| Titel: | Die gleislosen Bahnen System Schiemann. | 
| Autor: | W. Butz | 
| Fundstelle: | Band 320, Jahrgang 1905, S. 421 | 
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                        Die gleislosen Bahnen System Schiemann.
                        Von W. Butz.
                        Die gleislosen Bahnen System Schiemann.
                        
                     
                        
                           Die neuesten und am meisten in die Augen fallenden Fortschritte hat die moderne
                              									Verkehrstechnik in bezug auf Vergrösserung der Schnelligkeit und der Fördermenge zu
                              									verzeichnen, und die ungeahnten Erfolge in dieser Richtung bewirken nur zu leicht,
                              									dass man andere Vervollkommnungen übersieht, auch wenn sie für das wirtschaftliche
                              									Leben und die Hebung mancher Industriezweige von hoher Bedeutung sind.
                           Eine der wichtigsten Eigenschaften unserer Verkehrsmittel ist ihre
                              									Anpassungsfähigkeit an die bestehenden Verhältnisse, und gerade hierin zeigen sich
                              									selbst bei den glänzendsten Errungenschaften der Neuzeit oft grosse Lücken. Eine
                              									derselben auszufüllen ist seit einigen Jahren die „Gesellschaft für gleislose Bahnen Max Schiemann & Co.“
                              									bemüht, und wie die bereits ausgeführten Anlagen beweisen, sind ihre Bemühungen von
                              									Erfolg gekrönt.
                           Bei dem verhältnismässig neuen Transportmittel der elektrischen gleislosen Bahn
                              									handelt es sich weder um Erzielung hoher Geschwindigkeiten noch um besonders grosse
                              									Mengen zu befördernder Güter, sondern in erster Linie darum, den Bedürfnissen einer
                              									weit verbreiteten und verzweigten kleinen und mittleren Industrie entgegenzukommen,
                              									sowie für einen mässigen Personenverkehr ein praktisches Beförderungsmittel zu
                              									schaffen. Am besten werden diese Bestrebungen und Ziele beleuchtet durch die bis
                              									jetzt gebauten Bahnen dieser Art und deren Ergebnisse, die deutlich zeigen, dass
                              									sich die Erbauerin auf dem richtigen Wege befindet und über die Zeit der ersten
                              									Versuche längst hinaus ist.
                           Dass auch ein wirtschaftlicher Misserfolg für die weitere Entwicklung von Nutzen sein
                              									kann, hat die im Sommer 1901 in Betrieb gesetzte Anlage
                              										„Königsstein–Hütten–Königsbrunn“ gezeigt, die für Personen- und
                              									Güterverkehr eingerichtet war und drei Jahre lang als Versuchsbahn gedient hat. Weil
                              									jedoch die Hauptverfrachter dieser Strecke aus persönlichen Gründen oder wegen
                              									anderweitiger Verpflichtungen an ihrer alten Transportmethode festhielten, blieb die
                              									erwartete Warenbeförderung aus und die Bahn musste wegen mangelnder
                              
                              									Wirtschaftlichkeit entfernt werden. Bei ihrer Ueberführung nach Würzen i. Sa., dem
                              									jetzigen Sitze der Gesellschaft, hat sich gezeigt, dass diese Uebersiedelung
                              									verhältnismässig geringe Kosten verursacht, so dass eine solche bei der ersten
                              									Projektierung einer Anlage gleich mit ins Auge gefasst werden kann, wenn man damit
                              									rechnen muss, dass später einmal eine Gleisbahn wünschenswert sein sollte.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 421
                              Fig. 1. Schleppzug.
                              
