art der Trocknung verschiedene Resultate ergab. Nach
                              									vielfältigen Versuchen wurde denn nun folgende Vorschrift erlassen:
                           
                              „Französischer Kalk. Käuflicher französischer Kalk
                                 										wird sorgfältig mit destillirtem Wasser gewaschen, im Wasserbade getrocknet und
                                 										dann unter einer Glasglocke feuchter Luft ausgesetzt, bis er ungefähr 0,5 Proc.
                                 										Feuchtigkeit im Maximum aufgesaugt hat. Der Kalk wird dann gründlich gemischt
                                 										und für den Gebrauch in einer Flasche aufbewahrt.“
                              
                           Bezüglich der Unglücksfälle ist es interessant, zu finden, dass alle acht tödtlichen
                              									Fälle bei der Erzeugung von Explosivstoffen die Folge zweier Explosionen in ein und
                              									derselben Pulverfabrik sind und dass in den Fabriken für moderne Explosivstoffe auch
                              									nicht einer vorkam. Da der Arbeiterstand, ohne Feuerwerkfabriken, 9820 beträgt, so
                              									spricht dieser Umstand ganze Bände für die segensreiche Wirkung der
                              									Explosivstoffacte und die Thätigkeit der Inspectoren.
                           Aus der Aufzählung der den Inspectoren bekannt gewordenen Unglücksfälle in fremden
                              									Ländern ist insbesondere merkwürdig die in Shelabagh (Indien) stattgehabte
                              									freiwillige Zersetzung und Verbrennung von 50 Pfund Sprenggelatine inmitten eines Lagers von 21,5 t verschiedenen
                              									Dynamites, ohne dieselben zu entzünden.
                           Versuche mit Bellit, Securit und Pikrinsäure haben ergeben, dass, wie von Jedermann,
                              									nur nicht den Fabrikanten vorausgesehen wurde, dieselben sämmtlich durch ein
                              									fallendes Gewicht bei Eisen auf Eisen aus nicht zu grosser Höhe explodiren.
                           Oscar Guttmann.