| Titel: | Die Vauclusischen Quellen und die Wasserversorgung der Städte. | 
| Fundstelle: | Band 319, Jahrgang 1904, S. 194 | 
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                        Die Vauclusischen Quellen und die
                           								Wasserversorgung der Städte.
                        Die Vauclusischen Quellen und die Wasserversorgung der
                           								Städte.
                        
                     
                        
                           
                              
                              1. Die Vauclusischen Quellen.
                              
                           Noch vor kurzer Zeit hielt man für das Ideal der Wasserversorgung einer Stadt die
                              									möglichst „einheitliche“ Versorgung mit Quellwasser, das mittels natürlicher
                              									Gravitation, also ziemlich kostenlos, in die Stadt geleitet werden konnte.
                           Man sah sich zu diesem Zwecke in der Umgebung der Städte, gewöhnlich in den höheren
                              									Lagen nach „Quellen“ um, deren Gefälle brauchbar wäre, um in die Stadt
                              									geleitet zu werden und nannte diese Quellen: „Hochquellen“.
                           Grössere Städte forschten selbst in bedeutender Entfernung, am Rande der Gebirgszüge
                              									nach möglichst grossen Quellen, welche die Mühe der Fassung und langen Zuleitung
                              									lohnten, um die Städte mit „Quellwasser zu versorgen.
                           Man bezeichnete mit Quellen alles, was nur da „quoll“, ohne sich um die nähere
                              									Herkunft dieser Quellen zu kümmern und dachte so die Städte mit
                              										„Hochquellwasser“ am besten versorgt.
                           Die Erfahrungen der letzten Jahre haben jedoch in diesen Anschauungen eine grosse
                              									Wandlung geschaffen. Bei der Errichtung der grossen, kostspieligen Wasserleitungen
                              									in den meisten grösseren Städten in der letzten Zeit ist man von der richtigen
                              									Ansicht ausgegangen, dass durch die immer fortschreitende, engere Verbauung der
                              									Städte deren Untergrund durch Abwässer und Verunreinigungen bereits so infiziert
                              									ist, dass das Grundwasser der Städte zu jedem menschlichen Gebrauche völlig
                              									unbrauchbar geworden ist. Die Fortschritte der Wissenschaft in bezug auf die
                              									kleinsten Lebewesen, die Bazillen, und besonders der krankheitserregenden pathogenen
                              									Arten derselben, haben die Bevölkerung der Städte in einen heilsamen Schreck
                              									versetzt und dazu bewogen, selbst die Aufwendung grosser Mittel nicht zu scheuen, um
                              									die Städte mit ausreichenden Wasserleitungen zu versorgen. Grosse Mittel wurden auch
                              									angewendet und gigantische Bauwerke geschaffen, welche sich getrost ähnlichen
                              									grossartigen Bauwerken der alten Römer an die Seite stellen könnten. So leitete Wien
                              									sein Wasser vom Fusse der Hochalpen, Paris von den Pyrenäen her, indem die dortigen
                              										„Hochquellen“ gefasst und in die Städte geleitet wurden. Beschleunigend
                              									wirkte auf die Errichtung der grossen Hochquellenwasserleitungen vorzüglich das
                              									Gespenst des Typhus, indem man der sicheren Ueberzeugung war, dass durch die
                              									Errichtung von Wasserleitungen und die Zuleitung von einwandfreiem Wasser aus so
                              									weiter Ferne der Typhus für alle Zeit gebannt sein werde. Allein in dieser Beziehung
                              									gab man sich einer grossen Täuschung hin, wie die letzten Typhusepidemien einiger
                              									Städte des Kontinentes, besonders die grosse Typhusepidemie in Paris, bewies.Es
                              									zeigte sich nämlich, dass in einigen Städten des Kontinentes durch die Anlage von
                              									Wasserleitungen die Typhusgefahr nicht nur nicht beseitigt, sondern derselben im
                              									Gegenteil grosser Vorschub geleistet wurde. Dies bewog namhafte Gelehrte und
                              									Sachkundige, sich mit der Provenienz der Quellen näher zu beschäftigen und
                              									gründliche Untersuchungen über dieselben anzustellen. Wir verdanken Licht in dieser
                              									Sache vorzüglich den grundlegenden Arbeiten des französischen Forschers Daubrée, der in seinem grossen Werke: „Les eaux
                                 										souteraines“ uns hochinteressante Aufschlüsse über die Arten und
                              									Eigenschaften der unterirdischen Wässer gegeben hat.
                           Hand in Hand gingen auch in letzter Zeit die Untersuchungen über das Wesen, die
                              									Fortpflanzungsfähigkeit und die Virulenz der Bazillen, besonders der so gefürchteten
                              									Typhus- und Cholerabazillen. Besonders die Untersuchungen eines Robert Koch haben in letzter Zeit überraschende
                              									Ergebnisse in dieser Richtung zu Tage gefördert. Geologische und hydrologische
                              									Untersuchungen und Forschungen haben dieselben gefördert und die Ergebnisse der
                              									Bohrtechnik und Mechanik der letzten Jahre haben die Untersuchungen und Forschungen
                              									derart unterstützt, dass wir heute bereits zu einem abschliessenden Urteil über das
                              									Wesen und die Arten der Quellen gelangen können, welches alle bisherigen Rätsel löst
                              									und alle Unklarheiten auf diesem Gebiete vollkommen beseitigt.
                           Ich will es versuchen, dieses Urteil, soweit es bisher auf positive Tatsachen
                              									gestützt werden kann, möglichst zusammenzufassen und besonders eine der wichtigsten
                              									Arten der Quellen, das sind die „Vauclusischen Quellen“, näher zu
                              									beleuchten.
                           Hippolyt J. Haas sagt in seiner
                              									„Quellenkunde“:
                           