                           Ausschliesslich dem Transport von Kalksteinen dient die Grevenbrücker Anlage, die im
                              									Februar 1903 eröffnet wurde und sich seitdem gut bewährt hat. Hier wird ein normaler
                              									Zugwagen von 6 t Gewicht benutzt, der auf einer Strecke von 1,5 km Länge Züge von 2
                              									bis 3 Schiemannschen Anhängewagen zu je 5 t Nettolast
                              									fortbewegt und damit täglich 15 bis 20 Doppelwaggons zu je 10 t Steine befördert
                              										(Fig. 1). In wirtschaftlicher Hinsicht hat sich
                              
                              									der Betrieb sehr günstig gestaltet, indem gegenüber dem Fahrtarif des
                              									Pferdebetriebes eine Ersparnis von 35 bis 40 v. H. erzielt wurde.
                           Von Grevenbrück aus beginnt auch die Anlage des „elektrischen Kraftwagenbetriebes
                                 										mit Oberleitung für das Veischedetal G. m. b. H. zu
                                 										Bilstein“, eines Betriebes, der sich gleichmässig mit Personen-, Stückgüter-
                              									und Massengüterverkehr beschäftigt und seit seiner Eröffnung in Juni 1904 bis jetzt
                              									eine erfreuliche Wirtschaftlichkeit gezeigt hat.
                           Diese Anlage ist erst in Auftrag gegeben, nachdem die Auftraggeber – der
                              									Provinzialverband, der Kreis Olpe und die Gemeinden – die Leistungsfähigkeit dieses
                              									Systems an der vorerwähnten Kalkbahn tagtäglich hatten beobachten können. Auch die
                              									früher häufig geäusserten Bedenken bezüglich der Erhöhung der
                              									Strassenunterhaltungskosten infolge vermehrter Abnutzung durch die schweren Gefährte
                              									sind verschwunden, ja sogar zum Teil in das Gegenteil verwandelt, wie ein Gutachten
                              									von zuständiger bezeugt. Auf dieser Strecke sind einige recht erhebliche Steigungen
                              									zu überwinden, doch haben sich die Betriebsmittel als ausreichend erwiesen.
                           Eine ebenfalls zur Personen- und Güterbeförderung dienende Anlage verbindet Monheim
                              									a. R. mit der 4 km entfernten nächsten Bahnstation Langenfeld; sie ist am 31. Mai
                              									1904 dem Betriebe übergeben worden, und hat in so zufriedenstellender Weise
                              									gearbeitet, dass ihr von der Reichspostverwaltung die Beförderung der gesamten
                              									Brief- und Paketpost und von der Eisenbahnverwaltung die amtliche Güterbestellung
                              									anvertraut wurde. Obgleich für die regelmässige Personenbeförderung nur die 2000
                              									Menschen starke Gemeinde Monheim in Frage kommt und die Gütertransportmittel nur
                              									unvollkommen ausgenutzt werden, da die Güterzuglokomotive, die den Weg täglich fünf-
                              									bis sechsmal machen könnte, nur zweimal fährt, ist doch die Rentabilität eine
                              									ausreichende. Die Berechnungen nach sechsmonatlichem Betriebe haben als feststehend
                              									erwiesen, dass die gesamten Einnahmen etwa 20000 M. im Jahre betragen werden, denen
                              									etwa 8000 M. an Betriebs- und Unterhaltungskosten gegenüberstehen, so dass eine
                              									genügende Verzinsung und Abschreibung des Anlagekapitals von etwa 80000 M. sicher
                              									gestellt ist.
                           Am 7. April 1905 fand die behördliche Abnahme der Wurzener Industriebahn statt,
                              									nachdem ein kurzer Probebetrieb erwiesen hatte, dass sie allen gestellten
                              									Anforderungen durchaus gewachsen war. Diese Anlage ist bestimmt, die Güter der Wurzener Kunstmühlen- und Bisquitfabriken vorm. F. Kriet
                                 										A.-G. nach bezw. von dem 1,5 km entfernten Staatsbahnhof durch die Stadt zu
                              									befördern, sowie die Erzeugnisse von einer Braunkohlengrube und einiger Steinbrüche
                              									in 2 bezw. 3 km Entfernung fortzuschaffen. Zur Verladung der Mühlengüter bezw.
                              									Kohlen für die Mühle in einer Gesamtmenge von täglich 30 Doppelwaggons werden die
                              									alten 5 t ladenden Frachtwagen der Mühle benutzt, die mit dem 6 t schweren Zugwagen
                              									und untereinander zu einem Zuge von je drei Stück durch kurze Kupplungsdeichseln
                              									verbunden werden, für die Kohlen der Grube und Steine dagegen, gleichfalls 30
                              									Doppelwagons täglich, sind Schiemannsche
                              									Spezial-Anhängewagen von je 5,5 t Nettolast vorgesehen, die ebenfalls bis zu drei
                              									Stück einen Schleppzug bilden wie Fig. 1. Auf dieser
                              									Strecke werden Steigungen bis zu 6 v. H. noch mit einer Geschwindigkeit von 5 km in
                              									der Stunde auf Pflaster und Chaussee überwunden.
                           Eine kleinere Mühlenbahn befindet sich in Grossbauchlitz bei Dübeln und dient dem
                              									Getreide- und Mehltransport der Güntherschen Mühle.
                              									Hier ist ein unsymmetrisch gebauter Zugwagen verwendet, der bei 4 t Eigengewicht und
                              									3 t Adhäsionslast einen Mühlwagen mit 100 Zentner Ladung auf Steigung von 5 v. H.
                              
