| Titel: | Brinells Untersuchungen mit seiner Kugelprobe. | 
| Fundstelle: | Band 320, Jahrgang 1905, S. 280 | 
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                        Brinells Untersuchungen mit seiner Kugelprobe.
                        Brinells Untersuchungen mit seiner Kugelprobe.
                        
                     
                        
                           
                              1. Bestimmung der Fliessgrenze, Festigkeit und
                                 										Dehnbarkeit von Eisen und Stahl.
                              
                           Bei Bearbeitung seines umfangreichen Versuchsmaterials fand Brinell, dass möglicherweise eine bestimmte Beziehung zwischen
                              
                              									Härtezahl ermittelt durch Eindruckversuche mit einer Stahlkugels. D. p. J. 1903, 318, S. 188. und Festigkeit bestehen könne und es
                              									erschien ihm lohnend genug, hierüber planmässige Versuche mit normal
                              									gewalztem, keiner weiteren Behandlung unterworfenen Material des Fagersta-Werks anzustellen.
                           Die Untersuchung erstreckte sich auf vierzehn Eisen- bezw. Stahlsorten mit
                              									Kohlenstoffgehalten von 0,09 bis 1,05 v. H. Jeder Sorte wurden Probestäbe für
                              									Zugversuche und Prismen für die Kugelprobe entnommen. Die Ausführung der Zugversuche
                              									übertrug Brinell der Materialprüfungsanstalt der Technischen Hochschule zu Stockholm, während
                              									er die Kugelproben selbst vornahm. Er bediente sich hierbei einer Kugel von 10 mm
                              									Durchmesser und einer Belastung von 3 t. Der Vergleich beider Untersuchungen ergab
                              									tatsächlich einen Zusammenhang zwischen Härtezahl und Zugfestigkeit der Probestäbe,
                              									der sich durch die Beziehung
                           σB =
                              									0,35 H
                           ausdrücken lässt, worin a&
                              									die Bruchspannung beim Zugversuch und H die Härtezahl
                              									(d. i. die spez. Flächenpressung bei der Kugelprobe) bedeuten. Wie die graphische
                              									Darstellung Fig. 1 zeigt, ergibt sich eine
                              									überraschende Uebereinstimmung der Linie σB, ermittelt aus den Zugversuchen mit der Linie σB', errechnet nach der obigen Gleichung. Wenn
                              									nachgewiesen werden kann, dass diese Ergebnisse, die zunächst nur für das genannte
                              									Material gelten, sich auch auf Eisensorten anderer chemischer Zusammensetzung
                              									übertragen lassen, so ist ihre Bedeutung für die Praxis nicht von der Hand zu
                              									weisen.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 281
                              Fig. 1. Vergleich der Werte für Streckgrenzen, Bruchfestigkeit und
                                 										Bruchdehnung, ermittelt aus dem Zugversuch und durch die Kugelprobe.
                              Zugversuche; Bruchdehdung;
                                 										Bruchgrenzen; Kugelproben; Streckgrenzen.
                              
                           Die Ersparnis an Zeit und Geld bei der Versuchsausführung und Probenbearbeitung
                              									dürfte sehr zu gunsten der Kugelprobe entscheiden, namentlich dann, wenn man sich
                              									mit Annäherungswerten begnügt; für genaue Festigkeitsuntersuchungen werden natürlich
                              									nur Zugversuche in Frage kommen.
                           Im Verfolg dieser Untersuchungen hat sich Brinell auch
                              									bemüht, ein Mass für die Fliessgrenze zu finden. Er ging von der Tatsache aus, dass
                              									beim Fliessen infolge der molekularen Veränderungen des Gefüges Erscheinungen an der
                              									Oberfläche auftreten, die man als „Fliessfiguren“
                              									bezeichnet, oder aber dass wenigstens eine Trübung der ursprünglich blanken
                              									Oberfläche, eine sehr feine mit Lupe wahrnehmbare Krispelung derselben eintritt. Die
                              									Belastung, welche derartige auch äusserlich erkennbare Veränderungen hervorruft,
                              									kann als Streck- oder Fliessgrenze angesprochen werden.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 281
                              Fig. 2. Vorrichtung zur Festlegung des Druckpunktes für die Kugel, bei
                                 										Bestimmung der Streckgrenze.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 281
                              Fig. 3. Kugelprobe zur Bestimmung der Dehnung.
                              
