| Titel: | Der heutige Stand der Motorfahrräder. | 
| Fundstelle: | Band 320, Jahrgang 1905, S. 277 | 
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                        Der heutige Stand der Motorfahrräder.
                        (Fortsetzung von S. 264 d. Bd.)
                        Der heutige Stand der Motorfahrräder.
                        
                     
                        
                           
                              b) Mehrzylindrige Fahrzeuge.
                              
                           Der Einzylinder-Motor entwickelt verhältnismässig grosse Kraft, wodurch stossweises
                              									Fahren entsteht. Die Stösse kommen besonders bei stark gespanntem Riemen sowie bei
                              									langsamer Fahrt und auf unebenen Wegen zur Geltung. Wie durch zahlreiche Versuche
                              									festgestellt ist, wird ein regelmässiger und sanfter Gang des Fahrzeuges selbst bei
                              									verschiedenen Geschwindigkeiten mit einem mehrzylindrigen, am besten mit dem
                              									Vierzylindermotor erzielt, und zwar dadurch, dass sich die Gasmenge, die ein
                              									gleichstarker Einzylindermotor erfordert, hier auf mehrere Zylinder verteilt,
                              									wodurch die Stärke der Explosion vermindert wird. Der Motor läuft sich dadurch auch
                              									weniger schnell heiss, so dass in den meisten Fällen Luftkühlung ausreichen dürfte,
                              									da Wasserkühlung sein Gewicht zu stark vergrössern würde. – Fig. 13 zeigt ein zweizylindriges Fahrzeug der Wanderer-Fahrradwerke vorm. Winklhofer & Jänicke
                                 										A.-G. in Schönau bei Chemnitz. Der für 4 und 5 PS. hergestellte Motor ist
                              									samt seinen Zubehörteilen vom Fahrradrahmen umschlossen, dessen Bau derselbe wie
                              									beim einzylindrigen Fahrzeug geblieben ist. Durch das an das Steuerrohr
                              									anschliessende Verstrebungsdreieck widersteht er den stärksten Stössen.
                           Die beiden Zylinder, deren Kolbenstangen auf einer gemeinsamen Welle sitzen,
                              									sind in ∨-Form gegossen und besitzen mit Rücksicht
                              									darauf, dass durch gesteuerte Ansaugventile die Konstruktion der Ventilsteuerungen
                              									zu kompliziert ausfallen würde, selbsttätige Ventile. Ueber den Ansaugventilkegeln
                              									befinden sich in dem Gaszuführungsrohr Druckstifte in Hülsenführung, vermittelst
                              									weicher diese Ventile vor dem Anfahren durch einen Fingerdruck leicht loszustossen
                              									sind. Die Stosstifte für die Auspuffventilkegel werden von einem Doppelhebel
                              									gehoben, dessen beide Schenkel auf gemeinsamer Achse gelagert sind und dessen Enden
                              									mit Rollen auf den Nocken laufen.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 277
                              Fig. 13. Motorzweirad der Wanderer-Fahrradwerke vorm. Winklhofer &
                                 										Jänicke.
                              
                           Der Zündapparat besitzt doppelte Magneten und an seinem
                              									Unterbrecherring zwei Einkerbungen, wodurch Vor- und Nachzündung für beide Zylinder
                              									gleichzeitig reguliert wird. Der Benzinkasten fasst 8½ Liter Benzin und etwa 1½ Liter Motoröl.
                              									Die Geschwindigkeit kann bei Anwendung des 5 PS.-Motors bis zu etwa 80 km i. d.
                              									Stde. gesteigert werden.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 278
                              Fig. 14. Motorzweirad von Peugeot frères.
                              
                           Um gleichmässige Verteilung des Gasgemisches zu erzielen, ordnen Peugeot frères in Valentigney (Doubs) bei ihrem 2¾
                              									PS.-Zweizylindermotorfahrrad (Fig. 14), das F. M. Bernhardt in Dresden in den Handel bringt, den
                              									Vergaser zwischen den beiden Zylindern an. Letztere haben 55 mm Bohrung bei 70 mm
                              									Kolbenhub. Die Ansaugventile sind auch hier selbsttätige.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 278
                              Fig. 15. Motorzweirad der Progress Motoren und Apparatenbau G. m. b. H.
                              
