| Titel: | Technische Geheimmittel. | 
| Autor: | Richard Kissling | 
| Fundstelle: | Band 298, Jahrgang 1895, S. 163 | 
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                        Technische Geheimmittel.
                        Von Dr. Richard
                                 									Kissling.
                        Technische Geheimmittel.
                        
                     
                        
                           Neben den medicinischen gibt es bekanntlich auch zahlreiche technische Geheimmittel
                              									und Specialitäten, deren Erfinder und Compositeure nicht sowohl in dem Wahne
                              									befangen sind, dass ihr Fabrikat zur Erreichung des technischen Zweckes, für welchen
                              									es bestimmt ist, besonders geeignet sei, sondern die vielmehr solche Leute als
                              									Abnehmer zu bekommen hoffen, von denen es heisst, dass sie nicht alle würden.
                           Da nun ein minderwerthiges Product, welches für den Zweck, dem es dienen soll,
                              									ungeeignet ist, um so mehr wirthschaftlichen Schaden stiftet, je grösser sein
                              									Verbrauch oder, richtiger, die Zahl der dasselbe verbrauchenden Personen ist, so
                              									liegt es im Interesse des allgemeinen Wohls, solche Producte an den Pranger zu
                              									stellen und das Publikum vor dem Verbrauch derselben zu warnen. Auf manchen
                              									Gebieten, wie z.B. dem landwirthschaftlichen und demjenigen der
                              									Nahrungsmittelprüfung, wird in dieser Hinsicht redlich gearbeitet; auch den
                              									medicinisch-pharmaceutischen Geheimmitteln und Specialitäten versucht man
                              									amtlicherseits energisch zu Leibe zu gehen. Dahingegen scheint auf dem rein
                              									technischen Gebiete das Geheimmittelunwesen eher zu-, als abzunehmen; es wäre daher
                              									sehr verdienstlich, wenn auch hier dem in dieser Weise Schaden stiftenden chemischen
                              									Dilettantismus und Pseudochemismus thatkräftig der Krieg erklärt würde.
                           Leider sind aber, wie es den Schattenseiten der menschlichen Natur entspricht, die
                              									Freunde des Geheimmittelunwesens viel eifriger an der Arbeit als seine Gegner, denn
                              									diese lähmt meistens die vis inertiae, jene treibt die Hoffnung auf Gewinn zu immer
                              									neuen Thaten an. Es gibt sonder Zweifel eine ganze Anzahl Chemiker, deren
                              									eigentliche Lebensarbeit darin besteht, entweder geniale Fälschungsmethoden
                              									aufzufinden oder allerlei eigenartige Präparate herzustellen, die das Gemeinsame
                              									haben, dass die Stoffe, die zu ihrer Bereitung dienen, nicht nach ihrer Wirksamkeit,
                              									sondern nach ihrer Billigkeit ausgewählt sind, und dass dementsprechend zwischen
                              									Werth und Preis des betreffenden Geheim mittels ein ausserordentliches
                              									Missverhältniss besteht.
                           Bedauerlicher Weise lassen sich auch manche Fachzeitungen – natürlich vorwiegend die
                              									von Empirikern gelesenen – bereit finden, jenem unlauteren Gewerbe ihre
                              									Unterstützung zu leihen und dem pseudochemischen Unwesen ein fadenscheiniges
                              									wissenschaftliches Mäntelchen umzuhängen. Man kann daher nur lebhaft wünschen, dass
                              									die ernsthafte Fachpresse sich zu energischer Bekämpfung dieses Krebsschadens am
                              									freudig grünenden Baume der chemischen Technik aufraffen möge, dann wird der
                              									segensreiche Erfolg nicht ausbleiben.
                           Um aber nicht nur Worte, sondern auch Thaten sehen zu lassen, seien hier einige rein
                              									sachlich gehaltene Mittheilungen über solche technische Geheimmittel gegeben, bei
                              									denen entweder die Vermuthung nahe liegt, oder die Gewissheit besteht, dass sie
                              									bezüglich ihres Werthes nicht den berechtigten Anforderungen des Publikums Genüge
                              									leisten.
                           Da ist zunächst die Firma M. v. Kalkstein, chemische
                              									Fabrik in Heidelberg, mit ihren vier Präparaten Thergolith, Robigin, Polysulfin und
                              									Ammonin.
