| Titel: | Allgemeine Fragen der Technik. | 
| Autor: | P. K. von Engelmeyer | 
| Fundstelle: | Band 313, Jahrgang 1899, S. 18 | 
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                        Allgemeine Fragen der Technik.
                        Von Ingenieur P. K. von
                                 									Engelmeyer, Moskau.
                        (Fortsetzung von Bd. 312 S. 145.)
                        Allgemeine Fragen der Technik.
                        
                     
                        
                           Dreiakt als Grundlage des Unterrichts.
                           Um mit Erfolg eine Thätigkeit zu lehren, verfährt man folgendermassen: man zerlegt
                              									diese Thätigkeit in ihre Bestandteile und lehrt jedes Element einzeln. Will man z.B.
                              									schwimmen lehren, so fängt man mit den koordinierten Bewegungen der Arme und Beine
                              									an. Lehrt man fechten, so fängt man an mit der Position, der Auslage und den
                              									elementaren Bewegungen der Waffe.
                           Was das Maschinenentwerfen anbetrifft, so fängt der Unterricht auch hier mit den
                              									Elementen an: erst lehrt man Linearzeichnen, Mathematik, Physik, Chemie, Mechanik
                              									u.s.w., dann die Konstruktion der allgemein angenommenen Details und endlich die
                              									ganze Maschine; die Schule kann sich mit Recht rühmen, durch den Unterricht grosse
                              									Resultate erzielt zu haben – weitklingende Namen von Ingenieuren und Konstrukteuren
                              									bestätigen dies. Die Schule kann sich jedoch nicht rühmen, das Höchste erreicht zu
                              									haben; sie kann nicht behaupten, dass der Unterricht des Maschinenentwerfens nicht
                              									vervollkommnungsfähig wäre, dass sie aus der Menge der Schüler nicht noch eine
                              									grössere Zahl guter Konstrukteure heranbilden könne, dass sie mit gewissen Fächern
                              									nicht zu viel Zeit verliere, dass sie nichts Notwendiges unterlasse, dass die
                              									Unterrichtsmethoden schon die allerzweckmässigsten seien, dass sie gerade die
                              									richtigen Fähigkeiten ausbilde und auf die beste Weise übe, dass die entlassenen
                              									Schüler gerade das richtige Wissen und Können und im erforderlichen Masse
                              									besitzen.
                           Um wenigstens eine Gewissheit zu haben, dass nichts Wesentliches unterlassen worden,
                              									um mit Sicherheit den Unterricht in den verschiedenen erforderlichen Zweigen
                              									festzustellen, ist die psychologische Analyse des Prozesses, den wir
                              										„Maschinenentwerfen“ nennen, unbedingt notwendig. Wenn diese Analyse
                              									gemacht ist und wenn sie Resultate liefert, die für alle überzeugend, zweifellos und
                              									deshalb notwendig sind, erst dann verhält sich der Unterricht zu der Aufgabe nicht
                              									mehr tastend, sondern bewusst; erst dann lässt sich beim Unterricht mit Recht sagen:
                              									diese Fächer sind nötig und jene sind unnötig.
                           Ich habe den Versuch einer solchen Analyse gemacht (D. p.
                                 										J. 1899 312 146). Es erweist sich, dass der
                              									ganze Prozess des Maschinenentwerfens in drei einzelne Akte zerfällt. Diese
                              									Einteilung erleichtert beträchtlich die weitere Analyse der einfachsten
                              									psychologischen Elemente. Jetzt will ich noch kurz angeben, wie man den Dreiakt zu
                              									einer eingehenden Analyse und zur Lösung einzelner Fragen benutzen kann. Hierzu
                              									halte ich es für nötig, das schon früher Gesagte zu rekapitulieren.
                           Jedes Entwerfen muss immer mit dem Erfinden anfangen und fängt auch wirklich damit
                              									an. Der schöpferische Akt eröffnet den Zug.
