| Titel: | ⅗-gek. Drillings-Tenderlokomotive. | 
| Autor: | Ludw. v. Löw. | 
| Fundstelle: | Band 319, Jahrgang 1904, S. 281 | 
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                        ⅗-gek. Drillings-Tenderlokomotive.
                        Von Diplom-Ingenieur Ludw. v.
                                 								Löw.
                        ⅗-gek. Drillings-Tenderlokomotive.
                        
                     
                        
                           Die in Fig. 1 dargestellte Lokomotive ist von
                              									der Berliner Maschinenbau-Aktiengesellschaft vorm. L.
                                 										Schwartzkoff nach den Angaben des Regierungs- und Baurats Wittfeld für die Königliche Eisenahndirektion
                              										Berlin gebaut und zum Befördern von Stadtbahn- und
                              									Vorortszügen bestimmt.
                           Ihre Hauptdaten sind:
                           
                              
                                 Gesamtgewicht (betriebsfähig)
                                     79,2
                                 t
                                 
                              
                                 Adhäsionsgewicht (betriebsfähig)
                                     52,1
                                 „
                                 
                              
                                 Treibraddurchmesser
                                 1500
                                 mm
                                 
                              
                                 Zylinderdurchmesser
                                   500
                                 „
                                 
                              
                                 Kolbenhub
                                   630
                                 „
                                 
                              
                                 Kesselspannung
                                     14
                                 atm
                                 
                              
                                 Kesseldurchmesser (mittlerer)
                                 1580
                                 mm
                                 
                              
                                 Anzahl der Siederohre
                                   240
                                 
                                 
                              
                                 Durchmesser der Siederohre
                                 45/50
                                 mm
                                 
                              
                                 Länge der Siederohre
                                 4200
                                 „
                                 
                              
                                 Heizfläche der Siederohre
                                   142,5
                                 qm
                                 
                              
                                 Heizfläche der Feuerkiste
                                     11,9
                                 „
                                 
                              
                                 Gesamte Heizfläche
                                   154,4
                                 „
                                 
                              
                                 Rostfläche
                                       2,3
                                 „
                                 
                              
                                 Wasservorrat
                                       6,7
                                 cbm
                                 
                              
                                 Kohlenvorrat
                                       2,5
                                 t
                                 
                              
                           Weitere charakterisierende Zahlen gehen aus Fig. 2
                              									hervor.
                           Das Bemerkenswerteste sind drei mit Frischdampf arbeitende Zylinder von
                              									ausserordentlich grossen Abmessungen. Die Kurbeln der Triebwerke sind um 120°
                              									versetzt, damit auch bei kleinen Füllungen eine gleichmässige Zugkraft gewährleistet
                              									wird. Ein ganz vorn zwischen den Rahmen liegender Innenzylinder greift an der
                              									ersten, gekröpften Treibachse an, während die beiden Aussenzylinder, wie aus Fig. 1 ersichtlich ist, auf die mittlere Treibachse
                              									wirken. Nur diese beiden direkten Treibachsen sind fest gelagert, die dritte
                              									Kuppelachse dagegen liegt zusammen mit der unter dem Führerstand befindlichen
                              									Laufachse in einem Krauss-Helmholtzschen Drehgestell
                              									und die vordere Laufachse lässt sich seitlich verschieben, wobei sie durch die Adamssche Achsbüchsenführung radial eingestellt wird.
                              									Hierdurch ist trotz des langen Radstandes von 9 m das Befahren enger Kurven
                              
                              									ermöglicht. –Die Federung ist so ausgebildet, dass die drei Berührungspunkte
                              									der Treibräder auf jeder Seite zu je einem Stützpunkt zusammengefasst sind; es sind
                              									also auf beiden Seiten der Lokomotive je zwei Längsbalanziers zwischen den
                              									Treibachsen vorhanden. Querbalanciers besitzt die Lokomotive nicht, und die Federn
                              									der Laufachsen sind unmittelbar am Rahmen befestigt. Letzteres muss etwas bedenklich
                              									erscheinen, denn infolge des langen Radstandes kann in stark überhöhten Kurven eine
                              									wesentliche Entlastung eines Endrades eintreten; dazu kommt noch, dass die selbst
                              									bei gefüllten Vorratsbehältern nicht sehr stark belastete Hinterachse (siehe Fig. 2) durch das Abnehmen der Kohlen- und
                              