                           Das Thergolith, welches nach Mittheilung von Wick's Gewerbezeitung aus fein
                                 										gepulvertem Terrololith (Terra miraculosa
                                 										Saxoniae) mit „essigsaurem Natron, welche unter
                                    											Zusatz von Crotonöl erhitzt und alsdann abgekühlt verseift werden,“
                              									besteht, ist von Dr. Franz Woldau zur „Entfernung
                                 										von Blut, Frucht, Oel, Theer, Harz und Tintenflecken aus Wäsche u.s.w.“
                              									erfunden worden. In dem Prospect wird u.a. gesagt, dass bei Anwendung von Thergolith
                              										die
                              									Schmutztheile „direct von der Stoffaser abgestossen werden“. Begutachtet wird
                              									das Thergolith von Dr. Hanäus, der angibt, dass es
                              									nicht mit Crotonöl (wie in Wick's Gewerbezeitung angeführt), sondern mit Cottonöl
                              									bereitet wird, und von dem Cantonschemiker Dr. Schaffer, der sich dahin äussert, dass das Thergolith den gebräuchlichen
                              									Fleckenreinigungsseifen sehr wohl an die Seite gestellt werden könne, da es bei den
                              									praktischen Versuchen die Flecken „meistens“
                              									völlig entfernt habe.
                           Das Robigin ist ein von dem vereidigten Chemiker Dr. A. Buecher in Heidelberg erfundenes Präparat zur
                              									Entfernung von Rostflecken aus Geweben. Zur Begutachtung haben sich ein Notar, ein
                              									Kaufmann und ein Consul vereinigt. Eine fachmännische Beurtheilung liegt nicht vor.
                              									In dem einen der Gutachten wird ausdrücklich gesagt, dass man zwecks Entfernung der
                              									Rostflecken „von dem gebräuchlichsten Mittel, dem Kleesalz, gänzlich abgesehen
                                 										habe, da dasselbe erfahrungsgemäss die Gewebefasern so stark angreife, dass
                                 										binnen kurzer Zeit das Gewebe völlig zerstört sei.“
                           Von dem Präparate Polysulfin ist kürzlich in der
                              									Fachpresse wiederholt die Rede gewesen (Chemiker-Zeitung, 1894 Bd. 18 S. 2018 und 2066; Chemiker-Zeitung, 1895 Bd. 19 S. 83; Chemiker-Zeitung, Repertorium 1894 Bd. 18 S. 322). J. Brand gibt folgende Zusammensetzung desselben an: 24,3 Proc. Wasser,
                              									72,46 Proc. Natriumcarbonat, 0,84 Proc. freien Schwefel, 1,29 Proc. Gesammtschwefel
                              									und verschiedene Verunreinigungen, und bezeichnet es als unreine, etwas freien
                              									Schwefel enthaltende Soda, die mit Hilfe einer wenig reellen Reclame um den
                              									dreifachen Preis feilgeboten wird. H. Kreis fand
                              									ebenfalls 26,9 Proc. Wasser, 70,5 Proc. Natriumcarbonat, 0,55 Proc. Natriumchlorid,
                              									0,59 Proc. gebundenen und 0,85 Proc. freien Schwefel. Demgegenüber behaupten Dr. A. Dankelmann (Chemiker-Zeitung, 1894 Bd. 18 S. 332) und Dr. Ferd. v. Freilitsch (Wick's Gewerbezeitung, Bd. 59 Nr. 11 S. 88) unter Anführung
                              									von allerhand chemischen Notizen, die augenscheinlich den Eindruck der
                              									Wissenschaftlichkeit machen sollen, aber denjenigen der Unwissenschaftlichkeit
                              									hinterlassen, das Polysulfin sei ein mit Natriumcarbonat „verbundenes“
                              									Gemisch von Polysulfiden der Alkalien, während laut späterer Angabe der Firma M. v. Kalkstein (Chemiker-Zeitung, 1894 Bd. 18 S. 2066) die Oxydationsproducte der
                              									Polysulfide des Calciums im Polysulfin vorhanden sind. Es wird auch ergötzlicher
                              									Weise gesagt, die ausgezeichneten Eigenschaften des keines
                                 										wissenschaftlichen Deckmantels bedürfenden Polysulfins hätten Veranlassung
                              									zu seiner Darstellung gegeben, ganz abgesehen von den Bedenken, die „sich vom
                                 										theoretischen Standpunkte möglicher Weise ergeben“ könnten. Trotzdem wird
                              									von den begutachtenden Chemikern eine Theorie über die Wirkung des Polysulfins
                              									aufgestellt; es wird nämlich gesagt, „dasselbe verseife die der Stoffaser
                                 										anhaftenden Fettstoffe nicht direct auf der Faser und erzeuge so eine auf
                                 										derselben haftende, schwer zu entfernende Schmiere, sondern es löse die Fette
