| Titel: | Die neuen Eisenbahnbrücken und die Umgehungsbahn bei Mainz. | 
| Autor: | Völker | 
| Fundstelle: | Band 319, Jahrgang 1904, S. 385 | 
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                        Die neuen Eisenbahnbrücken und die Umgehungsbahn
                           								bei Mainz.
                        Von Dr. Ing. Völker,
                           								Hamburg.
                        Die neuen Eisenbahnbrücken und die Umgehungsbahn bei
                           								Mainz.
                        
                     
                        
                           
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 319, S. 385
                              Fig. 1.
                              
                           Am 1. Mai d. J. fand in Gegenwart des Kaisers und des Grossherzogs von Hessen die
                              									feierliche Eröffnung der neuen Eisenbahnverbindung Mombach–Bischofsheim statt. Die
                              									neue Bahnlinie (sog. Umgehungsbahn) überschreitet den Rhein unterhalb Mainz und den
                              									Main kurz vor seiner Mündung mittels zweier weitgespannter Bogenbrücken. Sie leitet
                              									ihren Namen daher ab, dass sie die Stadt Mainz und deren Bahnhofsanlagen in einem
                              									grossen Bogen umgeht. Die Gründe für diesen Bahnbau liegen vorzugsweise in der
                              									Notwendigkeit, den zwischen dem Hauptbahnhof Mainz und der alten Rheinbrücke
                              									gelegenen, 1196 m fangen Tunnel, sowie den Bahnhof selbst zu entlasten. Diesen
                              									Tunnel und die alte Brücke beanspruchen zurzeit drei Hauptlinien (Mainz–Frankfurt,
                              									Mainz–Darmstadt–Aschaffenburg und Mainz–Mannheim über Dornberg–Gross–Gerau), deren
                              									jede für sich allein über einen starkenVerkehr verfügt, so dass sich auf dem
                              									gemeinsamen Teil dieser Linien Mainz–Bischofsheim eine sehr dichte Zugfolge ergibt.
                              									Die Aufrechterhaltung des Zugverkehrs macht daher auf dieser Teilstrecke bei
                              									eintretenden Unregelmässigkeiten sehr grosse Schwierigkeiten, ein Unfall im Tunnel
                              									dagegen wäre gleichbedeutend mit einer längeren Verkehrsunterbrechung, was besonders
                              									im Kriegsfalle, bei etwa erforderlichen Massen-Truppentransporten von unabsehbaren
                              									Folgen begleitet sein könnte. Die neue Umgehungsbahn erfüllt demnach ausser rein
                              									wirtschaftlichen auch eine äusserst wichtige strategische Aufgabe, was besonders
                              									darin zum Ausdruck kommt, dass das Reich von den sich auf 15657000 M. belaufenden
                              									Gesamtkosten nahezu die Hälfte 7702200 M. übernimmt, während Hessen und Preussen
                              									sich in die übrigen Baukosten nach dem Verhältnis der Lage auf deren Gebiet teilen. Die
                              									neue Bahnlinie schliesst gleichzeitig die seither noch bestehende einzige Lücke
                              									einer ununterbrochenen rechten Rheinuferbahn von der Schweiz bis zu den
                              									Niederlanden. Ihrem Hauptzweck entsprechend, dient die neue Verbindung zunächst nur
                              									dem Güterverkehr. Dadurch, dass dieser durch direkte Züge von Mombach über die neue
                              									Rhein- und Mainbrücke nach dem Rangierbahnhof Bichofsheim geleitet wird, ist der
                              									Hauptbahnhof Mainz von Durchgangsgütern vollkommen entlastet. Gleichzeitig konnte
                              									mit der Ausführung der Umgehungsbahn die lang ersehnte direkte Verbindung von Mainz
                              									mit Wiesbaden hergestellt werden, was durch Abzweigungen von der neuen Rheinbrücke
                              									aus ermöglicht wurde. Es sollte der preussisch - hessischen Eisenbahn gemeinschaft
                              									vorbehalten bleiben, diese für Verkehr und Landesverteidigung gleich wichtigen
                              									Anlagen auszuführen, nachdem schon die frühere
                              									Hessische-Ludwigs-Eisenbahngesellschaft Projekte hierfür ausgearbeitet hatte, um
                              									ihre auf preussischem Gebiet gelegenen, rechtsrheinischen Bahnstrecken mit den
                              									linksrheinischen zu verbinden. Nach erteilter Genehmigung zur Bauausführung im
                              									November 1901 wurden die Vorarbeiten derart beschleunigt, dass noch in demselben
                              									Jahre mit dem Bau begonnen wurde. Nachdem zunächst eine Linienführung, die den
                              									Anschluss von der Rheinbrücke nach Mainz innerhalb der Festungsumwallung vorsah, mit
                              									Recht von der Stadt Mainz bekämpft wurde, musste die ganze Bahnlinie auf deren
                              									Veranlassung weiter nach aussen verschoben werden, so dass die
                              									linksrheinischenBrückenrampen den Flosshafen überschreiten und die neue
                              									Rheinbrücke etwa 2500 m unterhalb der bestehenden Strassenbrücke zu liegen kommt
                              										(Fig. 1)Die
                                    											Abbildungen sind der vom Eisenbahnbau- und Betriebsinspektor H. Merkel verfassten und zur Eröffnung
                                    											erschienenen Festschrift entnommen.. An dieser Stelle wird der
                              									Rheinstrom durch die langgestreckte Insel Petersau in zwei Arme geteilt. Die Brücke
                              									überschreitet den breiteren südlichen Arm mittels dreier Bogenfachwerkträger
                              									(Zweigelenkbogen mit Zugband) während der schmälere nördliche Arm durch zwei
                              									Oeffnungen desselben Systems überspannt wird. Die Bogenträger schliessen sich in
                              									ihrer Form und Konstruktion eng an die von derselben Eisenbahndirektion erbaute
                              									Rheinbrücke bei Worms an. Dieses System erweist sich für Eisenbahnbrücken sehr
                              									zweckmässig, da es eine möglichst tiefliegende Fahrbahn gestattet, deren Höhenlage
                              									durch die Forderung eines lichten Raumes von 9,4 m über dem höchsten schiffbaren
                              									Wasserstand bedingt war.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 319, S. 386
                              Fig. 2.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 319, S. 386
                              Fig. 3.
                              
