| Titel: | Allgemeines.Der internationale Maass- und Gewichtsdienst. | 
| Fundstelle: | Band 309, Jahrgang 1898, S. 136 | 
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                        Allgemeines.Der internationale Maass- und
                           								Gewichtsdienst.
                        Der internationale Maass- und Gewichtsdienst.
                        
                     
                        
                           Mit der Annahme des metrischen Systems seitens der meisten Culturvölker trat auch die
                              									Forderung auf, möglichste Gleichartigkeit der Grundmaasse und -gewichte zu
                              									gewährleisten, damit eine Einheitlichkeit nicht nur dem Namen nach, sondern in der
                              									That herbeigeführt würde. Unter diesem Gesichtspunkte wurde durch den sogen.
                              									Metervertrag vom 20. Mai 1875 eine internationale Organisation gegründet, welcher
                              									die Aufgabe zufiel, Prototype des Meters und des Kilogramms herzustellen und den
                              									betheiligten Staaten zuverlässige Copien dieser Urmaasse zu beschaffen, deren
                              									dauernde Richtigkeit durch zeitweise Vergleichung mit den Urmaassen gesichert werden
                              									soll.
                           Diese Organisation hat ihren Sitz in Breteuil bei Paris und wird von den betheiligten
                              									Staaten unterhalten. Unter den Beamten dieser Organisation stehen die
                              									französischen Fachmänner obenan, jedoch sind auch Specialforscher aus anderen
                              									Ländern betheiligt.
                           Die Einrichtungen dieses internationalen Maass- und Gewichts-Bureaus sind
                              									selbstverständlich allerbester Art, wie dies die verantwortungsvollen Arbeiten
                              									erheischen; trotzdem erfordert die Unterhaltung nur geringe Mittel, welche neben
                              									einer einmaligen Aufwendung von 400000 Frcs. jährlich 100000 Frcs. betragen.
                           Der deutsche Vertreter, Prof. Dr. Förster, Director der
                              									Königl. Sternwarte in Berlin, hat sich die hervorragendsten Verdienste sowohl um die
                              									Sicherung der Beziehungen im Messen und Wägen als auch besonders um die Ausnutzung
                              									der Breteuiler Arbeiten erworben. Seine ständige Beaufsichtigung der Arbeiten der
                              									Organisation wie auch seine active Betheiligung an der Verwerthung der gewonnenen
                              									Ergebnisse lassen seine Mittheilungen über diese Angelegenheit besonders werthvoll
                              									erscheinen, wie sie im Beiblatt zur Zeitschrift für
                                       										Instrumentenkunde, 1897 Heft 21 und 22, und in den Verhandlungen des Vereins zur Beförderung des Gewerbfleisses, 1898 S. 140
                                 									u. ff., veröffentlicht wurden. Das wesentliche Interesse, welches die Technik
                              									besonders an der Frage international gleichartiger und gleichwertiger Maasse und
                              									Gewichte nimmt, wird eine auszugsweise Wiedergabe der Förster'schen Darlegungen an dieser Stelle begründen.
                           Es ist bekannt, dass man bei Feststellung der Einheiten des Meters und des Kilogramms
                              									sich an feststehende sogen. Naturmaasse anzuschliessen sucht.
                           Man hat zunächst an den Erdquadranten die Metereinheit angeknüpft, was bis auf etwa
                              										1/10000
                              									gelungen zu sein scheint. Ferner wurde ein Anschluss der Gewichts- oder
                              									Masseneinheit gesucht, wie er ähnlich auch beim alten babylonischen Maass da war,
                              									nämlich an die Masse dichtesten Wassers, die in einem metrischen Würfel von 1/10 m Seitenlänge
                              									enthalten ist. Dieses Bestreben, das System jedes lediglich conventionellen und
                              									nationalen Charakters zu entkleiden, hat nun in der Art, wie man die technischen
                              									Grundlagen des Systems gestaltete, zur Folge gehabt, dass man auf die Solidität und
                              									Dauerhaftigkeit der Verkörperung einen geringeren Werth legte, weil man meinte,
                              									schlimmsten Falls würden die Einheiten durch den Anschluss an die Naturmaasse wieder
                              									zu finden sein; so kam es, dass man bei aller Sorgfalt, die man dem damaligen Stande
                              									der Genauigkeit der Messungen entsprechend anwendete, doch nur etwas ziemlich
                              									Unvollkommenes leistete, sowohl in der Verkörperung der Längeneinheit, als der
                              									Gewichtseinheit. Ein damals in Gunst stehendes Material, Platin, wurde in recht
                              									mangelhafter metallurgischer Darstellung der Stoff für diese beiden Träger der
                              									Grundeinheiten des metrischen Systems, und so blieb es denn auch länger als ½
                              									Jahrhundert bei dieser ersten Näherung der Verkörperung der sogen. Natureinheiten
                              									durch ihre relativ unvollkommenen metallischen Repräsentanten.
                           In der Zwischenzeit machte aber das Maass- und Gewichtswesen und überhaupt die
                              									feinere Technik der physikalischen Messungen in Frankreich selber, sowie in den
                              									anderen Ländern, besonders auch in Deutschland, erhebliche Fortschritte; die Folge
                              									davon war, dass um die Zeit, wo das metrische System sich allmählich weiter
                              									auszubreiten begann und auch in Deutschland die Frageerwogen wurde, ob man nicht
                              									dazu kommen würde, sich an dieses internationale Maass- und Gewichtssystem
                              									anzuschliessen, gerade bei den leitenden Fachmännern eine scharf ausgesprochene
                              									Abneigung gegen diesen Anschluss hervortrat, und zwar aus Gründen, die besonders
                              									energisch an die Arbeiten unseres Bessel anknüpften.