                           Die Versuchsausführung gestaltet sich wie folgt: Während bei der Härteprüfung die
                              									Kugel in reichlichem Abstande vom Rande eingepresst wird, geschieht dies zur
                              									Bestimmung der Fliessgrenze in einer Entfernung von nur 2 mm von dem vorher glatt
                              
                              									und winkelrecht zur Druckfläche gefeilten Rande. Der Punkt, in dem der Eindruck
                              									erfolgen soll, wird mit Hilfe eines in einem Anschlagwinkel geführten Körners (Fig. 2) markiert und die Belastung solange
                              
                              									gesteigert, bis die blanke Oberfläche in der Nähe des Eindrucks sich mit einem
                              									feinen Hauch überzieht, während sich gleichzeitig der Rand ein wenig ausbaucht. Die
                              									bis dahin erreichte Belastung dient als Mass für die Lage der Streckgrenze. Wie Fig. 1 zeigt, ergibt sich auch hier eine
                              									beachtenswerte Uebereinstimmung mit den Ergebnissen der Zugversuche, allerdings ist
                              									wohl anzunehmen, dass die Probe eine bedeutende Uebung des Beobachters erfordert, um
                              									in allen Fällen zu dem gleichen Ergebnis zu führen.
                           Schliesslich gelang es Brinell auch, einen Ausdruck für
                              									die Dehnbarkeit zu finden. Hierzu wird die Belastung nach Ermittlung der
                              									Streckgrenze weiter gesteigert, bis in der Ausbauchung des Randes ein Riss entsteht.
                              									Die Grösse der Ausbauchung bis zur Rissbildung, also die Strecke a (Fig. 3) gibt dann
                              									ein Mass zur Beurteilung der Dehnbarkeit.
                           Brinell setzte die gefundenen Werte in Beziehung zur
                              									Bruchdehnung beim Zugversuch und erhielt, wie aus Schaubild Fig. 1 hervorgeht, befriedigende Uebereinstimmung
                              									zwischen den Ergebnissen der Zugversuche und denen der Kugelprobe.
                           
                           Die Brinellschen Ergebnisse bedürfen, wie bereits
                              									erwähnt, noch der Bestätigung. Besonders müsste untersucht werden, inwieweit sie
                              									durch die mehr oder minder grosse Sorgfalt der Versuchsausführung beeinflusst werden
                              									können.
                           Neben den geringeren Kosten würde in vielen Fällen der Umstand sehr zu schätzen sein,
                              									dass eine besondere Probenentnahme nicht nötig ist, sondern die Prüfung am fertigen
                              									Stück vorgenommen werden kann, ohne dass dasselbe zerstört wird. Die Qualität eines
                              									Dampfzylinderdeckels aus Stahlguss würde beispielsweise durch Eindrückversuche an
                              									geeigneten Stellen ermittelt werden können, ohne dass eine Zerlegung des wertvollen
                              
                              									Stückes wie bei Entnahme von Probestäben für Zugversuche erforderlich wird.
                           
                        
                           
                              2. Prüfung von Gewehrlaufstahl.
                              
                           Die bisher übliche Prüfung von Gewehrlaufstahl durch Zugversuche in der Längsrichtung entspricht nicht der wirklichen
                              									Beanspruchung des Materials beim Schuss, denn hierbei erfolgt die Anstrengung nicht
                              									in der Längsrichtung, sondern in der Querrichtung und nicht allmählich, sondern stossweise.
                           Bei den hohen Anforderungen, die man genötigt ist in bezug auf Festigkeit und
                              									Streckgrenze an Gewehrlaufsmaterial zu stellen, ist es natürlich, dass man beide
                              									durch besondere Verfahren zu erhöhen sucht. Hierzu dient unter anderem das
                              									Kaltwalzen, ein Verfahren, das sehr gefährlich werden kann, wenn es zu weit
                              									getrieben wird, denn die Steigerung der Festigkeit in der Längsrichtung kann hierbei
                              									auf Kosten der Widerstandsfähigkeit in der Querrichtung geschehen, auf die es im
                              									vorliegenden Falle allein ankommt.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 282
                              Fig. 4. Kugelprobe für Gewehrlaufstahl.
                              