                                 										von der Faser und suspendire dieselben emulsionsartig.“ Dr. v. Freilitsch drückt sich noch eigenartiger aus, er
                              									sagt: Das Polysulfin hat „die Eigenschaft, die Alkalität des Kaliums und Natriums
                                 											herunter zu ziehen und dadurch eine directe
                                 										Verseifung der an der Stoffaser anhaftenden Fette und Schmutztheile so zu
                                 										verhindern, dass sich die sonst halb verseifte Schmiere nicht mehr an der
                                 										Stoffaser festsetzen kann und unlösliche Seifen bildet.“ Von irgend
                              									welchen bestimmten analytischen Daten findet man in den Auslassungen der Firma M. v. Kalkstein und ihrer Gewährsmänner natürlich keine
                              									Spur. Das einzige Thatsächliche findet sich in einer Beurkundung eines Heidelberger
                              									Notars, Namens Lugo, der bescheinigt, dass ein Paar
                              									Manschetten, ein Hemdenkragen, ein Paar Unterhosen, eine Küchenschürze, ein Paar
                              									wollene Socken und etwas rohe Schafwolle mit einer verdünnten Polysulfinlösung rein
                              									gewaschen sind, ohne dass das Gewebe dadurch angegriffen
                                 										wäre.
                           Am bekanntesten ist wohl das vierte Präparat, das Ammonin, geworden. In der
                              									unverdächtigen Litteratur finden sich darüber folgende Angaben:
                           
                              
                                 Namen der Analytiker
                                 Natrium-carbonat
                                 Kalk-carbonatund
                                    											Thon-erdesilicat
                                 Kalk-phosphat
                                 Wasser
                                 Calcium-undEisen-sulfid
                                 
                              
                                 
                                 Proc.
                                 Proc.
                                 Proc.
                                 Proc.
                                 
                                 
                              
                                 Frühling (Zeitschrift    für
                                       												angew. Chemie,    1889 S. 151)
                                 20,4
                                 64,4
                                 1,4
                                 13,8
                                 geringe Mengen
                                 
                              
                                 Ziegelbauer (D. p. J.    1891 279 95)
                                 21,0
                                 65,0
                                 –
                                 –
                                 –
                                 
                              
                           Frühling bezeichnet das von ihm untersuchte Ammonin als
                              									eine Mischung von 1 Th. calcinirter Soda und 4 Tb. Scheuersand. Klinger und Bujard (Zeitschrift für angewandte Chemie, 1890 S. 716) fanden
                              									nur 9,7 Proc. Soda und 2,7 Proc. Aetznatron neben grossen Mengen Sand, Von diesem
                              									sandreichen Ammonin kostete 1 k 60 Pf., während der Werth kaum 6 Pf. beträgt. Der
                              									Preis des von Frühling untersuchten Ammonins stellte
                              									sich dagegen auf etwa 5 M.Jetzt wird das
                                    											Ammonin mit 14 bis 16 M. für 100 k ausgeboten. bei einem Werthe
                              									von 25 bis 30 Pf. Die Fabrikantin M. v. Kalkstein
                              									(Inhaber dieser Firma sind die in Papierfabrikantenkreisen sattsam bekannten Gebrüder v. Schenk; M. v. Kalkstein ist der Name ihrer
                              									Grossmutter) behaupten dagegen, Ammonin bestehe „aus kohlensaurem und
                                 										kieselsaurem Natron, welchen eine bestimmte Menge
                                    											Kohlenstoff in Form von Schwefelammon beigegeben ist,“ und fügen
                              									stolz hinzu: „Neben dem Chemiker Dr. Brandenburg
                                 										arbeitet (bei uns) eine bewährte Kraft, ein alter erfahrener Papiertechniker,
                                 										ehemaliger Papierfabrikant, Ad. Voelter. Beide Herren
                                    											lassen nicht die geringste Ungenauigkeit aufkommen!“ Kann man sich
                              									eine grössere Ironie denken?