                           Auf der Petersaue kamen als Tragsystem Parallelfachwerkbalken
                              									in Anwendung, während die beiden Uferanschlüsse durch je zwei gewölbte
                              									Unterführungen hergestellt wurden (Fig. 2.) Die
                              									Ausführung der Rheinbrücke wurde in engerem Wettbewerb vergeben, wobei die Firma Ph. Holzmann & Cie., Frankfurt a. M. den Zuschlag
                              									erhielt, die ihrerseits die Herstellung der Eisenkonstruktionen zur Hälfte an die
                              											„Vereinigte Maschinenbaugesellschaft Nürnberg,
                                    											Filiale Gustavsburg“ und zur Hälfte an die Union in Dortmund übertrug. Die Ausbildung der Eisenkonstruktionen geschah
                              									in enger Anlehnung an die Wormser Eisenbahnbrücke, nur wurde auf die längs- und
                              									querbeweglichen Auflager verzichtet, dafür aber im Endquerrahmen der untere Riegel
                              									fortgelassen, um eine geringe Querbeweglichkeit zu ermöglichen (Fig. 3). Die Fahrbahn ist freischwebend, jedoch wurde
                              									von der in Worms ausgeführten gelenkigen Aufhängung der Fahrbahntafel abgesehen und
                              									die Querträger mit den Hängepfosten fest vernietet. Der Fahrbahnbelag ist so
                              									eingerichtet, dass Militärfahrzeuge jeder Art ohne weiteres die Brücke benutzen
                              									können. Die Strompfeiler wurden mit Luftdruckgründung fundiert und bestehen aus
                              									Stampfbeton mit Basaltlavaverkleidung. Die Stromöffnungen des linken Rheinarmes
                              									wurden seitens der Brückenbauanstalt Gustavsburg auf
                              									eisernen Hilfsbrücken montiert, welche nach Herstellung einer Oeffnung auf Schiffen
                              									ausgefahren und zur Montage der nächsten Oeffnung wieder verwendet wurden. Hierbei
                              									wurde zuerst die Fahrbahn zusammengebaut und die Hängepfosten als tragende Teile für
                              									das Obergerüst des Bogens benutzt. Die rechten Stromöffnungen wurden seitens der Union auf Holzgerüsten montiert. Die architektonischen
                              									Aufbauten an den vier besonders zu kennzeichnenden Ufern zeigen romanischen Stil
                              									nach den Entwürfen des Geheimen Baurats Schwechten in
                              									Berlin. Ihrer hervorragenden Lage und Bedeutung entsprechend wurde die Brücke mit
                              									einer Wichen Architektur von hoher Vollkommenheit und Schönheit ausgestattet, was
                              									besonders bei dem links-rheinischen Brückenkopfe
                              									in die Erscheinung tritt, Fig. 3.) Die
                              									Gesamtbaukosten der Brücke betrugen 5200000 M. Ausser dem soeben besprochenem
                              									Bauwerk beansprucht die neue Mainbrücke von den übrigen Kunstbauten naturgemäss das
                              									grösste Interesse. Während die Ausführung der Rheinbrücke im ganzen vergeben wurde,
                              									fand bei der Mainbrücke die Herstellung der Pfeiler und Widerlager, sowie des
                              									gewölbten Teiles der Rutbrücken in getrennter Ausschreibung von den eisernen
                              									Ueberbauten statt. Erstere Arbeiten wurden ebenfalls von der Firma Holzmann ausgeführt, während für die letzteren die
                              