                              										Bessel hatte die Einheit des preussischen Maasses
                              									mit einer Solidität und einer kritischen Feinheit der Einrichtungen, wie sie damals
                              									einzig dastanden, neu begründet. Gauss und Bessel hatten alles Messen und Wägen durch Einführung
                              									der feinsten rechnerischen Ausgleichungstechnik zu höherer Vollkommenheit gebracht.
                              									Man war hierdurch besonders in Deutschland zu einem bedeutenden Fortschritt gelangt,
                              									welchem gegenüber dasjenige, was bei der Begründung des metrischen Systems zu Ende
                              									des vorigen Jahrhunderts geleistet war, sich relativ kindlich ausnahm.
                           Als nun in den 60er Jahren die Schaffung eines einheitlichen Maass- und
                              									Gewichtswesens in Deutschland immer dringender wurde, ergab sich gerade in Preussen
                              									auf Grund wissenschaftlicher Kritik der grösste Widerstand gegen das metrische
                              									System, ein Widerstand, der in der akademischen Wissenschaft fast bis in die neueste
                              									Zeit geherrscht hat. Indessen ist es doch zu der Einführung des metrischen Systems
                              									gekommen. Preussen nahm aus politischen Gründen von einer Durchsetzung seiner
                              									vorzüglich fundirten Längeneinheit Abstand, und man nahm schliesslich jenes
                              									internationale, consequent decimal gegliederte System trotz seiner Mängel an, nicht
                              									weil, sondern obgleich es jene Naturmaass-Illusionen enthielt.
                           Gleichzeitig aber wurde sofort bei der Einführung des metrischen Systems in
                              									Deutschland, schon bei den ersten Schritten, die geschahen, um dasselbe
                              									wissenschaftlich und technisch zu fundiren, der Grundgedanke unserer
                              									wissenschaftlichen Welt zum gehörigen Ausdrucke gebracht: dass das metrische System
                              									an Haupt und Gliedern reformirt werden müsse, dass insbesondere seine Prototype neu
                              									geschaffen werden müssten, und zwar mit Aufgebung des eingebildeten
                              									Naturmaass-Anschlusses, und dass auch die Handhabung der Prototype gründlich zu
                              									ändern sei. Es war die Parole für die Arbeiten der deutschen
                              									Normal-Aichungscommission, internationale Verhandlungen zu führen, vermöge deren
                              									allein das Ziel erreichbar war, neue Prototype und entsprechende neue Einrichtungen
                              									zu schaffen, vermöge deren eine gemeinsame Controle auch bei der Handhabung solcher
                              									neuen gemeinsamen Prototype zu erreichen wäre.
                           Inzwischen waren auch von internationalen wissenschaftlichen Gemeinschaften, die bei
                              									der grossen Frage betheiligt waren, Anfänge zu solchen Vereinbarungen gemacht
                              									worden. So hatte u.a. die von General Baeyer im J. 1864
                              									organisirte Mitteleuropäische Gradmessung bei ihrer zweiten Generalversammlung
                              									(1867) den Beschluss gefasst, dass das metrische System im Interesse der
                              									Gradmessungen fortan international und den strengsten Anforderungen der Wissenschaft
                              									entsprechend gehandhabt werden solle. Schon im August 1870 lud Frankreich zu einer
                              									internationalen wissenschaftlichen Versammlung ein. Der Krieg verursachte, dass man
                              									erst im J. 1872 in Paris zusammenkam; jedoch erst 3 Jahre nachher, nach vielen
                              									Schwierigkeiten und Nöthen, kam endlich am 20. Mai 1875 der sogen. „Pariser
                                 										Metervertrag“ zu Stande.
                           Es galt zunächst, neue Prototype von wesentlich vervollkommneter Einrichtung zu
                              									schaffen. Dies gelang im Zusammenwirken mit bedeutenden französischen Fachgenossen,
                              									unter denen besonders der Chemiker Henri Sainte-Claire
                                 										Deville zu nennen ist.
                           Nach 6 Jahren eifriger Arbeit wurden die neuen Prototype aus einer Legirung von 90
                              									Proc. Platin und 10 Proc. Iridium geschaffen. Diese Legirung hat eine sehr grosse
                              									Dichtigkeit, eine sehr grosse Elasticität und Festigkeit, eine sehr geringe
                              									Magnetisirbarkeit, einen relativ kleinen thermischen Ausdehnungscoefficienten, und
                              									sie nimmt eine sehr hohe, chemisch fast unversehrbare, Politur an. In Betracht ihrer
                              									ganzen molekularen Constitution verspricht sie nach allem, was die bedeutendsten
                              									Chemiker darüber ermittelt haben, die denkbar grösste Gewähr einer säcularen
                              									Beständigkeit der Structur und der Dimensionen. Im J. 1880 gelang es, diese ganze
                              									Arbeit, einschliesslich der Herstellung von 30 bis 40 sehr genauen Copien des
                              									Meter-Prototyps und von 40 Copien des Kilogramm-Prototyps, zum Abschlusse zu
                              									bringen. Diese Copien wurden dann als die legalen, nationalen Vertreter der
                              									internationalen Prototype an die einzelnen Culturstaaten vertheilt.
                           Bis zu diesem Zeitpunkte waren 20 Staaten dem Pariser Metervertrage beigetreten,
                              									darunter neben allen grösseren europäischen und amerikanischen Staaten auch Japan.