                              									und in Kurven von 5 m Radius bei 3 v. H. Steigung zieht.
                           Für die Ausstellung in Turin im Jahre 1902 war ein symmetrischer, also mit
                              									Führerstand an jedem Ende versehener Personenwagen gebaut worden, der dem
                              									Ausstellungsverkehr diente.
                           Zur Zeit (Mai 1905) werden verschiedene neue Projekte teils bearbeitet, teils
                              									ausgeführt, so werden Personenwagen für Lyon (Frankreich) angefertigt.
                           Die ausgeführten und grösstenteils noch in Betrieb befindlichen Anlagen lassen
                              									deutlich erkennen, unter welchen örtlichen Verhältnissen und mit was für
                              									Betriebsmitteln gleislose Bahnen den gestellten Anforderungen entsprechen, als
                              									zweckmässigstes Verkehrsmittel gelten und auf gute Wirtschaftlichkeit rechnen
                              									können. Das Ergebnis dieser Versuche und Berechnungen lässt sich unter
                              									ausschliesslicher Berücksichtigung allgemeiner Gesichtspunkte, abgesehen von
                              									einzelnen besonderen Fällen, in folgendem Satz zusammenfassen: Ueberall da, wo der
                              									Verkehr nicht lebhaft genug oder die zu befördernde Warenmenge nicht gross genug
                              									ist, um eine Schienenbahn rentabel zu machen, oder wo eine solche aus örtlichen
                              									Gründen nicht gebaut werden darf, ist die gleislose Bahn als leistungsfähigerer und
                              									billigerer Ersatz für Zugtierbetrieb anzusehen.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 422
                              Fig. 2. Winterbewehrung für Triebräder.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 422
                              Fig. 3. Anhängewagen, auf Radkufen gestellt.
                              
                           Wie schon früher erwähnt wurde, haben die Schiemannschen
                              									Bahnen ihre Versuchsperiode längst hinter sich, und daher sind Schwierigkeiten
                              									technischer Art kaum noch zu überwinden, vielmehr handelt es sich nur um die
                              									wirtschaftlichen Erfolge, die zur dauernden Inbetriebhaltung einer solchen Anlage
                              									erforderlich sind. Die wichtigste Frage, die man sich bei der Projektierung
                              									vorzulegen hat, ist also die, ob der zu erwartende oder bereits vorhandene Verkehr
                              									eine genügende Ausnutzung der Betriebsmittel erwarten lässt und diese Frage
                              									wird sich in den meisten Fällen mit Hilfe der bisher gemachten Erfahrungen
                              									hinreichend genau beantworten lassen.
                           Es ist eigentlich nur eine Grundbedingung, die der einwandsfreie Betrieb einer
                              									gleislosen Bahn voraussetzt, und das ist das Vorhandensein einer Strasse mit
                              									glatter, harter Decke, da einerseits bei unebener Oberfläche der Stromverbrauch zu. sehr wächst, anderseits bei zu weichem Materiall
                              									besonders auf Schotterstrassen, die Steine den schweren Fahrzeugen nicht standhalten
                              									würden.
                           Einen Ueberblick über die aufzuwendenden Zugkräfte und damit den proportional
                              									wachsenden Stromverbrauch gibt die folgende, nach früheren Versuchen
                              									zusammengestellte Tabelle. Danach sind zur Fortbewegung einer Tonne Last auf Rädern
                              									folgende Zugkräfte erforderlich:
                           
