| Titel: | Der heutige Stand der Motorfahrräder. | 
| Autor: | K. | 
| Fundstelle: | Band 320, Jahrgang 1905, S. 360 | 
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                        Der heutige Stand der Motorfahrräder.
                        (Schluss von S. 348 d. Bd.)
                        Der heutige Stand der Motorfahrräder.
                        
                     
                        
                           Bevor wir auf die Besprechung der Einzelteile übergehen, soll das soeben von den
                              										Neckarsulmer Fahrradwerke A.-G. auf den Markt
                              
                              									gebrachte zweizylindrige Motorzweirad noch kurz erwähnt werden. Wie Fig. 64 zeigt, sind zwar auch hier die Zylinder in
                              										∨-Form angeordnet, jedoch so, dass der eine Zylinder
                              									senkrecht steht, während der andere um 60 ° nach vorn geneigt ist. Diese Anordnung
                              									übertrifft betreffs Kühlung die allgemein übliche ∨-förmige Anordnung der Zylinder bei weitem, denn die Luft bestreicht nicht
                              									nur, wie dort, den vorderen, sondern beide Zylinder gleichzeitig.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 360
                              Fig. 64. Zweizylindermotor der Neckarsulmer Fahrradwerke A.-G.
                              
                           Im gewissen Sinne ist dieser Motor eine Vereinigung der Einzylindermotoren (Fig. 8, S. 262 d. Bd. und Fig. 24, 1903, 318, S. 597).
                           Der Rahmen ist in seinen Abmessungen derselbe geblieben, wie ihn Fig. 8 zeigt, doch ist, um Raum für den
                              									schrägliegenden Zylinder zu gewinnen, das vom Gabelkopf abwärts führende Rahmenrohr
                              									nach Art der Damenfahrräder geschweift, dabei ist der Motor ein wenig nach hinten
                              									gerückt.
                           
                        
                           
                              IV. Einzelteile.
                              
                           
                              
                                 a) Riemen und Riemenscheiben.
                                 
                              Als Kraftübertragungsmittel hat sich, wie eingangs erwähnt, der keilförmige
                                 										Lederriemen immer mehr Geltung verschafft. Neben ihm kommen jetzt auch von B. Polack in Waltershausen i. Th. gefertigte
                                 										Gummiriemen mit Leinwandeinlage in Anwendung. Infolge ihrer grösseren Adhäsion
                                 											am Eisen
                                 										eignen sie sich besser zur Kraftübertragung als erstere, zumal sie durch
                                 										Feuchtigkeit nicht leiden, sich weniger strecken und nicht schlüpfrig werden. Da
                                 										nun aber der Riemen beim Auflaufen auf die Antriebsscheibe eine beträchtliche
                                 										Formänderung erleidet, wird ein gewisser Teil der vom Motor geleisteten Arbeit
                                 										verbraucht. Diesen Uebelstand sucht die Hannoversche
                                    											Gummikamm-Kompagnie A.-G. in Hannover-Linden durch ihren
                                 										Gloria-Gummikeilriemen zu vermeiden.
                              
                                 
                                 Textabbildung Bd. 320, S. 361
                                 Fig. 65 und 66. Gloria-Gummikeilriemen der Hannoverschen
                                    											Gummikamm-Kompagnie A.-G.
                                 
                              Wie Fig.
                                    											65 und 66 zeigen, besitzt
                                 										derselbe an seiner Innenseite Quernuten, was dem Keilriemen mit vollem
                                 										Längsschnitt gegenüber nicht nur den Vorteil hat, dass er sich leichter biegt,
                                 										sondern das Material wird bei der Biegung nicht gestaucht und nach aussen
                                 										gedrückt wie bei dem Keilriemen mit vollem Längsschnitt der nur mit diesen
                                 										vorgedrängten Punkten an der Scheibe anliegt und infolgedessen nicht gut
                                 										zieht.
                              