                           Allen Unverfrorenheiten setzt aber entschieden eine von dem vielgeschäftigen
                              										Seifen-„Sachverständigen“
                              									Alwin Engelhardt verfasste Broschüre: „Die Anwendung des Ammonins“ die Krone auf.
                              									Zunächst wird das hilflose Publikum der nicht chemisch gebildeten Seifenfabrikanten
                              									darüber belehrt, worauf es beim Ammonin ankomme, nämlich darauf, dass eine
                              									Ammoninlösung durch Nitroprussidnatrium roth und durch salpetersaures Silber schwarz
                              									gefärbt wird und beim Ansäuern nach Schwefelwasserstoff riecht. Das sind die
                              									Identitäts- und Qualitätsreactionen! Ueber die Wirkungsweise des Ammonins bei der
                              									Seifenbildung hat nun der genannte „Forscher“ eine Theorie aufgestellt, die
                              									einen Begriff davon gibt, wessen sich die Fabrikanten zu versehen haben, die eines
                              									solchen Mannes Rath einholen. Es heisst da u.a.: „Wenn man gelöste Oele, Fette
                                 										oder Harze unter dem Mikroskop genau untersucht, so bilden die einzelnen
                                 										Bestandtheile kleine geschlossene Kügelchen, welche mit vielen Tausenden feiner
                                 										Röhrchen in Gestalt von Fäden durchzogen sind. Diese Fäden sind die Molekular-
                                 										bezieh. Capillaritätsgefässe des Oeles. Der natürliche und grösste Feind dieser
                                 										Kügelchen und der darin enthaltenen Röhrchen ist die kaustische Lauge. Bringt
                                 										man diese in Atomtheilen zu den Kügelchen, so ziehen sich diese zuerst fest
                                 										zusammen – sie wehren sich gegen ihren Feind –; dieser ist aber stärker, er
                                 										zerfrisst die Kügelchen, und diese chemische Umsetzung nennt man Saponificiren
                                 										oder Verseifen. Durch die gewaltsame Thätigkeit der kaustischen Lauge werden
                                 										aber die Molekular- bezieh. die Capillaritätsgefässe der Oele, Fette und Harze
                                 										vernichtet. Weil aber von keinem atomistischen Physiker
                                    											die Molekularkräfte unterschätzt werden können (sie bewirken einzig im
                                 										Inneren der Körper Cohäsion, Adhäsion und Krystallisation, sowie Anziehung und
                                 										Abstossung der Moleküle), darum wird von jedem Fachmann das grösste Augenmerk
                                 										auf die Erhaltung derselben zu richten sein. Kein natürlicher Vorgang darf mit
                                 										Gewalt erzwungen werden, oder es ist zum Schaden des Einen wie des Anderen – so
                                 										auch hier. Es kann den Seifenfabrikanten daher durchaus nicht gleichgültig sein,
                                 										ob die Capillaritätsgefässe in seinem ihm so theueren, werthvollen Material
                                 										enthalten bleiben, oder ob dies nicht der Fall ist. Die Erhaltung derselben ist
                                 										eine grosse Hauptsache, denn durch die Capillaritätsgefässe bildet sich das
                                 										Krystallwasser auch in der Seife. Uebrigens ist das Wasseraufnahmebestreben
                                 										durch diese vielen Tausende von kleinen Röhrchen eine natürliche, leicht
                                 										begreifliche, für die Seifenfabrikanten vortheilhafte Sache, die zu einem
                                 										gesunden Aufbau seines Fabrikats gehört und dasselbe schön aussehend, voluminös
                                 										erscheinen lässt und fest erhält. Wenn hingegen die Molekulargefässe vernichtet
                                 										sind, so wird zwar auch Wasser aufgenommen, dieses aber ist ein freies und kein
                                 										Krystallwasser.... Wenn man zu diesen erstgenannten Kügelchen statt der
                                 										kaustischen, Atomtheile einer Ammoninlauge bringt, so geht, geradezu gesagt, das
                                 										Entgegengesetzte mit dem Oel, Fett, Fettsäuren oder Harz vor sich. Die Kügelchen
                                 										schliessen sich auf, d.h. sie gehen willig aus einander und bilden Flächen,
                                 										worin die Capillaritätsgefässe viel stärker erscheinen. Nimmt man nun Atomtheile
                                 										kaustischer Lauge hinzu, so geht die Saponification viel schneller, leichter und
                                 										inniger vor sich, die Capillaritätsgefässe werden chemisch umgesetzt, aber nicht
                                 										zerfressen. Die in der Ammoninlauge enthaltenen Schwefelverbindungen hindern die
                                 										kaustische Lauge, ihr Zerstörungswerk durchzuführen.“ In dieser Weise geht
                              									es noch weiter fort.