                              
                                 Auf
                                 Eisenbahngleis
                                   4–8
                                 kg
                                 
                              
                                 „
                                 Strassenbahngleis
                                 12–15
                                 „ ,
                                 
                              
                                 „
                                 gutem Steinpflaster
                                 20–25
                                 „ ,
                                 
                              
                                 „
                                 schlechtem Steinpflaster
                                 30–35
                                 „ ,
                                 
                              
                                 „
                                 guter Schotterstrasse
                                 20–30
                                 „ ,
                                 
                              
                                 „
                                 schlechter Schotterstrasse
                                 35–45
                                 „ ,
                                 
                              
                                 „
                                 Sandwegen
                                 60–100
                                 „ .
                                 
                              
                           Die Abnutzung der Strassen ist wegen der Breite der Radreifen nicht höher als sonst,
                              									soll zum Teil sogar geringer geworden sein, besonders wenn durch den motorischen
                              									Betrieb die Frequenz der mit Pferden bespannten Fuhrwerke abgenommen hat.
                           Steigungen werden im allgemeinen gut überwunden, auf manchen Strecken sind solche bis
                              									zu 6,5 v. H. vorhanden, die dem Verkehr kein Hindernis bieten.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 422
                              Fig. 4. Umwenden eines Personenwagens.
                              
                           Bei Schnee und Glatteis werden die Räder der Motorwagen mit Eisstellen besetzt oder
                              									gegen andere mit rauher Felge ausgewechselt (Fig.
                                 									2), auch Gummireifen haben sich für den Winterbetrieb bewährt.
                           Um eine Verminderung der Fördermenge zu vermeiden, kann man die Anhängewagen auf
                              									Kufen setzen (Fig. 3), die auch in solcher Form
                              									konstruiert sind, dass sie ohne Anwendung von Winden mit leichter Mühe unter den
                              									Rädern befestigt werden können. Bei frisch gefallenem Schnee schiebt der Motorwagen
                              									eine Walze vor sich her, die eine genügend feste Fahrbahn herstellt.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 423
                              Fig. 5. Staubdicht abgeschlossener Elektromotor mit Grissongetriebe.
                              
                           Da die gleislosen Bahnen oder „Kraftwagen mit oberirdischer Stromzuführung“,
                              									wie sie behördlicherseits in Preussen genannt werden, nicht unter das
                              									Kleinbahngesetz fallen, wird die Konzession im allgemeinen leicht zu erlangen sein;
                              									auch Niveauübergänge über Staatsbahngleise sind zulässig. Die Einführung in
                              