                           Progress geht von der jetzt allgemein üblichen
                              									∨-förmigen Anordnung der beiden Zylinder ab und stellt sie senkrecht nebeneinander (Fig.
                                 									15). Durch diese Anordnung wird nicht nur bessere Kühlung erzielt, sondern
                              									neben geringerer Abnutzung des Zylinders und Kolbens ist gleichmässigeres
                              
                              									Arbeiten der Ventile gesichert. Letztere haben beim schrägliegenden Motor stets
                              									Neigung; zum „Ecken“, hauptsächlich das selbsttätige Ansaugeventil.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 278
                              Fig. 16. Motorzweirad (System Laurin & Klement) von Seidel &
                                 										Naumann.
                              
                           Die Zündung ist magnet-elektrisch mit Abreissvorrichtung im Motorkopf. Dieselbe wird
                              									im Kapitel „Motoren“ gezeigt.
                           Der Oberflächengvergaser ist derselbe geblieben, welcher in D. p. J. 1903, 318, S.
                              									622 beschrieben ist.
                           Während nun bei all diesen Konstruktionen das Bestreben dahin geht, den Schwerpunkt
                              									durch eine möglichst tiefe Lage des Motors so weit wie möglich nach unten zu
                              									verlegen, tritt, wie Fig. 16 zeigt, bei dem
                              									Motorzweirad System Laurin & Klement, das die Germania A.-G. vorm. Seidel & Naumann in Dresden
                              									baut, das Gegenteil ein. Hier liegt der Schwerpunkt ziemlich hoch, denn bei dem
                              									geringen Gewicht dieser Fahrzeuge kommt dasjenige des Fahrers und dessen
                              									Schwerpunktslage fast allein zur Geltung. Wäre dieses nicht der Fall, so müsste ja
                              									das alte Hochrad viel schwerer zu balanzieren gewesen sein, als das heutige
                              									Niederrad, was nicht der Fall ist.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 278
                              Fig. 17. Motorzweirad der Fabrique Nationale.
                              
                           Wie nun aus der Figur ersichtlich, ist der magnetelektrische Zündapparat in einer
                              									Ausbuchtung des Rahmens unter dem Motorgehäuse angebracht. Der Anker dieses mit
                              									Abreissvorrichtung versehenen Zündapparates wird von der Kurbelwelle des 3½
                              									PS.-Motors mittels Kette angetrieben. Da der Motor nahezu die ganze Rahmenhöhe einnimmt, ist der
                              									Oberflächenvergaser in den hinteren Teil des Rahmens verlegt, den er nahezu
                              									ausfüllt. Die gesamte Regelung des Motors erfolgt von der Lenkstange aus; ein Hebel
                              									rechts dient zum Anheben des Auspuffventils und Einschalten der Zündung, ein
                              									Nebenhebel drosselt die Gaszufuhr, während ein an der linken befindlicher Hebel das
                              									Gemisch regelt.
                           Während beim Zweizylindermotor im allgemeinen die
                              									Zylinder schräg stehen, sind sie beim Vierzylindermotor
                              									stets senkrecht in Richtung der Fahrt hintereinander angeordnet. Die Kolben arbeiten
                              									dabei auf eine gemeinsame Kurbelwelle, die ebenfalls längs der Fahrrichtung
                              									liegt.
                           Wie Fig. 17 an einem Fahrzeug der Fabrique Nationale d'Armes de Guerre in Herstel bei
                              									Lüttich zeigt, befindet sich der Vergaser bei dem Vierzylindermotor in der Nähe des
                              									letzten Zylinders, und das Ansaugrohr 600 ist von
                              									Zylinder zu Zylinder im Durchmesser so abgestuft, dass jeder Zylinder gleichviel
                              									Gasgemisch erhält. Jede halbe Umdrehung des Motors entspricht dem Hub eines der vier
                              									Kolben; die Kraftentwicklung erfolgt daher nicht nach je zwei Umdrehungen, sondern
                              									ist in vier gleiche Teile geteilt, wodurch ein fortgesetzt regelmässiges Arbeiten
                              									des Motors erzielt wird. Der Rahmen ist der Konstruktion des Motors entsprechend
                              									lang gehalten. Das Sattelstützrohr sowie das unten vom Gabelkopf ausgehende Rohr
                              									vereinigen sich nicht am Tretkurbellager selbst, sondern werden durch ein aus ovalen
                              									Rohren hergestelltes Gestell miteinander verbunden, in welchem der 3 PS.-Motor, auf
                              									den später näher eingegangen wird, gelagert ist.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 279
                              Fig. 18. Antriebsvorrichtung zum Motorzweirad der Fabrique Nationale.
                              
