| Titel: | Die elektrische Baldwin-Westinghouse-Locomotive. | 
| Fundstelle: | Band 305, Jahrgang 1897, S. 88 | 
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                        Die elektrische
                           								Baldwin-Westinghouse-Locomotive.
                        Mit Abbildung.
                        Die elektrische Baldwin-Westinghouse-Locomotive.
                        
                     
                        
                           Die insbesondere von der General Electric Company bisher
                              									für amerikanische Vollbahnen hergestellten elektrischen Locomotiven, wie
                              									beispielsweise jene der Baltimore-Ohio-Eisenbahn (vgl. D. p.
                                 										J. 1895 297 240, 1896 299 121, 1897 305 16), der New York-, New
                              									Haven- und Hartfordbahn, der New York-Boston-Eisenbahn u.a.m. gleichen ihrer
                              									äusseren Gestalt nach mehr oder minder zweien gewöhnlichen, mit der Kopfseite an
                              									einander gekuppelten amerikanischen Rangir-Tendermaschinen, denen man die
                              									Schornsteine weggenommen hat; sie besitzen also eine nach vorn wie nach rückwärts
                              									abfallende Form. Abweichend davon haben die verflossenen Jahres neu entstandenen
                              									elektrischen Locomotiven, für welche die Baldwin Locomotive
                                 										Works in Philadelphia die Untergestelle und den Kasten erbaut, während die
                              									elektrische Einrichtung von der Westinghouse Electric and
                                 										Manufacturing Co. durchgeführt wird, so ziemlich die Gestalt eines mit je
                              									einer schmalen Plattform an den beiden Stirnseiten versehenen Eisenbahnwagens, der
                              									auf zwei vierräderigen Untergestellen ruht. Letztere sind, wie Locomotivrahmen, ganz
                              									aus Eisen ausgeführt, lagern mittels vier einfacher Blattfedern auf den beiden
                              									Radachsen und stehen mit dem Locomotivkasten nach gewöhnlicher Art durch federnde
                              									Drehzapfen in Verbindung. Für den Eintritt in das Innere des kastenartigen
                              									Ueberbaues, der etwa 2,895 m breit, 9,150 m lang und 4,100 m über die
                              									Schienenoberkante hoch ist, sind an jeder Stirnseite eine Flügelthür und an den
                              									beiden Längsseiten je eine Schubthür vorhanden. Der untere Kastenrahmen wird von
                              									Längsträgern aus starkem ∪-Eisen und hölzernen
                              									Brustbalken gebildet, und an den letzteren sind die Buffer, die Janney'schen Kuppelungen und schwere eiserne Bahnräumer
                              									angebracht. Buffer, Kuppelungen und Bahnräumer entsprechen ganz den für
                              									amerikanische Hauptbahnen gebräuchlichen Typen. Das Kasteninnere enthält sämmtliche
                              									zur Bedienung der Locomotive erforderlichen Einrichtungen doppelt, d.h. je ein
                              									Vorschalter (Controller), ein Luftbremsenhebel, ein Handrad für die Nothbremse, ein
                              									Hebel zum Sandstreuapparate, eine Signalpfeife u.s.w. sind sowohl an der einen als
                              									anderen Stirnseite symmetrisch eingebaut, weil der Locomotivführer nach Maassgabe
                              									der Fahrtrichtung entweder auf dieser oder auf jener Kastenseite seinen Standplatz
                              									zu nehmen hat. Ausserdem ist zur Speisung der Locomotivpfeife und der Westinghouse'schen Luftdruckbremse ein Luftcompressor
                              									aufgestellt, dessen Antrieb ein eigener Elektromotor von 1,5  mittels
                              									Zahnradübertragung besorgt. Der im Kasten des Fahrzeuges schliesslich in der Mitte
                              									noch frei bleibende Raum kann zum Unterbringen von Werkzeugkisten und
                              									Reservebestandtheilen oder auch für Gepäckstücke o. dgl. benutzt werden.
