| Titel: | Surrogate im Hochbauwesen. | 
| Autor: | O. Gruner | 
| Fundstelle: | Band 282, Jahrgang 1890, S. 153 | 
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                        Surrogate im Hochbauwesen.
                        Eine vergleichende Studie von O. Gruner, erster Baucommissar in Dresden.
                        (Schluss von S. 132 d. Bd.)
                        Surrogate im Hochbauwesen.
                        
                     
                        
                           Das schon mehrfach erwähnte Moniersystem endlich bietet uns heute durch eine
                              									glückliche Verbindung des Cementes mit dem Eisen ein Constructionsverfahren, das mit
                              									einem Minimum an Material in tragfähigen Deckenconstructionen bisher für unmöglich
                              									Gehaltenes leistet (1889 271 383, 272 * 142. 1890 275 189). Das bis zu einem
                              									gewissen Punkte vollkommen gleichartige Verhalten der beiden combinirten Materialien
                              									ist theoretisch wiederholt nachgewiesen und durch die Erfahrung vollkommen bestätigt
                              									worden. Das in Cement eingebettete Eisen verrostet nicht, seine Adhäsion zu
                              									demselben ist eine ungemein grosse (40 k auf 1 qc), gegen Hitzeeinflüsse wird es
                              									durch die Cementumhüllung noch bei 1000° C. vollständig geschützt, das elastische
                              									Verhalten beider Materialien (dem Cement wird das dreifache Quantum Sand zugesetzt)
                              									ist noch bei einer Beanspruchung mit 30 k auf 1 qc ein ganz gleichartiges, weshalb
                              									dieser Coefficient den statischen Berechnungen mit voller Sicherheit zu Grunde
                              									gelegt wird. Durch die verschiedenen beglaubigten Versuche mit Monierconstructionen
                              									hat sich deren Feuerfestigkeit als erwiesen herausgestellt, als Proben der
                              									Tragfähigkeit seien folgende erwähntVgl. die vom Ingenieur G. A. Wayss
                                    											herausgegebene lehrreiche Schrift: Das System Monier
                                       												(Eisengerippe mit Cementumhüllung) in seiner Anwendung auf das gesammte
                                       												Bauwesen (Berlin 1887), sowie den Bericht
                                       												des Herrn Prof. Bauschinger in München über Versuche an verschiedenen
                                       												nach dem System Monier hergestellten Objecten (Berlin-München
                                    											1887).: Eine 8,5 cm starke, 1 m breite, ebene Platte wurde auf 3
                              									m freigelegt und trug 2610 k gleichmässig vertheilte Last. Die 4,5 mm betragende
                              									Durchbiegung in der Mitte verschwand nach Abnahme der Last, ohne Hinterlassung von
                              									Haarrissen oder Bruchstellen. – Ein 7 cm starker, 1 m breiter Gewölbstreifen
                              									wurde mit 50 cm Pfeilhöhe 5,15 m weit frei gespannt und trug 4663 k gleichmässig
                              									vertheilte Last. Eine Einsenkung war kaum wahrnehmbar. Es sei dem nur zur
                              									Vervollständigung noch beigefügt, dass 1 qm dieser Constructionen etwa 190 bezieh.
                              									160 k wiegt und etwa 9 bis 9,5 bezieh. 9 M. kosten würde. Im Allgemeinen wiegt 1 qm
                              									Monierplatte für 1 cm Dicke 22 bis 23 k. Die Fabrikanten berechnen ferner, dass bei
                              									1000 k Nutzlast Ziegelkappen zwischen I-Trägern, 1,34 m weit aus einander und auf 4
                              									m freiliegend für 1 qm 22,12 M. kosten; in Monierconstruction können die Träger 4 m
                              									weit aus einander liegen und 1 qc stellt sich auf nur 18,25 M. Die Herstellung von
                              									Holzfussböden auf Zwischendecken ohne Holzbalken und Einschub ist zwar keineswegs
                              									ausgeschlossen; die in Asphalt verlegten Park- oder Riemenböden bieten z.B. eine
                              									sehr gute Lösung dieser Aufgabe. In den meisten Fällen würde sie aber eine
                              									Inconsequenz bedeuten, welche der Architekt dank den als Fussbodenbelag sich
                              									bietenden Ersatzmitteln auch recht gut vermeiden kann. Für Hausfluren,
                              									Treppenvorplätze, Küchen und Badezimmer eignen sich z.B. sehr gut
                              									Mosaik-Terrazzo-Böden, von 6 bis 8 cm Stärke, von denen 1 qm schon für 6,50 M. zu
                              									haben ist. Auch die Asphaltböden sind für vielseitigere Anwendung dadurch geeigneter
                              									gemacht worden, dass sie in der Form des „Antieläolith“ für Oel und Säure
                              									unangreifbar hergestellt werden. Um aber Decken ohne Holz für Wohnzwecke brauchbar