                              									Staatsbahnhöfe ist ebenfalls erleichtert, die vorgeschriebenen Bedingungen sind
                              									leicht zu erfüllen, und ohne besondere Schwierigkeiten kann man dicht an die
                              									Laderampen oder Gleise herankommen. Diese beiden letzten Punkte können unter
                              									Umständen der Anlage einer Klein- oder Strassenbahn ein unüberwindliches Hindernis
                              									bereiten, so dass in solchen Fällen die gleislose oft einen, wenn auch nicht
                              									vollwertigen, Ersatz bieten kann. Da sich sehr häufig der Verkehr mit den gebotenen
                              									Erleichterungen hebt, durch Erschliessung schwer zugänglicher Gegenden die
                              									Besiedelung und Entwicklung einer Industrie begünstigt und beschleunigt wird, so
                              									kann die gleislose Bahn in geeigneten Fällen als Pionier des wirtschaftlichen
                              									Fortschrittes dienen und eventuell später, wenn sie ihre Schuldigkeit getan hat,
                              									einer Kleinbahn Platz machen, deren Anlage ohne solche Vorarbeit in absehbarer Zeit
                              									unmöglich gewesen wäre.
                           Die Anpassungsfähigkeit sowie die Grenzen der Anwendbarkeit dieses verhältnismässig
                              									neuen Beförderungsmittels liegen in seinem Wesen begründet, dessen Einfachheit alle
                              									vorhandenen Vorteile und Nachteile zur Folge hat. Wir haben es mit Wagen zu tun, die
                              									wie jedes andere Fuhrwerk auf dem Pflaster laufen und die durch einen eingebauten
                              									Elektromotor angetrieben werden, der den Strom in ähnlicher Weise, wie es bei den
                              									üblichen Strassenbahnen der Fall ist, durch Kontaktstangen und eine Oberleitung von der ortsfesten Dynamomaschine
                              									erhält. Die Wagen müssen lenkbar sein, brauchen aber nicht symmetrisch gebaut zu
                              									sein, da beim Wechsel der Fahrtrichtung ein Umwenden ohne Schwierigkeit möglich ist,
                              									wenn nicht örtliche Verhältnisse dies verhindern (Fig.
                                 										4). Der Motorwagen kann entweder selbst zur Beförderung der Last dienen
                              									oder als Zugwagen einen oder mehrere Anhängewagen schleppen, unter Umständen
                              									kann er auch beide Eigenschaften in sich vereinen.
                           Die Wagen, die lediglich der Personenbeförderung dienen, ähneln in ihrer äusseren
                              									Form den gebräuchlichen Pferdeomnibussen, sind im allgemeinen unsymmetrisch gebaut
                              									und können in Ausstattung, Anordnung der Sitze usw. allen Wünschen angepasst werden.
                              									In bezug auf die Anordnung der Motoren und die Lenkvorrichtung sind besonders zwei
                              									Typen erwähnenswert, die hauptsächlich Anwendung gefunden haben, die jedoch darin
                              									übereinstimmen, dass sich an einem Ende der überdachte Führerstand mit den nötigen
                              									Apparaten befindet.
                           Die unter dem ganzen Wagen durchgehenden Längsträger geben dem Gestell die nötige
                              									Festigkeit und sind mit den beiden Achsen durch weiche Blattfedern verbunden. Bei
                              									den kleineren Wagen werden die beiden Hinterräder durch je einen 8,5
                              									PS.-Gleichstrommotor angetrieben, womit eine Geschwindigkeit bis zu 14 km in der
                              									Stunde erreicht werden kann und kurze Steigungen bis zu 5 v. H. zu befahren sind.
                              									Die Motoren, die zum Schütze gegen Staub und Wasser mit einem vollständig
                              									geschlossenen Gehäuse versehen sind, wirken auf die Naben der Triebräder vermittels
                              									eines doppelten Vorgeleges, das im ersten Teil ein Zahnrad-, im zweiten ein
                              									Kettenantrieb ist. Für Strecken mit andauernden Steigungen kann dieser Wagen auch
                              
                              									mit zwei Stück 17 PS.-Motoren ausgerüstet werden. Die Lenkung ist leicht zu
                              									handhaben und als Achsschenkellenkung ausgeführt, bei der nur die Räder der
                              									Vorderachse, nicht das ganze Drehgestell, verstellt werden.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 423
                              Fig. 6. Zugwagen Modell 1903.
                              Gewicht 6000 kg; Zugkraft 1200 kg;
                                 										Lenkfähigkeit 5 m Radius; Geschwindigkeit 3–6 km/St.; Motorleistung normal.
                                 										Zuerst ausgeführt für die Grevenbrücker Kalkbahn.
                              