                           Der erste Akt, der Akt des Erfindens, fängt an, sobald sich das reine Schaffen
                              									einstellt, und verläuft ausschliesslich im Kopfe des Erfinders.
                           Das Gedächtnis und die konstruierende Einbildungskraft sind die Faktoren des ersten
                              									Aktes. Fachkenntnisse, technologisches Wissen sind hier nur im Allgemeinen nötig: im
                              									Sinne des wahren Verständnisses der Natur, der möglichen Arbeitsprozesse, nur als
                              									Schutzmittel, um nicht in mechanische Irrtümer zu verfallen. Zeichnen können
                              									leistet aber schon im ersten Akte wichtige Dienste. Obgleich der ganze Akt in der
                              									Einbildungskraft vor sich geht, obgleich Papier und Bleistift eher hindern als
                              									helfen, so muss und soll der Erfinder seine Maschine doch zeichnen, sobald er nur
                              									ihre Hauptteile klar unterscheidet. Dies ist noch kein Risszeichnen, sondern nur
                              									einfaches Skizzieren. Sind erst die zeitlichen Vorgänge der Maschine und einige
                              									körperliche Teile derselben so weit klar geworden, dass sie auf dem Papier
                              									dargestellt werden können, so beginnt der zweite Akt.
                           Der zweite Akt, der wissenschaftliche Akt, hat die Aufgabe, das ganze Schema der
                              									Maschine auszuarbeiten. Dies geschieht dadurch, dass die Aufgabe der Bewegungen
                              									gelöst wird. Die Aufmerksamkeit des Konstrukteurs richtet sich hier nicht so sehr
                              									auf die Form der künftigen Maschine als auf ihre Bewegungen. Das Gelingen des
                              									zweiten Aktes hängt davon ab, inwieweit die Einbildungskraft des Konstrukteurs die
                              									Bewegungen im allgemeinen reproduziert und über welchen Vorrat von verschiedenen
                              									Bewegungsformen er verfügt. Das Gelingen hängt also von der Stärke der
                              									Einbildungskraft, vom Gedächtnis, von der kinematischen Schulung und dem Vorrat an
                              									faktischen Kenntnissen ab. Wenn wir eine Maschine im Auge behalten, so sehen wir,
                              									dass hier vorzugsweise „kinematische“ Kenntnisse erforderlich sind. Dehnen
                              									wir jedoch den Fall des Entwerfens weiter aus, so sehen wir, dass im zweiten Akt
                              									möglicherweise die Technologie und Naturkunde in ihrem ganzen Umfange nötig sind,
                              									ebenso wie die mathematischen Wissenschaften. Wo lässt sich hier die Grenze des
                              									Unterrichts ziehen? Die Lösung dieser Frage hängt in jedem einzelnen Falle davon ab,
                              									welche Arten Entwerfen wir lehren wollen: das Entwerfen von Maschinen, chemischen
                              									Apparaten, Brücken, Gebäuden oder Schiffen u.s.w., sowie auch davon, ob wir die
                              									Möglichkeit bieten wollen, irgend etwas Originelles hervorzubringen, neue Typen
                              									hervorzurufen, oder im Gegenteil bei dem schon Bestehenden zu beharren. Diese
                              									Forderungen bestimmen die Einteilung der Schulen in höhere, mittlere oder niedere,
                              									ebenso wie auch den Umfang der Lehrfächer.
                           Nur eine Wissenschaft, und zwar die Theorie der
                              									Mechanismen oder die „Kinematik“, wie Reuleaux
                              									sie nennt, ist für den zweiten Akt gerade wie geschaffen. Die Aufgabe dieser
                              									Wissenschaft besteht nach der Definition von Reuleaux
                              									darin, die Möglichkeit zu bieten, von den gegebenen Bewegungen zu den Mechanismen
                              									überzugehen. Man kann leider nicht behaupten, dass diese Wissenschaft im
                              									zeitgenössischen Unterrichte schon ausreichend berücksichtigt werde.