                              									und behaglich zu machen, ist das Linoleum (1890 276 360)
                              									ein vorzüglich geeigneter Stoff. Es bestehtNach Hugo Fischer: Geschichte, Eigenschaften und
                                       												Fabrikation des Linoleums. Leipzig, Arthur Felix. aus
                              									einer mehrere Millimeter dicken Schicht eines Gemenges von oxydirtem Leinöl, Harz
                              									und Korkmehl, welche auf einem starkfädigen, an der Unterseite gefirnissten
                              									Grundgewebe aus Jutegarn ausgebreitet und befestigt ist. Für Wasser ist es
                              									vollkommen undurchlässig, die Entzündbarkeit ist sehr gering, ebenso sein
                              									Wärmeleitungsvermögen. Der Abnutzung widersteht es mit derselben Zähigkeit wie gutes
                              									Sohlleder. Dass es schalldämpfend wirkt, liegt in der Natur seiner Bestandtheile. Es
                              									wird in Rollen bis zu 25 m Länge und meist 2 m breit hergestellt; je nachdem es
                              									erste oder zweite Qualität, einfarbig oder bedruckt ist, kostet 1 qm zwischen 2,50
                              									und 3,30 M.; beim Neubau des Herzog Ernst-Seminars in Gotha stellte sich 1 qm
                              									Betondecke nebst Trägern und Linoleumbelag auf etwa 11,25 M. (vergl. 1890 276 * 360).
                           Mit einigen Worten wenigstens soll hier auch der Ersatzmittel für die Gypsornamente,
                              									namentlich an den Decken und Wänden der Innenräume, gedacht werden. Der Tripolith
                              									(eine Verbindung von Silicium, Calciumselenit und Eisenoxyduloxyd) hat trotz seines
                              									geringeren Gewichtes, rascheren Abbindens und bemerkenswerther
                              										FrostbeständigkeitVgl. Gottschaldt: Ueber „Tripolith“. Civilingenieur, 1884 S. 353. dem
                              									Gyps das Feld nicht streitig zu machen vermocht; besser geglückt ist das den
                              									Papierstuckornamenten, welche aus einzelnen Papierlagen über oder in Gypsformen
                              									hergestellt werden und mit dem Stucke nichts gemein haben, als die Formgebung.
                              									Hinsichtlich der Modellirung noch mehr gerühmt wird der Holzgypstrockenstuck (Gyps
                              									mit Holzstoffzusatz), der in elastischen Formen hergestellt wird, in Folge dessen
                              									Unterschneidungen 
                              									ermöglicht und sehr leicht ist. Dem Missbrauche der Gypsornamente und Gesimse
                              									an den Fassaden treten nun endlich die Aufsichtsbehörden da und dort entgegen; im
                              									Allgemeinen bietet der Cement in gegossenen oder gezogenen Formen genügenden Ersatz;
                              									wo es sich um bessere Ausführungen handelt, verdienen auch die sandsteinfarbigen
                              									Terracotten von Villeroy und Boch wegen ihrer grossen
                              									Härte Beachtung.
                           Wir sind nun endlich bei den Dächern angelangt und können auch hier unterscheiden
                              									zwischen solchen Ersatzmitteln, welche unter Beibehaltung der bisher üblichen
                              									Dachstuhlconstructionen nur als Ersatz für die bisher gebräuchlichen
                              									Eindeckungsmaterialien eintreten, und solchen, welche mit der Eindeckung auch deren
                              									Substruction umgestalten oder entbehrlich machen. An Stelle der Ziegel und Schiefer
                              									ohne weiteres zu verwenden sind die Dachplatten aus Cement und ähnlichen Mischungen;
                              									mit denen wohl schon jeder Baumeister seine Erfahrungen gemacht hat. Ferner gehören
                              									dazu die Eisenblechziegel mit Oelfarbenanstrich, Verzinkung oder Emaille. Gut
                              									bewährt haben sich die asphaltirten oder glasirten gusseisernen Dachziegel, von
                              									denen 1 qm Eindeckung etwa 80 k wiegt und zwischen 6 und 8 M. kostet. Auch die
                              									Dachpfannen aus verzinktem Eisenblech von 0,62 mm Dicke geben leichte und dichte
                              									Dächer gewöhnlicher Form; 1 qm wiegt ungefähr 6,5 k und kostet 3,5 bis 4 M. – Wird
                              									das Maass der Dachneigung nicht durch den Zweck oder Stil bedingt, mit anderen
                              									Worten: kann es beliebig gering gehalten werden, so stehen in den mannigfachen
                              									Erzeugnissen, deren Hauptbestandtheile Pappe, Filz oder Gewebe bilden, mit
                              									Theertränkung oder Asphaltüberzug eine ganze Reihe längst bekannter und für gewisse
                              									Zwecke auch durchaus bewährter Surrogate zur Verfügung, welche sich zudem, wie z.B.
