| Titel: | Die Sprachfertigkeit des Ingenieurs. | 
| Autor: | Hans A. Martens | 
| Fundstelle: | Band 319, Jahrgang 1904, S. 251 | 
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                        Die Sprachfertigkeit des Ingenieurs.
                        Von Regierungsbaumeister Hans A.
                                 								Martens.
                        Die Sprachfertigkeit des Ingenieurs.
                        
                     
                        
                           Die technische Wissenschaft ist internationales Allgemeingut geworden: Keine
                              									politische Grenze, keine Entfernung, kein Sprachunterschied hindern den
                              									Gedankenaustausch in Wort und Schrift. Durch Zusammenkünfte, Ausstellungen und
                              									Veröffentlichungen werden die Werke der Ingenieurkunst der technischen Welt bekannt
                              									gegeben.
                           Und doch, wie klein ist das Häuflein der Ingenieure, das wirklich internationale
                              									Fachwissenschaft treibt! Wie- viele aus den Ingenieurkreisen sind der fremden
                              									Sprachen mächtig? Und doch ist der schaffende Ingenieur, der nur seine Muttersprache
                              									versteht, hilflos und machtlos, seinen Gesichtskreis durch das Studium ausländischer
                              									Zeitschriften zu erweitern. Diese Anschauung haben unsere technischen Hochschulen
                              									schon seit einigen Jahren vertreten, indem sie m. W. den in der Prüfung
                              									nachzuweisenden Fachkenntnissen die Forderung, die englischeund französische
                              									Sprache in grossen Zügen zu beherrschen, hinzugefügt haben.
                           Für einen deutschen Ingenieur ist heutzutage die Kenntnis wenigstens der englischen
                              									Sprache unerlässlich, da wir gewohnt sind, die amerikanische Industrie schon seit
                              									Jahren mit regster Aufmerksamkeit zu verfolgen und eingehend zu studieren. Seit
                              									langem ist es Gebrauch geworden, dass der Ingenieur nach Amerika pilgert, wie der
                              									Künstler nach dem sonnigen Süden, um sich in seiner Kunst zu vervollkommnen. Die
                              									Behörden unterstützen in jeder Weise die Studienreisen nach fremden Ländern und
                              									mannigfache Stipendien an Hochschulen sorgen für den gleichen Zweck. Durch die
                              									Erweiterung der Kenntnisse und das Sammeln von Erfahrungen des Einzelnen wird die
                              									heimatliche Industrie dann mittelbar gefördert. Der Erfolg solcher Studienreisen
                              									hängt nun wesentlich von der Fähigkeit ab, die betreffende Landessprache gut zu beherrschen.
                           Alle diese Tatsachen drängen dazu, die Frage einmal näher zu beleuchten, welche
                              									Gelegenheit dem jungen Ingenieur geboten ist, die fremden Sprachen unter besonderer
                              									Berücksichtigung seines Berufes zu erlernen. Als grundlegend ist der Unterricht auf
                              									den höheren Schulen zu betrachten, als pädagogisches Ideal für die Methode der
                              									Erlernung fremder Sprachen: der Zwang, die zu erlernende Sprache täglich, so gut wie
                              									es geht, sprechen zu müssen, was nur durch längeren Aufenthalt im Auslande
                              									ermöglicht wird. Doch dazu gehört Geld und Unternehmungsgeist; auch
                              									Familienverhältnisse können bestimmend sein. Wenngleich nach dem Dichterwort der
                              									Mann hinaus muss ins feindliche Leben, so bleiben doch viele ebenso gern im Lande
                              									und nähren sich redlich. Auch ist die Geldfrage wohl der ausschlaggebendste Faktor.
                              									Wann soll der junge Ingenieur ins Ausland gehen? Vor und während der Studienzeit
                              									erscheint es ausgeschlossen. Nach Beendigung der Studienzeit wird eine lohnende,
                              									gesicherte Stellung erstrebt, die, einmal erworben, auch nicht so gern gegen die
                              									Ungewisse Zukunft im Ausland eingetauscht werden mag.
                           Also bleibt für die weitaus meisten für die Erlernung fremder Sprachen nur eigenes
                              