                                 
                                 Textabbildung Bd. 320, S. 361
                                 
                                 
                              Die Hauptbedingung um eine gute Kraftübertragung mittels Keilriemens zu erzielen
                                 										ist, dass derselbe saugend fest an den Seitenwänden beider Riemenscheiben
                                 										anliegt, ohne den Grund derselben zu berühren. Der Keilnutenwinkel der
                                 										Riemenscheibe muss daher genau derselbe sein, wie der Neigungswinkel des
                                 										Keilriemens (Fig. 67).
                              Berührt der Riemen nach Fig. 68 die
                                 										Grundfläche der Scheibe, so liegt er – trotz des richtigen Keilnutenwinkels – an
                                 										den Seiten nicht fest genug an, so dass Gleiten desselben auf der Scheibe nicht
                                 										ausgeschlossen ist. Ragt er dagegen nach Fig. 69 über die
                                 										Ränder der Scheibe hinaus, so hat er das Bestreben – wenn er schlaff ist, wie er
                                 										ja sein soll – leicht abzufliegen.
                              Um dieses zu verhüten, muss der Riemen straffer gespannt werden, was natürlich
                                 										gegenüber der in Fig. 67 gezeigten
                                 										Anordnung einen bedeutenden Kraftverlust zur Folge hat.
                              Vollständig fehlerhaft sind die Scheiben Fig. 70 bis 72. In
                                 											Fig.
                                    											70 ist der Keilnutenwinkel oben zu weit, so dass sich der Riemen an
                                 										seiner unteren Kante schnell abnutzt. In Fig. 71 ist das
                                 										Gegenteil Fall. Der Riemen muss auch hier, um die nötige Adhäsion zu erlangen,
                                 										übermässig gespannt werden. Liegen nun gar, wie bei Fig. 72, die
                                 										beiden Kanten ab der Scheibe nicht in gleicher
                                 										Höhe, dann tritt leicht der Fall ein, dass der Riemen, da er stets das Bestreben
                                 										hat, auf den höchsten Punkt zu laufen, umkippt.
                              Die Metall-Industrie Schönebeck A.-G. in
                                 										Schönebeck a. E. sucht das Gleiten dadurch zu vermeiden, dass sie auf die
                                 										Metallscheibe einen Kranz aus imprägniertem Holz aufbringt und aus diesem dann
                                 										die Keilnut für den Riemen herausarbeitet.
                              Diese Einrichtung verhütet neben dem Gleiten des Riemens auch das Reissen der
                                 										Holzriemenscheibe.
                              
                           
                              
                                 b) Leerlaufeinrichtungen.
                                 
                              
                                 
                                 Textabbildung Bd. 320, S. 361
                                 Fig. 73. Leerlaufkupplung der Neckarsulmer Fahrradwerke A.-G.
                                 
                              
                                 
                                 Textabbildung Bd. 320, S. 361
                                 Antret- und Gepäckständer der Neckarsulmer-Fakrradwerke A.-G.
                                 
                              Wie bekannt, geschieht das Ingangsetzen der Motorzweiräder durch Antreten, wobei
                                 										natürlich der Kolben des Motors mitbewegt wird. Trotz Oeffnen des Auspuffventils
                                 										(zum Entweichen der Kompression) ist doch immer eine gewisse Kraft dazu nötig,
                                 										was besonders auf schlechten oder steilen Wegen sehr unangenehm empfunden Wird,
                                 										Wenn nicht gar das Anfahren ganz ausschliesst. Eine natürliche Folge davon ist,
                                 										dass allgemein der Wunsch laut wurde, das Fahrzeug unabhängig vom Motor zu
                                 										machen. Diesem sind nun auch die meisten Fabrikanten dadurch nachgekommen, dass
                                 
                                 										sie die Motorriemenscheibe mit einer Leerlaufkupplung verbinden. Eine derartige
                                 										Einrichtung, welche aus Fig. 73 ersichtlich ist,
                                 										bringen z.B. die Neckarsulmer Fahrradwerke an ihren
                                 										Fahrzeugen an. Das Anfahren geschieht durch einen an der Hinterradachse
                                 										drehbaren Ständer, der das Rad unterstützt (Fig. 75). Der
                                 										Motor wird nun mit eingerückter Kupplung angetreten, und sobald er im Gang ist,
                                 										wie folgt, ausgeschaltet. Durch Drehung des Hebels a werden zwei konische Flächen f, g
                                 										gegeneinander in Bewegung gesetzt, wobei die Hülse k auf Kugeln c drückt. Diese üben nun auf
                                 										die Hülse m einen Druck aus, der stark genug ist,
                                 										diese Hülse samt dem inneren Kupplungskonus e gegen
                                 										die Gehäusewand o zu drängen, und den Widerstand
                                 										der Federn d zu überwinden. Der Motor läuft nun
                                 										frei, ohne die Riemenscheibe h mitzunehmen, da auch
                                 											der Konus
                                 											f durch das Nachlassen der Federspannung
                                 										entkuppelt wird.
                              
                                 
                                 Textabbildung Bd. 320, S. 362
                                 Fig. 77. Federnde Gabel der Phänomen-Fahrradwerke.
                                 
                              Der Ständer wird nun hochgeschlagen (Fig. 74), das
                                 										Fahrzeug in gewohnter Weise bestiegen, und die Kupplung eingeschaltet. Der
                                 										Ständer kann noch zur Aufnahme von Gepäck dienen (Fig. 76).
                              
                                 
                                 Textabbildung Bd. 320, S. 362
                                 Fig. 78. Federnde Gabel der Wanderer-Fahrradwerke.
                                 
