| Titel: | Das Automobilwesen auf der Weltausstellung in St. Louis 1904. | 
| Autor: | W. Pfitzner | 
| Fundstelle: | Band 320, Jahrgang 1905, S. 101 | 
| Download: | XML | 
                     
                        Das Automobilwesen auf der Weltausstellung in
                           									St. Louis 1904.
                        Von Dipl.-Ing. W. Pfitzner, Assistent an der
                           									Technischen Hochschule zu
                              								Dresden.
                        (Fortsetzung von S. 83 d. Bd.)
                        Das Automobilwesen auf der Weltausstellung in St. Louis
                           								1904.
                        
                     
                        
                           
                              1. Wagen mit liegenden Einzylinder-Benzinmotoren.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 101
                              Fig. 5. Untergestell des Oldsmobiles.
                              
                           Diese Art Fahrzeuge, die, wenn irgend eine, als die typisch amerikanische bezeichnet
                              									werden kann, ist zuerst von den Oldsmotor werken,
                              									Detroit Mich., gebaut worden. Die Haupteigentümlichkeiten solcher Wagen, die bereits
                              									an anderer Stelle dieser Zeitschrift besprochen wurden (D. p. J. 1904, 319, S. 760), bilden das Merkmal für den leichten Wagen
                              									in Amerika. Eine grosse Zahl Nachahmungen sind entstanden, allein in Detroit sind
                              									noch zwei weitere grosse Automobilfabriken, die täglich bis 40 Stück derartiger
                              									kleiner Wagen erzeugen; auf der Ausstellung waren ausser den Oldsmobilen zu sehen:
                              										Pope, Hartford Conn., Rambler (Thomas B. Jeffery), Kenosha Wis., Cadillac, Detroit, St. Louis Motor Carriage
                                 										Company, alles kleine zweisitzige Wagen mit liegenden Einzylindermotoren
                              									von etwa 8 PS. Für die langen, flachen, zum Teil auch glatten Strassen der
                              									nordamerikanischen Städte ist diese Art Fahrzeuge sehr brauchbar, und ihr
                              									billiger Preis macht ihre grosse Verbreitung erklärlich.
                           Die allgemeine Beliebtheit dieser Fahrzeuge liess den Wunsch entstehen, sie auch in
                              									grösseren Abmessungen für mehr als zwei Personen zu bauen. Während hierbei die
                              									meisten anderen Fabriken zu einer erheblichen Vergrösserung der Motorleistung und
                              									demzufolge meist zur mehrzylindrigen Bauart übergingen, sind die Oldsmotorwerke bei dem Einzylinder geblieben. Ihr neuer
                              									grösserer Wagen für vier Personen, genannt Oldsmobile Light
                                 										Tonneau, hat einen Motor mit nur einem Zylinder von 10 PS und ungefähr
                              									derselben Anordnung wie der ältere kleine Wagen. In Fig.
                                 										5 ist eine Aufsicht auf das Untergestell wiedergegeben, aus der die
                              									Anordnung aller Teile hervorgeht; zur Ergänzung diene die Abbildung Fig. 6. Der Motor M
                              									liegt ungefähr in der Mitte des ganzen Gestelles, auf seiner Kurbelwelle sitzen das
                              									sehr grosse und schwere Schwungrad S, ein kleines
                              									Kettenrad K und das Umlaufräderwechselgetriebe
                              										W, das durch Festbremsen des einen oder anderen
                              									Zahnkranzes dem Kettenrad eine von der Kurbelwelle verschiedene Umdrehungszahl zu
                              
                              									geben gestattet. Zum Andrehen des Motors ist eine seitlich am Gestell sitzende
                              									Hilfskurbel A vorgesehen, die mit Hilfe eines kleinen
                              									Kettentriebes die Kurbelwelle der Maschine in Bewegung setzt. Vorratsbehälter für
                              									Wasser, Benzin, eine Batterie Trockenelemente für die Zündung, ein Röhrenkühler ist
                              									vorn unter einer Haube zu finden, die dem Wagen äusserlich das Aussehen der
                              									europäischen Fahrzeuge mit vorn stehendem Motor verleiht. Der Vergaser V sitzt dicht am Motor, ein Oelgefäss ist über dem
                              									Kurbelgehäuse gelagert (Fig. 6).
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 102
                              Fig. 6. Untergestell der Oldsmobile, Light Tonneau.
                              