                              									Selbst Grossbritannien betheiligte sich an der neuen wissenschaftlichen
                              									Vervollkommnung des metrischen Systems, entnahm Prototype, die nachher durch die
                              									dortige Gesetzgebung für alle in der Präcisionstechnik Arbeitenden legalisirt
                              									wurden. So wurde im J. 1889 bei der ersten, fortan vertragsmässig alle 6 Jahre
                              									wiederkehrenden Generalconferenz die Gemeinschaft der Culturstaaten sich der
                              									Erreichung der „zweiten Näherung“ des metrischen Systems und der Begründung
                              									eines wirklich gemeinsamen Maass- und Gewichtssystems froh bewusst. Es wurde
                              									weiterhin beschlossen, dass eine der ferneren Aufgaben des internationalen
                              									Central-Bureaus, nämlich die periodische Nachprüfung der Copien der Prototype, schon
                              									im J. 1899 ihren Anfang nehmen solle. Und zwar soll diese periodische Controle mit
                              									den Kilogramm-Copien derartig beginnen, dass dieselben im J. 1899 sämmtlich wieder
                              									mit dem internationalen Prototyp des Kilogramms verglichen werden.
                           Die internationalen Prototype selber werden von dem Central-Bureau in Breteuil in
                              									festen Gewölben und eisernen Schränken aufbewahrt und zwar zugleich mit einigen
                              									sogen. témoins, nämlich mit gleichwertigen Copien oder
                              									Controlexemplaren. Unter diesen Begleitexemplaren des Prototyps des Meters ist auch
                              									eines, das in luftdichtem Verschluss aufbewahrt wird, um auch die unablässigen
                              									Wirkungen des Luftdruckes dadurch zu erkennen, dass dieser unter sehr geringem
                              									Luftdrucke aufbewahrte Meterstab von Zeit zu Zeit mit den anderen verglichen
                              									wird.
                           Es entsteht nun die Frage, welchen Grad von Sicherheit haben wir jetzt unter allen
                              									diesen wesentlich vervollkommneten Bedingungen für die Erhaltung dieser Grundlagen?
                              									Sollen wir nun die Idee des Anschlusses an natürliche Gebilde, an solche, die
                              									wenigstens nicht denselben Gesetzen der Veränderung unterliegen wie jene
                              									metallischen Prototyp-Gebilde, ganz aufgeben? Wir müssen doch sagen, dass die
                              									Wahrscheinlichkeit der absolutenUnveränderlichkeit auch bei diesen Prototypen aus
                              									Platin-Iridium gering ist, besonders bei dem Kilogramm, dem Vertreter der
                              									Masseneinheit. Es wird sich wahrscheinlich nur um die Stetigkeit und das Zeitmaass
                              									der Veränderlichkeit, d.h. um die gehörige Kleinheit und Bestimmbarkeit der
                              									letzteren in den nächsten Jahrzehnten und Jahrhunderten handeln.
                           Wir fangen zunächst an, die internationalen Prototype und ihre Copien, die nationalen
                              									Prototype, wiederholt unter einander zu vergleichen. Es könnte aber sehr wohl sein,
                              									dass Gebilde dieser Art, die auf einem und demselben Bearbeitungswege und aus
                              									denselben metallischen Componenten entstanden sind, mit der Zeit mittlere
                              									Veränderungen von sehr nahe übereinstimmender Art erfahren, so dass ihre sehr
                              									kleinen Unterschiede oder Gleichungen Jahrhunderte lang fast unverändert bleiben
                              									könnten, aber durch diese Beständigkeit doch keine Gewähr gegen grössere gemeinsame
                              									Veränderungen, wenn auch sehr langsamer Art, bieten würden. An der Bestimmbarkeit
                              									solcher langsamen Veränderungen der Maassund Gewichtseinheiten hätte aber die
                              									menschliche Gesellschaft doch sehr grosses Interesse. „Alles fliesst“, und
                              									wir suchen überall nach dem Beständigen in diesem ewigen Flusse der Dinge.
                           Die auf der Erdoberfläche gemessenen Abstände bestimmter fester Punkte können
                              									thatsächlich keine Bürgschaft für eine Unveränderlichkeit bieten, welche doch
                              									Vorbedingung für die Festsetzung ihrer Entfernung als Urmaass sein muss. Vielmehr
                              									bleibt anzunehmen, dass unablässig periodische und fortschreitende Aenderungen der
                              									Configuration aller Theile des Erdkörpers, insbesondere der Oberflächenschichten, in
                              									Folge zweifelloser Temperaturschwankungen und zweifelloser Aenderungen der Elemente
                              									der Drehungsbewegung der Erde bestehen. Auch der Anschluss an die Pendellängen,
                              									welcher bei der Begründung des metrischen Systems ebenfalls als Controlmittel ins
                              									Auge gefasst war, versagt seine Sicherheit gerade in Folge jener Veränderlichkeit
                              									der Bedingungen, unter denen die Drehung der Erde, welche uns das Zeitmaass auch für
                              									die Pendelschwingungen liefert, sich vollzieht. Um die Mitte des gegenwärtigen
                              									Jahrhunderts war der Gedanke aufgetaucht, ob nicht die Wellenlängen desjenigen
                              									Lichtes, welches von ganz bestimmten materiellen Configurationen unter ganz
                              									bestimmten Temperatur- und sonstigen Bedingungen ausgesendet wird, als Phänomen von
                              									ungewöhnlicher Beständigkeit der Dimensionen zu erachten und deshalb der Controle
                              									unserer Längeneinheiten dauernd zu Grunde zu legen seien. Bis in die neueste Zeit
                              									erschien jedoch der Gedanke, die Meterlänge mit solchen Wellenlängen zu vergleichen,
                              									als völlig utopisch, bis der nordamerikanische Physiker Michelson um 1889 diese Möglichkeit nachwies. Das internationale Comité
                              									erachtete es sofort als seine Aufgabe, gemeinsam mit diesem ausgezeichneten Physiker
                              									die Mittel und Kräfte des Internationalen Maass- und Gewichts-Instituts zu Breteuil
                              									bei Paris eine Zeitlang dieser Aufgabe zu widmen. Und so ist denn etwa 1894 in
                              									diesem Institut von Michelson und Benoit eine Bestimmung der Verhältnisszahlen ausgeführt
                              									worden, welche zwischen der Länge des metrischen Prototyps und den Wellenlängen von
                              									drei besonderen Lichtstrahlungen glühenden Kadmiumdampfes obwalten.