                              „Langsamer bemerkbar wird eine vermehrte Niederschlagsmenge sich bei derjenigen
                                 										Gattung von Quellen machen, welche nach dem Typus derjenigen von Vaucluse im
                                 										gleichnamigen Departement Südfrankreichs genannt sind und wofür Desor schon vor Jahren die Namen „doues“
                                 										oder „sources vauclusiennes“ vorgeschlagen hat.
                              
                           
                              Dieselben unterscheiden sich von den unterirdischen Bächen dadurch, dass ihr
                                 										Sammelgebiet mit ihrem Austrittspunkte nicht durch einfache Spalten und Klüfte
                                 										in Verbindung steht, sondern dass sich zu diesen unterirdischen Kanälen noch
                                 										grössere und kleinere Höhlungen hinzugesellen, welche die Gewässer erst
                                 										durchlaufen müssen, ehe sie als Quellen hervortreten können. Dadurch wird,
                                 										besonders wenn diese Höhlenreservoirs sehr umfangreich sind, der Lauf des
                                 										Wassers natürlich verlangsamt und das feuchte Element kann sich reinigen, indem
                                 										die ersteren gewissermassen die Rolle der Abklärungsbassins für die letzteren
                                 										übernehmen. Zuweilen sind diese unterirdischen Behälter so sehr beträchtliche und es sammeln
                                 										sich in niederschlagsreichen Zeiten derartige Mengen Wassers an, dass diese
                                 										Quellen selbst während unverhältnismässig langer Trockenperioden dennoch ruhig
                                 										weiter fliessen können und dass sich zwischen ihrem Absatz während solcher und
                                 										demjenigen regenreicher Perioden nur geringe Unterschiede fühlbar machen.
                              