                           Und wenn wir zur Rechtfertigung hierfür auf ihren noch unfertigen Zustand verweisen,
                              									so liegt das Unrecht doch nur darin, dass man ihr nicht die Bedeutung beilegt, die
                              									sie für das Entwerfen hat, und man sich deshalb noch zu wenig mit ihr befasst. Das
                              									ist sehr zu bedauern, denn je mehr sie ausgearbeitet wird, desto weniger Mathematik
                              									wird in den Schulen verlangt werden. Selbstverständlich habe ich das Entwerfen von
                              									Maschinen im Auge. In der That wird die Kinematik, je mehr sie vom induktiven (beschreibenden oder
                              									klassifizierenden) Stadium zum deduktiven übergeht, das Auffinden der Mechanismen
                              									nach gegebenen Bewegungen erleichtern. Dieses Auffinden wird viel leichter und
                              									einfacher sein als mit Hilfe der Mathematik (denn wozu diente denn sonst die ganze
                              									Kinematik?).
                           Von anderen Fächern, welche den zweiten Akt erleichtern, ist einfaches Zeichnen und
                              									Risszeichnen zu erwähnen. Ihre Bedeutung ist dieselbe wie für den ersten Akt, mit
                              									dem Unterschiede, dass ihre Rolle hier viel bedeutender ist, weil der zweite Akt auf
                              									dem Papiere ausgeführt wird, obgleich dies auch viel mehr einfaches Zeichnen als
                              									Risszeichnen ist.
                           Was die Hilfsbücher für den zweiten Akt betrifft, so müssen sie wie das bekannte Buch
                              									von Brown
                              									„507 Bewegungsmechanismen“ beschaffen sein, d. i. die einzelnen Mechanismen
                              									nicht konstruktiv, sondern schematisch darstellen und beschreiben.
                           Gehen wir zum dritten Akte über! Gegeben sind die Achsen, die Längen und die Kräfte.
                              									Es bleibt also nichts mehr übrig, als danach die Details zu gestalten. Fertige
                              									Modelle der erforderlichen Details in endloser Verschiedenheit findet man in den
                              									zahlreichen Handbüchern der Konstruktionslehre. Genügt uns dies nicht, so geben uns
                              									einfache Berechnungen, worin fast nur Elementarmathematik vorkommt, die Lösung der
                              									Aufgabe. Das Material zur Auswahl ist umfänglich, viel grösser als in den anderen
                              									Akten. Dafür sind aber auch die Bedingungen, welche die Auswahl begrenzen, viel
                              									zahlreicher; denn jetzt treten, wie wir wissen, alle Bedingungen der Praxis in
                              									Kraft. Auch hier kommt die Selbsttätigkeit des Konstrukteurs, d.h. das schaffende Element, ins Spiel, obgleich es sich hier,
                              									gerade beim Entwerfen der Einzelstücke, fast ganz hinter der bewussten Arbeit
                              									versteckt.
                           An die wissenschaftlichen Kenntnisse stellt der dritte Akt sehr bescheidene
                              									Forderungen: elementare Mathematik, wenig Mechanik, einige Kenntnis der
                              									Festigkeitslehre. Aber dafür muss man in Hilfsbüchern Bescheid wissen; auch kann man
                              									unmöglich Details gut konstruieren, wenn man den Maschinenbau nicht praktisch kennt,
                              									wenn man nicht selbst in Maschinenwerkstätten gearbeitet hat. Hier tritt endlich
                              									auch das Zeichnen in sein volles Recht.
                           Einzelne Fragen lassen sich mit Hilfe der gewonnenen Erkenntnis des Dreiaktes leicht
                              									lösen. Es handelt sich z.B. darum, die Beziehungen eines einzelnen Faches, z.B. der
                              									darstellenden Geometrie, zum Maschinenentwerfen zu erklären. Die „darstellende
                                 										Geometrie“ bezweckt, um mich kurz auszudrücken, dem Mangel der dritten
                              									Ausdehnung des zu den graphischen Darstellungen verwendeten Papiers abzuhelfen.