                           Durch solche Betrachtungen veranlasst, bildete Brinell
                              									ein Verfahren zur Prüfung von Gewehrlaufstahl aus, das sich den tatsächlichen
                              									Verhältnissen besser anpasst und die Widerstandsfähigkeit des Laufes gegen
                              									Aufplatzen, wie sie unter der Einwirkung der Pulvergase in Frage kommt, zu ermitteln
                              
                              									sucht.
                           Dem zu prüfenden Gewehrlauf wird ein Abschnitt von etwa 35 mm Länge entnommen und die
                              									Bohrung bis zur Hälfte der Länge auf 11 mm durch Ausbohren erweitert, so dass
                              									der aus Fig. 4 ersichtliche Probekörper entsteht.
                              									Auf die den Uebergang zwischen beiden Bohrungen bildende konische Sitzfläche wird
                              									eine gehärtete Stahlkugel von 11 mm Durchmesser gelegt und unter Zwischenschaltung
                              									eines gehärteten Stahlzylinders der Wirkung eines 5 kg schweren Fallbären
                              									ausgesetzt.
                           Insbesondere ist Sorge getragen, dass der Probezylinder durch eine geeignete Führung
                              									gegen Umkippen gesichert wird. Die hierdurch bedingten Reibungsverluste dürften
                              									unerheblich sein.
                           Die Fallhöhe beträgt für den ersten Schlag 100 mm und wird für jeden weiteren Schlag
                              									um weitere 100 mm gesteigert. Nach jedem Schlage wird die Umfangserweiterung
                              									gemessen und das Verfahren so lange fortgesetzt, bis Aufreissen oder Bruch des
                              									Probekörpers erfolgt.
                           Brinell teilt die Ergebnisse mit zwei verschiedenen
                              									Sorten Gewehrlaufstahl mit, die sowohl auf Zugfestigkeit in der Längsrichtung als
                              									auf Widerstandsfähigkeit in der Querrichtung nach dem eben geschilderten Verfahren
                              									geprüft wurden.
                           Tabelle I.
                           
                              Zugversuche und (Kugel)-Schlagprobe nach Fig. 4 mit Gewehrlaufstahl.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 282
                              Prüfungsverfahren; Bedeutung der
                                 										Werte und Versuchsbedingungen; Versuchsergebnisse für; Sorte 1 runder
                                 										Querschnitt, nach dem Fagersta-Verfahren
                                 										verdichtet; Sorte 2 sechseckiger Querschnitt, durch Kaltwalzen verdichtet; a)
                                 										Zugversuche mit Streckgrenze; Längsstäben aus dem Lauf; Zugfestigkeit;
                                 										Bruchdehnung auf 100 mm; Schlagarbeit; Schlaggewicht; Schlagzahl; Bärgewicht;
                                 										Schlaghöhe; Zunahme des Durchmessers in mm; Schlagprobe; Bruch;
                                 										Gesamt-Schlagarbeit ausschliesslich des letzten Schlages, der den Bruch
                                 										herbeiführte
                              
                           Aus den in Tab. I zusammengestellten Ergebnissen geht hervor, dass die Werte für
                              									Streckgrenze, Bruchlast und Bruchdehnung bei beiden Sorten nahezu übereinstimmen,
                              									die Qualität des Materials in der Längsrichtung also bei beiden annähernd gleich
                              									ist. Dagegen zeigt die Schlagprobe nach Brinell, dass
                              									Sorte 1 bei weitem grössere Widerstandsfähigkeit gegenüber radialer Beanspruchung
                              									besitzt als Sorte 2. Sorte 1 verträgt 17 Schläge mit einer Gesamtschlagarbeit von
                              									76,5 kgm ohne zu brechen, während Sorte 2 nur 7 Schläge mit 14,0 kgm insgesamt
                              									aushält. Sorte 1 zeigt zugleich grössere Zähigkeit, denn die grösste Ausbauchung
                              									beträgt bei ihr 2,72 mm gegenüber 0,42 mm bei Sorte 2.
                           Die Brinellsche Schlagprobe stellt jedenfalls eine
                              									wertvolle Erweiterung der bisherigen Untersuchungsverfahren dar und dürfte sich
                              									ihrer Einfachheit und Zweckmässigkeit wegen bald einführen.Interessant wäre ein Vergleich der Brinellschen Kugelprobe mit der in der
                                    											Abteilung für Metallprüfung des Materialprüfungsamtes in Gross-Lichterfelde
                                    											ausgebildeten sog. Oeldruckprobe, bei der Hohlzylinder aus dem
                                    											Gewehrlaufstahl durch inneren Druck gesprengt werden.Die Redaktion.
                           
                              
                                 (Schluss folgt.)