                           Die Lichtstrahlungen des Kadmiums hatten sich, unter zahllosen anderen, bei
                              									näherer Prüfung als die vorzugsweise und fast allein geeigneten für derartige
                              									Untersuchungen herausgestellt. Bekanntlich erfolgen die Lichtstrahlungen fast aller
                              									glühenden Gase zugleich in mehreren verschiedenen Schwingungsgeschwindigkeiten oder
                              									Wellenlängen, und diese verschiedenen Wellenlängen sind meistens durch grössere
                              									Intervalle, innerhalb deren von der Lichtquelle keine merkliche Strahlung
                              									ausgesendet wird, von einander getrennt. Dabei stellt sich jedoch heraus, dass auch
                              									die Strahlungen in den vereinzelten Wellenlängen fast immer noch aus Bündeln von
                              									solchen Strahlungen zusammengesetzt sind, die mit verschiedenen, wenngleich einander
                              									sehr nahe stehenden Wellenlängen vor sich gehen. Dies ergibt sich daraus, dass, wenn
                              									man die durch spectrale Zerstreuung oder durch Beugung bewirkte Zerlegung der
                              									Strahlungen steigert, auch solche Lichttöne, die in einer bestimmten Farbe einfache
                              									oder sozusagen reine Töne zu sein scheinen, sich als zusammengesetzt aus zwei oder
                              									mehreren einfachen, einander sehr nahe stehenden Tönen ergeben.
                           Diese Erscheinung und die Schwierigkeit, die daraus für die Messungen nach
                              									Wellenlängen hervorgeht, tritt sehr deutlich bei den Interferenzerscheinungen
                              									hervor, bei welchen man durch verschiedene Processe die auf einander folgenden
                              									Lichtwellen deutlich beobachten und zählen kann. Sobald die Anzahl dieser Wellen in
                              									die Zehntausende geht, werden jene feinen Unterschiede der nur nahezu gleichen
                              									Wellenlängen durch Voreilen oder Zurückbleiben der einen Wellenreihe vor der anderen
                              									immer deutlicher erkennbar. Bei Vorprüfungen letzterer Art fand man jedoch, dass die
                              									vorerwähnten drei Kadmiumstrahlungen sogar bei Lichtwegen von Hunderttausenden von
                              									Wellenlängen noch keine Verschiedenheit jener Art erkennen liessen. Diese drei
                              									Wellenlängen sind in der bekannten mikrometrischen Einheit von 1/1000 des
                              									Millimeters, auf die zweite Decimale abgerundet:
                           λ1 = 0,64
                           λ2 = 0,51
                           λ3 = 0,48.
                           Die Ergebnisse der Messungsreihen von Michelson und Benoît sind bei + 15° C. die folgenden:
                           1 m = 1553163,5 λ1
                           1 m = 1966249,7 λ2
                           1 m = 2083372,1 λ3
                           Die Einrichtungen, Methoden und Resultate dieser grossen Messungsarbeit im Einzelnen
                              									sind in dem XI. Bande der Travaux et Mémoires du Bureau
                                 										International des Poids et Mesures näher dargelegt. Die wesentliche Holle
                              									dabei spielen die optischen Interferenzerscheinungen, welche zuerst eingehender in
                              									den sogen. Newton'schen Ringen studirt wurden, sowie
                              									diejenigen Ortsveränderungen dieser Erscheinungen, welche eintreten, sobald man die
                              									minimalen Abstände der spiegelnden Flächen, die diese Interferenzen hervorrufen,
                              									langsam ändert und dabei die Anzahl der Vorübergänge der verschiedenen hellen und
                              									dunklen Phasen jener Interferenzerscheinungen an bestimmten Stellen eines
                              									Gesichtsfeldes zählt.
                           Die Genauigkeit, mit welcher die obigen Bestimmungen der Metereinheit in Wellenlängen
                              									erfolgt sind, lässt sich auf eine Fehlergrenze von etwa einer halben Wellenlänge,
                              									also wenigen Zehnteln der mikrometrischen Einheit (0,001 mm) schätzen. In nicht zu
                              									langer Frist werdenmit einigen Verbesserungen der Einrichtungen im Internationalen Maass- und
                              									Gewichts-Institute die Messungen wiederholt werden, und voraussichtlich wird man
                              									dann auch an anderen Stellen ähnliche Bestimmungen ausführen, so dass man mit
                              									Sicherheit erwarten kann, um die Wende des Jahrhunderts die Anzahl der Wellenlängen
                              									von ganz bestimmten Lichtquellen, welcher die Längeneinheit äquivalent ist, mit
                              									vollster Sicherheit bis auf Zehnmillionstel der Einheit sichergestellt zu sehen.
                              									Hiernach ist in der That eine säculare Controle für die Unveränderlichkeit der
                              									Längeneinheit mit derselben Genauigkeit, mit welcher man Metermaasse ersten Ranges
                              									unter einander vergleichen kann, gesichert; denn wenn man nach einigen Jahrzehnten
                              									und später vielleicht nach Jahrhunderten die in Platin-Iridium ausgeführten
                              									Prototype des Meters aufs Neue mit den Wellenlängen vergleicht, kann man die
                              									feinsten Aenderungen, welche diese metallischen Verkörperungen der Einheit erfahren
                              									könnten, bestimmen und in Rechnung stellen, allerdings unter der immerhin plausiblen
                              									Voraussetzung, dass die unter ganz präcisen Bedingungen bestimmten Wellenlängen
                              									gewisser Lichtquellen in den Jahrtausenden keine merkliche Veränderung erfahren.