                              									Wasservorräte immer mehr entlastet wird. In einem ähnlichen Fall mussten
                              									nachträglich bei einer Anzahl ¾-gek. Gebirgstenderlokomotiven (Masch. No. 1901–10
                              									der Kgl. Eisenb. - Dir. Frankf.) zwischen der unter dem Führerstand gelegenen Adamsachse und der letzten Kuppelachse Balanziers
                              									angebracht werden, um das häufige Entgleisen der letzten Achse zu beseitigen. Ein
                              									sehr gleichmässiges Entlasten sämtlicher Achsen gewährleistet bei Tenderlokomotiven
                              									der Krausssche Wasserkastenrahmen, der sich leider des
                              									dritten Zylinders wegen bei der oben abgebildeten Lokomotive nicht anbringen liess.
                              									– Die Maschine besitzt die im Lokomotivbau so rasch beliebt gewordenen
                              									Umfassungskreuzköpfe mit einer Gleitbahn. Die Steuerung
                              									ist an sämtlichen Zylindern diejenige von Heusinger;
                              									auf der gekröpften Welle sitzt ein grosses Exzenter. Die Art und Weise, wie die
                              									Steuerungsteile erfasst und aufgehängt sind, ist einfach, gut symmetrisch und sehr
                              									solide, Die Zylinder sind mit Kolbenschiebern ausgerüstet. Die erste Reihe der
                              									vorderen Deckenstehbolzen ist durch Winkelstützen mit der zweiten verbunden. Die
                              									Dampfeinströmung wird durch ein Abschlussventil geregelt. Diese Organe sind billiger
                              									als die bei uns mehr verbreiteten Reglerschieber, werden aber häufiger undicht und
                              									geben daher zu zahlreichen, schwierigen Reparaturen Veranlassung. Verschiedene
                              									Bahnverwaltungen und Fabriken sorgen dafür, dass zum Wiedereinschleifen eines
                              									solchen Ventils nicht jedesmal der Dom vom Kessel abgehoben werden muss. – Der wegen
                              									der hohen Kessellage nur knapp in das Normalprofil gehende Führerstand ist mit einem grossen, für
                              
                              									das Personal wohltuenden Lüftungsaufsatz versehen. Die Feuerung ist mit den Langer-Marcottyschen Rauchverbrennungsapparaten
                              									ausgerüstet. Eine Extersche Hand- sowie die
                              									Druckluftbremse wirken auf die beiden festgelagerten Achsen und zwar werden die
                              									Bremsklötze, wie aus Fig. 1 zu erkennen ist, von
                              									beiden Seiten gegen die Räder gepresst.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 319, S. 282
                              Fig. 1. ⅗-gek. Drillings-Tenderlokomotive von der Berliner Maschinenbau A. G.
                                 
                                 
                                 										vorm. Schwarzkopff.
                              
                           Schon D. p. J. 1903, 318, 703, ist erwähnt, dass diese
                              									Lokomotive aus dem Bestreben entstanden ist, auf der Berliner Stadtbahn vermittels
                              									Dampflokomotiven denselben Verkehr zu bewältigen, der nach Einführung des
                              									elektrischen Betriebes ohne Schwierigkeit zu beherrschen wäre. Der elektrische
                              									Betrieb für Stadtbahnen ist dem Dampfbetrieb überlegen, wenigstens in Hinsicht auf
                              									rasche Beförderung, weniger Lärm und Reinlichkeit; da man aber noch auf
                              									Verbilligungen wartet (Einphasenwechselstrommotor, siehe D. p. J. 1903 318, 609), so hat die Staatsbahnverwaltung zunächst die
                              									Vervollkommnung des Lokomotivbetriebes vorgezogen, und zwar wurde von den zu
                              									beschaffenden Lokomotiven verlangt, dass sie einen Zug von 14 der jetzigen
                              									Stadtbahnwagen, besetzt, im Gewicht von 240 t mit einer Beschleunigung von 0,25 m/sek. zu
                              									befördern in der Lage sei. Anfangs wollte man diese Aufgabe mit einer ¾-gek. Drillingslokomotive, die die folgenden
                              									charakterisierenden Zahlen hat, lösen, (siehe Glasers
                              									Annalen Heft 548, Seite 149)
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 319, S. 282
                              Fig. 2.
                              