                           Der Magnetapparat m ist vorn am Kurbelgehäuse angebaut,
                              									während das mit elastischer Kupplung versehene Schwungrad 200 (Fig. 18) am hinteren Ende sitzt und
                              									seine Umdrehungen auf das Hinterrad überträgt. Zu diesem Zwecke ist in eine
                              									Aussparung des Schwungrades die Mitnehmerscheibe n,
                              									welche auf das Achsenzahnrad p aufgeschraubt ist und
                              									durch die Gegenmutter u gesichert wird, eingepasst.
                              									Diese Mitnehmerscheibe trägt drei durch die Mutter s
                              									befestigte Mitnehmerzapfen m.
                           Letztere besitzen zwei Abplattungen, die gleichen Abplattungen in den Lagern des
                              									Schwungrades entsprechen. Sie sind jedoch nicht in unmittelbarer Berührung mit dem
                              									Schwungrad, weil sonst bei der geringsten Verlangsamung der Motor vom Rade
                              									mitgeschleppt würde wodurch unangenehme Stösse entstehen, ganz abgesehen von der
                              									übermässigen Beanspruchung der einzelnen Teile.
                           In den Lagern sind rechtwinklig zu ihnen je zwei federnde Puffer q angebracht, zwischen die sich die Zapfen m einschieben. Damit nun, wenn der Motor die Scheibe,
                              									oder umgekehrt, die Scheibe den Motor mitnimmt, die Uebertragung der Bewegung nicht
                              									ruckweise, sondern allmählich erfolgt, sind Federn eingeschaltet, die bei der
                              									Bewegung der Puffer zusammengepresst werden. Die elastische Kupplung wird von
                              									dem Deckel r eingeschlossen. Der Antrieb des
                              									Hinterrades geschieht nun dadurch, dass das mit 18 Zähnen versehene Achsenzahnrad
                              										p seine Umdrehungen durch das mit 25 Zähnen versehene Zahnrad o vermindert auf die Transmissionswelle t
                              									überträgt. Diese besitzt an ihrem hinteren Ende das Kegelrad w mit 15 Zähnen, welches in das auf der Hinterradnabe sitzende Kegelrad
                              										w1 mit 24 Zähnen
                              									eingreift.
                           Die Freilaufeinrichtung zum Ausschalten der Tretkurbeln befindet sich auf der
                              									Hinterachse E.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 279
                              Fig. 19. Vergaser der Fabrique Nationale.
                              Schwimmergehäuse; vom
                                 										Benzinbehälter; zum Motor
                              
