| Titel: | Deutsche Lentz-Dichtung. | 
| Autor: | K. Merk | 
| Fundstelle: | Band 319, Jahrgang 1904, S. 139 | 
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                        Deutsche Lentz-Dichtung.
                        Von Ingenieur K. Merk,
                           								Leipzig.
                        Deutsche Lentz-Dichtung.
                        
                     
                        
                           Im dreissigsten Heft vorigen Jahrganges finden sich Mitteilungen über ein oft
                              									unterschätztes, in der Tat jedoch hochwichtiges Maschinenteil, das sich manchmal im
                              									Betriebe unliebsame Beachtung erzwingt. Unter besonderer Berücksichtigung der Schwabe-Stopfbüchse wird daselbstdie
                              									Dichtungsfrage behandelt, die nicht allein für den Dampfmaschinenbauer, insbesondere
                              									bei Verwendung von Heissdampf oder giftigen Dämpfen, sondern auch für die
                              									Gasmotoren-, Pumpen-, Turbinen- und Pressenkonstrukteure grosse Wichtigkeit
                              									besitzt.
                           
                           Bei dieser Gelegenheit ist dreier Grundbedingungen für Stangenabdichtungen
                              									Erwähnung getan, die Schwabe zur Beseitigung der
                              									bekannten Mängel für notwendig erachtet, wobei es wörtlich heisst:
                           
                              „Abhilfe kann nur dadurch geschaffen werden, dass
                              
                           
                              1) der radiale Druck auf die Kolbenstange fast gänzlich
                                 										aufgehoben wird,
                              2) die aneinander reibenden Flächen Hochglanzpolitur bekommen
                                 										und
                              3) dass dieselben grösstmögliche Härte besitzen“.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 319, S. 140
                              Fig. 1. Deutsche Lenz-Dichtung für Schieberstangen (wagerechte
                                 										Anordnung).
                              
                           Die Berechtigung dieser Forderungen Schwades wird vom
                              									modernen Maschinenbau unumwunden zugegeben. Freilich wird Schwabe mit seiner Erfindung den aufgestellten Bedingungen nicht voll und
                              									ganz gerecht, wiewohl er ihnen mit seiner Lösung näher wie mancher andere gerückt
                              									ist. Nichtsdestoweniger besteht eine solche, alle vorgeschriebenen Punkte erfüllende
                              									Konstruktion in der von Lentz erfundenen
                              									Metalldichtung, welche von der Maschinenbau-A.-G. vorm. Ph.
                                 										Swiderski in Leipzig-Plagwitz unter dem Namen „Deutsche Lentz-Dichtung“ auf den Markt gebracht
                              									wird.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 319, S. 140
                              Fig. 2. Deutsche Lentz-Dichtung für Kolbenstangen (wagerechte
                                 										Anordnung).
                              
                           Mit Schwabe verbindet Lentz
                              									das gemeinschaftlicheStreben, den üblichen Packungs-Stopfbüchsen auf den Leib
                              									zu rücken. Denn diese haben das gleiche nachteilige Merkmal, dass sie durch
                              									Anpressen irgend eines Packungsmaterials an die abzudichtende Stange dichthalten
                              									sollen. Es wird also auf alle Fälle Reibung und Abnutzung verursacht – unter
                              									dampfverzehrendem Kraftverbrauch, der mit Kohlen und Geld beglichen werden muss.
                           Demgegenüber fehlt bei der „Deutschen Lentz
                                 										Dichtung“ selbst bei den grössten Dampfspannungen und höchsten
                              									Dampfüberhitzungen jegliche Anpressung irgend eines Packungsmaterials und es
                              									entfällt daher jegliches Erneuern von solchem Packungsmaterial, ein günstiger
                              									Umstand für den Betrieb, der Zeit und Geld spart.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 319, S. 140
                              Fig. 3. Deutsche Lentz-Dichtung für Kolbenstangen (senkrechte
                                 										Anordnung).
                              