                           Bei den grösseren Wagen wird die Vorderachse durch einen im Untergestell federnd
                              									aufgehängten Motor angetrieben, der bei 500 Volt Gleichstrom 25 PS. normal bezw. 40
                              									PS. maximal leistet und mittels Grissongetrieben sowie
                              									elastischer Freilaufkupplungen beide Räder antreibt (Fig.
                                 										5). Der ganze Bewegungsmechanismus läuft in Kugellagern und ist staubdicht
                              									abgeschlossen. Gelenkt wird vom Führerstande aus mittels gesperrten Getriebes und
                              									Kettentrieb die ganze Vorderachse, die sich um 70 Grad nach jeder umdrehen
                              									lässt, so dass in sehr kurzem Bogen gewendet werden kann (s. Fig. 4). Die Fahrgeschwindigkeit beträgt je nach
                              									Beschaffenheit der Strasse 10–15 km i. d. Stunde. Mit dem grösseren Motorwagen kann
                              									ein gleich grosser Anhängewagen (für 24 Personen) oder ein Güterwagen für 3 t
                              									Nutzlast mitgeführt werden, wobei Steigungen bis zu 6,5 v. H. zu befahren sind. Die
                              									Ausrüstung des Vordergestelles mit Gummireifen erleichtert das Fahren auf schlechten
                              									Wegen, und macht die Erschütterungen weniger fühlbar für die Fahrgäste sowie weniger
                              									schädlich für den Motor.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 424
                              Fig. 7. Schema für die spurhaltende Kupplung- der Anhängewagen. Zuerst
                                 										ausgeführt für Langenfeld–Monheim a. Rh.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 424
                              Fig. 8. Strömabnahme mittels steifer Stangen und Schleifkontakt von der
                                 										doppelpoligen Fahrdrahtleitung.
                              
                           Um bei gleichzeitiger Anwendung solcher Personen wagen und der Zugwagen für
                              									Gütertransport gleiche Reserveteile benutzen zu können, stimmt das Vordergestell der
                              									ersteren mit den beiden Drehgestellen der letzteren im Aufbau vollständig überein,
                              									diese unterscheiden sich von jenen nur durch den in Kugeln laufenden Lenkkranz. Ein
                              									solcher normaler Zugwagen (Fig. 6) vermag bei einem
                              									Eigengewicht von 6,1 t zwei bis vier Anhängewagen mit je 5,5 t Nutzlast zu schleppen
                              									und ausserdem noch selbst 1,2 t auf den beiden Endplattformen zu tragen. Er ist
                              									mit zentralem Führerstand vollständig symmetrisch gebaut, braucht also nicht zu
                              									wenden und ist mit zwei gut gefederten eisernen Drehgestellen versehen, die vom
                              									Führerstande aus mittels Handrad, Kettenübertragung und Schraubenspindel derartig
                              									gelenkt werden, dass sich die Achsen in Kurven radial nach dem Mittelpunkte des
                              									befahrenen Kreises einstellen, der im Minimum einen Radius von 5 m haben kann. Jedes
                              									Drehgestell trägt in der oben beschriebenen Weise einen Motor, so dass alle vier
                              									Räder angetrieben werden und es durch diese vollkommene Ausnutzung des
                              									Wagengewichtes als Reibungsgewicht möglich geworden ist, auf horizontaler guter
                              									Strasse eine Anhängelast von dem fünffachen Gewicht des Zugwagens zu befördern. Die
                              									Fahrgeschwindigkeit schwankt der angehängten Last, den Steigungs- und
                              									Strassenverhältnissen entsprechend zwischen 6 und 15 km i. d. Stunde.
                           Für geringere Förderwagen werden die Zugwagen kleiner hergestellt, so ist z.B. bei
                              									der Mühlenbahn in Grossbauchlitz, wie schon erwähnt, ein unsymmetrisch gebauter
                              									Zugwagen von nur 4 t Gewicht in Benutzung.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 424
                              Fig. 9. Profil-Fahrdraht mit Gummi-Schutzleiste gegen
                                 										Schwachstromleitungen.
                              