                           Diese Einordnung der Wellenlängen des Lichtes in die Grundlagen des metrischen
                              									Systems hat aber auch sofort grosse Vortheile für das gesammte Gebiet der feinsten
                              									Messungen und auch für die künftige Erlangung natürlicher Controlbedingungen der
                              									Beständigkeit der metallischen Verkörperung der Masseneinheit unmittelbar eröffnet.
                              									Es ist zunächst möglich geworden, regelmässig geformte Körper, wie Würfel aus Glas
                              									u. dgl., durch optische Interferenzmessungen mit Hilfe der metrischen Werthe
                              									gewisser Wellenlängen nunmehr auch in cubisch-metrischem Maasse mit einer
                              									Genauigkeit auszudrücken, welche es endlich gestattet, durch Eintauchen solcher
                              									gläsernen Würfel in reinstes und dichtestes Wasser und durch Wägung des
                              									Gewichtsverlustes die Beziehungen zwischen der Masse eines Platin-Iridium-Kilogramms
                              									und der Masse des in einem Cubikdecimeter enthaltenen Wassers fast bis auf 1/1000000 der
                              									Masseneinheit zu ermitteln. Diese Arbeit ist im Laufe des letzten Jahres in dem
                              									Internationalen Maass- und Gewichts-Institut zum ersten Mal ausgeführt worden. Ihre
                              									Ergebnisse sind noch nicht als definitiv zu erachten, und Vervollständigungen sind
                              									vorbehalten; doch darf schon jetzt gesagt werden, dass man nun endlich mit einiger
                              									Sicherheit weiss, welches Verhältniss zwischen der Litereinheit, d.h. dem
                              									Raumgehalte: einer der Masse des Kilogramm-Prototypes äquivalenten Masse reinsten
                              									und dichtesten Wassers und andererseits dem auf der linearen Einheit aufgebauten
                              									Raumgehalte des Cubikdecimeters obwaltet. Die in den letzten Jahrzehnten auf diese
                              									Bestimmung gerichteten Untersuchungen hatten bereits wahrscheinlich gemacht, dass
                              									das Liter merklich grösser ist als ein Cubikdecimeter oder 1000 cc, während bei der
                              									Begründung des metrischen Systems die Identität der beiden Raumgehaltseinheiten
                              									angenommen und als eine der wesentlichen Grundlagen der metrischen Praxis in den
                              									Definitionen festgesetzt worden war. Unter anderem hatte Prof. Weinstein aus den aräometrischen Arbeiten der Kaiserl.
                              									Normal-Aichungs-Commission zu Berlin durch feine Capillaritätsuntersuchungen bereits
                              									gefolgert, dass das Liter um etwa 1/12000 seines Betrages grösser sei als 1000 cc,
                              									und Prof. Mendelejeff in St. Petersburg hatte
                              									neuerdings als das Resultat seiner bezüglichen Untersuchungen mitgetheilt, dass das
                              									Liter um etwa 1/6000 seines Betrages grösser sei als 1000 cc. Nach den vorläufigen
                              									Ergebnissen der auf Lichtwellenlängen beruhenden Messungen des Internationalen
                              									Instituts scheint das Liter in Wirklichkeit sehr nahe um 1/10000 seines
                              									Werthes grösser zu sein als 1000 cc. Es wird also vielleicht möglich sein, die erste
                              									Annäherung an die Bestimmung dieses Verhältnisses, welche am Ende des vorigen
                              									Jahrhunderts bei der Einführung des metrischen Systems darin bestanden hat, dass man
                              									das Liter gleich 1000 cc setzte und dadurch für viele Messungsaufgaben eine sehr
                              									grosse Vereinfachung herbeiführte, am Ende dieses Jahrhunderts durch eine zweite
                              									Annäherung abzulösen, bei welcher man diese Identität für die feinsten Messungen
                              									fallen lässt und dafür bis auf weiteres die Bestimmung einträgt: 1 l = 1000 cc (1 +
                              										1/10000) oder
                              									gleich 1 cbdm + 100 cbmm, während man bei allen Messungen in der gewöhnlichen
                              									Praxis, besonders in Handel und Verkehr, die erste Annäherung des metrischen Systems
                              									ohne Bedenken mit allen ihren Vorzügen bestehen lassen kann, da bei den gewöhnlichen
                              									Operationen schon die Unsicherheit der Temperatur und die Unmöglichkeit ihrer
                              									genauen Berücksichtigung eine feinere Angabe ganz illusorisch machen. Für zahlreiche
                              									genauere Maassbestimmungen der Technik und der Wissenschaft wird aber die neue
                              									Bestimmung von grossem Werthe sein, insbesondere auch für manche elektrotechnische
                              									Zwecke, bei denen man Fehler von 1/10000 der Einheiten nicht mehr vernachlässigen
                              									kann.