                           
                              Zu diesen, nach dem Vaucluse-Typus gebauten Quellen gehören beispielsweise
                                 										diejenigen der Serriere bei Neuenburg in der Schweiz, der Blautopf bei
                                 										Blaubeuren usw.“
                              
                           Durch die neueren Forschungen auf diesem Gebiete wurde durch viele Fälle
                              									nachgewiesen, dass den Charakter der „vauclusischen Quellen“ alle Wässer mehr
                              									oder weniger annehmen, welche einem Kalkgebirge entstammen, mag dasselbe welcher
                              									Formation immer angehören. Vorzüglich ausgebildet sind diese Quellen im Kalkgebirge
                              									der Kreideformation, denn der Plänerkalk, welcher den Hauptbestandteil der
                              									Kreideformation bildet, ist schon von Natur aus nach allen Richtungen zerspalten und
                              									zerklüftet; das Wasser, besonders wenn es mit Kohlensäure gesättigt ist, hat
                              									bekanntlich die Eigenschaft, den Kalk aufzulösen und in ihm grosse Hohlräume zu
                              									bilden. Diejenigen Hohlräume, welche nahe der Oberfläche liegen, sind bei diesem
                              									Jahrtausende langen Auslaugungsprozess eingestürzt und bilden die für das
                              									Kalkgebirge charakteristischen Trichter, welche alles Oberflächenwasser der Umgebung
                              									aufsaugen und völlig unfiltriert in die Tiefe leiten. Ist dieses Oberflächenwasser
                              									rein, und durchfliesst es ein reines Niederschlagsgebiet wie z.B. den reinen
                              									Gletscherboden des Hochgebirges, so sind diese Quellen völlig gefahrlos, wie z.B.
                              									die Hochquellen der Wiener Wasserleitung, welche auch nichts anderes als
                              									vauclusische Quellen sind.
                           Gefährlich wird aber der Zustand, wenn die vauclusischen Quellen einem Kalkgebirge im
                              									Hügellande entstammen, und das sind wieder vorzüglich die Kalkgebirge der
                              
                              									Kreideformation. Die Hügel und Abhänge dieser Kalkgebirge sind zumeist angebaut und
                              									gewöhnlich auch dicht bevölkert. Hier ist das Niederschlagswasser nicht mehr
                              									unschädlich, sondern gewöhnlich stark verunreinigt, indem es die Bestandteile des
                              									Düngers der angebauten Felder und alle Unreinigkeiten der Oberfläche aufnimmt und in
                              									die Tiefe leitet.
                           Alle Abwässer und die Bestandteile der Senk- und Düngergruben der Ortschaften
                              									fliessen auch bei dem vielfach zerklüfteten Boden unfiltriert und ungereinigt in die
                              									Tiefe, desgleichen auch alle pathogenen Keime, welche auf diesen zerklüfteten Boden
                              									gelangen.
                           In normalen Zeiten funktionieren die natürlichen Filter der vauclusischen Quellen
                              									wohl ziemlich gut, jede Ueberlastung derselben jedoch infolge grösserer
                              									Niederschläge usw. kann bewirken, dass die pathogenen Keime bis zur Quellmündung
                              									gelangen.
                           
                        
                           