                           
                              
                                 Adhäsionsgewicht
                                 48
                                 t
                                 
                              
                                 Treibraddurchmesser
                                 1500
                                 mm
                                 
                              
                                 Zylinderdurchmesser
                                 490
                                 „
                                 
                              
                                 Kolbenhub
                                 650
                                 „
                                 
                              
                                 Dampfspannung
                                 14
                                 atm
                                 
                              
                           Ferner sollte mit dieser Lokomotive die geforderte
                              									Beschleunigung bei einer Zylinderfüllung von 25 v. H. erreicht werden, damit der
                              									lästige Lärm des Auspuffs auch schon beim Anfahren tunlichst vermieden würde (s. Glasers Annal. Heft 555, Seite 66). Während der
                              									Ausarbeitung des Entwurfs entschloss man sich dazu, von der ¾ zur ⅗-gek. Bauart
                              									überzugehen und späterwurde von dieser im Bau befindlichen Maschine behauptet,
                              									dass sie den verlangten Zug mit 0,5 m/sek. Beschleunigung befördern könnte (s. Glas. Annal. Heft 576, Seite 247).
                           Bei solchen Absichten handelte es sich natürlich mehr um die technische Lösung einer
                              									Aufgabe als um ihre wirtschaftliche Seite. (Möglich ist es allerdings, dass die
                              									Wirtschaftlichkeit sich daraus ergibt, dass der Uebergang vom Dampfbetrieb zum
                              									elektrischen in einigen Jahren vielleicht billiger ist als heute). Es war also
                              									vorauszusehen, dass eine solche Lokomotive nicht sonderlich sparsam arbeiten würde,
                              									besonders wenn man sich die Abkühlungsfläche der drei grossen Zylinder, ferner den
                              									schlechten mechanischen Wirkungsgrad der Maschine infolge der hohen Kompressionen,
                              									die Kulissensteuerungen bei kleinen Füllungen stets mit sich bringen und
                              									schliesslich die Hauptsache, das ungünstige Verhältnis der Zylinderwandtemperatur
                              									bei den geringen Füllungen zu der Temperatur des einströmenden Dampfes von 14 Atm.
                              									Spannung vergegenwärtigt. Ein solch hoher Druck ist im allgemeinen nur bei
                              									Verbundmaschinen zulässig; denn bei einstufiger Expansion tritt ausser dem ungünstig
                              									hohen Temperaturgefälle auch noch ein wesentlicher Verlust infolge der starken
                              									Druckdifferenz zwischen den beiden Seiten des Kolbenkörpers auf, ebenso kann auch
                              									ein Kolbenschieber mit den hier angewandten, nicht federnden Ringen gegen eine
                              									Druckdifferenz von 14 Atm. nur sehr unvollkommen abdichten. Hätte man mit der
                              									Lokomotive noch einen anderen Zweck verfolgt als den erwähnten, so wäre sie gewiss
                              									so gebaut werden, dass sie mit Drillingswirkung anfährt und nachher als
                              									Verbundmaschine weiter arbeitet (s. D. p. J. 1904, 319,
                              									51 und 137), da aber eine Stadtbahnlokomotive wegen der geringen Entfernung der
                              									Haltestellen nur Beschleunigungsarbeit zu verrichten hat, so sind eben hier,
                              									besonders wenn man noch bedenkt, dass man ein tunlichst lärmloses Anfahren erzielen
                              									wollte, Konstruktionen berechtigt, die man im allgemeinen im Lokomotiv- und
                              									Dampfmaschinenbau verurteilen würde.
                           Bei den Probefahrten (s. D. p. J. 1903, 318, 703) hat die
                              									Lokomotive nicht ganz soviel geleistet als eine ¾-gek. Heissdampflokomotive, dies
                              									ist aber darauf zurückzuführen, dass sie Ihre Leistungsfähigkeit nicht voll
                              									entfalten konnte, weil zwecks Vergleich mit zwei anderen Lokomotiven 0,42 qm der
                              									Rostfläche abgedeckt war (s. Glas. Annal. Heft 634,
                              									Seite 202 und Heft 635, Seite 218).
                           Solange die Dampflokomotive mit dem elektrischen Betrieb der Stadtbahnen wetteifern
                              									soll, wird die Drillingsbauart, die auch schon von der Great-Eastern-Bahn in London zu demselben Zweck verwandt wird (s.
                              									Zeitschr. d. Ver. Deutsch. Ing. 1903, Seite 545), ein geeignetes Mittel bilden.