                           Die jetzt mit hoher Genauigkeit erlangte Kenntniss des metrischen Werthes der
                              									Lichtwellenlängen hat aber noch eine andere sehr wichtige Maassbestimmung
                              									ermöglicht, welche für die mikrometrische Praxis, z.B. im Gebiete der Optik, der
                              									Elektricität, überhaupt der Molekularphysik und auch der Biologie, von ähnlicher
                              									fundamentaler Bedeutung sein wird, wie die gemeinsame Festsetzung und Sicherung der
                              									Metereinheit für die makrometrische Praxis, nämlich die einheitliche Bestimmung der
                              									Millimetereinheit. Diese war bis jetzt aus der Meterlänge an verschiedenen Stellen
                              									auf dem gewöhnlichen Wege der Untersuchungen der Eintheilung eines Meters abgeleitet
                              									worden; aber wenn man die verschiedenen sogen. Normalmillimeter, welche an jenen,
                              									verschiedenen Stellen gefunden worden waren, direct unter einander verglich, ergaben
                              									sich sehr starke Unterschiede. Während die zu Grunde gelegten Meterlängen bis auf
                              										1/1000000
                              									ihres Werthes übereinstimmten, wichen die aus denselben gefundenen Millimeterlängen
                              									bis auf Tausendstel, in manchen Fällen bis auf mehrere Tausendstel ihres Werthes von
                              									einander ab, und zwar in völlig erklärlicher Weise dadurch, dass eben die
                              									gewöhnliche Operation des Ueberganges von einem Meter auf ein Millimeter eine sehr
                              									umständliche ist und Anlass zu sehr starker Anhäufung von Messungsfehlern gibt. Es
                              									ist nun gelungen, die Millimetereinheit und sogar die Länge von einem Centimeter auf
                              									dem umgekehrten Wege aufzubauen, nämlich sie durch einfache Zählungen von
                              									Wellenlängen der drei bei der fundamentalen Bestimmung des metrischen Werthes der
                              									Wellenlängen zu Grunde gelegten Lichtarten des Kadmium bis auf kleine Bruchtheile
                              									einer Wellenlänge, also etwabis auf ein oder zwei Hunderttausendstel des
                              									Millimeters in genauem metrischen Maasse auszudrücken, und zwar hat hierbei das sehr
                              									genau bestimmte Verhältniss der drei Wellenlängen zu einander eine ausserordentlich
                              									wesentliche Controle geliefert, so dass ein sehr hoher Grad von Zuverlässigkeit
                              									dieser Bestimmung erreicht ist. Zum Glück hat sich herausgestellt, dass das
                              									Normalmillimeter, welches bisher von dem Internationalen Institut auf dem
                              									gewöhnlichen Wege abgeleitet worden war, nahe bis auf 1/10000 seines Betrages richtig war, so
                              									dass in allen bisher darauf begründeten Angaben keine in Betracht der bezüglichen
                              									Genauigkeitsgrenzen irgend erhebliche Aenderung erforderlich ist.
                           Es ist nunmehr durch das optische Verfahren ein wahres Prototyp des Millimeters und
                              									des Centimeters geschaffen worden.
                           Da bereits früher nicht bloss von wissenschaftlicher Seite, sondern auch von Seiten
                              									der englischen Maass- und Gewichtsbehörde der dringende Wunsch ausgesprochen worden
                              									war, dass solche Normalwerthe der mikrometrischen Einheiten von dem Internationalen
                              									Institut in ähnlicher Weise verausgabt werden möchten wie die Prototype des Meters,
                              									so wird nunmehr in dieser Richtung vorgegangen werden. Es werden zur Zeit
                              									Normalscalen ausgegeben, welche 100 mm enthalten, und bei denen mindestens 10 mm so
                              									genau untersucht und an die Prototyplänge des Millimeters und des Centimeters so
                              									nahe angeschlossen sind, dass sie die Kenntniss dieser Einheiten für alle
                              									Mikrometermessungen nunmehr in übereinstimmender Weise sichern werden.
                           Für diese Verkörperung der mikrometrischen Einheiten war es nun aber von grosser
                              									Bedeutung, auch das geeignete Material zu besitzen. Ausser den
                              									Platin-Iridium-Scalen, welche sehr kostspielig sind, und deren Eintheilung auch
                              									gewisse Erschwernisse bietet, gab es bisher eigentlich kein vollkommen einwandfreies
                              									Material von einer genügenden Homogenität und Unveränderlichkeit der Oberfläche, um
                              									so feine Strichtheilungen andauernd für die genaueste Messung darzubieten.
                              									Insbesondere waren die bisher überwiegend für Auftragung von Feineintheilungen
                              									benutzten Silberlegirungen sehr schweren Uebelständen unterworfen. Die
                              									Verunreinigung der Fläche ging meistens besonders da, wo Gas gebrannt wurde,
                              									ausserordentlich rasch vor sich; die Striche konnten nicht die höchste erreichbare
                              									Feinheit haben, und ihre scheinbare Gestalt und Lage änderte sich nicht bloss bei
                              									jeder Reinigung der Fläche, sondern auch bei irgend erheblichen Veränderungen der
                              									Intensität und Richtung der Beleuchtung, und zwar um sehr erhebliche Beträge. Als
                              									Ergebniss vieler Bemühungen, welche auf die Herstellung geeigneter Metallflächen für
                              									jene feinen Zwecke gerichtet waren, hatte sich endlich herausgestellt, dass Flächen
                              									aus sehr reinem Nickel eine sehr hohe Politur annahmen und die Aufbringung, sehr
                              									feiner und regelmässiger Striche gestatteten. Schliesslich aber haben diese
                              									Untersuchungen noch eine Art von Legirungen mit Nickel als besonders geeignet nicht
                              									bloss in der vorerwähnten Beziehung, sondern auch hinsichtlich sonstiger wichtiger
                              									Eigenschaften erkennen lassen.
                           Schon seit längerer Zeit war das Internationale Institut vom Comité damit betraut
                              									worden, nicht bloss für die Mikrometerscalen, sondern auch für sonstige
                              									Messungszwecke nach Metallegirungen zu forschen, welche für gewisse Zweige der
                              									wissenschaftlichen und feinsten technischen Praxis, insbesondere auch für die
                              									Messtangen geodätischer Grundlinien, geeignet wären. Das Material der Prototype
                              									erschien hierfür viel zu kostspielig. Anfangs schien auch für solche Zwecke reines
                              									Nickel manche Vorzüge zu besitzen. Die weitere Prüfung der Nickel-Legirungen hat
                              									jedoch in dieser Richtung zu ganz unerwarteten, sehr wichtigen Ergebnissen
                              									geführt.