                              2. Das Wesen und der Ursprung der Quellen.
                              
                           Durchforscht man die Oberfläche der Erde nach Quellen, so wird man überall dieselben
                              									Beobachtungen machen.
                           Der Ursprung der grossen Ströme und Flüsse reicht überall ziemlich weit in das
                              									Hochgebirge hinein. Ihre Quellen werden zumeist von abschmelzenden Gletschern
                              									gespeist, sind in der Regel sehr reichhaltig, haben die unschätzbare Eigenschaft,
                              									gerade im Hochsommer wenn andere Quellen zum Teil oder gänzlich versiegen, die
                              									grösste Menge Wassers zu liefern und sind auch in qualitativer Beziehung, da das
                              									Hochgebirge unbesiedelt ist, vollkommen einwandfrei.
                           Diese Quellen werden deshalb mit Vorliebe inneuerer Zeit von grossen Städten,
                              									welche grosse Mengen konstanten Wassers erfordern, zur Anlage von Wasserleitungen
                              									benutzt. Einen grossen Uebelstand bildet jedoch ihre grosse Entfernung von den
                              									Städten und die dadurch bedingte Kostspieligkeit der Leitungen, die durch das
                              									Gebirge bedingten kostspieligen Kunstbauten, Tunnels, Aquädukte usw.
                           Steigen wir ins Hügelland herunter, so finden wir am Rande der Hügel und in den
                              									Seitentälern zahlreiche, jedoch bereits nur kleinere Quellen, welche im Verhältnis
                              									zum Niederschlagsgebiet der betreffenden Gegend stehen und deren Wasserreichtum auch
                              									im Verhältnis zur Niederschlagsmenge des betreffenden Gebietes steigt und fällt.
                           Manchmal jedoch findet man im Hügellande mächtige Quellen, deren Wasserreichtum in
                              									gar keinem Verhältnis zu ihrem Niederschlagsgebiete steht, Quellen, welche sofort
                              									bei ihrem Austritt imstande sind, Mühlen zu treiben und welche auch in der Regel
                              									ziemlich gleichbleibende Mengen Wassers liefern. Die Wasserbeschaffenheit dieser
                              									Quellen ist im vornhinein mit grossem Misstrauen zu betrachten, denn es sind dies
                              									keine echten Quellen, keine Wässer, welche die kapillaren Hohlräume der Erde
                              									durchlaufen haben, sondern es sind in der Regel nur Oberflächenwässer, welche gewiss
                              									irgendwo höher aufwärts im Gebirge in die Erde versunken sind, und nun hier zum
                              									Vorschein kommen.
                           Sie haben die charakteristischen Eigenschaften, dass sie stets eine höhere Temperatur
                              									als die mittlere Jahrestemperatur der Gegend haben, sehr viel Kalkgehalt und wenig
                              									Kohlensäure besitzen.
                           In der gemässigten Zone im Hügellande rechnet man fast überall mit einer
                              									durchschnittlichen Regenmenge von nur 500–600 mm jährlich, das gibt auf den qkm
                              									16–19 l''.
                           Von diesen 16–19 l'' verdunstet in der Regel ein Drittel und ein Drittel wird
                              									oberflächlich abgeführt, mithin kann ein qkm im besten Falle nur etwa 6 l''
                              									Quellwasser liefern, welche jedoch selten vereinigt zum Vorschein kommen. Finden wir
                              									mithin ein Gebiet, welches auffallend mehr Quellwasser liefert, so ist dies auf
                              									jeden Fall verdächtig und solche Quellen erfordern unbedingt eine nähere
                              									Untersuchung bezüglich ihres Ursprungs.
                           Befindet man sich im Kalkgebiete, einerlei welcher geog. Formation der Kalk angehört,
                              									so kann man bereits sicher sein, dass diese abnormen Quellen keine wirklichen
                              									Quellen, sondern Oberflächenwässer sind.
                           In neuerer Zeit, als man infolge von Typhusepidemien, welche durch solche Quellen und
                              									die aus diesen gebildete Wasserleitungen entstanden sind, bemüssigt war, diesen
                              									Wässern eine erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen, ist man in dieser Richtung zu
                              									überraschenden Ergebnissen gelangt.
                           Prof. Dr. A. Gärtner in Jena hat in einer ausführlichen
                              									Denkschrift: „Die Quellen in ihren Beziehungen zum Grundwasser und zum
                                 										Typhus“ (mitgeteilt im klinischen Jahrbuch Bd. IX.)Diese Abhandlung ist auf dem praktischen Boden
                                    											des Wasserbautechnikers entstanden und zwar vorzüglich angeregt durch die
                                    											Uebelstände unserer eigenen Wasserleitung in Brunn und die wiederholten
                                    											Typhusepidemien, welche wir hier zu bestehen hatten Da mir
                                    											selbstverständlich als Techniker die eigene praktische Erfahrung, auf dem
                                    											Gebiete der Hygiene mangelt, musste ich die so schätzenswerte Abhandlung
                                    											Prof. Gärtners mit Freude begrüssen, als
                                    											dieselbe mir vollkommen geeignet erschien, meinen Ausführungen über die
                                    											vauclusischen Quellen nach der hygienischen Seite hin, die nötige Ergänzung
                                    											und Unterstützung zu geben. in musterhafter Weise, gestützt auf
                              									ein umfassendes Material, Tatsachen mitgeteilt, welche solche Quellen in einem
                              									eigentümlichen Lichte erscheinen lassen.
                           
