| Titel: | Das Eisenbahn- und Verkehrswesen auf der Weltausstellung in St. Louis 1904. | 
| Autor: | M. Buhle, W. Pfitzner | 
| Fundstelle: | Band 320, Jahrgang 1905, S. 273 | 
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                        Das Eisenbahn- und Verkehrswesen auf der
                           								Weltausstellung in St. Louis 1904.
                        Von Professor M. Buhle und Dipl.-Ing. W.
                                 										Pfitzner,
                           								Dresden.
                        (Fortsetzung von S. 261 d. Bd.)
                        Das Eisenbahn- und Verkehrswesen auf der Weltausstellung in St.
                           								Louis 1904.
                        
                     
                        
                           
                              1. Die Baldwin-Lokomotiven.
                              
                           Die Baldwin Lokomotive WorksDie 1832 durch Matthias W. Baldwin († 1866) gegründeten Werke gleichen Namens
                                       												geben in ihrer Geschichte zugleich ein Bild von der Entwicklung des
                                       												amerikanischen Lokomotivbaues überhaupt. Während die erste Lokomotive zu
                                       												ihrer Vollendung ungefähr ein Jahr gebrauchte, werden gegenwärtig über
                                       												sechs Lokomotiven täglich fertiggestellt; im Jahre 1903 wurden 2022
                                       												Maschinen gebaut (dazu ist zu rechnen noch an Reparaturstücken usw. ein
                                       												Betrag, der etwa 250 Lokomotiven gleichkommt). Ueber die zur Zeit
                                       												bestehenden Verhältnisse der Fabrik geben folgende Zahlen Auskunft: Zahl
                                       												der Beamten und Arbeiter 15800, vorhandene PS 11334, Flächeninhalt des
                                       												Werkes 68800 qm, der Stockwerke 149728 qm, Zahl der Glüh- und
                                       												Bogenlampen 5500 bezw. 550, wöchentlicher Verbrauch an Kohlen, Eisen und
                                       												anderen Stoffen 2000, 3600, 1000 t. (Burnham, Williams &
                                 										Co.), Philadelphia, Pa., die grösste Lokomotivfabrik der Erde, hatte
                              									dreizehn grosse Lokomotiven zur Schau gebracht, deren Hauptabmessungen in der
                              									Zusammenstellung 1 (S. 258 und 259) an erster Stelle aufgeführt sind. Von diesen ist
                              									die interessanteste die
                           
                              Vierzylinder-Verbundlokomotive der Atchison-, Topeka- und
                                 										Santa Fé-Eisenbahngesellschaft,
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 273
                              Fig. 16. Vierzylindrige ⅖ gek. Schnellzug-Verbundlokomotive der Baldwinwerke
                                 										in Philadelphia.
                              
                           der erste Versuch, die in Europa längst eingeführten
                              									Vierzylindermaschinen den amerikanischen Verhältnissen anzupassen. Die Maschine, von
                              									denen bereits einige Ausführungen im Betrieb der genannten Bahn tätig sind, ist in
                              										Fig. 16–20 in Ansichten und
                              									Schnitten dargestellt; in Fig. 21–23 ist
                              									ausserdem die Zylinderkonstruktion näher erläutert.
                           Die Anordnung der Maschine lehnt sich eng an die Bauart von
                                 										Borries an, die in der Maschine der Hannoverschen Maschinenfabrik
                              
                              									(Zusammenstellung 1 No. 37 [S. 258 und 259; vergleiche auch 1904, Bd. 319, S. 657]) auf der Ausstellung vertreten war. Alle
                              									vier Triebwerke arbeiten auf die erste Treibachse, die zweite ist reine Kuppelachse.
                              