                           Beim Vorwärtstreten dreht sich die Kettenradhülse B,
                              									wobei der auf ihrem rechten Ende befindliche Schraubengang in die Aussparung des
                              									Mitnehmers C eingreift und die Kettenradhülse mit der
                              									Hülse F auf der Nabe J
                              									kuppelt. Das Kettenrad A ist fest mit der Hülse B verbunden; beim Anhalten der Tretkurbeln wird daher
                              									letztere sowie der Mitnehmer C an der Drehung
                              									verhindert und der Mitnehmer vom Zapfen H, der sich in
                              									der Rinne des Ringes D bewegt, aus seiner Kupplung mit
                              									der Radnabe herausgezogen, so dass sich jetzt das Rad frei dreht.
                           Zum Anhalten des Fahrzeuges dienen zwei Bremsen. Die eine wirkt beim Rückwärtstreten
                              									dadurch, dass eine an der Nabe des vorderen Kettenrades angebrachte Zahnscheibe k (s. auch Fig. 17) die
                              									Stange l betätigt, an deren Ende zwei Klemmbacken
                              									befestigt sind, welche auf die an der Hinterradnabe angebrachte Trommel G wirken. Die andere Bremse besteht aus zwei langen
                              									Bremsschuhen, welche sich an die Hinterradfelge anlehnen, wenn der links an der
                              									Lenkstange sitzende Hebel angezogen wird.
                           Um vorzubeugen, dass bei zunehmender Geschwindigkeit durch erhöhten Benzinzufluss das
                              									Gemisch zu reich wird, ist, wie aus Fig. 19
                              									hervorgeht, in das Ansaugrohr 600 ein selbsttätiges
                              									Ventil v eingesetzt, das sich gemäss der vom Motor
                              									entwickelten Geschwindigkeit öffnet, so dass die Menge zugeführter Luft stets der
                              									letzteren entspricht. In der Konstruktion ähnelt dieses Ventil dem Ansaugventil. Die
                              									angesogene Luft wird durch ein im Deckel angebrachtes Drahtsieb gereinigt. Zwischen
                              									diesem Ventil und
                              									dem Vergaser a ist die Drosselklappe b eingeschaltet, die durch Hebel g betätigt wird.
                           Von dem im oberen Teile des Rahmens aufgehängten Behälter fasst der vordere Teil 2
                              									Liter Schmieröl, der hintere dagegen 7 Liter Benzin, das durch die mit Hahn
                              									verschliessbare Röhre i zum Vergaser läuft. Das Oel
                              									wird mittels Pumpe in den Motor gedrückt.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 280
                              Fig. 20. Motorzweirad von Dürkopp.
                              
                           Fig. 20 zeigt ein deutsches Fahrzeug der
                              									Vierzylindertype von der Bielefelder Maschinenfabrik vorm.
                                 										Dürkopp & Co. in Bielefeld. Dasselbe zeichnet sich trotz seiner 4½ PS.
                              									durch seine gefällige Form vom vorigen aus. Die Arbeitsweise und Kraftübertragung
                              									ist bei beiden die gleiche. Die Regulierung der Tourenzahl geschieht, ohne
                              									Verstellen des Drosselhahns, durch Aendern der Steuerung der Ansaugventile mittels
                              									verschiebbarer Nocken. Auch hier arbeiten die vier Zylinder auf eine gemeinsame
                              									Welle und treiben mittels Kegelräder und Welle, wie oben, das Hinterrad an. Der
                              									Magnetapparat ist unmittelbar in das hinten am Motor sitzende Schwungrad verlegt (s.
                              									D. p. J. 1903, 318, S. 635, Fig. 60).
                           Eine eigenartige Konstruktion zeigt das vierzylindrige Motorzweirad (Fig. 21) von Laurin &
                                 										Klement in Jungbunzlau (Böhmen). Der 8 PS.-Motor ist wie der
                              									Zweizylindermotor (Fig. 16) hoch gelagert, was
                              									ausser dem dort angeführten Grund des Gleichgewichts noch den Vorteil hat, dass der
                              									Motor mehr dem Luftzug ausgesetzt und vor dem durch das Vorderrad aufgewirbelten
                              									Staub und Koth besser geschützt ist. Der magnet-elektrische Zündapparat befindet
                              									sich, im Gegensatz zu den beiden letzterwähnten, unten am Motor und wird wie beim
                              									Zweizylindermotor, Fig. 16, vom Rahmenrohr umgeben.
                              									Immerhin machen die Laurin & Klementschen Fahrzeuge
                              									durch ihre ganze Anordnung einen schwerfälligen Eindruck.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 280
                              Fig. 21. Motorzweirad von Laurin & Klement.
                              
                           
                              
                                 (Fortsetzung folgt.)