| Titel: | Bedenken gegen die Bedeutung der magnetischen Kraftlinien als Stromlinien. | 
| Autor: | Haedicke | 
| Fundstelle: | Band 319, Jahrgang 1904, S. 598 | 
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                        Bedenken gegen die Bedeutung der magnetischen
                           								Kraftlinien als Stromlinien.
                        Bedenken gegen die Bedeutung der magnetischen Kraftlinien als
                           								Stromlinien.
                        
                     
                        
                           Vielfach, auch in Lehrbüchern, findet man die Ansicht vertreten, dass das
                              									magnetische Feld von Strömen durchflössen werde, die ihren Lauf von Pol zu Pol
                              									nähmen, aber nicht geradlinig, sondern in der Richtung der sog. Kraftlinien. Als Grund hierfür gilt zunächst der
                              									Umstand, dass ein Hufeisenmagnet, mit beiden Polen gleichzeitig in Eisenfeilicht
                              									getaucht, einen bogenförmig angeordneten Klumpen mit herausnimmt, der allerdings an
                              									den Verlauf der Kraftlinien erinnert, also der Kurven, welche sich bilden, wenn man
                              									Eisenfeilicht auf ein Blatt Papier streut, unter dem sich ein Hufeisenmagnet
                              									befindet. Und diese Linien selbst werden als ein Beweis für das Vorhandensein der
                              									Kraftströme angesehen, welchen die Anordnung der Feilspänchen zuzuschreiben sei.
                           Abgesehen davon, dass ein Strom ohne Arbeitsäusserung nicht denkbar und eine solche
                              									bzw. ein Aequivalent für dieselbe in diesem Falle nicht bekannt ist, muss die
                              									Richtigkeit der soeben angegebenen beiden Folgerungen in Zweifel gezogen werden.
                           Zunächst hebt auch ein Pol ein Bündel Späne aus dem
                              									Gefäss, und dies lediglich infolge der bekannten Anziehung. Dass aus dem einfachen
                              									Büschel ein bogenförmiges Bündel wird, wenn zwei in nicht zu grosser Entfernung
                              									voneinander eingetauchte Pole gleichzeitig aus den Spänen emporgehoben werden, ist
                              									selbstverständlich, dabekanntlich die angezogenen Eisenstückchen selbst zu
                              									Magneten werden und sich gegenseitig anziehen; die Büschel reichen sich die Hand und
                              									bilden eine Brücke zwischen den Polen.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 319, S. 597
                              