                           Ich will in vorliegendem den Ausführungen des geschätzten Autors, besonders was
                              
                              									die hygienische Seite dieser Frage anbelangt, möglichst wortgetreu folgen, besonders
                              									insoweit er über die Typhusepidemien in Paris, Soest und Paderborn berichtet.
                           
                        
                           
                              3. Die Typhusepidemien von Paris.
                              
                           Den Hauptanstoss für die Untersuchungen von Prof. Gärtner bildeten die Typhusepidemien der Stadt Paris, welche sich erst
                              									dann in bedrohlicher Weise einstellten, als die neuen Wasserleitungen in Paris
                              									fertig geworden waren.
                           Prof. Gärtner schreibt hierüber:
                           
                              „Die Stadt Paris ist mit Wasser nicht einheitlich versorgt, sondern besitzt eine
                                 										getrennte Wasserversorgung mit Nutzwasser aus dem Canal de l'Qurcq, aus der
                                 										Marne und der Seine und eine dreifache Wasserversorgung mit Trinkwasser und zwar
                                 										aus den Quellen der D'huis, der Vanne und der l'Arvre.
                              
                           
                              Bis zum Jahre 1866 war Paris nur auf die erstgenannten Wässer angewiesen, welche
                                 										oberflächlich filtriert zum Verbrauch gelangten, erst im Jahre 1866 wurde das
                                 										Hochquellwasser der D'huis, im Jahre 1874 wurden die Hochquellen der Vanne in
                                 										die Stadt eingeführt und im Jahre 1893 wurde durch die Zuführung der Hochquelle
                                 										der Arvre die Trinkwasserleitung vollendet und die Zuführung des filtrierten
                                 										Seinewassers zu Trinkzwecken eingestellt.
                              
                           
                              Obzwar schon vor der Einführung der neuen Wasserleitung in Paris wiederholt
                                 										Typhusfälle vorgekommen sind, so arteten dieselben niemals zu einer förmlichen
                                 										Epidemie aus, sondern es kamen Typhustodesfälle vor, ohne im allgemeinen
                                 										bedrohlich zu werden.
                              
                           
                              Jedoch schon im Frühjahr des nächsten Jahres 1894 brach eine Typhusepidemie aus
                                 										mit 454 Todesfällen und über 1000 Erkrankungen, welche allein in den Hospitälern
                                 										gerechnet wurden, wobei die Zahl der Meldungen häuslicher Behandlung nicht
                                 										berücksichtigt ist.
                              
                           
                              Im Jahre 1899 brach abermals eine grosse Typhusepidemie in Paris aus, bei welcher
                                 										über 2000 Fälle zur Meldung gelangten.
                              
                           
                              Diese wiederholten zwei grossen Epidemien stachelten die Behörde auf das
                                 										äusserste auf, um den Grund derselben zu erforschen.
                              
                           
                              Eine eigene Untersuchungskommission wurde eingesetzt, welche mit Zuziehung von
                                 										Fachleuten aller in Betracht kommenden Wissenszweige die eingehendsten
                                 										Untersuchungen anstellte, um die Ursachen dieser Epidemien zu erforschen.
                              
                           
                              Die Resultate dieser Erforschungen sind bereits längst in einwandfreier Weise
                                 										abgeschlossen, es ist vollkommen vorurteilslos zu Werke gegangen worden und das
                                 										sonst bei solchen Gelegenheiten übliche Vertuschungssystem wurde endlich einmal
                                 										über Bord geworfen.“
                              