                           Zur Aufnahme der Güter können Lastmotorwagen verwendet werden, sind jedoch weniger zu
                              									empfehlen, da einmal durch das Warten während des Ladens und Entladens die
                              									Ausnutzung des Motors unvollkommen ist, dann auch die empfindlicheren Teile durch
                              									schlechte Behandlung, besonders bei Rohstoffladung, leiden können, und endlich das
                              									Verhältnis der Nutzlast zur toten Last im besten Falle 1 : 1 ist, während man bei
                              									Anwendung von Zug- und Anhängewagen unter günstigen Wege- und Geländeverhältnissen
                              									bis auf 5 : 3 kommen kann.
                           Die Anhängewagen können in der verschiedensten Weise ausgeführt werden, in der bisher
                              									am meisten angewendeten Form haben sie bei einer Länge von 4,6 m und einer Breite
                              									von 2 m ein Eigengewicht ohne Kasten von etwa 2 t und können 5–5,5 t tragen. Sie
                              									sind stark gebaut, gut gefedert und mit zwei Drehgestellen versehen, die durch
                              									bewegliche Zungen verbunden sind, so dass sich die Achsen bei Wegekrümmungen radial
                              									nach dem Kurvenmittelpunkte einstellen. In entsprechender Weise erfolgt auch die
                              									Kupplung der Anhängewagen untereinander und mit dem Zugwagen, und zwar sind die
                              									einzelnen Kupplungsglieder so bemessen, dass ein genaues Spurhalten sämtlicher Räder
                              									des ganzen Zuges erzielt wird (Fig. 7). Die
                              									Verbindung der einzelnen Wagen kann auch neben der Mittellinie erfolgen, so dass die
                              									Spuren der aufeinander folgenden Wagen nebeneinander liegen und bei aufgeweichter
                              									Strasse eine Beschädigung derselben vermieden wird. Da die Räder der Zug- und
                              									Anhängewagen 15 cm breite Felgen haben, ist ohnedies selbst bei nicht sehr harter
                              									Strassendecke ein zu tiefes Einschneiden ausgeschlossen.
                           Das Anhängen gewöhnlicher Lastwagen ist dann von Vorteil, wenn die Waren ohne
                              									Umladung durch Zugtiere weiter befördert oder herangebracht werden, jedoch muss man
                              									sich dabei mit einer geringen Geschwindigkeit begnügen, wenn die Wagen nicht
                              									gefedert sind. Die Deichseln werden abgenommen und durch kurze Kupplungsdeichseln
                              									ersetzt, der letzte jedoch kann auch an die übrigen, seien dies nun Schiemannsche Spezialwagen oder für Zugtierbetrieb
                              									bestimmte Frachtwagen, mit seinen gewöhnlichen, langen Deichseln befestigt werden.
                              									In Würzen wird dieses Verfahren gelegentlich bei Zügen von drei Wagen angewandt, und
                              									trotz des Fehlens der bei diesen Wagen nicht anzubringenden spurhaltenden Kupplung
                              									wird eine scharfe Strassenecke ohne irgendwelche Schwierigkeit umfahren.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 425
                              Fig. 10. Doppel-Fahrdraht-Isolator mit Klemmöse für Kurven-Aufhängung.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 425
                              Fig. 11. Fahrkontakt mit auswechselbarem Schleifstück.
                              