                           Es sind insbesondere die Nickel-Stahl-Legirungen, welche nunmehr in den Vordergrund
                              									des bezüglichen Interesses getreten sind. Schon der englische Forscher Hopkinson hatte gewisse Besonderheiten dieser
                              									Legirungen, unter anderen die Erscheinung aufgefunden, dass die thermischen
                              									Ausdehnungscoëfficienten gewisser Nickel-Stahl-Legirungen von dem
                              									Ausdehnungscoëfficienten der beiden Componenten Nickel und Stahl (Stahl 10,3
                              									Millionstel für 1 Centigrad und Nickel 12,5 Millionstel für 1 Centigrad) stark
                              									abwichen und sich demjenigen der Kupfer-Legirungen näherten. Bei den von dem
                              									Internationalen Institute unternommenen vollständigeren Untersuchungen fand Dr. Benoît das letztere bestätigt, und bei der Dr. Guillaume von ihm übertragenen weiteren Verfolgung der
                              									Sache entdeckte der letztere ein überaus merkwürdiges Verhalten der verschiedenen
                              									Nickel-Stahl-Legirungen hinsichtlich der Wärmeausdehnung. Mit zunehmendem
                              									Nickelgehalt steigt der Ausdehnungscoëfficient der Nickel-Stahl-Legirungen von 10,3
                              									bei reinem Stahl bis auf 17,5 bei 24 Proc. Nickel auf 76 Proc. Stahl, sinkt aber
                              									dann ziemlich schnell, wenn auch stetig, bis auf etwa 0,88 bei 35,7 Proc. Nickel
                              									herab, um von da an bei 44,4 Proc. Nickel wieder bis auf 8,5 zu steigen und bei 100
                              									Proc., also reinem Nickel, 12,5 zu erreichen. Einen ähnlichen, wenn auch nicht so
                              									starken Gang lässt die Dichtigkeit und die Elasticität der Legirungen erkennen, wie
                              									folgendes Täfelchen zeigt:
                           
                              
                                 Nickelgehalt
                                 Dichtigkeitbei 0°
                                 Elasticitäts-modul
                                 
                              
                                 0,0
                                 Proc.
                                 7,84
                                 22,0
                                 
                              
                                 24,0
                                 „
                                 8,06
                                 19,3
                                 
                              
                                 31,4
                                 „
                                 8,01
                                 15,5
                                 
                              
                                 35,7
                                 „
                                 8,10
                                 14,7
                                 
                              
                                 44,4
                                 „
                                 8,12
                                 16,4
                                 
                              
                                 100,0
                                 „
                                 8,85
                                 21,6
                                 
                              
                           Man sieht in der Columne der Dichtigkeiten, wenn man das Anwachsen der Dichtigkeit
                              									von 0 bis 100 Proc. berücksichtigt, dass offenbar eine Art von Minimum in der Nähe
                              									der Legirung von kleinster thermischer Ausdehnung stattfindet. Noch deutlicher tritt
                              									in den Werthen des Elasticitätsmoduls ein Minimum bei 35,7 Proc., also in der Nähe
                              									des Minimums des ersten Ausdehnungscoëfficienten ein.
                           Die Nickel-Stahl-Legirungen, insbesondere diejenigen mit der kleinsten thermischen
                              									Ausdehnung, nämlich mit einer Ausdehnung von kaum dem zehnten Theile der Ausdehnung
                              									des Platins und kaum dem zwölften Theile desjenigen des Eisens und des Stahls, bei
                              									der immer noch sehr ansehnlichen Elasticität und bei der Fähigkeit dieser Legirung,
                              									eine sehr befriedigende Politur anzunehmen und die Auftragung sehr feiner und
                              									regelmässiger Striche zu gestatten, werden eine ungemein hohe Bedeutung für viele
                              									wissenschaftliche und technische Anwendungen erlangen.
                           Von ausserordentlichem Interesse ist in den Untersuchungenvon Dr. Guillaume, die übrigens noch in der Fortsetzung
                              									begriffen sind, der Nachweis sehr merkwürdiger Beziehungen zwischen den magnetischen
                              									Eigenschaften der verschiedenen Nickel-Stahl-Legirungen und den Temperaturen und
                              									Ausdehnungscoëfficienten. Hier scheinen sich besonders tiefe Einblicke in die
                              									molekularen Zustände derartiger Systeme zu eröffnen. Der bei den Legirungen benutzte
                              									Stahl hat in sehr gleichmässiger Weise aus Eisen und wenigen Procenten Kohlenstoff
                              									und nur in einigen Fällen mit Beimischung von wenigen Procenten Chrom bestanden.
                              									Kleine Unterschiede der letzteren Beimischung sind von keiner relativ wesentlichen
                              									Bedeutung für die vorerwähnten Eigenschaften der verschiedenen Nickel-Stahle
                              									gewesen.
                           Es war von vornherein wahrscheinlich, dass so ungewöhnliche Abnormitäten des
                              									Verhaltens und des Verlaufes der thermischen Ausdehnung jener Legirungen mit einer
                              									gesteigerten Abhängigkeit der Dimensionen der bezüglichen Molekularsysteme von der
                              									Zeit verbunden sein würden, ganz ähnlich, wie es sich auch bei den neueren Arbeiten,
                              									insbesondere bei den in Jena gemachten Erfahrungen und Entdeckungen, hinsichtlich
                              									der thermischen Ausdehnung des Glases und der Abhängigkeit seiner Dimensionen von
                              									der Zeit herausgestellt hat, wobei ja auch ganz abnorme Werthe der
                              									Ausdehnungscoëfficienten gefunden worden sind.