                           Die Ergebnisse dieser Untersuchungskommission, wie solche Prof. Gärtner in seiner Denkschrift auführt, sind so
                              									hochinteressant und wichtig, besonders in einer Zeit, wo noch andere grössere
                              									Städte, darunter auch Brunn, sich anschicken, von denselben nichts lernen zu Wollen
                              									und ebenfalls Wasserleitungen von solchen berüchtigten „Hochquellen“
                              									auszuführen, dass es zeitgemäss erscheint, dieselben ausführlicher zu
                              									besprechen.
                           Die vom Seinepräfekten ernannte Kommission bestand aus den Aerzten Dr. A. J. Martin, und Dr. Thierry, dem Geologen Janet, den
                              									Bakteriologen Dr. Miguel und Combier, den Chemikern Albert Lévy und Marbontin und den Kulturingenieuren Dinert und le Couppey.
                           Ihre Arbeiten legte die Kommission in einem grossenWerke nieder: „Traveaux
                                 										des années 1899–1900, sur les eaux de l'Arvre et de la Vanne“, Paris
                              									1901.
                           A. J. Martin wurde mit der medizinischen und
                              									epidemiologischen Untersuchung beauftragt.
                           Er stellte zunächst die vor der Epidemie im Umkreise der Stadt vorgekommenen primären
                              									Typhusfälle fest, welche Veranlasser der Epidemie sein konnten.
                           Mit vollster Sicherheit wurde nachgewiesen, dass in der Umgebung von Paris und zwar
                              									unmittelbar im Niederschlagsgebiete der Hochquellen wiederholt primäre Typhusfälle
                              									vorgekommen sind.
                           Bezüglich der ersten Epidemie im Jahre 1893 wurde nachgewiesen, dass in der Ortschaft
                              									Rigny, im Quellgebiete der Vanne, in den Monaten Dezember 1892 bis 1893 drei
                              									Typhusfälle vorgekommen sind und die volle Wahrscheinlichkeit bestand, dass die
                              									Ausleerungen der Kranken, welche völlig undesinfiziert auf die Düngerhaufen kamen,
                              									durch die in der Nähe angelegten Drains in das Leitungswasser gelangt sind.
                           Die Stadtverwaltung machte einen Färbeversuch mit Fluorescein, hat jedoch von dem
                              									Ergebnis desselben nichts verlauten lassen.
                           Während der Epidemie von 1899, als bereits die amtliche Untersuchungskommission
                              									ernannt war, gelang der Nachweis über den Ursprung und die Verbreitung des Typhus
                              									bereits mit vollständiger Sicherheit.
                           Es wurde nachgewiesen, dass unzweifelhaft die Epidemie durch die Vannewasserleitung
                              									aus der Stadt Sens eingeschleppt wurde.
                           Der ganze Höhenzug südlich der Vanne im Bezirk um die hierliegende Stadt Sens besteht
                              									aus einer mächtigen Kreidebildung, welche auch nach dieser Stadt, weil sie hier
                              									besonders gut entwickelt vorkommt, den Namen Senon führt. Das Gebirge ist, wie die
                              									Gebirge der Kreideformation überhaupt, sehr zerklüftet, die Niederschlagswässer
                              									versinken zumeist sofort nach dem Niederfall in den Boden. Durch Färbungen der
                              									unterirdischen Wässer mit Fluorescein wurde nachgewiesen, dass alle unterirdischen
                              									Wässer, besonders bei hohem Grundwasserstand, daselbst in Verbindung stehen. Durch
                              									Einschütten dieses Farbstoffes in einen Erdfall bei Jouchèry wurde bei einer
                              									kürzesten Entfernung von 11,7 km von der Quelle der Vanne der Farbstoff auf einem
                              									Terrain nachgewiesen, welches eine Basis von 16–17 km und einen oberen Winkel von
                              									90–100° hatte.
                           Nicht nur das Wasser der grossen Quellen, sondern auch das aus dem Senon
                              									hervortretende Sickerwasser wurde gefärbt.
                           Von Miguel wurde eine grosse Menge Bierhefe kurz nach
                              									dem Versuch in denselben Erdsturz geschüttet, welche ebenfalls an allen Quellen
                              									zutage trat, nur dauerte es nicht 3½ Tage wie bei dem Fluorescein, sondern 5–6
                              									Tage.
                           Es gelang beinahe mit mathematischer Sicherheit nachzuweisen, woher die pathogenen
                              									Keime gekommen sind, wann und wo sie in das Leitungswasser gelangten und alle diese
                              									Daten stimmten mit dem Ausbruche der Epidemie in Paris vollkommen überein. Prof. Gärtner schreibt diesbezüglich: „Die Infizierbarkeit
                                 										der Quellen sowohl aus der Nähe, z.B. von les Lièges, Vareilles und Vaumont ist
                                 										von Albert Levy und Miguel in überzeugendster Weise erwiesen worden.
                           
