| Titel: | Grundlagen zur Fluglehre. | 
| Autor: | F. Heinz | 
| Fundstelle: | Band 313, Jahrgang 1899, S. 29 | 
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                        Grundlagen zur Fluglehre.
                        Von F.
                                 								Heinz-Sarajevo.
                        Grundlagen zur Fluglehre.
                        
                     
                        
                           Es ist bis jetzt nicht gelungen, über zwei mechanische Vorgänge beim Vogelfluge
                              									einwandfreie Erklärungen zu geben: über den Segelflug der Vögel beim regungslosen
                              									Schwingen und über die Bedeutung der Elastizität beim Schwingenflug.
                           Zur Erklärung des Segelfluges verdienen der Versuch von Prof. Wellner und der Versuch von Bazin wohl die
                              									grösste Beachtung.
                           Der Prof. Wellner'sche Versuch wird in der Beilage zu
                              									Heft 10 der Zeitschrift für Luftschiffahrt vom Jahre
                              									1893 vom genannten Professor wie folgt beschrieben:
                           
                              „Eine Tragfläche (gewölbt) wurde auf vier 1 m langen Drähten derart wie eine
                                 										Schaukel frei in der Luft aufgehängt, dass sie hin und her pendelnd in
                                 										horizontaler Lage zu verbleiben gezwungen war (siehe Stirnansicht Fig. 1 und das Seitenbild Fig. 2). Dieses Parallelogrammgehänge wurde am Spielberge in Brunn
                                 										dem Winde ausgesetzt und zeigte die auffallende Erscheinung, dass die gewölbte
                                 										Fläche gegen den Wind vorwärts und bei
                                 										hinreichender Windstärke, sobald die Auftriebskraft das Eigengewicht der Fläche
                                 										überwiegt, vorwärts hinaufzieht, wie es die
                                 										punktierte Stellung und der Bogenpfeil in der Fig.
                                    											2 andeuten.“
                              
                           Dass die durch den Prof. Wellner'schen Versuch
                              									konstatierte Erscheinung und die Erscheinung des Segelfluges auf gleicher Ursache
                              									beruhen, wird wohl keinem Zweifel unterliegen, und wenn die Ursache des Wellner'schen Versuchsergebnisses gefunden ist, dann
                              									dürfte damit gleichzeitig auch das Problem des Segelfluges als gelöst
                              									erscheinen.
                           Vor allem steht fest, dass die Elastizität nicht als die gesuchte Ursache
                              									angesehen werden kann, wie die Buttenstedt'sche
                              									Spannungstheorie annimmt, da ja die Versuchsfläche im Wellner'schen Experiment keine Elastizität besass.
                           Prof. Wellner selbst bezeichnet als Ursache der
                              									Erscheinung seines Versuchs die parabolische Krümmung der
                                 										Tragfläche, welche nach vorn zu eine schärfere, nach rückwärts eine
                              									flachere Wölbung besitzt, derzufolge die resultierende
                              									Richtung des Luftdruckes sich im Sinne gegen den
                              									Windstrich vorneigt.
                           Bazin hat nun ebenfalls, aber einen anderen Versuch zur
                              									Erklärung der Erscheinung des Segelfluges vorgenommen, und wenn daher Prof. Wellness Ansicht über die Ursache der
                              									Segelflugerscheinung richtig ist, so muss dieselbe Ursache sich auch aus dem Bazin'schen Versuch ergeben.
                           Dieser Bazin'sche Versuch wird in dem Werke: „Zur
                                 										Mechanik des Vogelfluges vom Jahre 1896“ von Dr. Fr.
                                 										Ahlborn, wie folgt beschrieben:
                           
                              „Eine Kugel rollt auf einer den bekannten russischen Bergbahnen (montagnes russes)
                                 										oder Rutschbahnen nachgebildeten Einrichtung einen Abhang hinunter und auf den
                                 										folgenden Hang wieder empor, ohne natürlich den Abgangspunkt wieder zu
                                 										erreichen. Nun aber erteilt man der ganzen Unterlage, auf welcher die Kugel
                                 										rollt, einen der Kugelbewegung entgegengesetzten starken
                                    											Stoss, so dass die Kugel infolge ihrer Trägheit nicht nur auf die anfängliche Höhe gelangt, sondern sogar bis auf und über
                                    											den nahen Gipfelpunkt kommt.
                              