                           Die Oberleitung zur Stromzuführung ist in ihrer Anordnung der bei Strassenbahnen
                              									gebräuchlichen ähnlich (Fig. 8), nur muss sie hier
                              									doppelpolig, also aus zwei Drähten bestehend, hergestellt werden, da keine Schienen
                              									zur Rückleitung des Stromes vorhanden sind. Die Fahrdrähte bestehen aus
                              									Profilkupferdraht (Fig. 9) von 65 bis 100 qmm
                              									Querschnitt und werden von Doppelisolatoren mit vollständiger Hartgummiumpressung
                              									getragen, welche die beiden Drähte in einem festen Abstande von 500 mm halten. Der
                              									Profildraht wird in Klemmösen (Fig. 10) montiert,
                              									die ihm ein freies Hindurchschieben gestatten, ohne dass die Aufhängung an
                              									Festigkeit etwas einbüsst.
                           Die Stromabnahme erfolgte früher durch Kontaktwagen,s. D. p. J. 1900, 315, S. 302 und 1903, 318, S.
                                    										79. die auf der Leitung rollten und durch ein bewegliches Kabel mit
                              									dem Wagen verbunden waren, sie haben sich jedoch nicht bewährt und wurden durch
                              									elastische Stangen ersetzt, die auf dem Wagendach gefedert und nach allen Seiten
                              									drehbar gelagert sind und am oberen Ende den ebenfalls drehbaren Fahrkontakt (Fig. 11) tragen. Der auswechselbare Schleifschuh f besteht aus weichem Material und hat eine lange
                              									Schleiffläche, um die Abnutzung des Fahrdrahtes möglichst gering zu halten und
                              									funkenlosen Stromübergang selbst bei grösserem Strombedarf zu sichern. Für eine gute
                              									Schmierung ist Sorge getragen durch Nuten, die, einmal mit Schmiere gefüllt, diese
                              									bis zum vollständigen Verschleiss des Schleifstückes halten. Diese Form der
                              									Stromabnahme ermöglicht nicht nur ein Abweichen der Wagen um 3,5 m von der mittleren
                              									Fahrtrichtung nach jeder und dadurch genügende Bewegungsfreiheit, um jedem anderen
                              									Fuhrwerke ausweichen zu können, sondern sie macht auch die Anordnung von
                              									kostspieliegen Luftweichen überflüssig, da beim Begegnen zweier Motorwagen nur die
                              									Kontakte des einen so lange von der Leitung abgezogen zu werden brauchen, bis der
                              									andere vorüber ist (Fig. 12). Da ebenso leicht ein Wagen einen anderen bezw. einen Schleppzug
                              									überholen kann, so ist durch diese Anordnung die Möglichkeit gegeben, auf
                              									derselben Strecke Gütertransport mit geringer und Personenbeförderung mit höherer
                              									Geschwindigkeit zu betreiben, ohne dass der Fahrplan Störungen erleidet.
                           Will man eine Zweigstreckebetreiben, so wird für diese eine besondere Leitung
                              									angelegt und auf eine Mastenentfernung mit der Hauptstrecke parallel geführt, der
                              									Wagen hält vor der Abzweigung an und kann, nachdem die Stromabnehmer von der Haupt-
                              									an die Nebenleitung gelegt sind, ohne weiteren Aufenthalt in die Seitenlinie
                              									einbiegen. Bei ganz kurzen Abzweigungen, etwa in Fabrikhöfen, kann man eine
                              									besondere Zweigleitung dadurch vermeiden, dass man die Verbindung zwischen den
                              
                              									Motorwagen und der Leitung mittels eines biegsamen Kabels und Steckkontakte
                              									herstellt.
                           Die Anlage einer besonderen Kraftstation wird in den meisten Fällen nicht angängig
                              
                              									sein, wenn die Rentabilität nicht durch anderweitige Abgabe von Kraft und Licht
                              									sichergestellt ist, dagegen wird ein bereits bestehendes Elektrizitätswerk mit gutem
                              									Nutzen den Strom für eine gleislose Bahn liefern können, besonders wenn es dadurch
                              									den Ausfall durch die bei Tage fehlende Lichtabgabe ausgleichen kann.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 425
                              Fig. 12. Begegnen zweier Wagen.
                              
                           Am besten geeignet ist Gleichstrom von 500 Volt Spannung, der auch für den Betrieb
                              									von Motoren für das Kleingewerbe günstig ist, so dass hierfür Anschlüsse unmittelbar
                              									an die Fahrleitung zu machen sind. Auch lässt sich eine Lichtabgabe durch Teilung der Spannung in 2
                              									× 220 bis 250 Volt einrichten, mit der auch örtlich beschränkte Bahnanlagen
                              									betrieben werden können, für die Grossbauchlitzer Anlage ist sogar eine Spannung von
                              									nur 130 Volt vorhanden.
                           Ist nun auch, wie wir gesehen haben das Verwendungsgebiet der gleislosen Bahnen
                              									kein sehr grosses, so können sie doch, wie die bereits in Betrieb befindlichen
                              									Anlagen beweisen, oft dort von grossem Nutzen sein, wo andere Beförderungsmittel
                              									durch örtliche Verhältnisse unmöglich gemacht worden oder durch zu hohe
                              									Betriebskosten unwirtschaftlich arbeiten.