                              Von grosser Bedeutung war auch der Nachweis, dass dem, starken Anstieg der
                                 										Typhussterblichkeit in Paris und Sens in der Mitte Juli ein starker Regenfall
                                 										und damit eine bedeutende Steigung der Keimzahl gegen Ende Juni vorausgegangen
                                 										ist; es korrespondieren also Erkrankungszeit und stark bakterienhaltiges
                                 										Quellwasser bezüglich der Inkubationszeit sehr gut.“
                              
                           Martin konstruierte graphische Darstellungen welche zeigten, dass ein
                              									heftiger Niederschlag um diese Zeit mit 48 mm Regenhöhe das Ausschlaggebende gewesen
                              									ist, indem er ohne Zweifel die natürlichen Filter des Bodens allzusehr überlastet
                              									hat.
                           Miguel gelang es sogar, einen Bazillus aus dem Reservoir
                              									von Montrouge zu züchten, welcher in den Haupteigenschaften in der Agglutination mit
                              									dem Typhusbazillus übereinstimmte.
                           Prof. Gärtner schreibt: „Die Typhuskeime müssen schon
                                 										oberhalb von Sens in der Wasserleitung gewesen sein. Die Rohrstrecke von der
                                 										Einmündung des letzten Quellzuflusses bis Paris beträgt annähernd 140 km, welche
                                 										bei einer angenommenen Schnelligkeit von 1 m in der Sekunde in 38 Stunden
                                 										zurückgelegt wurden.
                           
                              Hierdurch ist also bewiesen,; dass die Typhusbazillen infektionsfähig auf
                                 										mindestens 140 km verschleppt werden können. Nach diesen Ergebnissen wurden
                                 										sofort die umfassendsten Sicherheitsmassregeln getroffen, ganze Täler und
                                 										Schluchten ausbetoniert, die Drainagen geschützt, die Rieselwiesen im Bereiche
                                 										der Drainagen nicht mehr überrieselt und ein umfassender Ueberwachungs- und
                                 										Meldedienst innerhalb des tributären Gebietes, bezüglich vorkommender primärer
                                 										Typhusfälle eingeführt.
                              
                           
                              Es ist ein Verdienst Thoinots, dass er mit ganzer
                                 										Energie und rücksichtsloser Offenheit die schlechten Verhältnisse der Pariser
                                 										Wasserversorgung wiederholt offen darlegte und dem „Service des eaux“ die
                                 										Scheuklappen entfernte, mit welchen derselbe schon seit vielen Jahren an den
                                 										Fehlern der Versorgung bewusst vorbeigegangen war.“
                              
                           Allein nicht nur in Paris, sondern überall dort, wo die berüchtigten vauclusischen
                              									Quellen zu Wasserleitungen benützt werden, haben sich diese Wasserleitungen selbst
                              									als die wahren und einzigen Erzeuger und Verbreiter der Typhusepidemien
                              									erwiesen.
                           So z.B. in der ehemaligen Hansestadt Soest in Westfalen, in Paderborn usw.
                           
                        
                           
                              4. Typhusepidemien in Soest.
                              
                           Prof. Gärtner schreibt:
                           
                              „Die Stadt Soest, in welcher der Typhus früher auch nur endemisch war, wurde nach
                                 										Errichtung der neuen Wasserleitung in den Jahren 1889 und 1892 von wiederholten
                                 										Typhusepidemien betroffen.
                              