                           Der Antrieb der mit einem Differentialgetriebe ausgerüsteten Hinterachse geschieht
                              
                              									durch eine Rollenkette von dem Kettenrad auf der Kurbelwelle aus. Der Rahmen aus
                              									leichtem Winkeleisen ist mit den Achsen durch lange, von der einen zur anderen Achse
                              									durchgehende Blattfedern verbunden, die dem Fahrzeug eine ausserordentlich sanfte,
                              									bei dem schlechten Strassenzustand in Amerika aber auch durchaus notwendige Federung
                              
                              									verleihen. Verbessert wird diese noch durch eine über der Vorderachse liegende
                              									Querfeder. Die ganze Konstruktion deutet auf das Bestreben, den Achsen eine
                              									möglichst grosse Bewegungsfreiheit zu geben, ohne den Rahmen an den Durchbiegungen
                              									teilnehmen zu lassen.
                           Die Steuerung des Wagens geschieht nicht mehr wie bei dem kleinen Modell mit
                              									einfachem Handhebel; es ist eine regelrechte Steuersäule mit grossem Handrad
                              									vorhanden, in dem sich sogar nach dem Vorbild von Daimler die Regulierungshebel für den Motor befinden: Drosselung des
                              									Gasgemisches und Verstellung der Zündung. Die Steuersäule wird dadurch etwas
                              									kompliziert; sie verliert noch mehr an Einfachheit durch eine weitere, allerdings
                              									recht angenehme Einrichtung: Sie ist, um ein bequemes Einsteigen zu ermöglichen,
                              									umklappbar und in verschiedenen Schräglagen feststellbar. Eine Verriegelung sorgt
                              									dafür, dass ein Ingangsetzen des Wagens unmöglich ist, solange die Steuersäule nicht
                              									fest eingeklinkt ist.
                           Die Wirkungsweise des Wechselgetriebes sei an Hand der Fig.
                                 										7 noch etwas näher erläutert. Es besteht aus zwei Umlaufräderwerken, deren
                              									Zentralräder von verschiedener Grösse an dem auf der Kurbelwelle aufgekeilten
                              									Mittelstück C sitzen. Der eine, linke Satz Umlaufräder
                              									steht in fester Verbindung mit dem Kettenrad K der dazu
                              									gehörige Innenverzahnungskranz befindet sich in der Gehäusekapsel G, die frei drehbar ist und aussen von einem Bremsband
                              									umschlossen wird. Der zweite, rechte Satz Umlaufräder wird von einem aus zwei
                              									Teilen zusammengesetzten Gehäusestück R getragen, in
                              									das eine scheibenartige, zur Lagerung und Festklemmung dienende Verlängerung des
                              									Gehäuses G hineinragt, und um das sich ebenfalls ein
                              									Bremsband schlingt. Der hierzu gehörende Innenzahnkranz ist an dem umlaufenden Teil
                              									des ersten Umlaufräderwerkes befestigt und steht somit in fester Verbindung mit dem
                              									Kettenrad K.
                           Mit dem Getriebe werden zwei Geschwindigkeiten vorwärts und eine rückwärts erzielt,
                              									in folgender Weise: Wenn langsam vorwärts gefahren werden soll, wird das Gehäuse G mit dem auf ihm befindlichen Bremsband festgehalten.
                              									Infolgedessen wälzt das Mittelrad C den Umlaufkranz auf
                              									der linken Innenverzahnung ab und das Kettenrad bewegt sich mit verminderter
                              									Umdrehungszahl, aber in demselben Sinne wie die Kurbelwelle. Die Uebersetzung
                              									beträgt in der Ausführung 1 : 3,75.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 102
                              Fig. 7. Wechselgetriebe des Oldsmobiles.
                              