                           Würden es nur wenige spitze und gleich lange Stäbchen sein, so
                              									würden sie eine Kettenlinie bilden, und zwar ganz unabhängig von den Kraftlinien,
                              										deren Form
                              										(Fig.
                                 									1) eine ganz andere ist. Man kann dasselbe Bild hervorbringen durch Blech-
                              									oder nasse Papierstreifen, welche man (Fig. 2), im letzteren
                              									Falle lediglich mit Hilfe der Adhäsion, in dieser Anordnung erhalten kann. Es wird
                              									niemand auf den Gedanken kommen, hieraus auf einen Strom zu schliessen.
                           Auch die Kraftlinien, welche man durch Aufstreuen auf ein Papier über einem Magneten
                              									erhält, sind lediglich die Folge der magnetischen Verteilung, vermöge welcher jedes
                              									Eisenstückchen zu einem Magneten wird und sich, lose aufgestreut, so einstellt, wie
                              									es die Magnetnadel an dem Orte tun würde. Man unterstützt dies zweckmässig durch
                              									leichtes Klopfen, sodass sich die Stückchen so zurechtlegen können, wie es den auf
                              									sie wirkenden Kräften entspricht. Aber diese Kräfte sind eben nur die geradlinig den
                              									Polen zu gerichteten, zu denen die Einzelkräfte der benachbarten durch Verteilung
                              									entstandenen Magnetchen treten. Es wird dieses (Fig. 3) am besten mit
                              									Hülfe einer Anzahl Magnetnadeln gekennzeichnet, welche man irgend wie aufstellt,
                              									sodass ihre Spitzen sich möglichst nähern.
                           Es können also je nach der Aufstellung recht unregelmässige Linien entstehen, die mit
                              									irgend einem Strom sicher nichts zu tun haben.
                           Dass es nur geradlinig nach den Polen zu gerichtete Kräfte sind, erweist sich leicht,
                              									wenn man das Klopfen bei dem oben angegebenen Versuch verstärkt und fortsetzt. Die
                              									Spänchen begeben sich ganz ohne Rücksicht auf die vorher gebildeten Kurven möglichst
                              									auf dem nächsten Wege zum nächsten Pol. Sehr hübsch lässt sich dies zeigen, wenn man
                              									kleine Blechstreifen auf Papierstückchen klebt und diese auf Wasser setzt, unter
                              									dessen Oberfläche ein Hufeisenmagnet liegt. Sie beeilen sich alle, sobald sie sich
                              									selbst überlassen sind, möglichst schnell zum nächsten Pol zu kommen.
                           Auch wenn man den Hufeisenmagneten durch zwei parallel gelegte Magnetstäbe ersetzt,
                              									erhält man die bekannten Figuren; aber nur, wenn die Entfernung eine gewisse ist.
                              									Indessen ist auch der einzelne Stab lehrreich. Dieser gibt (Fig. 4) nur ganz in der
                              									Nähe am Mittelstück eine Andeutung von Kraftlinien, die lediglich dem Umstände
                              									zuzuschreiben sind, dass an diesen Stellen eine gemeinsame Wirkung beider Pole
                              									vorhanden ist. Wäre aber ein Kraftstrom vorhanden, der sich von Pol zu
                              									Polerstreckte, so müsste er wie beim Hufeisenmagneten doch vor allem von den
                              									Polen aus und nicht nur in der Nähe des neutralen Mittelstückes in die Erscheinung
                              									treten. Es müssten sich die in Wirklichkeit radial abstehenden Spitzen der
                              									borstenartigen Gebilde zurückkrümmen.
                           Noch klarer tritt die lediglich geradlinig wirkende Anziehungskraft des Magneten
                              									gegenüber den Kraftlinien hervor, wenn man die beiden Magnetstäbe parallel von
                              									einander weiter entfernt. Die magnetische Anziehungskraft dieser beiden Stäbe zu
                              									einem vorgelegten Anker bleibt durchaus dieselbe wie vorher, aber das Bild der
                              									Kraftlinien ist ein ganz anderes. Wie aus Fig. 5 zu ersehen,
                              									verschwindet das Streben von Pol zu Pol gänzlich und jeder Stab giebt für sich
                              									dasselbe Bild, welches er einzeln geliefert hat.
                           Hiernach liegt nicht der bescheidenste Beweis dafür vor, dass es einen Strom giebt,
                              									der bogenförmig von Pol zu Pol wandert; vielmehr lassen sich die beregten Tatsachen
                              									leicht durch die einfache, geradlinige Anziehung bzw. Abstossung erklären, welche
                              									die Magnetpole ausüben. Und es darf hinzugefügt werden, dass die Annahme eines
                              									solchen Stromes auch gar nicht erforderlich ist.
                           Wenn die Kraftlinien als jene bogenförmig von Pol zu Pol sich hinziehende Kurven
                              									verstanden werden, so wäre es besser, diese als Erklärungsmittel für die
                              									dynamo-elektrischen Erscheinungen zu streichen. Das „Durchschlagen“ dieser
                              									Kraftlinien seitens der Ankerspulen ist sicher gegenstandslos. Es genügt vollkommen,
                              									von einem Durchschlagen der geradlinig von den Polen ausgehend gedachten
                              									magnetischen Kraftrichtungen zu sprechen, um dem Laien die Bedingung für die
                              									Erzeugung des Stromes nahezulegen. In Wirklichkeit ist es bekanntlich die
                              									Ueberwindung der anziehenden bzw. abstossenden Kraft, die von dem Pol eines Magneten
                              									einem elektrischen Stromring gegenüber ausgeübt wird, welche Arbeit kostet und Strom
                              									liefert, und es dürfte der Satz genügen:
                           
                              „Wird die zwischen Magnetpolen bezw. Stromspulen bestehende Anziehung oder
                                 										Abstossung durch Aufwendung mechanischer Arbeit überwunden, so wird diese Arbeit in Strom
                                 										umgesetzt; und wird zu dieser Aenderung Strom
                                 										gebraucht, so setzt sich dieser in Arbeit um.“
                              
                           Haedicke,Siegen.