                           Sollte man es für möglich halten, dass jemand es wagt, solches Zeug zu schreiben und
                              									zu veröffentlichen? Um das Maass voll zu machen, lässt Alwin
                                 										Engelhardt fünf Abbildungen folgen, welche den Seifenfabrikanten die
                              									mikroskopischen Ermittelungen einer „513“ maligen Vergrösserung eines
                              									Moleküls Leinöl zeigen, und zwar wird gezeigt 1) ein Molekül Leinöl
                              										„naturell“ mit den als unregelmässige Striche erscheinenden
                              									Capillaritätsgefässen; 2) ein einzelnes Capillaritätsgefäss; 3) ein Molekül Oel,
                              										„dem Atomtheile kaustischer Lauge zugeführt sind, dasselbe hat sich um 8
                                 										Proc. seines ursprünglichen Umfanges zusammengezogen und die Capillaritätsfäden
                                 										sind vollständig bei der Verseifung zerstört;“ 4) ein Molekül Oel mit
                              									Atomtheilen Ammoninlauge, das sein Volumen um 4 Proc. vergrössert hat; 5) das
                              									nämliche Oelmolekül unter Zusatz von kaustischer Lauge mit um 10 Proc. vergrössertem
                              									Volumen. „Damit jeder Techniker sich von der Richtigkeit dieser Annahme
                                 										überzeugen kann“, gibt Alwin Engelhardt
                              									„die mikroskopische Berechnungsform der 513maligen Vergrösserung“. –
                              									Weiterhin wird noch eine mit A. Kläger unterzeichnete
                              									Analyse, die Engelhardt aus dem Heidelberger Universitätslaboratorium erhalten haben will, mitgetheilt,
                              									nach welcher eine Londoner weisse Kernseife einen Fettsäuregehalt von 66 Proc., eine Alwin
                                 										Engelhardt'sche weisse Kernseife mit 10 Proc. Ammoninzusatz einen
                              									Fettsäuregehalt von 63 Proc. besass. Weiter steht nichts da!
                           Wie ist es nur möglich, möchte man fragen, dass ein MannUeber die Anschauungen dieses Publicisten gibt
                                    											besonders folgende Stelle der Broschüre überraschenden Aufschluss: „Wir
                                       												stehen nicht in fremdem Sold und haben keinen Grund, weder gegen eine
                                       												Neuerung anzukämpfen, noch eine solche todtzuschweigen, sondern wir
                                       												halten es vielmehr für unsere Pflicht, alle Neuerungen zu prüfen und zu
                                       												untersuchen, ob selbige auch für die Seifenfabrikation von Nutzen
                                       												ist....“ Die Frage: „Was ist Ammonin? Woraus besteht es?.... zu
                                       												beantworten, sind wir weder berechtigt noch verpflichtet“ (sic!), der ein solches
                              									Geschreibsel in die Welt zu senden wagt, bei einem Theile der Seifenfabrikanten,
                              									natürlich bei dem in wissenschaftlichen Dingen völlig urtheilslosen Theile, auch nur
                              									für einige Zeit als technischer Beirath fungiren kann? Und welches Unheil mag durch
                              									solch unverantwortliches Gebahren schon angerichtet sein?
                           Wie man sieht, reden die sämmtlichen vorgeführten Thatsachen eine Sprache, welche die
                              									von der Firma M. v. Kalkstein in den Handel gebrachten
                              									Präparate in einem ausserordentlich ungünstigen Lichte erscheinen lässt. Jedenfalls
                              									dürfen sich die Chemiker, welche die Erzeugnisse der genannten Firma begutachten
                              									oder ihre Erfindungen derselben zur Ausbeutung übergeben, nicht beklagen, wenn ihnen
                              									ein gewisses Misstrauen entgegengebracht wird.