                              									Musterrisse, welche nach den Regeln der darstellenden Geometrie entworfen werden,
                              									sind nicht nur einfache Zeichnungen, und zu ihrem Verständnis ist die Beteiligung
                              									der Einbildungskraft unentbehrlich. Da der Raum der drei Ausdehnungen auf dem Papier
                              									durch nicht weniger als zwei Projektionen dargestellt wird, so konstruiert die
                              									Einbildungskraft die Vorstellung des Gegenstandes nach diesen Projektionen. Die
                              										„darstellende Geometrie“ hat also erstens eine Bedeutung im Sinne der
                              									Entwickelung der konstruktiven Einbildungskraft. So soll sie auch hingestellt werden
                              									und nicht nur im Sinne der einfachen Lösung der Aufgaben mit Hilfe von automatisch
                              									erworbenen Regeln. Ausserdem gewährt die „darstellende Geometrie“ das Mittel,
                              									mit Hilfe des Papiers Raumverhältnisse, wirkliche Grössen u.s.w. genau zu bestimmen.
                              									Diese beiden Eigentümlichkeiten der „darstellenden Geometrie“ sind sehr
                              									wertvoll beim Maschinenentwerfen. Die konstruktive Einbildungskraft spielt in allen
                              									drei Akten die Rolle einer inneren Kraft, die alle Teile aneinanderreiht und ein
                              									Ganzes bildet. Da ausserdem jede Maschine schon im Stillstande drei Ausdehnungen und
                              									das Papier nur zwei Ausdehnungen hat, so ist es klar, dass Genauigkeit in der
                              									Darstellung des ganzen Schemas, sowie Genauigkeit der Details der Maschine nur durch
                              									die „darstellende Geometrie“ erzielt werden können. Wir ersehen aus dem
                              									angeführten Beispiele, dass es gar nicht schwer ist, die Beziehungen irgend eines
                              									Unterrichtsfaches zum Maschinenentwerfen klar darzulegen.
                           Zum Schluss verweilen wir noch etwas bei jener inneren schaffenden Kraft, die in
                              									allen drei Akten des Schaffens thätig ist. Im ersten Akte erscheint ganz
                              									unzweifelhaft die schöpferische Kraft im stärksten Masse, im zweiten und dritten
                              									Akte wird ihre Rolle schwächer und durch bewusste geistige Arbeit, durch die
                              									Reflexion maskiert. Mir scheint es, dass wir uns den Täuschungen dieser Maske zu
                              									sehr unterworfen haben; wir erkennen zu sehr diese geistig bewusste Arbeit an, indem
                              									wir das Schaffen ignorieren oder nicht beachten, das sich dahinter versteckt. Wir
                              									haben uns beim Unterricht zu sehr auf die Wissenschaften, besonders die Mathematik,
                              									geworfen, wir verachten zu sehr, was man beim Entwerfen Initiative, Originalität,
                              									Geschmack oder mit einem Worte Erfindungsgeist oder schöpferischen Geist nennt.
                              									Hiermit will ich nicht sagen, dass wir das Schaffen unterschätzen, im Gegenteil ist
                              									es eines grossen Lobes würdig, wenn man Originalität im Projekte wahrnimmt. Aber es
                              									zeigt sich, dass wir uns zu sehr daran gewöhnt haben, das Schöpfungsvermögen als
                              									eine nicht anzutastende Naturgabe zu betrachten. Die psychologische Analyse lehrt
                              									aber, dass dieses Vermögen, wie jedes andere, geübt und geformt werden kann.
                           
                        
                           Dreiakt in den anderen technischen Leistungen.