                              									Gesellschaft Harkort in Duisburg den Zuschlag erhielt.
                              									Zur Ausführung wurde dasselbe System wie bei der Rheinbrücke gewählt. Abweichend von
                              									letzterer greift hier das Zugband direkt an den Auflagern an. Die über dem höchsten
                              									schiffbaren Wasserstande verlangte lichte Höhe beträgt 6,5 m. Die Brücke weist nur
                              									zweieigentliche Stromöffnungen von 82,60 m Weite auf, an die sich beiderseits
                              									je eine Oeffnung von 59,00 m anschliesst. Die Lage der Brücke erforderte nur einen
                              									Strompfeiler. Je ein weiterer Pfeiler kam auf die Zunge der Kostheimer Schleuse und
                              									auf das Mainufer zu stehen. (Fig. 4). Da auf
                              									Veranlassung der Wasserbaubehörde die ganze Länge zwischen den beiden
                              									Hochwasserdämmen des Mains zu überbrücken war, so schliessen sich auf der rechten
                              									Mainseite noch neun gewölbte Oeffnungen von je 23,48 m Lichtweite an, die ganz in
                              									Beton gestampft sind und eine Stirnverkleidung aus Sandstein erhielten. An der
                              									linken Seite des Mains schliesst sich eine gewölbte Oeffnung von 12 m Weite an die
                              									Eisenkonstruktion an. Ausserdem sind die Wege auf den Dammkronen durch kleine
                              									Oeffnungen von 3,0 m Lichtweite hindurchgeführt. Die Fundierung des Strom- und
                              									rechtsmainischen Uebergangspfeilers geschah auf Pfahlrost, während alle übrigen
                              									Pfeiler direkt auf eine Betonsohle gegründet werden konnten. Die sehr ansprechende
                              									Architektur nach dem Entwurf des Regierungsbaumeisters Herrmann in modernen Formen beschränkt sich auf eine kräftige Trennung der
                              									Eisenkonstruktion von den gewölbten Oeffnungen. Die Gesamtbaukosten der Brücke
                              									betrugen 1120000 M.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 319, S. 387
                              Fig. 4. Der obere Maasstab ist für die Längen, der untere für die
                                 										Höben.
                              
                           Neben diesen beiden grossen Bauwerken war noch eine ganze Reihe kleinerer Ueber- und
                              									Unterführungen erforderlich, von denen die Ueberbrückung des Mainzer Flosshafens
                              									(siehe Fig. 2). besondere Beachtung verdient.
                              									Ausserdem bieten die geschickten Anordnungen der Brückenrampen auf der linken und
                              									rechten Rheinseite Interesse, indem Fahrstrassenkreuzungen der beiden Linien
                              									Mombach–Bischofsheim und Mainz–Wiesbaden durch Ueber- bezw. Unterführungen vermieden
                              									sind. Durch ausgedehnte Verwendung von Beton anstatt Mauerwerk zu den Kunstbauten
                              									wurden die Baukosten um etwa eine halbe Million M. verringert. Die Bauausführung der
                              									ganzen Anlagen einschliesslich der beiden grossen Brücken wurde in der
                              									ausserordentlich kurzen Zeit von zwei Baujahren vollendet. So ist in diesem kurzen
                              									Zeitraum durch das einmütige Zusammenwirken aller beteiligten Kreise ein Werk
                              									erstanden, auf dessen hohe Bedeutung Moltke bereits im
                              									Jahre 1869 hingewiesen hat. Durch die Vollendung dieses Baues, der für die
                              									wirtschaftlichen und die Interessen der Landesverteidigung von gleich hoher
                              									Wichtigkeit ist, hat sich deutsche Kunst und Technik ein bleibendes Denkmal
                              									gesetzt.