                              									die gewöhnliche Dachpappe, durch Leichtigkeit und Billigkeit auszeichnen. Zur
                              									Wiederverwendung noch geeigneter (wo es sich um Provisorien handelt) und auch besser
                              									aussehend als die Pappe sind die feuersicher imprägnirten, wasserdichten
                              									Leinenstoffe, welche in verschiedenen, auch Metallfarben (Gold, Silber, Kupfer)
                              									hergestellt werden und für 1 qm 1,60 bis 3,50 M. kosten. – Das Holzcementdach ist
                              									trotz der nicht selten fehlerhaften Ausführungen von manchen Architekten als das
                              									Ideal der Eindeckung bezeichnet worden, eine Ansicht, welche die unmittelbar
                              									darunter Wohnenden nicht immer theilen. Eine Verbesserung in dem hier angedeuteten
                              									Sinne dürfte es durch die schon erwähnten (schwarzen) Korksteinplatten erhalten,
                              									wenn diese an Stelle der häufig benutzten Dachpappe als Unterlage verwendet werden.
                              									1 qm derselben kostet bei 2,5 cm Dicke 4 M., bei 3,5 cm 5 M. – Einen
                              									beachtenswerthen Fortschritt bedeuten ferner auch die Bleiholzcementdächer, bei
                              									denen fertige goudronirte Platten mit einer Einlage von dünnem Bleiblech verwendet
                              									werden. Die Ränder der Platten werden 2 bis 6 cm breit aufgespalten und so in
                              									einander gefügt, dass Blei auf Blei zu liegen kommt, mit heissem Stabilholzcement
                              									gestrichen und wieder fest niedergedrückt; sodann kommt die bekannte Schlick- und
                              									Kiesdeckung darauf. Dieses System (welches auch als Mauerisolirung vielfach
                              									Verwendung findet) und bei dem die Nagelung gänzlich in Wegfall kommt, nimmt somit
                              									eine eigenthümliche Stellung ein zwischen dem Metall-, dem Papp- und dem
                              									Holzcementdache. Eine 80 × 100 cm grosse Platte kostet 1,36 M.
                           Es erübrigt nun noch, der Dachdeckungsmaterialien zu gedenken, welche bis zu
                              									einem gewissen Grade zugleich tragender, constructiver Gebäudetheil sind und
                              									hölzerne oder eiserne Dachstühle entbehrlich machen. Wie weit in dieser Hinsicht das
                              									Moniersystem den Erwartungen entsprechen wird, muss die Zukunft lehren; der Anfang
                              									ist mit mansardeartig gestalteten Dächern bereits gemacht; dass jeder besondere
                              									Ueberzug der Monierdecke (z.B. mit Dachpappe oder Holzcement) entbehrt werden
                              									könnte, erscheint zweifelhaft. Die Probe längst bestanden haben die bombirten
                              									Wellblechdächer. Gebäude bis zu 30 m Tiefe sind mit solchen schon vor Jahren
                              									überdeckt worden; dabei besteht die einzige Zwischen- und Unterconstruction aus den
                              									Zugankern, welche die Widerlagsmauern verbinden, und einigen Hängeeisen, welche
                              									diese Anker an die Dachfläche anhängen. Dem Constructeur steht eine grosse
                              									Mannigfaltigkeit der Blechprofile zur Verfügung; das Gewicht von 1 qm
                              									Trägerwellblech schwankt von 9 bis zu 120 k, je nachdem es zwischen 1 und 5 mm dick
                              									ist und die Wellen 45 bis 150 mm hoch, 45 bis 80 mm breit sind, der Preis für
                              									fertiges Dach aus verzinktem Trägerwellblech von 8,5 bis 13,5 M. Es darf somit
                              									verwundern, dass diese einfache, billige und solide Construction, die allerdings
                              									einen rechteckigen Grundriss ohne viele Vorlagen, sowie eine Dachfläche ohne viele
                              									Durchbrechungen voraussetzt, in unserem Wohnhausbau fast noch keinen Eingang
                              									gefunden hat.