                           Für den Rückwärtsgang wird das zweite Umlaufräderwerk benutzt, und zwar wird mit
                              									Hilfe des anderen Bremsbandes dessen Umlaufkranz festgestellt, wodurch jetzt der
                              									zugehörige Innenzahnkranz, und damit das Kettenrad K,
                              									von dem Zentralrad im umgekehrten Sinne und langsamer gedreht wird. Die Uebersetzung
                              									rückwärts beträgt 1 : 3,2.
                           Während jeder der beiden Bewegungen ist jedesmal das nicht benutzte Umlaufräderwerk
                              									frei und kann sich nach den aufgezwungenen Drehungen des anderen richten. Hebt man
                              									diese Bewegungsmöglichkeit auf, so muss sich das ganze Getriebe als starres Stück
                              									mit der Kurbelwelle drehen, d.h. man hat auf diese Weise eine zweite, grosse Geschwindigkeit
                              
                              									vorwärts. Das Festklemmen wird dadurch hervorgebracht, dass durch teilweise
                              									seitliche Verschiebung des Körpers R das in ihm
                              									befindliche Stück des Gehäuses G angekuppelt wird; das
                              									Stück R ist zweiteilig, die Berührungsflächen mit G sind als Scheibenkupplung ausgebildet. Die in der
                              									Zeichnung noch dargestellten Scheiben sind: Bremsscheibe B, fest verbunden mit dem Kettenrad, zur Wagenbremsung; Verschiebungsring
                              										H zum Anpressen der Scheibenkupplung; Kettenrad K1 zum Andrehen des
                              									Motors, mit der Kurbelwelle fest verbunden.
                           Das ganze Getriebe bildet ein gut durchkonstruiertes, geschlossenes Stück, kann für
                              									die Schmierung der Zahnräder bequem und ohne Schaden für die Kuppelflächen mit Oel
                              									gefüllt werden und hat den grossen Vorzug, dass der Wechsel der Uebersetzungen
                              									allmählich und nicht stossweise wie bei den gewöhnlichen Zahnradgetrieben
                              									stattfindet. Das Anfahren der Oldsmobilwagen ist daher auch ein sehr sanftes. Die
                              									beiden Vorwärtsgeschwindigkeiten werden nacheinander durch denselben Hebel bedient,
                              									der seinen Platz an der Innenseite des rechten Vordersitzes gefunden hat. Der
                              									Rücklauf wird durch ein Pedal eingeschaltet.
                           Ueberhaupt ist zu sagen, dass die einzelnen Teile vorzüglich durchgearbeitet sind,
                              									wenn auch der Gesamteindruck des Untergestelles etwas wirr ist. Der Motor z.B., von
                              									dem Fig. 8 die äussere Ansicht gibt, sieht
                              									ausserordentlich glatt aus und erscheint als Nachbildung der normalen liegenden
                              									Gasmaschine durchaus modern.
                           Die Leistung der Wagen ist infolge ihres geringen Eigengewichtes bemerkenswert. Auf
                              									ebener guter Strasse wird eine Geschwindigkeit von 40–50 km/St. bequem
                              									erreicht, kurze Strecken sandigen Weges werden mit dem grossen Schwungrad gut
                              									überwunden, auch das Fahren auf sehr unebener Strasse ist infolge der vorzüglichen
                              									Federung ganz erträglich.
                           Als wichtigste Nachahmung des leichten Wagens einzylindriger Bauart sei das Fahrzeug
                              									der Cadillac Werke Detroit noch in Fig. 9 vorgeführt, Die Anordnung ist im wesentlichen
                              									dieselbe wie beim Oldsmobil, nur sind die Vorratsbehälter nicht in der vorderen
                              									Haube untergebracht. Auch dieses Fahrzeug wird mit viersitzigem Wagenkasten
                              
                              									ausgerüstet und hat eine ziemliche Bedeutung erlangt. Die Fabrik stellt während
                              									der Hauptgeschäftszeit täglich 40 Wagen her, allerdings ist auch die
                              
                              									Massenfabrikation bis ins äusserste durchgeführt. Die von Amerika oft berichtete
                              									Tatsache, dass das Fabrikat einer Gesellschaft nur in einer bestimmten Farbe zu
                              									haben ist, liegt hier wirklich vor; es gibt nur rote Cadillacs.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 103
                              Fig. 8. Motor des Oldsmobils.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 103
                              Fig. 9. Untergestell des leichten Wagens der Cadillacwerke.
                              
                           
                              
                                 (Fortsetzung folgt.)