                           
                              Nach Gutachten des dortigen Medizinalrates Dr. Terholt lag auch dort unzweifelhaft eine Infektion durch Wasser vor.
                                 										Für diese Annahme spricht wieder, wie bei Paris, das explosionsartige Auftreten
                                 										der Erkrankungen und dass die an die Wasserleitung angeschlossenen Häuser
                                 										bedeutend mehr Erkrankungen auszuweisen hatten als die nicht angeschlossenen.
                                 										Während bei dem endemischen Auftreten des Typhus diese Krankheit nurbei
                                 										einzelnen Personen, vorzüglich durch den Genuss von verdorbenen Nahrungsmitteln
                                 										usw. auftritt und direkte Uebertragungen bei Nachbarn und Wartepersonen leicht
                                 										nachzuweisen sind, findet bei Infektionen durch die Wasserleitung gewöhnlich
                                 										eine Massenerkrankung von Personen zu gleicher Zeit in verschiedenen Stadtteilen
                                 										statt und gerade in solchen Häusern, welche an die Wasserleitung angeschlossen
                                 										sind.
                              
                           
                              Man hat sich lange gesträubt, diese gefährliche und verderbliche Tatsache
                                 										zuzugeben und die Ursache der Epidemien früher in allen anderen Dingen als in
                                 										der Wasserleitung selbst gesucht, z.B. in ehr Milch, in den vom Lande
                                 										eingeführten Nahrungsmitteln, als Grünzeug usw.; allein bei näherer Betrachtung
                                 										mussten alle diese bei den Haaren herbeigezogenen Ursachen fallen gelassen
                                 										werden und die Stadtvertretungen, zum Glücke der Bewohner, sich dazu bequemen,
                                 										die Ursachen dort zu suchen, wo sie eben zu finden sind, denn nur so war
                                 										überhaupt eine Abhilfe möglich.
                              
                           
                              Inmitten der Stadt Soest ist ein grosser Teich gelegen, in der Nähe desselben hat
                                 										man einen neuen Bohrbrunnen angelegt und durch Pumpen aus demselben das
                                 										Trinkwasser bezogen.
                              
                           
                              Nun ist aber der Untergrund der ganzen Gegend wieder der gefährliche Plänerkalk,
                                 										in dessen Klüfte und Spalten alle Oberflächenwässer unfiltriert, oder nur
                                 										mangelhaft filtriert, versinken.
                              
                           
                              So musste es nun kommen, dass bei den sonst immer vorkommenden endemischen
                                 										Typhusfällen die Typhusbazillen in die Wasserleitung gelangten, und die Epidemie
                                 										war infolge der raschen Verbreitung durch dieses vorzügliche Verbreitungsmittel,
                                 										die Wasserleitung, fertig.
                              
                           
                              Auf welche Art und durch welche primären Typhusfälle die Epidemie entstanden ist,
                                 										war bei den Verhältnissen der Stadt Soest, wo jedes einzelne Haus durch undichte
                                 										Senkgruben usw. die Ansteckung herbeiführen konnte oder wo durch den grossen
                                 										Teich in der Nähe des Pumpbrunnens auf eine sehr einfache Weise derselbe
                                 										infiziert werden konnte, nachzuweisen schwer möglich.
                              
                           
                              Die Abhilfe bestand darin, dass erstens ein langsames Pumpen eingeführt wurde, um
                                 										den Wasserspiegel nicht rapid zu senken und das Wasser aus grösserer, reinerer
                                 										Tiefe herauszuholen (1894) und zweitens (1896) in der Anlage einer rationellen
                                 										Kanalisation und strenger, sanitärer Anordnung in bezug auf die Entfernung der
                                 										Abwässer und Fäkalien, bei strengster Meldungspflicht von Typhuskranken,
                                 										Isolierung derselben und genauester Desinfizierung.
                              
                           
                              Seit der Zeit ist die Typhusepidemie in Soest nicht mehr aufgetreten.“
                              
                           
                              
                                 (Fortsetzung folgt.)