                              									Ausser den spezifisch amerikanischen Konstruktionen des Rahmens, Kessels usw. ist
                              									der Hauptunterschied gegen die deutsche Bauart die Verwendung nur je eines Schiebers
                              									für je zwei zusammengehörige Zylinder, eine Anlehnung oder Weiterbildung der Woolf-Vauclainschen Anordnung. Der gemeinsame
                              									Kolbenschieber, im Durchmesser fast so gross wie der Hochdruckzylinder, liegt mitten
                              									über dem an dieser Stelle nur aus einem einzigen Stab bestehenden Barrenrahmen, die
                              									Zylinder sind sämtlich in einer Horizontalebene mit diesem Rahmenstück selbst
                              									gelagert (Fig.
                                 										21). Ebenso wie bei der deutschen Maschine bilden je ein Zylinderpaar mit
                              									Schieber ein Gusstück, das mit dem der anderen in der senkrechten Mittelebene der
                              									ganzen Maschine zu einem Sattel verschraubt ist.
                           Die Steuerung mit dem gemeinsamen Schieber, Patent Vaudain, hat den Nachteil, dass sich das Füllungsverhältnis der beiden
                              									Zylinder zueinander nicht ändern lässt, die Konstruktion selbst ist natürlich
                              									einfacher als mit zwei getrennten Schiebern und Steuerungen.
                           Die äussere Steuerung ist die in Amerika fast allein zu findende Stephensonsche (s. Fig.
                                 										17); die Exzenter sitzen auf der Kuppelachse, die Kulisse ist zwischen
                              									beiden Achsen aufgehängt, und der Doppelhebel, der die über dem Rahmen liegende
                              									Schieberstange antreibt, greift unmittelbar an der Kulisse an, so dass also eine
                              									Gabelung oder Umführung der Stangen um die Treibachse nicht nötig wird. Alle Hebel,
                              									Hängestangen usw. haben einseitigen Angriff an den Drehbolzen (s. Fig. 19); die
                              									Schieberstange selbst hat trotz der einseitigen Führung im Kreisbogen durch den
                              									Doppelhebel kein Gelenk, eine Vereinfachung, die drüben selbst bei sehr kurzen
                              									Schieberstangen fast ausschliesslich verwendet wird.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 274
                              Fig. 17.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 274
                              Fig. 17–20. Vierzylindrige ⅖-gek. Schnellzug-Verbundlokomotive der
                                 										Baldwinwerke in Philadelphia.
                              
                           Die Kröpfungen der Treibachse, Fig. 18 u. 19, stehen
                              									rechtwinklig zueinander, die äusseren Kurbeln und Kurbelzapfen sind um 180° gegen
                              									die inneren versetzt, um die schwingenden Massen möglichst auszugleichen. Die in
                              										Fig. 16 sichtbaren kleinen rotierenden
                              									Gegengewichte dienen nur zum Ausgleich der rotierenden Massen. Der Durchmesser der
                              									Achsschenkel in der gekröpften Achse ist 254 mm, bei der Kuppelachse 229 mm bei 232
                              									mm Schaftstärke. Die Traglagerlänge ist 317 mm. Auf die gusseisernen Achslager sind
                              									die zweiteiligen Stahlgussrahmen federnd aufgehängt. – Hierzu sei bemerkt, dass bis
                              									zum Jahre 1893 die Barrenrahmen der amerikanischen
                              									Lokomotiven aus zusammengeschweissten Stäben aus Schweisseisen hergestellt und die
                              									Verstrebungen dazwischen geschraubt wurden (s. oben). Da jedoch die Rahmen aus
                              									weichem und zähem Stahlformguss mit grösserer Widerstandsfähigkeit grössere
                              									Elastizität verbinden, also eine wesentlich höhere Betriebssicherheit als
                              									geschweisste Rahmen besitzen, so haben sich erstere bald Einlass verschafft und
                              									letztere vielfach verdrängt. So haben die Baldwinwerke im Jahre 1898 für 45, 1899 für 250, 1900 für 400 und 1901 für
                              									600 Lokomotiven Stahlgussrahmen verwendet.Es
                                    											dürfte vielleicht interessieren, dass seit etwa zwölf Jahren zwei mit
                                    											solchen Rahmen versehene 3/3 gek. Normalgüterzuglokomotiven auf den
                                    											preussischen Bahnen in Gebrauch sind; desgl. sind für die an die
                                    												„Herforder Kleinbahnen“ und an die „Bielefelder
                                       												Schmalspurbahnen“ von der Firma A.
                                       												Borsig, Berlin, gelieferten Lokomotiven Barrenrahmen amerikanischer
                                    											Bauart verwandt (vergl. D. p. J. 1904, 319, S. 775). – Ueber die neuen ⅖-
                                    											und ⅗-gek. Schnellzuglokomotiven der
                                    											bayerischen Staatsbannen, welche ebenfalls Barrenrahmen erhalten haben,
                                    											vergl. Z. d. V. d. I. 1905, S. 421 u. f.
                           An der Aufhängung bezw. Federung des Rahmens ist besonders erwähnenswert eine
                              									Vorrichtung zur Vermehrung des Reibungsgewichtes beim Anfahren und auf Steigungen.
                              									In Fig. 17 und 19 ist ein
                              									Druckzylinder zu sehen, der vermittelst eines Querhebels (Fig. 19) das
                              									Federgehänge der letzten beiden Achsen so verschiebt, dass ein Teil der Achslast der
                              									letzten Laufachse auf die Kuppelachse gehoben wird. Der Druckzylinder wird mit
                              