                           Dr. Benoît und Dr. Guillaume haben auch sofort die merkwürdige Aehnlichkeit hervorgehoben,
                              									welche in dieser Beziehung zwischen dem Nickel-Stahl und dem Glase obwaltet.
                           Es werden also gerade die durch ihre geringe Ausdehnung wichtigsten
                              									Nickel-Stahl-Legirungen grosse Vorsicht in Betreff der im Verlaufe der Zeit
                              									eintretenden Veränderungen ihrer Dimensionen erfordern; doch scheint es nach den
                              									bereits auch hierauf gerichteten Untersuchungen von Dr. Guillaume, als ob man durch eine geeignete Folge von Wiedererhitzungen und
                              									Abkühlungen auch für jene Uebelstände bis auf sehr kleine Restbeträge allmählicher
                              									Nachwirkungen Abhilfe schaffen wird, so dass die allmählichen Veränderungen alsdann
                              									für 1 m im Laufe einiger Monate nur wenige Tausendstel des Millimeters betragen
                              									können.
                           Nachtheile des aussergewöhnlichen Verhaltens der Nickel-Stahl-Legirungen gegen
                              									Temperaturänderungen bestehen darin, dass diese Beziehungen zur Temperatur nicht im
                              									strengsten Sinne „umkehrbar“ sind, dass nämlich die Dimensionsänderungen,
                              									welche bei diesen Legirungen durch die Temperaturänderungen hervorgebracht werden,
                              									bei der Rückkehr zu einer und derselben Temperatur nicht geschlossen in sich
                              									zurückkehren. Ein Maasstab aus einer solchen Legirung hat bei einer und derselben
                              									Temperatur verschiedene Längen, je nachdem er diese Temperatur durch unmittelbar
                              									vorhergehende Abkühlung oder Erwärmung erreicht hat, und je nach der Dauer und
                              									Stärke derselben. In gewissem Grade beherrscht dieses Gesetz der sogen.
                              										„Nachwirkungen“ die ganze Körperwelt. Diejenigen Gebilde, welche
                              									demselben am wenigsten unterworfen sind, so dass für unsere feinsten Messungen
                              									bisher bei nicht allzu grossen Temperaturschwankungen keine Spur davon
                              									hervorgetreten ist, sind die geeignetsten Träger der so beständig als möglich
                              									festzulegenden Einheiten, und das Platin-Iridium besitzt jene edle Eigenschaft
                              									in besonderer Weise. Die Legirungen bis zu 25 Proc. Nickel haben hinsichtlich der
                              									Abhängigkeit ihrer Dimensionen von den Nachwirkungen ihrer vorangegangenen
                              									Schicksale die ungünstigsten Eigenschaften; dagegen sind die Legirungen mit
                              									Nickelgehalt zwischen 25 und 40 Proc., zu denen die von der unmittelbaren
                              									Temperatureinwirkung unabhängigsten gehören, viel weniger als jene den Nachwirkungen
                              									unterworfen, zumal wenn man durch eine besondere Reihenfolge von Erwärmungs- und
                              									Abkühlungsprocessen das Spiel, ihrer inneren Molekularänderungen sozusagen stetig
                              									beweglicher macht.
                           Beispielsweise wird folgende Bilanz zwischen Nachtheilen und Vortheilen als eine sehr
                              									günstige bezeichnet werden können. Bei den feinsten Grundlinienmessungen der
                              									Geodäten, z.B. mit Messtangen aus Eisen, bestand bisher die Genauigkeitsgrenze
                              									wesentlich in der Schwierigkeit, die genaue Temperatur der Messtangen bei den
                              									Messungen im Freien zu kennen. Wollte man z.B. eine Grundlinie von 10 km Länge bis
                              									auf 1 cm, also bis auf 1/1000000 ihrer Länge, kennen, so gehörte dazu,
                              									abgesehen von der Berücksichtigung anderer Fehlerquellen, eine Kenntniss der
                              									Temperatur, welche die Messtangen bei der Messung hatten, bis auf das Zehntel des
                              									Centigrades.
                           Mit Messtangen aus dem wenigst ausdehnbaren Nickel-Stahl wird man die Erleichterung
                              									geniessen, die Temperatur nur auf 1 bis 2 ganze Centigrade kennen zu müssen. Dafür
                              									hätte man dann nur in den Kauf zu nehmen, dass die Länge der Messtangen noch
                              									Nachwirkungen unterliegt, die möglicher Weise während eines Monats 1/1000000 der
                              									Länge erreichen. Aber die Berücksichtigung dieser Fehlerquelle könnte fast
                              									vollständig durch sorgfältige, am Anfang und am Ende des Monats ausgeführte
                              									Vergleichungen der Stangen mit Prototypen und durch rechnerische Einführung ihres
                              									zeitlichen Verlaufes in der Reduction der Messungen gesichert werden.
                           Nicht bloss bei Längenmessungen, sondern auch bei zahlreichen technischen Anwendungen
                              									werden die Vorzüge der Nickel-Stahl-Legirungen grosse Bedeutung gewinnen. Ein
                              									besonderes Gebiet vortheilhaftester Anwendung derselben wird die Zeitmessung bilden.
                              									Sowohl Pendeluhren als Chronometer und Taschenuhren werden durch den eigenartigen
                              									Verlauf der Ausdehnung der Legirungen dieser Art für ihre Compensationsaufgaben
                              									jedenfalls erhöhte Sicherung gewinnen.