                           
                              Die Kugel stellt einen Vogel dar, der seine durch Sinkenerlangte lebendige
                                 										Kraft zum Aufgleiten benutzt und in dem Augenblicke, wo diese verbraucht ist,
                                 										jedesmal einen plötzlichen Windstoss erhält, der ihn höher hebt.“
                              
                           In dem Bazin'schen Versuch war also keine parabolisch
                              									gekrümmte Fläche und keine nach vorn geneigte Richtung der Resultierenden des
                              									Luftdruckes erforderlich, um einen Körper, nämlich die Kugel, der Richtung des gegen
                              									dieselbe geführten Stosses entgegen zu bewegen; wir haben es im Bazin'schen Versuch somit mit einer ganz anderen
                              									Bewegungsursache zu thun, als mit jener, die Prof. Wellner zur Erklärung der durch seinen Versuch konstatierten Erscheinung
                              									bezeichnet hat, und diese Bewegungsursache ist, wie schon aus obigem hervorgeht, die
                              										Trägheit.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 313, S. 29
                              Fig. 1.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 313, S. 29
                              Fig. 2.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 313, S. 29
                              Fig. 3.
                              
                           Wirkt eine Kraft auf einen Körper, so bildet sich, wie die Mechanik lehrt, in diesem
                              									Körper ein Widerstand, der gleich und entgegengesetzt der Kraft ist; man sagt daher,
                              									Aktion gleich Reaktion; die Grösse dieses Widerstandes und die Grösse einer Kraft
                              									werden in kg angegeben.
                           Wenn daher der Bazin'schen Versuchsvorrichtung ein der
                              									Kugelbewegung entgegengesetzter Stoss erteilt wird, so wird in der Kugel ein
                              									Widerstand wachgerufen, der der Kraft des Stosses an Grösse gleich, in der Richtung
                              									aber entgegengesetzt ist, und dieser bewirkt, dass die Kugel die Höhe ihres
                              									Abgangspunktes wieder erreicht oder noch übersteigt.
                           Darin sind wohl alle einig, dass die Kugel im Bazin'schen Versuch durch den Stoss einen Bewegungsimpuls erhält, der auf
                              									keiner anderen Ursache beruht, als auf dem Gesetze der Trägheit, gleichwohl wird
                              									sich aber kaum einer finden, der die Trägheit als eine bewegende Kraft betrachten
                              									wird, trotzdem ihre Wirkung eine so unverkennbare ist.
                           Vielleicht ist daran der Name „Trägheit“ schuld, der ein absolut unthätiges
                              									Verhalten bezeichnet, während durch diese Eigenschaft in dem Bazin sehen Versuch doch ganz offenbar ein thätiges Verhalten in die
                              									Erscheinung tritt, aber eine Art von Thätigkeit, die erst durch eine Kraft geweckt
                              									werden muss, eine Gegenthätigkeit, weshalb es sich empfehlen würde, überall dort, wo
                              									mit Hilfe der Trägheit Bewegung erzeugt wird, wie im Bazin'schen Versuche, die Trägheit als „Reaktivkraft“ zu bezeichnen.
                           Untersuchen wir nun, ob diese Reaktivkraft etwa auch in dem Prof. Wellner'schen Versuch zur Wirksamkeit gelangt, von
                              									Prof. Wellner aber nicht in Rücksicht gezogen worden
                              									ist.
                           Die gewölbte Fläche war horizontal gestellt, und es wirkte ein Schrägaufwärtswind
                              									gegen dieselbe. Der Stoss des Windes gegen die Fläche ab erfolgte also in schräger Richtung cd,
                              									zerlegte sich demzufolge in die wirksame Komponente ce
                              									und in die unwirksame Komponente cf. Der Stoss cd weckte die Reaktivkraft cg, welche sich, da sie ebenfalls die Fläche schiefwinklig gegen den Wind
                              									presst, in zwei Komponenten zerlegt, in die Komponente ci, welche die Fläche gegen den Wind presst und in die Komponente ch.
                           Auf die Fläche ab (Fig.
                                 									3) wirkt also bei Schrägaufwärtswind die Komponente ch der Reaktivkraft, welche die Fläche ebenso gegen den Wind bewegen muss,
                              									wie sie im Bazin'schen Versuche die Kugel bewegt
                              									hat.
                           Danach darf also als Ursache zur Erklärung der Fortbewegung der Fläche gegen den Wind
                              									im Prof. Wellner'schen. Versuche die Reaktivkraft bezeichnet werden und damit ist
                              									gleichzeitig auch das Segelflugproblem in der Hauptsache gelöst.
                           Diese Reaktivkraft wird beim Segelflug nicht bloss bei stossweisem Wind
                              									(Windpulsationen, Windintermittenzen) geweckt, sondern sie ist stets vorhanden, so
                              									lange der Vogel sich gegen ruhige Luft, oder der Wind gegen den Vogel bewegt; in
                              									allen diesen Fällen stossen die Luftmoleküle gegen die Flugflächen und wecken
                              									Rückstösse des Flugkörpers, d.h. seine Reaktivkraft.
                           Die Bedeutung der Elastizität beim Schwingenflug soll bei einer späteren Gelegenheit
                              									besprochen werden.