                              Ein Vorteil der doppelten Wirkung dieser Kupplung ist der, dass neben sicherem
                                 										Ein- und Ausschalten sanftes Anfahren erzielt wird.
                              Um das Antreten ganz zu vermeiden, wobei auch der Ständer in Fortfall kommt,
                                 										bringt die Maschinenfabrik Gritzner, A.–G. in Durlach mit dem Leerlauf eine
                                 										Ankurbelvorrichtung in Verbindung.
                              Bei Gepäckdreirädern und Vorspannwagen bringt die Progress Motoren und Apparatenbau G. m. b. H. in Charlottenburg eine
                                 										Fussankurbelungin Anwendung, die nach Angabe der Firma an Einfachheit die
                                 										Handkurbelung an Motorwagen noch übertreffen soll. Die Einrichtung, die die
                                 										Firma noch geheimhält, ermöglicht es dem Fahrer, während er auf dem Fahrzeug
                                 										sitzt, ohne letzteres mitschleppen zu müssen, den Motor allein bei
                                 										ausgeschalteter Kupplung anzutreten, und dann durch Einrücken der Kupplung das
                                 										Gefährt in Gang zu setzen.
                              
                                 
                                 Textabbildung Bd. 320, S. 362
                                 Fig. 79. Federnde Gabel der Neckarsulm er Fahrradwerke A.-G.
                                 
                              
                           
                              
                                 c) Federnde Gabeln.
                                 
                              Als eine wesentliche Verbesserung des Motorzweirades ist die federnde
                                 										Vorderradgabel zu verzeichnen, durch die nicht nur der Fahrer, sondern auch das
                                 										ganze Fahrzeug geschont werden. Fig. 77 zeigt
                                 										eine Ausführung: der Phänomen Fahrradwerke, bei der
                                 										die vorderen Enden der Gabel als Büchsen ausgebildet sind, in denen das
                                 										Vorderrad federnd gelagert ist.
                              
                                 
                                 Textabbildung Bd. 320, S. 362
                                 Fig. 80. Federnde Gabel von Dürkopp.
                                 
                              
                              Aehnlich ist die federnde Gabel (Fig. 78)
                                 										der Wanderer-Fahrradwerke, die sich nur durch ihre
                                 										doppelte Verstrebung, welche bis zum Lenkstangenschaft führt, von dieser
                                 										auszeichnet.
                              Die Neckarsulmer Fahrradwerke A.-G. dagegen bringen,
                                 										wie Fig. 79 zeigt, neben der Gabel noch
                                 										Flachfedern in Anwendung.
                              Dürkopp lässt die Gabelscheiden ganz fort, und
                                 										bringt an ihrer Stelle aufeinander liegende Blattfedern an, die ihren
                                 										Mittelpunkt im Gabelkopf haben. Wie Fig. 80
                                 										zeigt, ist der längere Teil der Federn an der Radachse, der kürzere dagegen
                                 										oberhalb des Gabelschaftes befestigt.
                              Die Fabrique Nationale vereinigt eine Doppelgabel
                                 
                                 										mittels Scharnieren. Wie Fig. 17 zeigt, trägt
                                 										die vordere Gabel das Rad, während die hintere, auf welche die lenkende Bewegung
                                 										ausgeübt wird, mit dem Fahrzeug in der gewöhnlichen Weise verbunden ist. Die
                                 										erste Gabel kann sich parallel mit ihrer Achse bewegen. Diese Bewegungen werden
                                 										durch die Wirkung einer Feder, die sich zwischen einer Schale und einer
                                 										Federstütze zusammendrückt, beschränkt. Die Schale ist auf die aufsteigende
                                 										Stange des Gabelkopfes aufgeschraubt, die Federstütze liegt gegen ein Querstück,
                                 										welches an der hinteren Gabel mittels von dem Gabelkopf ausgehenden Stangen und
                                 										zwei auf den Seitenverstärkungen der Gabel angebrachten Ringen, befestigt
                                 										ist.
                              Die aufsteigende Stange geht quer durch die Federstütze und das Querstück und
                                 										endigt in einer Mutter. Letztere ruht auf einer Feder, welche beim
                                 										Zusammendrücken den Rückstoss der anderen Feder aufhebt.
                              
                                 
                                 Textabbildung Bd. 320, S. 363
                                 Fig. 81. Federnde Lenkstange der Metall-Industrie Schönebeck A.-G.
                                 
                              Die Metall-Industrie Schönebeck A.-G. sucht die
                                 										Stösse unmittelbar mit der Lenkstange abzufangen. Um dieses zu erreichen, sind
                                 										die Handgriffe a bei c
                                 										gelenkig mit ihr verbunden und tragen, wie Fig.
                                    											81 zeigt, einen kleinen Hebel d. Dieser
                                 										führt zu dem an der Lenkstange b sitzenden Bolzen
                                 											e, auf den eine Spiralfeder f aufgeschoben ist. Diese Anordnung bietet den
                                 										Vorteil, dass selbst bei Beschädigung der Feder noch sichere Führung des
                                 										Fahrzeuges möglich ist.
                              
                                 
                                    K.