                           Ob der Techniker ein neues körperliches Erzeugnis oder ein Arbeitsverfahren fertigt,
                              									er schreitet dreiaktig vor, um das ihm vorschwebende Ziel zu erreichen. Es werden
                              									zwar Erfindungen, wie Entdeckungen, mitunter auch durch reinen Zufall gemacht (Glas,
                              									Schiesspulver, Porzellan, Saccharin); dies sind aber die seltensten Fälle, wo der
                              									technische Geist, an einer zufälligen Beobachtung stehen bleibend, eine praktische
                              									Verwertung derselben durch Einfall erschaut. Im Durchschnittsfalle aber geht er von
                              									der, letzteren aus. Als Zufall in der Erfindung und Entdeckung bezeichnet man
                              									überhaupt nichts anderes als das unerwartete Zusammentreffen eines schöpferischen
                              									Geistes mit einer Erscheinung, die auf den Geist eine Art Auslösung ausübt.
                           Allenfalls muss der Neubildung ein technischer Effekt innewohnen, damit sie zu den
                              									Erfindungen zähle. Der erste Akt stellt den Effekt vor den Geist des Erfinders als
                              									eine Idee, die in der Kunst der Intention und in der Wissenschaft der Hypothese
                              									entspricht. Der Unerfahrene glaubt zuweilen: ich habe eine neue Idee, das ist die
                              									Hauptsache, das übrige kommt von selbst. Vor diesem Fehler kann nicht genug gewarnt
                              									werden! Denn der schöpferische Phantasiesprung bringt den Menschen allenfalls nur in
                              									das Reich des Fraglichen und Möglichen, dessen Beweis noch aussteht.
                           Der zweite Akt bringt die Beweisführung. Das Werk ist noch nicht vollbracht, die
                              									Erfindung noch nicht da, vorläufig ist nur ein Schema vorhanden, ein ausführlicher
                              									Plan, ein Schema, ein Modell. Aber die Ausführbarkeit ist bewiesen, die Erfindung
                              									eindeutig definiert und kann jetzt in der Weise beschrieben werden, dass die
                              									sachliche Ausführung derselben von einem Sachverständigen ohne weitere schöpferische
                              									Thätigkeit, sondern lediglich durch konstruktive Gewandtheit erfolgen kann.
                           War der erste Akt Sache der schöpferischen Phantasie, der zweite Sache des wissenden
                              									Denkens, so fällt der dritte Akt in den Bereich der Geschicklichkeit, der Routine
                              									und des Gewerbes.
                           Nunmehr lassen wir eine Reihe Beispiele folgen.
                           Bessemer-Verfahren. Henry Bessemer veröffentlichte im
                              										„Engineering“ (1897) die
                              									Entstehungsgeschichte seiner genialen Erfindung. Er stellte sich die Aufgabe,
                              									geschmolzenes Roheisen direkt zu entkohlen, woraus die Absicht entstand, die
                              									Entkohlung durch direktes Hineinblasen von Luft zu erzielen (erster Akt). Damit war
                              									aber keineswegs seine Erfindung gemacht, denn nur die experimentelle Erforschung
                              									konnte entscheiden, ob die Luft den Kohlenstoff entsprechend energischer als das
                              									Eisen oxydieren würde? Ob die Luft nicht vorher vorgewärmt werden sollte? In welcher
                              									Weise die Kontrolle über das Verfahren zu bewerkstelligen sei? Im zweiten Akt wurden
                              									alle Fragen in der allgemein bekannten Weise gelöst und das Bessemer-Verfahren
                              									begründet. Die industriellen Ausführungen sind Ergebnisse des dritten Aktes.
                           
                           Die Aufgabe, in schwimmendem Gebirge Schächte
                                 										abzuteufen, führte mindestens zu zwei Dreiakten: der Idee von Poetsch (D. R. P. Nr. 25025), im Gebirge rings um den
                              									zu führenden Schacht eine Eiswand zu bilden, und der von Wagner (D. R. P. Nr. 34942), eine Betonmauer herzustellen (erster Akt).
