| Titel: | Die neue Brücke zwischen New York und Brooklyn. | 
| Autor: | Georg v. Hanffstengel | 
| Fundstelle: | Band 319, Jahrgang 1904, S. 146 | 
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                        Die neue Brücke zwischen New
                              									York und Brooklyn.
                        [Die neue Brücke zwischen New York und Brooklyn.]
                        
                     
                        
                           Am 19. Dezember 1903 ist die zweite Brücke zwischen New York und Brooklyn dem
                              									Verkehr übergeben worden. Die alte Brücke, welche die untere Stadt, das
                              									Hauptgeschäftsviertel, mit Brooklyn verbindet, genügte schon lange nicht mehr für
                              									den Verkehr, der in den Morgen- und Abendstunden ins Riesenhafte schwillt und nur
                              
                              
                              									durch unmittelbare Aufeinanderfolge der aufs äusserste überfüllten Züge und
                              									Strassenbahnwagen noch eben und mit sehr wenig Bequemlichkeit für die Passagiere
                              									bewältigt werden kann. Die neue Brücke, nach dem Stadtteil von Brooklyn, in dem sie
                              									mündet, die Williamsburger Brücke genannt, führt weiter oben über den East River und
                              									bildet ein Glied in der Kette von Unternehmungen, welche die bisherigen
                              									Verkehrsmittel von New York entlasten oder, besser gesagt, zu entlasten versuchen
                              									sollen, denn Kenner der Verhältnisse behaupten, dass es nach Fertigstellung aller
                              									Brücken und Untergrundbahnen ebenso schwer sein wird, einen Sitz zu bekommen, wie
                              									jetzt.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 319, S. 145
                              Fig. 1. Die Williamsburger Brücke.
                              
                           Die neue Brücke, ebenfalls als Hängebrücke gebaut, ist bedeutend schwerer und für
                              									stärkeren Verkehr eingerichtet als die alte. An Schönheit kann sie sich nicht mit
                              									dieser messen, hauptsächlich wegen der grossen Höhe der Versteifungsträger, die dem
                              									ganzen Bauwerk einen schwerfälligen Anstrich geben. Während bei der alten Brücke
                              									jeder Beschauer ohne weiteres einen richtigen Eindruck von der Kräfteverteilung und
                              									dem Zweck der einzelnen Glieder bekommt, ist hier der Laie geneigt, den
                              									Versteifungsträger für das tragende Glied zu halten und dem Kabel nur untergeordnete
                              									Bedeutung beizumessen. Dazu kommt, dass die Form des Trägers nicht glücklich gewählt
                              									ist. Man hat von weitem den Eindruck, als sei die Brücke an den Türmen nach unten
                              									eingeknickt. Endlich machen die hier verwandten eisernen Tragpfeiler nicht den
                              									imposanten Eindruck wie die Steintürme der alten Brücke. Wie weit dem entwerfenden
                              									Ingenier, Seffert H. Buck, diese Schönheitsfehler zum
                              									Vorwurf angerechnet werden dürfen, ist schwer zu sagen, zumal die Wahl des
                              									Brückensystems durch die Gesetzgebung entschieden war und eine andere Form, die sich
                              									den Verhältnissen vielleicht besser hätte anpassen lassen, nicht in Frage gezogen
                              									werden konnte. Die Brücke bleibt immerhin eines der gewaltigsten Bauwerke unserer
                              									Zeit.
                           An Hand der Figuren 1 und 2 mögen einige kurzeAngaben über die Brücke folgen. Fig. 1 ist dem „Technologist“, Mitteilungen des deutsch-amerikanischen
                              									Technikerverbandes, vom Januar 1904, Fig. 2 sowie
                              									der grösste Teil der folgenden Daten dem Engineering
                                 										News vom 17. Dezember 1903 entnommen.
                           Neben der Anwendung von eisernen Pfeilern anstatt gemauerter Türme besteht der
                              									Hauptunterschied zwischen der alten und der neuen Brücke darin, dass bei dieser die
                              									Kabel nur über der mittleren Oeffnung direkt belastet sind, während über den
                              									Seitenöffnungen der Versteifungsträger als Hauptträger durchläuft. Einen Vergleich
                              									der Dimensionen ermöglicht in sehr anschaulicher Weise Fig. 2, welche die Querschnitte der beiden Brücken zur Hälfte wiedergibt.
                              									Die neue Brücke hat zwei Fusswege von je 3,2 m, zwei Fahrradwege von je 2,1 m und
                              									zwei Fahrstrassen von je 6 m Breite, ausserdem zwei Hochbahn- und vier
                           Strassenbahngeleise. Dienutzbare Breite ist fast doppelt so gross als die der alten
                              									Brücke. Die Spannweite der Mittelöffnung beträgt 488 m von Mitte zu Mitte Pfeiler,
                              									1,5 m mehr als bei jener. Der Durchmesser der Kabel beträgt 473 gegen 397 mm, das an
                              									den Kabeln hängende tote Gewicht der Mittelöffnung rund 12400 gegen 6100 t. An
                              									Stelle der sechs Versteifungsträger der alten Brücke sind hier nur zwei angewandt,
                              									woraus sich die beträchtliche Höhe erklärt, die ausserdem durch die Ueberspannung
                              									der Seitenöffnungen bedingt wurde.
                           Zur Legung der Kabel war zunächst, nachdem die Pfeiler errichtet und die
                              									Seitenöffnungen überspannt waren, eine temporäre Hängebrücke herzustellen, die sich
                              									der Kurve des herzustellenden Kabels anschloss. Die Drähte wurden von einem Ende zum
                              									andern gezogen mit Hilfe einer Drahtseilbahn, die zwei Rollen trug. Ueber jede Rolle
                              									wurde an den Enden der Brücke ein Draht gelegt, dessen Ende an seinem richtigen
                              									Platze befestigt war, so dass die in Bewegung gesetzten Rollen von jeder Seite zwei
                              									Drähte nach dem anderen Ende hinüberführten. Die Drähte wurden zu Litzen vereinigt
                              									und diese endlich, nachdem sie sorgfältig in ihre richtige Lage gebracht waren, zu
                              									einem kreisförmigen Kabel zusammengeklammert, das darauf mit einer Schutzhülle
                              									versehen wurde. Es sind vier Kabel vorhanden, deren jedes 7696 Drähte von rund 4,9
                              									mm Durchmesser enthält.
                           Der Bau der Brücke hat vom Beginn der Gründungsarbeiten an etwa 8 Jahre in Anspruch
                              									genommen. Das Legen der Kabel dauerte 9 Monate. Die Gesamtkosten sollen sich,
                              									abgesehen vom Grunderwerb, auf 46000000 M. belaufen.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 319, S. 146
                              Fig. 2. Halber Querschnitt der alten Brücke.
                              
                           Gegenwärtig wird an einer weiteren Brücke gearbeitet, über deren Bauart ein heftiger
                              									Kampf tobte. Der städtische Brückenkommissar, Gustav
                                 										Lindenthal,bestand auf Anwendung einer Kette aus Nickelstahl, während
                              									die Mehrzahl der Techniker sich für eine Kabelbrücke erklärte. Wahrscheinlich wird
                              									die letztere Bauweise endgültig gewählt werden. Die Gründungsarbeiten sind bereits
                              									im Gange.
                           New York, Januar 1904.
                           
                              Georg v.
                                    											Hanffstengel.