                           Wie aus den beigefügten Figuren hervorgeht, stellt die Lentzsche Erfindung eine Metalldichtung dar, welche je nach dem Dampfdruck
                              									aus mehreren, einteiligen Dichtungsringen gebildet wird, die auf die abzudichtende
                              									Stange auf geschliffen sind. Diese Ringe legen sich mit sauber bearbeiteten,
                              									seitlichen Dichtungsflächen in festsitzende Hohlräume ein und sind in diesen radial
                              									nach allen Seiten frei beweglich. Sie können also allen seitlichen Bewegungen der
                              									Stange ungehindert folgen. Ein Druck der im übrigen leichten Ringe gegen die Stange
                              									ist fast gänzlich ausgeschlossen. Die Stange wird vielmehr von den Ringen so gut wie
                              									reibungsfrei umschlossen und jedes Klemmen ist unmöglich. Die Stange wird deshalb
                              									nicht riefig, nutzt sich nicht ab und bleibt stets spiegelblank.
                           Beide Erfinder suchen die erste Grundbedingung dadurch zu erfüllen, dass sie
                              									Dichtungsringe aus Metall in besonderen Kammerringen lagern, so dass die ersteren
                              									nicht durch einen Druck der Brille von aussen her beeinflusst werden können. Dadurch
                              									wird auch noch die Betriebssicherheit vom Wärter unabhängig gemacht. Während nun Lentz seine Dichtungsringe einteilig hält, teilt sie
                              										Schwabe in mehrere Segmentstücke und legt um die
                              									äussere Peripherie der zusammengefügten Ringe Spiralfedern herum. Durch die
                              									Anwendung der Federn wird es aber nicht wohl möglich, den radialen Druck auf die
                              									Kolbenstange hintanzuhalten; zum mindesten ist man von der peinlichen Sorgfalt der
                              									Werkstättenausführung und des Zusammenbaues von sachkundiger Hand ungemein abhängig.
                              									Dagegen besitzt die Lentzsche Konstruktion unter
                              									Anwendung einfacher, einteiliger Ringe neben dem Vorzug der verblüffenden
                              									Einfachheit den grundsätzlichen Vorteil, dass keinerlei Druck auf die Kolbenstange
                              									ausgeübt wird, zumal die Ringe ganz leicht gehalten werden. Dazu kommt bei Lentz die grössere Betriebssicherheit, weil er jeden
                              									Elastizitätsfaktor aus seiner Konstruktion ausschliesst, während Schwabe Spiralfedern anwendet, die unter den
                              									Hitzeeinwirkungen, insbesondere bei Heissdampfmaschinen, mit der Zeit an Elastizität
                              									einbüssen.
                           Die zweite und dritte Grundbedingung erfüllen beide Erfinder in gleicher Weise durch
                              									Auswahl eines besonderen Materials von geeigneter Härte, das die Fähigkeit besitzt,
                              									Hochglanzpolitur anzunehmen; glücklicherweise trifft dies bei dem im Maschinenbau
                              									allenthalben verwendeten, billig zu beschaffenden Gusseisen zu. Ist es doch eine
                              									bekannte Erscheinung, dass die Lauffläche eines im Betriebe gewesenen Dampfzylinders
                              									eine spiegelblanke, ausserordentlich harte Oberfläche mit gelblichangelaufener
                              									Oxydschicht annimmt, ein Vorgang molekularer Natur, der noch der Aufklärung
                              									harrt.
                           Die Bauart und Wirkungsweise der Lentz-Dichtung
                              									gestaltet sich verschieden, je nachdem man wie bei Schieberstangen (Fig. 1) gegen gleichbleibenden Druck oder wie bei
                              									Kolbenstangen (Fig. 2 u. 3) gegen veränderlichen Druck abdichtet. Im ersteren Falle haben wir eine
                              									besondere Art von Drossel-Labyrinthwirkung, während sich im letzteren in der
                              									Dichtung ein eigenartiger Dampfvorgang abspielt. Die Wirkungsweise der Lentzschen Kolbenstangendichtung beruht auf einem
                              
                              									analogen Expansionsvorgang des Dampfes in den Dichtungskammern wie im Dampfzylinder,
                              									jedoch mit zeitlicher Phasenverschiebung infolge der Querschnittsverhältnisse. Es
                              									findet daher während der Expansionsperiode im Zylinder ein Rückströmen des Dampfes
                              									aus den Dichtungskammern statt. Denn der während der Füllungs- oder Volldruckperiode
                              									in die eingeordneten Expansionskammern der Dichtung übergetretene Dampf wird eine
                              									höhere Spannung besitzen als der entspannte Dampf im Zylinder am Ende der Expansion,
                              									und das Druckgefälle von den Ringräumen nach dem Zylinder hin bedingt ein
                              									Rückströmen des Dampfes.