                              									Das Poetsch'sche Verfahren verzweigt sich im zweiten
                              									Akte in seine verschiedenen Abänderungen, entsprechend der Anwendung des Verfahrens
                              									zum Vortreiben von Strecken oder Tunnels, zum Fundieren von Pfeilern in stehendem
                              									Wasser u.s.w. Ein jedes dieser Schemata erscheint in der Praxis wieder in
                              									verschiedener Ausführungsform (dritter Akt).
                           Wasserheben. Dieser Aufgabe entsprechen fünf Ideen
                              									(erste Akte): a) Heben vermittelst direkten Schöpfens, b) vermittelst
                              									Kolbenbewegung, c) vermittelst Zentrifugalkraft und d) vermittelst der Trägheit des
                              									fliessenden Wassers selbst (hydraulischer Widder), e) vermittelst direkten
                              									Dampfdrucks (Pulsometer). Die zweite Idee allein hat sich schon mehrfach verzweigt.
                              									Das einfachste Schema (zweiter Akt), welches ihr entspricht, ist die uralte, einfach
                              									wirkende Pumpe mit zwei Ventilen, von denen eines am Saugerohr, das andere am
                              									Druckrohr angebracht ist. Eine Abänderung (ein anderes Schema) entsteht schon, wenn
                              									das eine Ventil in den Kolben versetzt ist. Sodann: die einfache Verdoppelung gibt
                              									das Schema der Feuerspritze; die Verdoppelung mit Verschmelzung beider Cylinder in
                              									einen mit Stopfbüchse gibt das Schema aller doppeltwirkenden Pumpen. Ausserdem wurde
                              									noch der Kolben als langer massiver Cylinder geformt und die Packung an den Rand des
                              									Stiefels versetzt und endlich die Packung vermittelst einer am Stiefelrand und
                              									Kolben befestigten Membran geformt. Es thut kaum noch der Erwähnung not, dass jedes
                              									dieser Schemata, Erzeugnisse des zweiten Aktes, zu sehr verschiedenen dritten Akten
                              									geführt hat, als zahllose Konstruktionen in Erscheinung tretend.
                           Kongorot. Die als Farbstoffe so wertvollen
                              									Benzolderivate waren bereits bekannt. Man wusste ferner, dass die
                              									Tetrazodiphenylsalze mit α- oder β-Naphtylamin, auch mit deren Sulfosäuren die Azofarben
                              									geben, welche die Wolle und die Seide ohne Beize, Baumwolle jedoch mit Beize
                              									färbten. Die Aufgabe verfolgend, Baumwolle ohne Beize mit derartigen Stoffen zu
                              									färben, wurde Bötticher veranlasst (erster Akt), die
                              									Azoverbindungen weiter zu untersuchen. Diese Forschung führte ihn zur Entdeckung
                              									jener Verbindung, welche den industriellen Namen „Kongorot“ führt. Diese Entdeckung war zugleich Erfindung, weil sie seine
                              									technische Aufgabe löste (zweiter Akt). Seither bleibt noch ein Feld für den
                              									chemischen Konstrukteur übrig (dritter Akt), da die Auswechselung einiger
                              									Ingredienzien durch ihre Homologen und Isomeren den technischen Effekt (Färben der
                              									Baumwolle ohne Beize in Rot) nicht beeinflusst. Diese Aenderungen bedingen jedoch
                              									nicht mehr neue Erfindungen, keine neuen Farbstoffe.