                              									Pressluft betrieben und soll die Maschinen erheblich leistungsfähiger machen. In der
                              									Tat liegen auch keine Bedenken vor, beim Anfahren und bei langsamem Gang auf
                              									Steigungen die Achslast etwas zu erhöhen, da man bei Schnellfahrt infolge der
                              									einseitigen Gegengewichte ja bedeutend grössere Schienendrücke zulässt.
                           Der grosse, 2819 mm über Schienenoberkante gelegene Kessel besitzt die sogen. Wagon-top-Form, d.h. der hintere Teil um die Feuerkiste
                              									ist erhöht und erweitert. Der vordere zylindrische Teil von 1676 mm mittlerem
                              									Durchmesser wächst unter Vermittlung eines kegelförmigen Schusses auf etwa 1956 mm
                              									Durchmesser an, gleichzeitig rückt die Kesselachse um 80 mm höher.
                           Diese Erweiterung ermöglicht eine breite und grosse Feuerbüchse. Die Wandstärke der
                              									Bleche ist 17,5 und 20,6 mm, die Stahlbleche der Feuerkiste haben 9,5 mm Dicke Die Nietung ist in
                              									den Längsnähten sechsreihig mit Doppellaschen, in den Quernähten zweireihig.
                           Von den kleineren Ausrüstungsteilen ist die vor dem Schornstein aufgestellte
                              									Dampfturbinendynamo zur Speisung eines Stirnlichtscheinwerfers besonders zu erwähnen
                              									(geliefert von der Pyle National Electric Headlight
                                 										Co., Chicago, III.). Die Ausrüstung der schnellfahrenden Lokomotiven mit
                              									solchen Stirnlichtern hat drüben bereits eine grosse Verbreitung angenommen,
                              									augenscheinlich sind die hier gegen solche Einrichtungen geltend gemachten Bedenken:
                              									Blendung der festen Signale und störende Reflexe bei Regen und Schnee, nicht so
                              									bedeutend. Bei den mangelhaft überwachten Bahnen Amerikas, namentlich im Westen,
                              									erleichtert der Scheinwerfer dem Führer die Uebersicht über die Strecke ganz
                              									bedeutend.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 275
                              Zylinderkonstruktion (zu Fig. 16–20).
                              
                           Ueber die Leistungsfähigkeit dieser Maschinenart liefern die Ergebnisse einer am 19.
                              									Februar 1904 mit solcher Lokomotive angestellten Probefahrt ein gutes Bild. Die
                              									Maschine zog auf einer 325,7 km langen Strecke mit
                           Steigungen von 6,4 v. T. und einer Gesamterhebung von 442 m (Dodge City–La Junta,
                              									Colorado) neun Pullman-Wagen (Gesamtzuggewicht 510 t)
                              									in einer Zeit von 4 Stdn. 26 Min. (einschl. einer Zeit von 14 Min. zum Wassernehmen
                              									usw.). Die Durchschnittsgeschwindigkeit einschl. Aufenthalt (Reisegeschwindigkeit)
                              									betrug also 73,5 km/St., die wirkliche mittlere Fahrgeschwindigkeit 77,7 km/St.; dabei
                              									wurden 55 cbm Wasser verbraucht.
                           
                              
                                 (Fortsetzung folgt.)