                           Noch auf ein anderes Gebiet, welches für die Entwickelung des Geheimmittelunwesens
                              									einen geeigneten Boden zu bieten scheint, sei ein kurzer Streifzug unternommen. Es
                              									ist das Gebiet der Erdölbeleuchtung. Nur einfach erwähnt seien zwei Präparate, von
                              									denen das eine („Petroliumreinigungspulver von Heinr. Josef“) vorwiegend aus entwässertem
                              									unreinen Glaubersalz besteht, während das andere („Mehr
                                    											Licht“) hauptsächlich Soda enthält.
                           Weit raffinirter zusammengesetzt ist das neuerdings mit enormer Reclame eingeführte
                              										„Petrolith“ der Firma Schewe und Co. in Köln. Dieses Geheimmittel, welches
                              									übrigens – unter Anwendung eines bekannten Kniffes der Geheimmittelfabrikanten – zur
                              									Irreführung der untersuchenden Chemiker bald so, bald anders hergestellt wird,
                              									enthält Soda, Kochsalz, Glaubersalz, Alaun, Nitronaphtalin, Kampher u.s.w., und zwar
                              									sind 30 bis 35 Proc. organische und 65 bis 70 Proc. mineralische Bestandtheile
                              									vorhanden. Der reelle Verkaufswerth beträgt höchstens 10 Pf., der Preis 80 Pf. Nach
                              									der Reclameschrift sollen dem Petrolith folgende Eigenschaften zukommen: 1) soll es
                              									die Leuchtkraft erhöhen, 2) ein ruhiges, weisses, reines Licht geben, 3) eine
                              									bedeutende Ersparniss an Erdöl ermöglichen, 4) das Schwitzen der Lampen aufheben, 5)
                              									das Russen derselben verhindern, 6) den „üblen“ Geruch des Erdöls verdecken,
                              									7) die Explosionsgefahr beseitigen und 8) die
                                 										Wärmeproduction fast ganz unterdrücken. Das genügt allerdings!
                           
                           Exacte Versuche haben nun Folgendes ergeben: Das mit Petrolith versetzte Erdöl
                              									hatte (selbstverständlich) genau den gleichen Entflammungspunkt, ist also genau so
                              									explosionsgefährlich wie ein ohne Petrolithzusatz gelassenes Erdöl der nämlichen
                              									Herkunft. Unter besonders günstigen Bedingungen wurden von dem ersteren Erdöl (mit
                              									Petrolith) 443 g, von dem letzteren (ohne Petrolith) 453 g in der Stunde verbraucht,
                              									um die Lichtstärke von 100 Normalkerzen zu erzeugen. Das sind so geringe
                              									Unterschiede, dass sie praktisch nicht in Betracht kommen. Der Kamphergehalt des
                              									Petroliths mag eine kleine Erhöhung der Leuchtkraft herbeiführen, aber aus diesem
                              									Grunde letzteres zu verwenden, würde eine unsinnige Verschwendung bedeuten.
                           Die auf dem Prospecte sich findende Bemerkung, dass „die Salze des Petroliths vom
                                 										Erdöl resorbirt, und durch die Capillaren des Dochtes zum Glühen gebracht“
                              									würden – das urtheilslose Publikum soll bei diesem Passus an das Auer'sche Gasglühlicht denken – ist natürlich nichts
                              									als sinnloses Gerede, denn erstens sind die Salze völlig unlöslich im Erdöl, können
                              									also auch nicht in den Docht dringen, und zweitens würden sie, wenn sie in den Docht
                              									gelangten, an der Dochtmündung ausgeschieden werden und die Lampe zum Verlöschen
                              									bringen. Jeder Sachverständige weiss ja, wie wichtig es für die Brennfähigkeit des
                              									Erdöls ist, dass sein Gehalt an Mineralbestandtheilen ein verschwindend geringer
                              									sei.
                           Interessant ist es nun, dass sich drei Chemiker (Dr. Scholz,
                              									„pr. Chemiker“ – soll wohl heissen: praktischer Chemiker – in Köln, Dr. Kaysser, vereidigter Gerichts- und Sanitätschemiker in
                              									Dortmund, und Max Bendig, Chemiker der Centralorgane
                              									der Innungen deutscher Bäcker, Conditoren, Gerber, Schuhmacher und Tischler u.s.w.