                           Cerealien-Entschälen. Eine der diesbezüglichen Ideen
                              									lautet nach D. R. P. Nr. 20825: „Das Verfahren, Cerealien dadurch zu entschälen,
                                 										dass man dieselben mit pulverartigen oder körnigen, harten Substanzen vermischt
                                 										und einer anhaltenden Durcharbeitung oder Bewegung unterwirft.“ Diesem
                              									ersten Akte entspricht sodann ein zweiter, der die allgemeine Anordnung der
                              									Teile und die Aufeinanderfolge der Manipulationen angibt. Später finden wir aber
                              									eine Vervollkommnung derselben Idee: es stellte sich nämlich der Nachteil heraus,
                              									dass der dem Getreide beigemischte Sand sehr schwer wieder zu entfernen war. Diesen
                              									Uebelstand zu beseitigen, war eine technische Aufgabe für sich, deren Lösung sich in
                              									einem selbständigen Dreiakt entfaltete. Jedoch verhält sich die neue Erfindung zu
                              									der früheren lediglich wie zwei verschiedene zweite Akte zu einem ersten. (Dieses
                              									Verhältnis macht sich besonders geltend in patentrechtlicher Beziehung, davon
                              									später.) So entstand folgendes Verfahren (D. R. P. Nr. 50584): „Verfahren zum
                                 										Entschälen von Cerealien in der Weise, dass letztere mit magnetischen Spänen
                                 										gemischt und durchgearbeitet werden, worauf die Späne aus dem Gemisch durch
                                 										Magnetismus ausgezogen werden.“
                           Mannesmann-Röhren. Formuliert man die Idee dieses
                              									Verfahrens als „Herstellung von Röhren aus massiven Stäben durch
                                 										schraubenförmiges Walzen“, so wird sofort klar, dass die Gebrüder Mannesmann solch eine sonderbare Idee nicht im
                              									Lehnstuhle sitzend empfangen haben konnten, dass dieselbe vielmehr nur in der
                              									Werkstatt ein scharfer, kritischer Blick finden konnte (erster Akt), durch Zufall
                              									geleitet. (Das Element des Zufalls spielt bei jeder Erfindung immer eine und dieselbe Rolle,
                              									nämlich er bringt einen schöpferischen Geist zusammen mit einer entsprechenden
                              									Naturerscheinung.) Jene Idee wurde ausgearbeitet (zweiter und dritter Akt), und
                              									zwar, wie man jetzt allgemein weiss, durch mehrjährige sorgfältige fabrikmässige
                              									Versuche, die ein ganzes Vermögen gekostet haben. Das Verfahren selbst ist zu sehr
                              									bekannt, als dass hier näher darauf eingegangen werden sollte. Auch würden wir hier
                              									nichts anderes als einen Dreiakt entdecken können, wie sich jeder leicht überzeugen
                              									kann.
                           Stearinkerzen. Goethe hielt es für der Mühe wert, in der
                              									Zeit der Talglichter den Vers niederzuschreiben:
                           
                              „Wüsste nicht, was sie Besseres erfinden könnten,
                              
                           
                              Als wenn die Lichter ohne Putzen brennten.“
                              
                           Er formulierte damit ein technisches Problem, dessen Lösung
                              									nun seit 60 Jahren in den de Milly'schen Stearinkerzen
                              									vorliegt. Die Eigentümlichkeiten der Stearinsäure als Brennmaterial lassen die
                              									Anwendung eines dünnen baumwollenen, dicht geflochtenen, mit Borsäure getränkten
                              									Dochtes zu, welcher sich beim Brennen krümmt und dadurch von selbst abbrennt. Die
                              									Erzielung dieses Resultates verrät aber unzweifelhaft eine lange Reihe eingehender
                              									Laboratorium versuche (erster und zweiter Akt).
                           Zündspänchen. D. R. P. Nr. 68957. Die schwedischen
                              									Zündhölzer bestanden schon. Da wurde ein neuer technischer Effekt dadurch erzielt,
                              									dass man statt Holz – Holzstoffpappe für die Verfertigung des Zündkörpers
                              									verwendete. Erstens wird dadurch die Möglichkeit erschlossen, Zündzeug aus niederen
                              									Holzsorten zu fertigen; zweitens ist das Tragen in der Tasche erleichtert. Hier
                              									liegt offenbar der Schwerpunkt der ganzen Erfindung gleich im ersten Akte, d.h. in
                              									der Idee selbst der Anwendung von Pappe statt Holz, denn die Möglichkeit dieser
                              									Anwendung war keinem Zweifel unterworfen.
                           
                              
                                 (Fortsetzung folgt.)