                           Unsere Zusammenstellung macht, wir wiederholen es, auf Vollständigkeit keinen
                              									Anspruch. Es würden z.B. noch die stellvertretenden Anwendungen des Asphalts zu
                              									erwähnen sein; wir nennen nur die Abortrohre aus diesem Stoffe. Auch das leichte
                              									schottische Gusseisen, welches als Dachrinne und Fallrohr dem Zinkbleche erfolgreich
                              									Concurrenz macht, gehörte vielleicht noch hierher. Es sind aber auch in der Reihe
                              									der Surrogate selbst noch fühlbare Lücken zu verzeichnen; für das Weichglas z.B. ist
                              									das Hartglas noch nicht als befriedigender Ersatz aufgenommen worden, obwohl durch
                              									die sorgfältigen Versuche von Connert (Civilingenieur, 1888 S. 1 und 109) nachgewiesen wurde,
                              									dass für Dicken über 2 mm Hartglasplatten bedeutend widerstandsfähiger sind, als
                              									gleich schwere Weichglasplatten; auch die aus Glasprismen und Gusseisenrahmen
                              									zusammengesetzten „Einfalllichter“ sind in ihrer Anwendbarkeit viel zu sehr
                              									beschränkt, um auch nur die Rohglasplatten überall zu ersetzen.
                           Immerhin lässt unsere hier gegebene Auswahl erkennen, dass die Neuzeit dem
                              									Bautechniker eine grosse Mannigfaltigkeit von Surrogaten zur Verfügung stellt und
                              									dass es diesem nicht immer leicht fallen kann, für den gegebenen Fall die richtige
                              									Wahl zu treffen. Noch schwieriger ist es häufig für die Baupolizeibehörden, zu
                              									entscheiden, ob ein Ersatzmittel tragfähig, dauerhaft und feuersicher genug ist, um
                              									ohne weiteres für jeden beliebigen Zweck zugelassen werden zu können. Als Antwort
                              									auf die Fragen oder Zweifel des Architekten oder der Behörde steht dann häufig keine
                              									andere Auskunft zur Verfügung als die, welche der Fabrikant selbst zu geben für gut
                              									befindet: Protokolle über Belastungs- und Feuerproben, Festigkeitsermittelungen der
                              									Prüfungsstationen, vielleicht auch einmal Zeugnisse über einzelne, gut ausgefallene
                              									Anwendungen. Ueber die Verwendung im alltäglichen Gebrauche und für die
                              									verschiedensten Zwecke, 
                              									über die Bewährung im Grossen unbedingt Zuverlässiges zu erfahren und sich ein
                              									Urtheil zu bilden, fällt aber meist dem Einzelnen schwer, und die Sachverständigen
                              									der Baupolizei sind darum häufig vor die Wahl gestellt, der Einführung einer
                              									vielleicht nützlichen Neuerung mangels genügender Erfahrungen mit derselben entgegen
                              									zu treten, oder deren Zulassung auf ihre eigene Verantwortung hin zu empfehlen. Es
                              									erscheint deshalb als eine Pflicht der Regierungsbehörden, dem Surrogatwesen mehr
                              									als bisher ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden, dasselbe u.a. auch in den Lehrplänen der
                              									technischen Hochschulen zu berücksichtigen. Damit aber hier die Vorträge nicht bloss
                              									auf Laboratoriumversuchen zu fussen haben, müsste bei Bauausführungen für den Staat
                              									von den Neuheiten ein angemessener Gebrauch gemacht werden. Der grundsätzliche
                              									Ausschluss des Eisens z.B. bei einem Staatsgebäude, das nach seinem Zwecke und Range
                              									absolut feuersicher construirt werden sollte, kann somit schon aus diesem
                              									Gesichtspunkte nicht gut geheissen werden.
                           Werfen wir zum Schlusse nochmals einen prüfenden Blick auf die hier besprochenen
                              									Ersatzmittel, so bemerken wir, dass die Herstellung einiger derselben geradezu
                              									Geheimniss ist und dass die Anfertigung aller zu viel Erfahrung und Geschicklichkeit
                              									oder so besondere Vorrichtungen erfordert, um anders als von Specialisten in einer
                              									Weise betrieben zu werden, welche für Güte, Haltbarkeit u.s.w. unbedingte Garantie
                              									leistet. Die Folge davon wird also auch auf dem Gebiete des Hochbauwesens eine
                              									weitgehende Arbeitstheilung sein und der Gedanke darf uns nicht erschrecken, dass
                              									mit der allgemeineren Einführung der Ersatzmittel die Ausführung unserer Hochbauten
                              									und die Thätigkeit des Architekten einen wesentlich anderen, beweglicheren Charakter
                              									annehmen wird.