                              									in Köln) haben bereit finden lassen, das Petrolith günstig zu begutachten. Dr. Scholz, der am Schlusse seines wunderlichen Gutachtens
                              									versichert, dass er die „Untersuchungen nach bestem
                                    											Wissen unter Zugrundelegung der neuesten und besten Methoden
                                 										ausgeführt“ habe, und „deren Richtigkeit
                                    											bescheinigt“, kommt zu dem Ergebniss, dass „der
                                 										Entflammungspunkt des mit einer gewissen Menge Petrolith versetzten Erdöls
                                 										verschiedenen Ursprungs durchaus innerhalb der Grenzen der vom deutschen
                                 										Reichsgesundheitsamt festgesetzten Zahlen liege“, unterlässt aber
                              									hinzuzufügen, dass dies vor dem Petrolithzusatz auch schon der Fall gewesen sei.
                              									Sieht das nicht einer absichtlichen Irreführung verzweifelt ähnlich?Neuerdings hat Dr. Scholz ein Gutachten abgegeben, laut welchem ein Zusatz von 5
                                    											Proc. Petrolith den Entflammungspunkt des Kaiseröls von 54 auf 60°,
                                    											denjenigen des gewöhnlichen Erdöls von 27 auf 32° erhöhen soll. C. Engler hat Veranlassung genommen, die Scholz'schen Versuche zu wiederholen, und
                                    											gefunden, dass beim Schütteln von 5 Proc. Petrolith mit Erdöl in einer
                                    											verschlossenen Flasche beim Kaiseröl eine Erhöhung des Entflammungspunktes
                                    											um 0,5°, beim gewöhnlichen Erdöl um 1° stattfand. Das Nämliche trat aber
                                    											auch ein, wenn das Erdöl ohne Petrolithzusatz ebenso lange geschüttelt
                                    											wurde. Verfährt man genau nach Vorschrift, schüttet man also das Petrolith
                                    											einfach in den Lampenbehälter, so ist natürlich nicht die geringste
                                    											Aenderung des Entflammungspunktes nachzuweisen. Im günstigsten Falle hat
                                    											sich demnach Dr. Scholz eines ungewöhnlichen
                                    											Mangels an Umsicht bei seiner Versuchsanstellung schuldig
                                    										gemacht. Dr. Kaysser hat
                              									herausgerechnet, dass das Petrolith die Leuchtkraft um das l,09fache erhöhe und eine
                              									Ersparniss an Erdöl von 25 Proc. bewirke. Soll man diese Zahlen wirklich ernst
                              									nehmen, so kann die Sache nur so erklärt werden, dass bei der
                              									Leuchtkraftbestimmung nicht der Oelverbrauch und bei der Bestimmung des
                              									Oelverbrauches nicht die Leuchtkraft bestimmt wurde. In analoger Weise scheint auch
                              										Max Bendig bei seinen Versuchen verfahren zu
                              									sein.
                           Dagegen hüten sich die beiden letztgenannten Chemiker, über den wichtigsten Punkt,
                              									die Erhöhung des Entflammungspunktes durch Petrolithzusatz, irgend ein Wort zu
                              									sagen. Aus dem einfachen Grunde natürlich, weil sie sonst bescheinigen müssten, dass
                              									in dieser Beziehung das Petrolith nicht die geringste Wirkung äussert, dass also die
                              									Behauptung der Firma Schewe und Co., Petrolith
                              									beseitige die Explosionsgefahr, auf Unwahrheit beruhe! Und wie denken sich denn die
                              									drei Chemiker eigentlich die durch Erhöhung der Leuchtkraft und Erniedrigung des
                              									Erdölverbrauchs herbeizuführende enorme Ersparniss? Nach der Vorschrift soll man
                              									alle 4 Wochen 6,5 g (= ¼ Schachtelinhalt) Petrolith in den Lampenbehälter geben. In
                              									dieser Zeit verbraucht eine 12'''-Brenner-Lampe bei einer 5stündigen täglichen
                              									Brennzeit etwa 5 . 40 . 28 = 5600 g = etwa 7 l Erdöl. Da nun vom Petrolith nur etwa
                              									20 Proc. im Erdöl löslich sind, so würde 1 l Erdöl höchstens 0,2 g Petrolith
                              									enthalten. Dass eine solch winzige Menge auch nicht annähernd die angegebene Wirkung
                              									äussern kann, muss doch wohl jedem einleuchten.