                           Die vier Motoren der Locomotive befinden sich je in einem zweitheiligen,
                              									gusstählernen Gehäuse, welches, wie bei gewöhnlichen Motorwagen, einerseits auf der
                              									Welle des betreffenden Laufradpaares gelagert ist, andererseits von den
                              									Doppelquerfedern des Radgestelles getragen wird, eine Anordnung, die sich
                              									hinsichtlich der Zahnradkuppelung zwischen Motorwelle und Laufachse als genügend
                              									elastisch erwiesen hat. Auch war es möglich, den Zahnrädern eine aussergewöhnlich
                              									günstige Breite zu geben, da für die Unterbringung des Motors sammt Uebertragung der
                              									ganze zwischen den beiden Radnaben der Laufachse vorhandene Raum (1255 mm) zur
                              									Verfügung stand. Jedes der kastenartigen Motorgehäuse ist an der Austrittstelle der
                              									Ankerwelle durch besondere Schutzringe abgedichtet und hat oben eine Oeffnung,
                              									welche leicht zu den Kohlenbürsten und zum Commutator gelangen lässt, für gewöhnlich
                              									jedoch durch einen Schieberdeckel dicht verschlossen gehalten bleibt, so dass das
                              									ganze Kasteninnere vor Staub und Nässe vollständig geschützt wird. Die angewendeten
                              									Westinghouse-Motoren sind vierpolig, haben aber nur zwei Magnetspulen. Die Polstücke
                              									sind an dem unteren Theil des Motorgehäuses angegossen, das auch zur Aufnahme der
                              									Bürstenträger und für die Motorachsenlager mit den erforderlichen Ansätzen versehen
                              									ist. Der Anker besteht aus dünnen Stahlblechen mit ausgestanzten, zur Aufnahme der
                              									Ankerwickelung dienenden Randeinkerbungen; derselbe hat ebenso wie der Commutator
                              									zur Förderung der Ventilation mehrfache Luftkanäle. Die als Trommel-Serienwickelung
                              									ausgeführte Ankerspule ist für 500 Volt vorgesehen und bei ihrer Herstellung, sowie
                              									überhaupt, wurde die Verwendung von Holz als Isolirmaterial grundsätzlich
                              									unterlassen. Von der Motorachse auf die Laufachse geschieht der Antrieb mittels der
                              									gewöhnlichen einfachen Zahnradübertragung, nur sind die beiden gleichfalls aus
                              									Gusstahl hergestellten Räder mit Hilfe von Präcisionsfräsemaschinen besonders
                              									sorgfältig ausgeführt. Das kleinere Rad ist auf die Motorwelle aufgepresst und das
                              									grössere, aus zwei Theilen bestehende auf der Laufachse durch Flanschenschrauben
                              									festgemacht. Die Uebersetzungsverhältnisse werden verschieden gewählt, je nach der
                              									Bestimmung der Locomotive, und zwar mit 1,5:1 für Expresslocomotiven, welche
                              									Geschwindigkeiten bis zu 95 Std./km erreichen sollen, ferner von 2,5 : 1 für
                              									Personenzugslocomotiven, deren Maximalleistung 75 Std./km beträgt, und von 4 : 1 für
                              									Güterzugs-, Arbeitszugs- oder Schneepflugslocomotiven mit geringeren
                              									Geschwindigkeiten. Jeder einzelne Motor besitzt ein Gewicht von 1550 k; die
                              									Locomotive allein, nämlich ohne elektrische Einrichtung, wiegt 30 t, wovon die
                              									Hälfte auf die beiden Radgestelle und die andere Hälfte auf den. Kasten des
                              									Fahrzeuges entfällt. Mit der vollen Ausrüstung beträgt das Eigengewicht der
                              									Locomotive, je nach der Kategorie, 45 t oder 55 t, was sich für die erwünschte
                              									Adhäsion als nicht zulänglich herausstellte, weshalb man es durch schwere
                              									gusseiserne Platten, mit welchen der Kastenboden belegt wird, noch künstlich um etwa
                              									10 Proc. erhöhte.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 305, S. 89
                              Unterirdische Stromzuführung (System Wheeles) der elektrischen
                                 										Baldwin-Westinghouse-Locomotive.
                              a Generator; b Elektromotor.
                              
                           Bis jetzt sind lediglich zu Versuchszwecken zwei Locomotiven der vorgeschilderten
                              									Anordnung hergestellt worden, und zwar die eine zu 400  (jeder Motor zu 100
                              									) und die andere zu 800  (jeder Motor zu 200  ). Die
                              									betreffenden Erprobungen erfolgen auf der Turtl-Creek-Linie der
                              									Pennsylvania-Eisenbahn, an welcher die Werke der Westinghouse-Electric and Manufacturing Co. liegen, und dieselben
                              									erstrecken sich nicht nur auf die Locomotivleistungen, sondern auch auf die
                              										StromzuführungVgl. Otto C. Reymann in Glaser's Annalen für Gewerbe und Bauwesen vom 15. Juli 1896 Nr.