                              									Bücherstudium oder der Unterricht übrig. Dazu braucht selbst und vielleicht gerade
                              									der strebende Ingenieur besonders grosse Energie, um die weit interessanteren
                              									Fachstudien etwas einzuschränken und Vokabeln und Redewendungen auswendig zu
                              									lernen.
                           Das nächste Ziel, was zu erstreben ist, ist die Fähigkeit, ausländische Zeitschriften
                              									mit Hilfe des Wörterbuches lesen zu können. Dabei zeigt sich nun bald der
                              									Uebelstand, die Fachausdrücke nicht genügend zu kennen. Auch die üblichen
                              									Sprachkurse bereiten den Ingenieur für seinen besonderen Zweck in keiner Weise vor:
                              									Sie lehren die Umgangssprache, aber nicht die termini technici. Auch die an den
                              									Hochschulen gelesenen Sprachkurse berücksichtigen die fachlichen Interessen nur
                              									unzureichend.
                           Es kommt daher darauf an, ein Verfahren zu finden, nach dem die fachlichen Ausdrücke
                              									in angenehmer, anschaulicher, leicht im Gedächtnis bleibender Weise gelehrt werden.
                              									Es ist nun Erfahrungssache, dass ein Begriff, mit dem eine Vorstellung verbunden
                              									wird, im Gedächtnis viel besser haftet, als wenn dieser rein abstrakt, losgelöst von
                              									jeder Anschauung, dem Lernenden dargeboten würde. Dadurch ist der einfache Weg
                              									gekennzeichnet, auf dem vorgegangen werden muss: Die zu Studienzwecken in den
                              									Vorlesungen und Entwurfsübungen auf den Hochschulen herausgegebenen Zeichnungen,
                              									Vorlageblätter und Skizzen sollen nach Möglichkeit die in deutscher Sprache
                              									gehaltenen Angaben, Bezeichnungen usw. auch in englischer und französischer Sprache
                              									enthalten. Diese beiden Sprachen werden fürs erste dem Bedürfnis des Ingenieurs
                              									vollauf genügen. Durch den Gebrauch wird auf diese Weise der Wortschatz fremder
                              									Sprachen bereichert.
                           Ich kann aus eigener Erfahrung über die Zweckmässigkeit des angeregten Verfahrens
                              									berichten: Ich war gezwungen, mich mit ausländischen Ingenieuren in
                              									derenLandessprache zu besprechen, die ich nur so weit beherrschte, um mich
                              									genügend verständlich machen zu können. Die Maschinenteile, deren Bezeichnung ich
                              									nicht kannte, skizzierte ich und der Ausländer schrieb sie hinein. Gerade diese
                              									Wörter haben sich meinem Gedächtnis wohl für immer fest eingeprägt.
                           In dieser angedeuteten Richtung habe ich vor nicht langer Zeit den ersten Versuch zu
                              									Gesicht bekommen, der mir bei geeigneter Ausgestaltung in unseren Lehrmitteln
                              									Bedeutung zu gewinnen scheint. Es ist das im Verlage der Vve
                              									= Ch. Dunod Paris, in 4 Tafeln erschienene
                              
                              										„Vocabulaire graphique Anglais-Français“, das wichtig genug ist, um den
                              									Leser ausführlicher damit bekannt zu machen.
                           Auf den Tafeln sind dargestellt: Eine 2/4-gekuppelte amerikanische Schnellzug-Lokomotive,
                              									ein vierachsiger Drehgestell-Wagen, beide im Längsschnitt, ein offener und bedeckter
                              									Drehgestell-Güterwagen im perspektivischen Längsschnitt mit besonders gezeichnetem
                              									Drehgestell. Die Ausführung ist klar genug, um die zahlreichen, mit eingedruckten
                              									Zahlen versehenen Einzelteile ohne Irrtum erkennen zu lassen. Von der
                              									Reichhaltigkeit des Vocabulaire mag die Mitteilung Zeugnis ablegen, dass von der
                              									Lokomotive 240 Teile, vom Drehgestell-Personenwagen 243, vom gedeckten Güterwagen
                              									240, vom offenen Güterwagen 141 Teile in einer Zusammenstellung in beiden Sprachen
                              									bezeichnet sind. Der Preis jedes Blattes beträgt 80 Pfg. Es ist ausserordentlich
                              
                              									bequem, mit diesem Vocabulaire die Abhandlungen in den fremden Sprachen über
                              									Lokomotiven und Wagen zu lesen.
                           Es bleibt nur zu wünschen und würde wohl die Mühe lohnen und ein ertragreiches
                              									Unternehmen sein, wenn der von den praktischen Amerikanern gefasste Gedanke dieses
                              									graphischen Vokabularium von der technischen Welt aufgegriffen würde, um in
                              									ähnlicher Weise für die einzelnen Sondergebiete der gesamten Technik solche
                              									Vokabularien herauszugeben. Als Sondergebiete seien nur einzelne wenige genannt:
                              									Eisenbahn-Oberbau und Stellwerkswesen, Werkstättenbau, Werkzeugmaschinen, Pumpen,
                              									Dampfmaschinen, Dynamos und Elektromotoren, Turbinen und elektrische Bahnen usw.
                              									Besonders in der strengen Abgrenzung einzelner Tafeln als ein Ganzes liegt ihr
                              									Vorzug. Denn es ist nicht zu verkennen, dass bei der heutigen Spezialisierung des
                              									Ingenieurs dieser wesentlich nur noch auf seinem Spezialgebiete eingehendere Studien
                              									treiben wird, so dass für ihn nur die Veröffentlichungen aus seinem engeren
                              									Arbeitsfelde von Wert sind. Auch ist es ja bei der Fülle des in der Litteratur
                              									Gebotenen längst nicht mehr möglich, alles zu lesen; Man sucht sich nur das heraus,
                              									was einen besonders angeht. Und daraus folgt, dass im allgemeinen der Leser in einem
                              									technologischen Wörterbuch eine Fülle von Ballast mit sich schleppt, der bei der
                              									Arbeit hinderlich wirkt. In diesem Sinne ist das besprochene Vocabulaire graphique
                              									eine bemerkenswerte Erscheinung in der Reihe der Lehrmittel, die gebührende
                              									Beachtung verdient, aus der dann vielleicht die Verwirklichung der oben
                              									ausgesprochenen Anregung fliessen wird.