                           Auf eines sei schliesslich noch hingewiesen: Es ist durchaus nicht gleichgültig, ob
                              									diejenigen, welche das Petrolith gekauft haben und benutzen, in den Glauben versetzt
                              									werden, das mit dem Geheimmittel versetzte Erdöl neige viel weniger dazu, mit der
                              									Luft ein explodirbares Gasgemenge zu bilden, als das gewöhnliche Erdöl des Handels.
                              									Hierin liegt doch entschieden eine gewisse Gefahr für die Allgemeinheit, denn das
                              									Publikum wird das mit Petrolith versetzte Erdöl nunmehr für eine völlig
                              									ungefährliche Waare halten und dementsprechend mit demselben verfahren. Folgerichtig
                              									werden sich also die zuständigen Behörden die Frage vorlegen müssen, ob der Vertrieb
                              									des Petroliths aus Gründen der öffentlichen Sicherheit zu verbieten sei.
                           Wie aus dem im Eingang dieser Ausführungen Gesagten hervorgeht, ist der Hauptzweck
                              									derselben, darauf hinzuwirken, dass dem immer aufdringlicher hervortretenden Unwesen
                              									der technischen Geheimmittel thatkräftig entgegengearbeitet werde. Und das kann nur
                              									geschehen, wenn die Mehrzahl der anständigen technischen Chemiker sich an diesem
                              									Kampfe, in dem das Banner der Aufklärung vorangetragen wird, mit That und Wort
                              									betheiligt, ein jeder auf dem ihm nächstliegenden Gebiete. Und in diesem Kampfe ist
                              									unentwegte Ausdauer nöthig, denn diejenigen, deren Treiben bekämpft werden soll,
                              									wissen aus Erfahrung, dass ihre Gegner meistens sehr bald des Haders müde sind.
                              									Deshalb lassen sie dieselben ruhig eifern und predigen; sie stellen sich taub und
                              									schreien dagegen an, da ja das liebe Publikum auf ihre Stimme viel aufmerksamer
                              									achtet, als auf diejenige der einzelnen, Wahrheit verkündenden Wüstenprediger. Wird
                              									der Kampf dagegen von allen Seiten mit Ausdauer und Energie geführt, so gelingt es
                              									allmählich, der Wahrheit zum Siege zu verhelfen und die Dunkelmänner in ihr Nichts
                              									zurückzuscheuchen.
                           Uebrigens ist es auch für das Ansehen des Chemikerstandes durchaus nicht
                              									gleichgültig, ob sich in seinen Reihen zahlreiche Persönlichkeiten befinden, deren
                              									Gebahren zum
                              									mindesten an den Pranger der Wissenschaft gestellt werden muss, und deren
                              									Veröffentlichungen auch nicht die allerschonendste Kritik vertragen.
                           Vor allen Dingen aber muss die Presse, und zwar nicht allein die
                              										wissenschaftlicheEs wäre zu wünschen,
                                    											dass sich auch die vielverbreitete und daher hierzu besonders berufene „Chemiker-Zeitung“ an dem auf diesem
                                    											Sondergebiete geführten Aufklärungskampfe in Zukunft thatkräftig
                                    											betheilige. und die Tagespresse, sondern auch die niedere
                              									Fachpresse ihren Stolz darin erblicken, für Verbreitung von Wahrheit und Aufklärung
                              									thätig zu sein. Und wenn ihr nur von allen Seiten das nöthige Material zufliesst, so
                              									wird sie sich im Allgemeinen auch nicht spröde verhalten. Jedenfalls muss und wird
                              									es gelingen, eine von der segensreichsten Wirkung begleitete Scheidung des
                              									anständigen von dem nicht anständigen Theile der zahlreichen, dem Boden der Empirie
                              									entsprossenen Fachzeitschriften herbeizuführen. Jetzt, da der Erlass eines Gesetzes
                              									gegen den unlauteren Wettbewerb in greifbare Nähe gerückt ist, scheint der Zeitpunkt
                              									für ein entschiedenes Vorgehen gegen die Fabrikanten technischer Geheimmittel und
                              									ihre Helfershelfer besonders günstig gewählt zu sein.