                                    											458 S. 24., da es wünschenswerth erscheint, das
                              									Oberleitungssystem, wie es beispielsweise die Baltimore-Ohio-Eisenbahn oder andere
                              									amerikanische Vollbahnen benutzen, vermeiden und durch ein zweckdienlicheres
                              									ersetzen zu können. So besteht auf der Versuchsstrecke allerdings eine oberirdische
                              									Stromzuführung, aber nebenbei werden gleichzeitig auch unterirdische probirt und
                              									bislang ist es namentlich das Wheeles'sche System, von
                              									dem man sich Erfolge verspricht. Bei dieser durch Fig. 1 schematisch
                              									veranschaulichten Anordnung treten bekanntlich an die Stelle des Stromabnehmers, der
                              									sich beim Vorhandensein gewöhnlicher Oberleitungen am Dache der Motorwagen befindet,
                              									zwei unter dem Locomotivgestelle befestigte parallele Metallschienen P1 und P2, die genau über
                              									einer Reihe von Contactknöpfen K1
                              									K2
                              									k1
                              									k2 liegen, welch
                              									letztere in fortlaufender Reihe und in gleichmässigen Abständen von einander
                              									innerhalb des Fahrgleises S1 und S2
                              									angebracht sind. Während der Fahrt gelangen die durch kräftige Federn nach abwärts
                              									gedrückten Gleitschienen mit den Knöpfen in gut leitende Berührung, wodurch
                              									bestimmte Stromwege geschlossen werden, da die Contactknöpfe durch Zuleitungen mit
                              									der Speiseleitung L Anschluss erlangen. Letztere ist in
                              									vollständig verschlossenen, versenkten Röhren verlegt, steht jedoch in regelmässigen
                              									Abständen durch einen Abzweigedraht d1 mit dem Arbeitscontact i2 eines Relais R in Verbindung. Diese Einschaltevorrichtungen sind durch eigene, dicht
                              									verschlossene Gehäuse geschützt, die in Bedarfsfällen behufs Nachschau geöffnet
                              									werden können. Jedes Relais besteht aus einem Elektromagnet M mit dem Anker A, der in der Ruhelage
                              									abgerissen ist; zwei Zuleitungen d2 und d3 vermitteln die Verbindung mit den Contactknöpfen.
                              									Auf der Locomotive befindet sich eine aus sechs Zellen bestehende
                              									Accumulatorenbatterie B, die einen Strom von 25 Amp.
                              									und 12 Volt liefert und zwischen den beiden Contactschienen P1 und P2 eingeschaltet ist. Sobald die letzteren auf ein
                              									Paar Contactknöpfe gelangen, wird der Strom von B über
                              										P2, d2, M, d3 und P1 wirksam und der
                              									Elektromagnet hebt den Anker A derart hoch, dass bei
                              										i1 und i2 die Relaiscontacte
                              									geschlossen werden, in Folge dessen der vom Generator a
                              									kommende Arbeitsstrom seinen Weg über L, d1, i2, A, i1, d2, k2 oder K2, P2 in den Elektromotor b
                              									der Locomotive findet, um über S1 und S2 wieder zurückzukehren. Die Länge der
                              									Contactschienen, gleichwie die Entfernungen der Contactknöpfe werden
                              									selbstverständlich so bemessen, dass während der Locomotivbewegung stets mindestens
                              									zwei Berührungsstellen geschlossen sind, d.h. dass die Stromabnahme eine
                              									fortlaufende ist; übrigens lassen sich die Contacte bezieh. die Anschlüsse an die
                              									Speiseleitung auch noch dadurch erhöhen, dass mehrere Paare von Gleitschienen P1
                              									P2 an der Locomotive
                              									angebracht werden. So sind beispielsweise bei der obenerwähnten 400pferdigen
                              									Locomotive zwei Paar aus Winkeleisen hergestellte Contactschienen in Verwendung.
                           Es liegt in der Absicht der Pennsylvania-Eisenbahn, nächst den grösseren Städten, die
                              									sie berührt, einen besonderen Vororteverkehr einzurichten und für denselben den
                              									elektrischen Betrieb einzuführen, ebenso steht die Umwandelung des Dampfbetriebes
                              									auf der New York-Manhattan-Hochbahn in elektrischen Betrieb ehestens bevor, und für
                              									beide Fälle wird die Verwendung von Baldwin-Westinghouse-Locomotiven in Aussicht
                              									genommen.